Reformation

1. Zum Begriff der „Reformation“

Es hat sich durchgesetzt, die Ereignisse in Westeuropa, die zur Auflösung der Einheit der abendländischen Kirche führten, auf den Begriff der „Reformation“ zu bringen. Diese Einheit, die von der Hierarchie des Klerus unter der Herrschaft des Papstes zu Rom repräsentiert wurde, zerfiel in eine Mehrzahl verschiedener Kirchen, unter denen die katholische Kirche aber die stärkste blieb. Diese Kirchen, die sich bemühten, eine Erneuerung der Christenheit herbeizuführen, verstanden sich im Gegensatz zur früheren Kirche, die sich über die Hierarchie des Klerus definierte, als das „Volk Gottes“. Der Prozess, der diese Veränderung in der abendländischen Christenheit herbeiführte, vollzog sich im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zwischen 1520 und 1555. Zunächst zeigte sich nur in Ansätzen, was „Reformation“ war, erst im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern der katholischen Kirche und den reformwilligen Kräften in Stadt und Land gewann der Begriff Kontur und Fülle (Berndt Hamm, Bernd Moeller und Dorothea Wendebourg, Reformationstheorien, 1995).

2. Vorreformatorische Entscheidungen

Selbst auf der Höhe päpstlicher Machtentfaltung, von der päpstlichen Reformbewegung im späten 11. Jahrhundert bis zum 16. Jahrhundert, war die Herrschaft der katholischen Kirche nicht überall in Westeuropa absolut. Trotz schwerer Verfolgung konnten sich die Waldenser im 15. Jahrhundert im Piemont, in der Provence und in Süditalien halten; und die Lollarden, von John Wicliff angeregt, waren in der Lage, in versprengten Gruppen bis zur Herrschaft König Heinrichs VIII. in England zu überleben, der mit dem Papsttum brach. Noch wichtiger waren die hussistischen Kriege und die Basler Kompakte, die ihnen ein Ende setzten. Sie zerstörten die religiöse Monopolstellung des Papstes im Königreich Böhmen. Die utraquistische Kirche bewahrte sich ihren eigenen Abendmahlsritus (Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt: Brot und Wein), und auch die stärker separatistisch ausgerichteten Böhmischen Brüder konnten sich in Böhmen und Mähren behaupten. Die hussitische Bewegung mündete in einen gesetzlich garantierten religiösen Pluralismus ein, der von Katholiken, Utraquisten und Böhmischen Brüdern gebildet wurde und der in gewisser Weise den reformatorischen Pluralismus bereits vorwegnahm. In Mähren war nur eine Minderheit des ländlichen Adels katholisch geblieben.

Das Papsttum war durch das abendländische Schisma (1378 – 1415) ernsthaft geschwächt worden, in dem mehrere Anwärter die Tiara des Papstes für sich beanspruchten. Zuerst gab es zwei, zuletzt drei Päpste, die in verschiedenen Ländern anerkannt waren. Das Schisma wurde auf dem Konzil zu Konstanz (1414–1418) mit dem Dekret Haec Sancta Synodus (1415) beendet, das die Suprematie des allgemeinen Konzils über die Entscheidungsrechte des Papstes begründete. Obwohl diese „konziliare Bewegung“ im späteren 15. Jahrhundert viel Macht an das wieder hergestellte Papsttum verloren hatte, wurde unter frommen Katholiken weiterhin darüber diskutiert, ob der Papst die Kirche nach menschlichem Recht oder de jure divino regiert, wie dieser behauptete.

3. Reformdenken im vorreformatorischen kirchlichen und politischen Milieu

Dass die Kirche sich an „Haupt und Gliedern“ fortwährend reformieren müsse, war eine Grundforderung der lateinischen Christenheit im Mittelalter. Im späten Mittelalter wurde die Verwaltung der Kirche zentralisiert, ihre Einkünfte wuchsen an und der Einfluss der päpstlichen Kurie nahm durch die gezielte Ernennung von Bischöfen und Prälaten zu. Der Klerus wurde erweitert – bis auf 1, 5 % der Bevölkerung in den deutschen Territorien – d. h. vier Mal soviel wie die Anzahl der Geistlichen in den späteren protestantischen Territorien. Ein Fünftel der Territorien im Heiligen Römischen Reich wurden von Kirchenfürsten regiert: Erzbischöfen, Bischöfen oder Äbten. Unter den Laien hatte sich der Eindruck verstärkt, dass es zu viele Kleriker gebe und die meisten parasitäre Müßiggänger seien (→Antiklerikalismus). Der Klerus, sowohl der „weltliche“, der in den Gemeinden tätig war, als auch der Klerus in den Mönchsorden, betrachtete sich als die Kirche und die Laien als Leute, die von der Kirche betreut wurden, indem sie ihnen die göttliche Gnade und das Heil vermittelte. Der Klerus der Papstkirche war das Spiegelbild der sozialen Ordnung, wie sie unter den Laien herrschte. Es gab Aristokraten, die fast alle oberen Positionen in der Hierarchie als Erzbischöfe, Bischöfe und Äbte besetzt hielten. Personen aus dem Bürgertum, die über eine akademische Ausbildung in Theologie oder Recht verfügten, wirkten in Stadtkirchen und der kirchlichen Verwaltung. Dorfgeistliche erhielten ihre Stellen, indem sie ein Vikariat bei älteren Dorfpriestern absolvierten, sie lebten kaum anders als ihre bäuerlichen Gemeindemitglieder und bewirtschafteten teilweise ihre eigenen Felder.

Sowohl dem hohen als auch dem niederen Klerus fehlte im Mittelalter eine theologische Bildung. Die Theologie bestand gewöhnlich nur aus einer hoch intellektualisierten Erläuterung der kirchlichen Praxis, die sich auf die Sakramente konzentrierte. Der Tradition nach gab es sieben Sakramente, doch in der Praxis waren einige der sieben Sakramente weniger bedeutsam: das Sakrament der Firmung, der Ehe und der Letzten Ölung. Das Sakrament der Weihe trennte den Klerus von den Laien; der Empfänger dieses Sakraments wurde in einen besonderen Stand versetzt, der „unauflösbar“ war, sogar wenn der Geistliche wegen ernsthafter Vergehen diszipliniert werden musste: „einmal Priester, immer Priester“. Taufe, Buße und Messe waren die Sakramente, die im Zentrum des Heilswegs standen. Die Taufe, die gleich nach der Geburt gespendet wurde und so bedeutsam war, dass sie im Notfall auch von Laien, selbst Frauen, gespendet werden konnte, wurde durch Besprengung des Täuflings mit Wasser vollzogen. So wurde die Befleckung durch die Sünde getilgt, die von Adam und Eva ererbt worden war. Nach der Taufe war es den Christen möglich, mit guten Werken Gott zu gefallen; dennoch blieb eine ererbte Neigung zur Sünde erhalten. Da Christen also erwartungsgemäß auch nach der Taufe sündigten, wurden sie aufgefordert, diese Sünden zu bereuen und einem Priester zu beichten, der sie ihnen im Namen Jesu Christi vergab, wie er ihnen auch Strafen für die bekannten Sünden auferlegte. Diese Aktivität um die Beichte herum war das Sakrament der Buße. Seine Bedeutung bestand darin, den Zustand der Gnade im Christen wiederherzustellen, in dem es möglich war, mit dem Willen Gottes zu kooperieren und verdienstvolle Werke auszuführen, die dahin tendierten, die Seele nach dem Tod zu retten. Die größte Gelegenheit, Gnade zu erlangen, war der Empfang des Abendmahls in der Messe, die nur Priester zelebrieren konnten. Die Messe wiederholte das Opfer Christi, in dem die Christen den wahren Leib und das Blut Christi empfingen. Im römisch-katholischen Abendmahlsritus empfingen die Laien nur das Brot, während der Priester sowohl das Brot als auch den Wein empfing; beiden aber wurde die ganze Wohltat des Leibes und des Blutes Christi zugeeignet.

Verhältnismäßig spät entwickelte die römische Kirche den Glauben an das Fegefeuer, der davon ausgeht, dass viele Christen der ewigen Strafe in der Hölle entkommen, auch wenn ihre Seelen nur unzureichend gereinigt worden sind, um unmittelbar in den Himmel einzutreten. Diese Vorstellung wurde lehrmäßig erst auf dem Konzil von Lyon 1245 definiert. Damals wurde geglaubt, dass das Fegefeuer eine Strafe wie diejenige in der Hölle sei, aber keine ewige Strafe. Die Kirche verkündete Ablässe, in denen sie in gemeinsamem Gebet Gott anflehen konnte, die Erlösung der Seelen im Fegefeuer zu beschleunigen. Diese Ablässe, die zum Kauf feilgeboten wurden, waren eine größere Quelle klerikaler Einkünfte. Sie riefen in der Generation vor der Reformation ein starkes antiklerikales Ressentiment wach.

Das 15. und das 16. Jahrhundert erlebten im Westen Europas die kulturelle Bewegung der Renaissance. Sie vereinigt in sich eine Verherrlichung der alten griechisch-römischen Zivilisation und den Glauben, dass das zeitgenössische Leben in Europa durch ein Studium ihrer überlieferten Monumente, besonders der Literatur, transformiert werden könnte. Die Renaissance setzte im 14. Jahrhundert in Florenz ein. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts erreichte sie Rom. Das Papsttum, das nach der Krise des abendländischen Schismas wieder erstarkt war, war mit neuen Möglichkeiten und Versuchungen konfrontiert, die damit verbunden waren. Nikolaus V., der Papst der Jahrhundertmitte, verschrieb sich der Aufgabe, Rom so wieder aufzubauen, dass es den Ruhm der Kirche widerspiegelt. Fünfzig Jahre später beauftragte Julius II. Michelangelo, die Sixtinische Kapelle auszumalen. Das große Bauprojekt des 16. Jahrhunderts war der neue Petersdom zu Rom. Eben diese Päpste mischten sich in die zwischenstaatliche Politik Italiens als Renaissance-Fürsten ein, sie kämpften um die Kontrolle in ihrem eigenen Territorium und bemühten sich, ihre Konkurrenten auszuschalten. Seit die Päpste ihre Söhne und Neffen zu Kardinälen zu ernennen pflegten, kehrten ihre Familien von Zeit zu Zeit wieder auf den Papstthron zurück. So lag es nahe, das klerikale Zölibat zu überprüfen. Der humanistisch ausgerichtete Papst Pius II. erklärte, wie das Zölibat mit guten Gründen im 11. Jahrhundert eingeführt worden sei, könne es „mit noch besseren Gründen“ auch wieder abgeschafft werden. Der Kriegerpapst Julius II. führte seine Kampagnen in militärischer Ausrüstung durch; einmal bedrohte er sogar die Existenz der ehrwürdigen Republik Venedig und führte die brutalen Schweizer Söldner nach Mailand. Keiner dieser Renaissancepäpste war jedoch ein größerer Mitspieler in der europäischen Politik. Auch in der unbedeutenderen Politik Italiens mussten sie sich in den Jahren nach 1494 zwischen Frankreich und Spanien hindurch lavieren, die beiden großen Mächte, die um die Vorherrschaft in Italien kämpften.

Der Humanismus erreichte die Kirche mit der Renaissance und mit einem kritischen Geschichtsbewusstsein, das den päpstlichen Ansprüchen nicht immer förderlich war. 1440 zeigte Lorenzo Valla, wohl der größte italienische Humanist, mit seiner sprachkritischen Gelehrsamkeit, dass die Konstantinische Schenkung, der angebliche Eckstein der zeitlichen Macht des Papstes, eine Fälschung aus der karolingischen Zeit gewesen sei. Valla und seine Nachfolger wie →Erasmus von Rotterdam waren vor allem als „biblische Humanisten“ bedeutsame Gelehrte der Heiligen Schrift. Mit der Erfindung des Buchdrucks in der Mitte des 15. Jahrhunderts und dem systematischen Studium der hebräischen und griechischen Sprache im westlichen Europa wurde es erstmals möglich, die Vulgata, die offizielle lateinische Bibelübersetzung, einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Valla nahm eine kritische Stellung zur Vulgata ein, und die 1506 entdeckten Anmerkungen Vallas zum Neuen Testament wurden zum Ausgangspunkt für das Novum Instrumentum (1516) des Erasmus von Rotterdam, das vor allem eine unabhängige Übersetzung des Neuen Testaments ins Lateinische war. Seither wurden in Spanien 1522 hebräische und biblische Texte zusammen mit der Vulgata veröffentlicht. Auf Grund der spätmittelalterlichen Arbeit an den Texten der Bibel war der Nachweis gelungen, dass sich viele Bräuche und Traditionen der Kirche nicht auf die Heilige Schrift berufen konnten. Zahlreiche Glaubenslehren über die Jungfrau Maria, das Konzept des Fegefeuers und einige Züge der kirchlichen Sakramentspraxis gingen auf eine von der Bibel unabhängige Tradition zurück.

4. Die Luther-Krise 1517 – 1522

Die Herausforderung der päpstlichen Kirche entwickelte sich in Deutschland zwischen 1517 und 1520 aus einer Mischung von →Antiklerikalismus und biblischem →Humanismus. Martin →Luther, ein Augustinermönch, wurde 1512 zum Professor der Heiligen Schrift an die Universität Wittenberg berufen, die 1502 vom sächsischen Kurfürsten gegründet worden war. Ursprünglich ein Befürworter der ockhamistischen Scholastik, identifizierte Luther sich jetzt mit den Reformen des biblischen Humanismus, die dabei waren, den Charakter seiner Universität zwischen 1516 und 1518 zu verändern. Wichtiger in den Auswirkungen, möglicherweise gegen die Absichten Luthers, war sein durchschlagender Angriff auf den Ablass im Oktober 1517, der zugunsten des noch im Bau befindlichen Petersdoms zu Rom (und verdeckt auch zu Gunsten Albrechts von Hohenzollern, des neuen Erzbischofs zu Mainz, und den Fuggern als seinen Kreditgebern) ausgerufen wurde. Erst nach einhundert Jahren wurden die berühmten Fünfundneunzig Thesen zum Beginn der Reformation erklärt. Sie waren eigentlich nur in lateinischer Sprache formulierte Thesen für eine akademische Disputation. Erst ihre Übersetzung in die deutsche Sprache, die von Freunden Luthers angefertigt worden war, machte sie berühmt.

Martin Luther war die profilierteste Gestalt der Reformation. Zu seiner Lebenszeit trug er dazu bei, eine ihm dienliche Legende über seinen geistlichen Kampf zu schaffen, die zum Bruch mit dem Papsttum führte. Die Erinnerung von 1545 (ein Jahr vor seinem Tod) an ein sehr frühes „Turmerlebnis“ hat sich als nutzlos erwiesen, um sein Denken oder seine persönliche Entwicklung wirklich zu verstehen. Er äußerte ganz unterschiedliche Gedanken über die Prädestination in der Heidelberger Disputation (1518), in de servo arbitrio (1525) und in den letzten Jahren seines Lebens. Er war überhaupt kein systematischer Theologe; und obwohl er meinte, dass seine theologischen Gedanken das Papsttum überwunden hätten, ist das kein nützlicher Hinweis, um die Reformation zu verstehen. Wie von einem Augustinermönch zu erwarten, gründete er seine Theologie auf den Heiligen Augustinus und den Apostel Paulus. Auch wenn er die menschliche Sündhaftigkeit und die göttliche Prädestination stark betonte, war seine Theologie eine Theologie der Rechtfertigung oder des Heils, wie sie sich gut in die Weite der katholischen Rechtgläubigkeit jener Zeit einfügte. Die deutsche Öffentlichkeit und die päpstliche Kurie interessierten sich nicht für die Theologie Luthers, sondern für seine Kritik an den päpstlichen Dekreten des Ablasses. Luthers Ansehen an der Wittenberger Universität sicherte ihm einen gewissen Schutz durch den Kurfürsten Friedrich von Sachsen. So traf ein päpstlicher Repräsentant, Kardinal Cajetan, Luther 1518 in Augsburg; und 1519 diskutierte Luther über seine Ansichten mit dem berühmten Professor Johannes Eck in Leipzig. Luther, ein hartnäckiger und gelegentlich gebieterischer Mensch, blieb dabei, dass der Ablass falsch sei, auch wenn er auf päpstliche Dekrete gegründet werden könne; und 1519 erklärte er, dass die Heilige Schrift eine höhere Autorität habe als Päpste oder allgemeine Konzile. Der Kurfürst hielt die Hand schützend über ihn.

1520 wurde Luther von Papst Leo X. exkommuniziert. In demselben Jahr griff Luther in seinen Schriften das sakramentale System an, durch das die römische Kirche die Gnade Gottes vermittelte. Mit einem radikal neuen Begriff definierte er die Kirche als das ganze Volk Gottes und behauptete, dass alle christlichen Gläubigen Priester seien, die keinen Mittler zwischen sich und Christus oder Gott benötigten. Der Papst, schrieb Luther, hatte die Vorrechte Christi usurpiert und erwies sich auf diese Weise als der Antichrist, vor dem in einigen Teilen des Neuen Testaments gewarnt worden sei. Es gab kein Sakrament der Weihe, sondern nur die Berufung von Geistlichen, die religiöse Funktionen wahrzunehmen hatten. Die einzig wahren Sakramente waren Taufe, Buße und Messe; und keines dieser Sakramente bedurfte zum Vollzug eines Priesters. In der Messe empfingen sowohl Geistliche als auch Laien, Brot und Wein. Brot und Wein waren tatsächlich Leib und Blut Christi, dennoch blieben sie Brot und Wein und waren nicht Gegenstand gottesdienstlicher Verehrung. In verschiedener Hinsicht widersprach Luther der Theologie, die die päpstliche Kirche konstruiert hatte, um die Gültigkeit der Sakramente zu sichern. Luther war ein großer Schriftsteller; er nutzte den Buchdruck, um die öffentliche Meinung zu mobilisieren, zunächst noch veröffentlichte er in lateinischer Sprache, um die gebildeten Leser überall im westlichen Europa anzusprechen, zunehmend nutze er aber die deutsche Sprache, um eine nationale Gefolgschaft um sich zu scharen. Die Antwort auf die Bannandrohungsbulle von 1520 leitete das Schisma in der abendländischen Christenheit ein. Diejenigen, die die Reformation unterstützten, sogar solche, die später wie Ulrich Zwingli und Andreas Karlstadt mit Luther brachen, stellten sich mit ihm gegen das Papsttum. Offensichtlich gab es eine überwältigende Unterstützung für Luther in deutschen Landen während der frühen zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts. Als Reaktion auf diese Situation wurde Luther gestattet, 1521 in Worms vor den Reichsständen und Kaiser Karl V. zu erscheinen (→Reichstage). Hier weigerte er sich mit dramatischer Geste, seine Auffassungen zu widerrufen, und wurde daraufhin mit der Reichsacht belegt. Wäre Deutschland eine zentralisierte Monarchie wie England, Frankreich oder Spanien gewesen, wäre Luther sicherlich aus dem Verkehr gezogen worden; Deutschland aber war eine Konföderation halb-unabhängiger Herrschaften. So stellte Friedrich der Weise, Luthers sächsischer Landesherr, seinen Untertan unter Schutz und zog ihn für die restliche Zeit dieses Jahres aus der Öffentlichkeit. Während des Exils auf der Wartburg begann Luther, das Neue Testament ins Deutsche zu übersetzen. Im Jahre 1534 ist dann aus Luthers stilistischer Exzellenz, kombiniert mit den philologischen Ratschlägen seiner Kollegen, eine komplette Lutherbibel entstanden, ein klassisches Werk der deutschen Sprache.

5. Variationen und Konflikte im antirömischen Lager

Die Auffassung, dass die Reformation mit dem Anschlag der Fünfundneunzig Thesen ihren Anfang nahm, ist eine der Konzeptionen zum Beginn der Reformation aus der Rückschau. Die Kirchen in Genf, Zürich, England, Schottland und in den Niederlanden, die sich selbst „Reformierte“ nannten, sahen den Beginn der Reformation im Erscheinen des Novum Instrumentum (1516) des Erasmus von Rotterdam, auch wenn Erasmus bekanntermaßen weiterhin der römischen Kirche anhing. Der erste Anführer dieser Tradition war Ulrich →Zwingli, der in einer anderen scholastischen Tradition ausgebildet wurde als Luther und stärker dem biblischen Humanismus verpflichtet war. Ab 1523 brachte Zwingli die Obrigkeit Zürichs in eine antirömische Stellung, obwohl er den reformierten Abendmahlsgottesdienst erst zu Ostern 1525 in Zürich einführte. Gegen Luther bestand er darauf, dass Leib und Blut Christi nur geistlich oder symbolisch in Brot und Wein gegenwärtig seien. Damals gewann er die führenden Geistlichen Straßburgs, Martin →Bucer und Wolfgang →Capito, für eine ähnliche Abendmahlskonzeption. Das war eine Abendmahlslehre wie diejenige, die auch von Luthers einstigem Kollegen an der Wittenberger Universität, Andreas Bodenstein von →Karlstadt, angenommen wurde. Karlstadt war der Anführer der Wittenberger Reformbewegung 1521 bis 1522, während Luther sich auf der Wartburg aufhielt. Als Luther nach Wittenberg zurückkehrte, verwarf er einige der Neuerungen Karlstadts im Einklang mit den Wünschen des Kurfürsten. Die Differenzen mit Luther führten dazu, dass Karlstadt 1524 aus Sachsen verbannt wurde. Er begab sich in die Schweiz und starb 1541 als Theologe für das Alte Testament an der Universität Basel. Ein radikalerer Gegner Luthers war Thomas →Müntzer, Pastor in Zwickau (1520 – 1521), Allstedt (1523 – 1524) und Mühlhausen (1524 – 1525). Müntzer befürwortete eine militante Reaktion auf die Verfolgung seiner Anhänger durch katholische Grundherren, wurde von Luther zurückgewiesen und wegen seiner Beteiligung am Bauernkrieg hingerichtet.

In den Zentren reformatorischer Aktivität, Wittenberg, Zürich und Straßburg, rief die Verteilung deutscher Bibeln an die Laien die Frage auf, ob Laien, die eine deutschsprachige Bibel lesen, die Auslegungen der akademisch ausgebildeten Geistlichen herausfordern könnten, die das Neue Testament in griechischer und das Alte Testament in hebräischer Sprache zu lesen verstehen. Die →Zwickauer Propheten, Laien aus der Gemeinde Thomas Müntzers, waren 1521 und 1522 plötzlich in Wittenberg erschienen. Sie beanspruchten, unmittelbare Offenbarungen durch den Heiligen Geist erhalten zu haben, und verwarfen die Säuglingstaufe. Wichtiger noch war die Herausforderung, der sich Zwingli durch seine radikalen Gefolgsleute unter den Laien ausgesetzt sah (Konrad →Grebel). Sie begannen 1523, öffentlich aufzutreten und entschieden sich, am 21. Januar 1525 die Erwachsenentaufe in einem Zürcher Privathaus zu praktizieren (→Täufer). Diese täuferische Bewegung verbreitete sich in der nördlichen Schweiz und in Süddeutschland und zog viele ehemaligen Anhänger Thomas Müntzers in ihren Bann. Schwere Verfolgungen gegen Ende der 1520er Jahre veranlassten zahlreiche Täufer, nach →Mähren auszuweichen, wo eine Anzahl separatistischer Gruppen bald darüber stritten, ob Christen verpflichtet seien, sich nach Matth. 5 gewaltfrei zu verhalten oder nicht, auch ob privates Eigentum in eine Gütergemeinschaft nach dem Modell in der Apostelgeschichte übergehen müsse, wie nahe das Ende der Welt auch schon bevorstünde. In den späten zwanziger und den frühen dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts war →Straßburg ein toleranter Zufluchtsort für die Täufer, ebenso für Spiritualisten, die eine weniger organisierte Form des Christentums befürworteten und für die unmittelbare Führung durch den Heiligen Geist offen waren.

6. Politische und soziale Erhebungen in der Frühzeit der deutschen Reformation

In einer Zeit, als weite Teile Deutschlands für die Herausforderungen empfänglich waren, die von Luther und seiner Bewegung gegenüber dem Papsttum ausgingen, wandten sich einige Anhänger der Reformation direkt gegen die Missstände in der religiösen und sozialen Ordnung, indem sie mit Losungen biblischer Reform ins Feld zogen. Zwischen 1522 und 1523 versuchte eine Gruppe des niederen Adels, sich einiger von Bischöfen regierter Herrschaften zu bemächtigen. Sie begründeten ihre Aktion mit dem Argument, dass die geistlichen Herrschaften ihren Vorfahren gehört hätten und gestohlen worden seien. Diese Bewegung, der Reichsritteraufstand, wurde von den führenden deutschen Fürsten niedergeschlagen, unabhängig davon, ob sie Luther unterstützen oder sich ihm widersetzten. Um 1525 brach dann der Deutsche →Bauernkrieg aus (1524–1526), in den mehrere hunderttausend Dorf- und Kleinstadtbewohner in weiten Teilen Süd- und Mitteldeutschlands verwickelt waren. Die Beteiligten versammelten sich auf der Grundlage der Heiligen Schrift und des Göttlichen Rechts und beriefen sich darauf, dass sie nicht als Leibeigene gehalten werden sollten, sie wollten wirtschaftlichen Zugang zu den Wäldern, Gewässern und der Allmende erhalten und von den verschiedenen Abgaben und Diensten befreit werden, die in ihren Augen nicht im Alten Herkommen verankert oder unvernünftig seien. Auch forderten sie, ihre eigenen Pfarrer wählen und den Kirchenzehnt für die Gemeinde verwenden zu dürfen, anstatt dass ihnen Priester verordnet und sie von auswärtigen geistlichen Behörden zur Steuer veranlagt würden (→Gemeindereformation). Sie wollten von ihren Bitten und Forderungen absehen, sollte ihnen nachgewiesen werden könnte, dass diese nicht schriftgemäß seien. Ebenso legten sie eine Liste der wichtigeren Reformatoren vor, allen voran stand der Name Luthers, die sie als Vermittler vorschlugen. Obwohl die Bauern sich oft selbst bewaffneten und sich in großer Schar versammelten, hatte diese Bewegung eher den Charakter eines Streiks und eines wirtschaftlichen Boykotts gegenüber Klöstern und weltlichen Grundherrn – bis die deutschen Fürsten ihre Waffen erhoben und alles daran setzen, die Erhebung systematisch zu unterdrücken (s. auch →Frühbürgerliche Reformation). Luther schrieb gegen die Bauern und warf ihnen vor, die geistliche Freiheit, die er predigte, mit der „Freiheit des Fleisches“ zu verwechseln, und versicherte ihnen, er werde stets jeglichen Aufruhr gegen die weltliche Obrigkeit ablehnen, so gut er auch begründet sei und wie sehr die Beschwerden gerechtfertigt seien.

7. Die territoriale und plurale Organisation der Christenheit in Deutschland

Auf dem Reichstag zu Speyer 1526 beschlossen die Reichsstände, Maßnahmen zu ergreifen, um eine wiederholte Massenerhebung wie den Bauernkrieg zu unterbinden; außerdem entschieden die Reichsfürsten, dass jeder die Religion in seinem eigenen Territorium reformieren würde, „soweit als es die Gesetze des Reiches und Gottes Wort zulassen“. Das bedeutete, dass die lutherischen Fürsten sich Kirchengüter aneigneten, ihre Landeskirchen als Ableger ihrer Behörden organisierten, auch die Berufung der Pfarrer kontrollierten und ihren Unterhalt übernahmen. Das Ergebnis war eine kleinere, finanziell besser gestellte, theologisch kompetente, an den Universitäten ausgebildete Geistlichkeit, die aus städtischer Bevölkerung rekrutiert wurde und sich in Übereinstimmung mit den Katechismen Luthers zu predigen und zu lehren bemühte. Die Ordnung der Messe wurde nun ins Deutsche übersetzt, lutherische Geistliche, auch Luther selbst, heirateten. Vieles blieb beim Alten; Kruzifixe und Bilder schmückten weiterhin die auf den Altar hin ausgerichteten Kirchenschiffe; und die Kirchenmusik wurde so ausgebildet, dass sie die Gemeinde mit ihrem Gesang mit einbezog. Diese einfachere, „geschrumpfte“ Version des Christentums wurde vom Adel und dem Bürgertum in den Städten unterstützt, viel Begeisterung konnte aber die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung in den protestantischen Territorien dafür nicht aufbringen. Luther dominierte die Reformation in Deutschland bis zu seinem Lebensende 1546. Müntzer wurde 1525 hingerichtet, und Zwingli fiel im Krieg mit den katholischen Kantonen der Innerschweiz 1531 in der Schlacht bei Kappel. Deutsche reformierte Anführer, an der Spitze Martin →Bucer, versuchten, ihre Differenzen in der Abendmahlsauffassung mit Luther zu begraben, und einigten sich auf gemeinsame Aussagen in der Wittenberger Konkordie 1536.

Der katholische Kaiser Karl V. konnte sich nie mit dem Gedanken an eine dauerhafte Spaltung der deutschen Christenheit abfinden, sondern versuchte auf energische Weise, die Differenzen zwischen Katholiken und Lutheranern miteinander zu versöhnen. Auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 forderte er den Lutheranern eine Rechenschaft ihres Glaubens ab. Diese wurde von Philip Melanchthon verfasst und verlesen, dem biblischen Humanisten und Professor in Wittenberg. Das Augsburger Bekenntnis wurde in einem versöhnlichen Geist abgefasst und versuchte, die lutherischen Glaubensauffassungen auf eine solche Weise zum Ausdruck zu bringen, dass diese sich so konsistent wie irgend möglich mit der katholischen Rechtgläubigkeit verbanden. So mussten allerdings die Unterschiede zwischen den Lutheranern und Reformierten vergrößert werden. In der Soteriologie (d. h. der Lehre von der Rechtfertigung und Erlösung) gab es zu jener Zeit eine wirkliche Grundlage für ein Einvernehmen nicht nur zwischen Lutheranern und Reformierten, sondern auch zwischen Protestanten und katholischen Reformern, den Spirituali, einer gemäßigten Gruppierung innerhalb des Kardinalskollegiums, die zum Kompromiss um der kirchlichen Einheit willen neigte. Es gab aber keine vergleichbare Grundlage für eine Versöhnung der Katholiken, Lutheraner und Reformierten in der Frage nach den Prinzipien der kirchlichen Organisation und der sakramentalen Praxis. Nicht die Soteriologie, sondern die letzteren Themen ließen die Reformationskrise in plurale Formen der westlichen Christenheit einmünden. Von 1531 bis 1547 war die stärkste politische Kraft, die das deutsche Luthertum unter ihren Schutz stellte, die Schmalkaldische Liga. Sie wurde von Philip von Hessen angeführt.

1530 übernahm der radikale Laienprädikant Melchior →Hoffman die Führungsrolle in der Ausbreitung des Täufertums in weiten Gebieten Norddeutschlands und der Niederlande. Im Kontakt mit anderen Radikalen in Straßburg eignete er sich eine heterodoxe Christologie an, die die Menschheit Christi gegenüber seiner Göttlichkeit abschwächte, dafür wohl aber den moralischen Anspruch an die Gläubigen, ein Leben in aller Reinheit zu führen, erhöhte. Für mehr als ein Jahrhundert trennte diese Christologie das niederdeutsche vom süddeutschen Täufertum. In den Jahren 1534 und 1535 übertrafen Hoffmans täuferische Auffassungen die Wirkung des Augsburger Bekenntnisses bei der politischen Gestaltung der Stadt →Münster in Westfalen, die der Herrschaft eines Fürstbischofs unterstellt war. In kürzester Zeit wurde dort eine militante Theokratie errichtet. Die Reichsstände, darunter Truppen Philips von Hessen, unterstützen den Bischof von Münster bei der Rückeroberung der Stadt nach einer sechzehnmonatigen Belagerung. Seit den frühen 1540er Jahren hat das niederdeutsche Täufertum unter der Führung des ehemaligen Priesters Menno →Simons einen friedfertigen Charakter angenommen. Als Karl V. 1546 und 1547 versuchte, den Katholizismus im Reich mit Waffengewalt wiederherzustellen, war es ihm gelungen, die Schmalkaldische Liga zu besiegen und ihre Auflösung zu erreichen. Um Norddeutschland jedoch zu zwingen, dem Luthertum abzusagen, fehlten ihm die militärischen Mittel. Nach der Abdankung Karls V. wurde unter seinem Bruder und Nachfolger Ferdinand I. auf dem Reichstag zu Augsburg 1555 der sogenannte Augsburger Religionsfrieden beschlossen, der im Grunde die Situation wiederherstellte, die auf dem Speyerer Reichstag von 1526 ins Auge gefasst worden war. Die beiden rechtlich anerkannten Formen des Christentums waren die katholische Kirche und die lutherischen Kirchen augsburgischen Bekenntnisses. Jeder Landesherr konnte entweder die eine oder die andere Religionsform wählen. Sollten seine Untertanen der religiösen Wahl ihres Landesherrn nicht zustimmen, waren sie rechtlich frei, ihr Eigentum zu veräußern und anderswo hinzuziehen.

8. Reformierte und Täufer an den Rändern des Reiches

Luthertum und Katholizismus blieben jedoch nicht die einzigen Formen des Christentums in Deutschland. Das reformierte Christentum in der Gestalt, die Zwingli ihm gab, erhielt sich in der Schweizerischen Konföderation in Zürich, Basel und Bern. 1536 begann Johannes →Calvin eine neue, einflussreichere Variante des reformierten Christentums in Genf zu errichten, in einer Stadt außerhalb der Konföderation. 1560 nahm die Pfalz das reformierte Bekenntnis an und leitete in einer Reihe westdeutscher Territorien den Wechsel vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis ein. Das reformierte Christentum war eine neue, strengere Form der Religiosität. Die ornamentale Ausschmückung der Kirchen wurde beseitigt und der Gottesdienst wurde ausschließlich von der Kanzel her auf die Predigt und die Bibel ausgerichtet.

Das Täufertum erhielt sich trotz brutaler →Verfolgung und überlebte in der Schweiz (vor allem im Kanton Bern), in Mähren und in den Niederlanden. Im späten 16. Jahrhundert waren die →Mennoniten in der Holländischen Republik zahlenmäßig ebenso stark wie die Calvinisten und wurden seit den 1570er Jahren, dem ersten Jahrzehnt des niederländischen Unabhängigkeitskriegs gegen die spanische Krone, offiziell geduldet. Im Gegensatz zu den strengen Zügen der Prädestinationslehre im offiziellen Protestantismus, entwickelten die Täufer, ähnlich wie Reformkatholiken nach dem Konzil von Trient, eine Anthropologie und Soteriologie, die sich den optimistischen Themen der Renaissance stärker öffneten. Wie die Katholiken (und die östliche Orthodoxie) fanden sie einen Platz für die Lehre vom freien Willen des Menschen, sie betonten die freiwillige Nachfolge Christi und die Einwilligung, den Forderungen der Evangelien zu folgen, besonders denjenigen, die in der Bergpredigt zu finden sind.

9. Die Ausbreitung der Reformation und die Neuordnung der Christenheit

In Deutschland mag die Reformation in den ersten Jahren nach 1520 für einige Zeit viel Unterstützung erhalten haben, später setzte sie sich in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, England und Schottland durch, sofern sie in strategisch wichtigen Minderheiten in der Aristokratie und im Bürgertum Rückhalt gefunden hatte. Das Luthertum erhielt sich nur in Deutschland, Skandinavien und einigen deutschsprachigen Enklaven im östlichen Europa und unter den Deutschamerikanern in den USA. Wo sich die Reformation über Deutschland und Skandinavien hinaus ausbreitete, war sie zunächst „reformiert“, wie in der Schweiz, Frankreich, England, Schottland, den Niederlanden und Teilen Osteuropas. Die Täufer (Mennoniten) waren in der Holländischen Republik die ersten offiziell anerkannten protestantischen Dissenters, während die Reformierten dort eine obrigkeitlich gestützte Kirche bildeten. Im England des 17. Jahrhunderts warf eine Kombination aus Täufertum und Puritanismus mit den Baptisten (→Baptismus) ein Licht auf eine machtvolle freikirchliche Bewegung außerhalb der obrigkeitlich gebundenen Anglikanischen Kirche voraus. Diese Form des Protestantismus wurde zur Norm in den USA, seit die Verfassung des Landes jede Art staatlich etablierter Kirchen unterbunden hatte.

Wo die politischen Verhältnisse die Reformation begünstigten, wie in England, Schottland, der niederländischen Republik und in mehr als der Hälfte der deutschen Territorien und Reichsstädte wurden diese Länder und Städte protestantisch. Wo die politischen und militärischen Geschicke sich gegen die Reformation kehrten, wie in einem Teil Deutschlands, in Frankreich, Polen und den tschechischen Ländern, flaute die protestantische Welle ab, und der Katholizismus kehrte zurück. Schließlich überlebte der Protestantismus nur in Teilen Nord- und Westeuropas, von dort wurde er in weite Teile Nordamerikas und in die von Weißen bewohnten Teile des Britischen Commonwealth getragen. Diese relative Niederlage wurde von der Bedeutung der Holländischen Republik, Deutschlands, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten von Amerika in den 17., 18., 19. und 20. Jahrhunderten überspielt. Schließlich behielt die katholische Kirche, die aus dem Schock durch die Reformation gestärkt hervorgegangen war, die Kontrolle über vier Fünftel der europäischen Gebiete, wo sie 1520 etabliert war. Sie leitete die missionarischen Unternehmungen des 16. Jahrhunderts in Nord- und Südamerika, Afrika und Asien ein. Es war das erklärte Ziel der protestantischen Missionen, das 20. Jahrhundert zum „christlichen Jahrhundert“ werden zu lassen, und auf diese Weise die kulturelle Überlegenheit Europas und Nordamerikas über den Rest der Welt widerzuspiegeln. Doch die Ereignisse des 20. Jahrhunderts haben diese Hybris zerstört; aber eine Vielzahl der christlichen Missionen überträgt weiterhin die Bedeutsamkeit der Reformation nach Südamerika, Afrika und Asien.

Bibliografie (Auswahl)

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James M. Stayer

 
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