Baptismus

1. Anfänge: John Smyth und Thomas Helwys

Der Baptismus entstand innerhalb des separatistischen Flügels des Puritanismus. Robert Browne (1550–1633) hatte das kongregationalistische Verfassungsmodell entwickelt, wonach die Kirche nicht von einem Bischof regiert wird, sondern die Gemeinden sich selbst verwalten. Die Glieder gehen mit Gott und untereinander einen Bund (covenant) ein. Um Verfolgungen auszuweichen, mussten Anhänger dieser Idee fliehen, z. B. eine Gruppe 1607 nach Amsterdam. Ihr Anführer, der ehemalige anglikanische Priester John Smyth (1554–1612), definierte die Kirche als eine „sichtbare Gemeinschaft der Heiligen“. Da Smyth für die Säuglingstaufe keinen Anhalt in der Hl. Schrift fand, kam er zu der Überzeugung, dass nur Gläubige die Taufe empfangen durften. Die rechte Kirche wird durch die rechte Taufe konstituiert, was umgekehrt heißt, dass eine falsche Taufe Einlass in die falsche Kirche ist, und da die Kirche von England die Säuglingstaufe von der römischen Kirche übernommen hat, ist die Tochter so korrupt wie ihre Mutter. Eine Reformation dieser Kirche ist sinnlos; die Kirche ist nach neutestamentlichem Vorbild wieder herzustellen. Da Smyth keine Kirche mit Gläubigentaufe erkennen konnte, vollzog er 1611 an sich eine Selbsttaufe und taufte anschließend seine Gruppe. Die Taufe wurde durch Übergießen mit Wasser praktiziert. Sehr bald kamen ihm Zweifel, als er entdeckte, dass die Waterlander Mennoniten die rechte →Taufe praktizierten, und dass er einen Ältesten dieser Gemeinde um die Taufe hätte ersuchen müssen. Er und die Mehrzahl der englischen Exulanten stellten bei den Waterlandern einen Antrag auf Mitgliedschaft, der jedoch vor seinem Tod an Tuberkulose nicht entschieden war.

Smyth hatte offenbar vor seiner Taufhandlung von der Existenz der Mennoniten keine Kenntnis, so dass eine direkte Verbindung des Baptismus mit dem Täufertum der Reformationszeit eher unwahrscheinlich ist. In einem auf Thomas Helwys (ca. 1550–1616) zurückgehenden, 1611 in Amsterdam gedruckten Glaubensbekenntnis heißt es: „Dass die Kirche Christi eine Gesellschaft gläubiger Menschen ist, die von der Welt durch Wort und Geist Gottes separiert und die mit dem Herrn und untereinander verbunden sind durch die Taufe auf ihr eigenes Bekenntnis des Glaubens.“ Die Taufe „oder das Waschen mit Wasser ist die äußere Manifestation des Sterbens der Sünde und des Wandels im neuen Leben“. Daher ist eine Taufe Neugeborener unmöglich. Jede Gemeinde wird durch gewählte Älteste und Diakone geleitet. Ausdrücklich wird bei den Diakonen hinzugefügt: „Men and Women“. Obrigkeitliche Amtsträger können Mitglieder der Gemeinde sein; sie tragen in allen gesetzlichen Dingen das Schwert, dem man sich nur bei ungesetzlichem Gebrauch widersetzen darf. Auch wird der Eid erlaubt. Diese Artikel unterstreichen, dass sich die Engländer von den festländischen Mennoniten unterscheiden wollten. Etwa zehn von ihnen zogen unter Führung des Juristen Thomas Helwys 1612 nach England zurück, wo sie in Spitalsfield bei London die erste Baptistengemeinde auf englischem Boden gründeten.

2. General und Particular Baptists

Damit begann in England die Gruppierung der General Baptists, die sich von den wenig später entstehenden Particular Baptists unterschieden. Diese neigten dem Calvinismus zu und lehrten, Christus sei nur für eine besondere, zuvor erwählte Schar gestorben, während jene eher dem Arminianismus und dem freien Willen zugetan waren und meinten, Christus sei für alle gestorben.

Thomas Helwys veröffentlichte 1612 seine Schrift A Sbort Declaration of the Mistery of Inquity (Eine kurze Erklärung des Geheimnisses der Bosheit; im Titel wird auf 2. Thess. 2,7 angespielt). Darin führt er aus, dass der irdische König dem „König aller Könige“ unterworfen ist und dass er daher nicht in Religionsangelegenheiten eingreifen darf. „Denn die Religion der Menschen ist zwischen Gott und ihnen; dafür muss der König keine Rechenschaft ablegen.“ Wenn Menschen sich an die weltlichen Gesetze halten, steht allen das Recht zu, ihren Glauben zu bekennen: „Lass sie Häretiker, Türken, Juden oder was auch immer sein, es steht der weltlichen Gewalt nicht zu, sie auch nur in geringstem Maße zu bestrafen.“

Für diese Aussagen wurde Helwys ins Gefängnis geworfen, wo er vermutlich 1616 starb. Er ist der erste in einer langen Kette von baptistischen Laien und Theologen, die sich für volle Religionsfreiheit für Christen und Nicht-Christen eingesetzt haben. Dies erfolgte viele Jahrzehnte vor der europäischen Aufklärung. Die Religions- und Gewissensfreiheit sollte dem weltlichen König abgetrotzt werden, indem der „König aller Könige“, Jesus Christus, dafür in Anspruch genommen wurde. Das Recht beinhaltet aber auch, dass die Religionen sich gegenseitig kritisieren können, was Helwys durchaus scharf und scharfsinnig tat.

Die Entstehung der Particular Baptists ist schwierig zu rekonstruieren. Bereits 1644 gab es in London sieben Gemeinden, die ein Glaubensbekenntnis herausgaben, was der Westminster Confession (1646) der Presbyterianer nachgebildet ist. Ähnliches lässt sich vom Londoner Bekenntnis (1689) sagen. Man wollte zeigen, dass die Gemeinden in den meisten Glaubensartikeln mit anderen Christen übereinstimmen. In der Tauffrage wich man ab: sie soll „durch Tunken oder Eintauchen des ganzen Körpers unter Wasser“ vollzogen werden. Dieser Taufmodus der Immersion setzte sich unter Baptisten durch und trug ihnen ihren Namen (von griech. baptizo = tauchen; taufen) ein. Baptisten unterschiedlicher Überzeugungen feierten anfänglich das Abendmahl in geschlossener Form, doch gab es Ausnahmen. Die bedeutendsten waren die Broadmead Gemeinde in Bristol und die Gemeinde in Bedford. Letztere wurde durch ihren Prediger John Bunyan (1628–1688) bekannt, der sich 1655 der Gemeinde anschloss und als Schriftsteller hervortrat. Von 1660 bis 1672 war er inhaftiert. Nach seiner Entlassung wirkte er bis zu seinem Tod als Prediger der Gemeinde. Sein Erbauungsbuch The Pilgrim's Progress (1678, dt. Die Pilgerreise), das mit autobiographischen Zügen die Pilgerschaft des Christen durch die Welt zur himmlischen Pforte schildert, gehört zu den am meisten gelesenen Büchern der Christenheit.

3. Die Siebten-Tags-Baptisten

Zu den Gruppen der General und Particular Baptists gesellten sich noch die Siebten-Tags-Baptisten. James Ockford schrieb 1650 ein diese Tradition begründendes Buch mit dem Titel: „Die Lehre des Vierten Gebots, deformiert durch das Papsttum, reformiert und wieder hergestellt zu seiner ursprünglichen Reinheit“. In England hatte diese Gruppe nie mehr als sechzehn Gemeinden. Seit es sie ab 1671 auch in Nordamerika gibt, lässt sich dort ein größeres Wachstum beobachten, doch blieben sie eine kleine Gemeinschaft bis zur Gegenwart. Das bedeutet: Es gab von Anfang nicht den Baptismus, sondern mehrere Varianten. Im Laufe der Zeit hat es immer und überall, oft wegen nichtiger Dinge, Abspaltungen und Neugründungen gegeben. Bis zum 19. Jahrhundert blieb der Baptismus eine angelsächsische Bewegung.

4. Politische Umsetzung der Religionsfreiheit

Der puritanische Prediger und zeitweilige Baptist Roger Williams (ca. 1603–1683) und der baptistische Arzt und Pastor John Clarke (1609–1676) legten 1647 ihre Gründungen Providence und Newport zur Kolonie Rhode Island zusammen. 1639 war in Providence unter Führung von Williams die erste Baptistengemeinde in der Neuen Welt entstanden. Williams und Clarke gelang es, 1663 eine Verfassung (royal charter) für die Kolonie zu erhalten. Danach soll in dem Staatswesen „volle Freiheit in religiösen Angelegenheiten“ obwalten. Williams sprach von einer „Trennmauer oder Hecke zwischen dem Garten der Kirche und der Wüste der Welt“. Die Religionsfreiheit war hier zum ersten Mal in einem politischen Gemeinwesen durchgesetzt. Fernwirkung dieser Ordnung und Metapher reicht bis in den Ersten Zusatz zur amerikanischen Verfassung.

5. Aufklärung, Erweckung, Mission

Nach Verabschiedung der Toleranzakte (1689) waren Baptisten von Verfolgungen verschont, abgesehen von örtlichen Entgleisungen, aber sie blieben infolge der Staatskirche eine Minderheit. Das neue Jahrhundert veränderte auf drei Feldern das Erscheinungsbild: die Aufklärung, die Erweckung und die Missionsbewegung. Die Hinwendung zu rationaler Ausgestaltung der Theologie ließ etliche Baptisten zu den Unitariern übertreten. Baptisten waren anfänglich gegenüber der Erweckung skeptisch; doch wuchs der Baptismus vor allem in Nordamerika. So etwa kam der in Neu-England einflussreiche Prediger Isaac Backus (1724–1806) zum Baptismus und kämpfte für Religionsfreiheit und die Ausbreitung der baptistischen Gemeinden. Der Einfluss des amerikanischen Erweckungspredigers Jonathan Edwards (1703–1758; kein Baptist) bewirkte durch sein Buch The Freedom of the Will (1754), dass der strenge Calvinismus unter den Particular Baptists abgeschwächt wurde. So schrieb der bedeutende Pastor Andrew Fuller (1754–1815) sein Buch The Gospel worthy of all Acceptation (1785).

Fuller war ein Freund William Careys (1761–1834). Dessen 1792 erschienener Aufruf an alle Christen, „für die Bekehrung der Heiden“ zu sorgen, führte zu einer Expansion des protestantischen Christentums. Die Bildung der baptistischen Missionsgesellschaft (BMS: Baptist Missionary Society) ließ andere protestantische Kirchen diesem Beispiel folgen. Carey selber ging 1793 nach Indien. Er schlug vor, 1810 am Kap der Guten Hoffnung eine Weltmissionskonferenz einzuberufen. (Dieser Traum ging erst 100 Jahre später in Edinburgh in Erfüllung und markiert den Beginn der ökumenischen Arbeit). Die BMS sandte ab 1812 Missionare nach Ceylon und ab 1814 nach Jamaika, wo es William Knibb (1803–1845) gelang, die Abschaffung der Sklaverei zu sichern. Etliche schwarze Baptisten gingen ab 1841 von dort nach Kamerun. Missionare der BMS zogen 1879 in den Kongo, nach Angola und 1859 nach China. Die Saat ging auf in den heutigen baptistischen Bünden in Indien (Orissa und Mizoram). Von Amerika ging Adoniram Judson (1788–1850) mit seiner Frau Ann 1813 im Auftrag der American Baptist Missions Society nach Rangoon (Birma) und arbeitete später unter den Karen. Sowohl in England als auch in den USA hat die Mission zum Entstehen baptistischer Zusammenschlüsse geführt. Nach Vorarbeiten 1813 und 1832 gelang es John Clifford (1836–1923), die bisherigen rivalisierenden Bünde 1891 zur Baptist Union of Great Britain and Ireland zusammenzuschließen. In den USA erfolgte eine Zusammenarbeit verschiedener Verbände 1814, als die General Missionary Convention of the Baptist Denomination in the United States gegründet wurde. Diese bestand bis 1845, als es wegen der Sklavenfrage zu getrennten Entwicklungen im Norden und Süden kam.

6. Schwarze Gemeinden, John Clifford, Charles Haddon Spurgeon

Das 19. Jahrhundert brachte sowohl in Britannien als auch in den USA gewaltiges Wachstum. In beiden Ländern gab es zu Beginn des Jahrhunderts ca. 100.000 Mitglieder; am Ende zählt man in England und Wales über eine halbe Million und in den USA über drei Millionen Mitglieder. Dieser Zuwachs verlangte neue Infrastrukturen und Seminare. Auch stellte sich die Frage, ob das Abendmahl eine „Demarkationslinie“ gegenüber anderen Christen sein dürfe. Die große Mehrheit der Gemeinden ging zur offenen Abendmahlsfeier über. Bei den Erweckungsversammlungen wurden auch viele Sklaven und Afro-Amerikaner erfasst, so dass sich im Laufe des Jahrhunderts schwarze Denominationen bildeten, die vor allem im 20. Jahrhundert durch die Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King (1929–1968) und viele Pastoren großen Einfluss erreichten und grundlegende Gesetzesänderungen durchsetzen konnten. Von den schwarzen Denominationen gingen Missionare nach Afrika, z. B. Liberia, und in die Karibik.

Ende des 19. Jahrhunderts versuchten Theologen in England und den USA, Anschluss an die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fragen zu finden. John Clifford kämpfte gegen die konservativen Tories, auch mit Mitteln des „passiven Widerstands“, und für Sozialreformen. Sein Freund und zeitweiliger Gegenspieler war Charles Haddon Spurgeon (1834–1892), der oft als „Fürst unter den Predigern“ tituliert wurde. In das eigens für ihn 1861 eröffnete Metropolitan Tabernacle in London kamen jeden Sonntag je 5.000 Besucher zu zwei Gottesdiensten. Während seiner Amtszeit wurden über 14.000 Menschen getauft, ein Waisenhaus sowie eine Predigerschule eröffnet (heute Spurgeon's College). Er meinte jedoch, Aufweichungen in der Lehre zu erkennen, die „nach unten“ zeigten, daher „Down Grade Controversy“. Er konnte seine Vorwürfe nicht untermauern, verließ 1887 die Baptist Union und starb einsam. Die Reaktion auf „moderne“ wissenschaftliche Methoden war in England moderat. Man operierte mit dem Begriff der Vertrauenswürdigkeit (trustworthiness) der Bibel.

7. Fundamentalismus in den USA

Hingegen setzte in den USA ein Ansturm des Fundamentalismus ein. Dies konnte im Norden abgewehrt werden. In der ohnehin konservativen und stetig wachsenden Southern Baptist Convention (SBC) – die Mitgliederzahl verdoppelte sich zwischen 1920 und 1940 und stieg zwischen 1940 und 1972 von 5,4 auf 12,1 Millionen – gelang es Edgar Young Mullins (1860–1928), mit einem nicht-bindenden Bekenntnis, genannt Baptist Faith and Message (Glaube und Botschaft der Baptisten), 1925 den Fundamentalismus in Schach zu halten. Seit den 1970er Jahren wurde die SBC von Flügelkämpfen zwischen „Fundamentalisten“ und „Moderaten“ zermürbt. Auch ein „Friedenskomitee“ oder Versuche des früheren US Präsidenten Jimmy Carter führten zu keiner Verständigung. Die Waffe der Fundamentalisten ist die dogmatische Behauptung der Irrtumslosigkeit der Bibel, wie es ein Pastor, der 1990 zum Präsidenten der SBC gewählt wurde, sagte: „Für uns bedeutet, nicht an die Irrtumslosigkeit zu glauben so viel wie, nicht an Gott zu glauben“ (For us not to believe in inerrancy is not to believe in God). Die SBC spaltete sich, und es entstand die Cooperative Baptist Fellowship. Seither hat die SBC eine wahre Ideologisierung durchlaufen: Sie ist der religiöse Flügel im amerikanischen „Kulturkampf“ (culture war) und wird von einer Männerclique geleitet. Auf den Gebieten der Geschlechterrollen, der Ordination von Frauen sowie der Sexualethik hat die SBC eine reaktionäre Haltung eingenommen; sie kennt unterschwellig immer noch einen Rassismus, unterstützte und unterstützt vorbehaltlos die Kriege im Irak und Afghanistan und hat aus einer Position der Mehrheitsreligion im Süden, dem „Bibelgürtel“ (Bible belt), einen „Kulturbaptismus“ entwickelt, der mit Hilfe staatlicher Gesetze die eigenen religiösen Werte durchsetzen will. Sie hat sich nicht nur von den großen protestantischen Kirchen isoliert, sondern zog sich 2004, ein Jahr vor der Hundertjahrfeier, aus dem 1905 in London gegründeten Baptistischen Weltbund (Baptist World Alliance) zurück.

8. Entwicklung in Deutschland

In Deutschland begann der Baptismus 1834, als Johann Gerhard Oncken (1800–1884) und einige seiner Getreuen von dem amerikanischen Theologieprofessor Barnas Sears (1802–1880) bei Hamburg in der Elbe getauft wurden. Oncken entwickelte eine große Reisetätigkeit und schickte seine Missionare, oft Handwerksburschen, nach Osteuropa, ja bis in die Türkei, und wurde zum Ausgestalter des kontinental-europäischen Baptismus. Sein strenger Calvinismus wurde durch zwei seiner frühen Mitarbeiter, den Berliner Prediger Gottfried Wilhelm Lehmann (1799–1882) und den aus Dänemark stammenden Julius Köbner (1806–1884) gemildert. Gegen Ende ihrer Tätigkeit stritten sie um die Frage, wie autonom die Gemeinden sein sollten bzw. welche Aufgaben die erste Hamburger Gemeinde als „Vorort“ zufiele. Lehmann trat im Gegensatz zu Oncken für ein offenes Abendmahl ein, suchte die Außenmission zu fördern und verbreitete eine warmherzige Frömmigkeit. Köbner war für schöngeistige und philosophische Fragen offen und schuf ein Liederbuch, die „Glaubensstimme“, für das er selbst zahlreiche, heute vergessene Lieder dichtete. Lehmann führte im Revolutionsjahr 1848 die preußischen Gemeinden zu einer „Vereinigung“ (heutiger Sprachgebrauch: Landesverband) zusammen. Sie bildete die Grundlage für den ein Jahr später in Hamburg gegründeten Bund der vereinigten Gemeinden getaufter Christen, zu dem anfänglich nicht nur deutsche, sondern Gemeinden des gesamten europäischen Festlands gehörten. 1888 erhielt der Bund der Baptistengemeinden in Deutschland rechtliche Anerkennung und 1930 die Körperschaftsrechte. Köbner schrieb 1848 sein flammendes Manifest des freien Urchristentums an das deutsche Volk, in dem er Religionsfreiheit für alle, die den Boden des Vaterlands bewohnen, seien sie „Christen, Juden Mohammedaner oder was sonst“, sowie die Trennung von Staat und Kirche forderte.

Als 1876 gegen Oncken die Entscheidung zugunsten einer Autonomie der Ortsgemeinde fiel, blieben dem Bund genügend Aufgaben. Viele Bundeswerke wurden erst durch die zweite Generation zur Blüte gebracht. Das betraf die Einrichtung eines theologischen Seminars in Hamburg, die Verlagsarbeit, die Mission baptistischer Frauen in Indien, die Missionsarbeit in Kamerun (seit dieses Land 1884 deutsche Kolonie geworden war), wofür man sogar Gelder des Kaisers akzeptierte, ferner die Gründung von Diakonissenmutterhäusern in Berlin (Bethel 1887) und Hamburg (Tabea 1899 und Siloah bzw. Albertinen 1907), eine Seemannsmission (1889), die Waisenfürsorge (1894) und eine Studentenmission (1903). Die Betonung der Evangelisation ließ neue Wege einschlagen; so erwuchs aus der Wagenmission eine Zeltmission.

Die Zeit des Nationalsozialismus veränderte den deutschen Baptismus wesentlich. Die Anpassung mit zeitweiliger Einführung des Führerprinzips machte aus dem Bund eine „unfreie Freikirche“ (Andrea Strübind). 1938 gewährte der Bund den vom Verbot bedrängten pfingstkirchlichen Elim-Gemeinden Unterschlupf. Die meisten dieser Gemeinden lagen nach dem Krieg in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Nach der politischen Wende haben sich die Gemeinden dem Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden angeschlossen. Einschneidender war der 1941 erfolgte Zusammenschluss der Baptisten mit dem Bund freikirchlicher Christen (BfC). Dieser umfasste Teile der „Brüdergemeinden“ (oder „Christlichen Versammlung“), die auf das Wirken von John Nelson Darby (1800–1882) und Carl Brockhaus (1822–1899) zurückgingen. Beide Seiten einigten sich auf die neue Bezeichnung Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland. Nach dem Krieg verließen im Westen 120 BfC-Gemeinden den Bund und gründeten einen Freien Brüderkreis, während ca. 80 Gemeinden im Bund verblieben. Das Miteinander ist seither nie spannungsfrei verlaufen. Die Arbeitsgemeinschaft der Brüdergemeinden hat Parallelstrukturen aufgebaut, unterhält eine eigene Geschäftsstelle in Leipzig und distanziert sich von bestimmten Entscheidungen der „Baptisten“, etwa der Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen oder der Konferenz Europäischer Kirchen oder der Ordination von Frauen. Sie bleibt aber im Bund. Im allgemeinen kann man davon ausgehen, dass die Brüdergemeinden stärker biblizistisch ausgerichtet sind als die Baptistengemeinden.

Die Ortsgemeinden sind regional und bundesweit in Landesverbände und im Bund zusammengefasst. Das Präsidium übt Richtlinienkompetenzen aus. Ihm zur Seite steht die Bundesgeschäftsführung mit mehreren Dienstbereichen, wie Mission und Evangelisation, Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Gemeindejugendwerk), Betreuung der Pastorinnen und Pastoren, der es obliegt, die Beschlüsse des „Bundesrates“, der einmal jährlich zusammentritt und aus Delegierten der Gemeinden besteht, sowie des Präsidiums auszuführen. Sie hat ihren Sitz in Elstal bei Berlin, wo sich auch der Campus des Theologischen Seminars (als Hochschule anerkannt) zur Ausbildung in pastoralen und diakonischen Berufen befindet (http://www.baptisten.de).

9. Statistik

Der Bund ist Mitglied der Europäischen Baptistischen Föderation. Sie ist mit 740.000 Mitgliedern in ca. 13.000 Gemeinden der zweitkleinste regionale Zusammenschluss. Die Generalsekretäre der regionalen Organisationen repräsentieren zugleich den Baptistischen Weltbund, dem am 31. Dezember 2010 221 Mitgliedskirchen mit 41,4 Mill. Mitgliedern in ca. 177.00 Gemeinden in 120 Ländern angehören. Die Regionen sind: Caribbean Baptist Fellowship mit 246.000 Mitgliedern in 2.000 Gemeinden; Asia Pacific Baptist Federation mit 5,2 Millionen Mitgliedern in 31.200 Gemeinden; All African Baptist Fellowship mit 9,3 Millionen Mitgliedern in 35.300 Gemeinden; Union of Baptist in Latin America mit 1.9 Millionen Mitgliedern in 12.200 Gemeinden; North American Baptist Fellowship, wozu auch die ca. 200.000 Baptisten Kanadas, nicht aber die Southern Baptists gehören, mit 23,6 Millionen Mitgliedern in 80.600 Gemeinden. Das ist auf der Welt die größte Dichte von Baptisten.

Zu den bekanntesten Baptisten der Gegenwart zählen die früheren amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter und Bill Clinton sowie dessen Vize Al Gore. M. L. King, Carter und Gore erhielten den Friedensnobelpreis.

10. Baptist Distinctives

Trotz aller Unterschiede lassen sich einige „Baptist distinctives“ (Unterscheidungsmerkmale) anhand des Wortes „Baptist“ zusammenfassen: B = Bibel: Sie ist Richtschnur in allen theologischen und ethischen Fragen, aber auch für die persönliche Frömmigkeit. Nicht ausgeschlossen ist ein einfacher Biblizismus oder sogar ein Fundamentalismus. A = Autonomie der Ortsgemeinde: Jede Ortsgemeinde regelt ihre Angelegenheiten selbstständig, einschließlich der Wahl eines Pastors oder einer Pastorin, des Haushalts sowie der gottesdienstlichen Formen. Zugrunde liegt dem eine kongregationalistische Verfassung. Die überörtlichen Strukturen sind daher schlank. P = Priestertum aller Glaubenden: In der Gemeindeversammlung hat jeder und jede Rede- und Stimmrecht; es wird angestrebt, dass die Gemeinde so organisiert sein soll, dass jede und jeder ihre oder seine Gabe zum Wohl des Ganzen einbringen kann. Das pastorale Amt wird funktional gesehen; es gibt daher keine Herrschaft der Pastoren außer im fundamentalistischen Flügel, der auch keine Frauen zum ordinierten Amt zulässt. T = Taufe: Es werden keine Neugeborenen, sondern nur Menschen getauft, die ihren Glauben bezeugen können (Gläubigen- oder Bekenntnistaufe). Für die Neugeborenen wird eine Segnungshandlung vorgenommen. Allerdings wird die Taufe unterschiedlich interpretiert: Für die einen, wohl die meisten, ist sie lediglich ein Symbol, das die Erfahrung des Gläubig-Werdens bekenntnishaft abschließt, für die anderen ist die Taufe ein Zeichen oder auch ein Sakrament, das bewirkt, was mit ihr bezeichnet wird, z. B. das Begrabenwerden mit Christus, die Eingliederung in den Leib Christi, das Beschenktwerden mit dem Heiligen Geist. I = Individualismus: Jeder einzelne Mensch wird in seinem persönlichen Glauben ernst genommen und in Verantwortung gezogen. Allerdings wird dieser Individualismus durch die Glaubensgemeinschaft abgefedert. Der Glaube ist kein Privatereignis, sondern vollzieht sich inmitten der Gemeinschaft von Brüdern und Schwestern. S = Sozialdiakonie: Um den Nächsten, auch denen in der Ferne, zu dienen, haben örtliche Gemeinden viel Phantasie und Gelder aufgewandt. Aus einzelnen Gemeinden entstanden große Diakoniewerke mit Krankenhäusern, Altenheimen, Kindergärten und ähnlichen Einrichtungen. Einzelne Baptisten haben auch erkannt, dass es darum geht, gesellschaftliche Strukturen zu verändern, wenn diakonische Maßnahmen nicht nur Symptome heilen sollen. Hervorragend war hier der aus einer deutschen Auswandererfamilie hervorgegangene Walter Rauschenbusch (1861–1918), der Kopf der Social-Gospel-Bewegung in den USA und John Clifford in England. T = Trennung von Kirche und Staat: Aufgrund der anfänglichen Minderheitensituation und der damit verbundenen Verfolgungen durch Mehrheitskirchen und Staat haben Baptisten von Anfang an „soul liberty“ gefordert, später wurde das in Gewissens- und Glaubensfreiheit übersetzt. Wichtig ist, dass man diese Rechte nicht nur für sich, sondern auch für alle anderen christlichen Kirchen, ja auch andere Religionen einforderte. Die Trennung von Kirche und Staat soll zum Wohl beider Bereiche geschehen.

Bibliografie (in Auswahl)

J. D. Hughey (Hg.), Die Baptisten, Kirchen der Welt, Bd. II, Stuttgart 1964, – Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe. 150 Jahre Baptistengemeinden in Deutschland 1834–1984. Festschrift, hg. von Günter Balders, Kassel 1984. - H. Leon McBeth, A Sourcebook for Baptist Heritage, Nashville, TN,1990. - Albert W. Wardin (Hg.), Baptists Around the World, Nashville, TN, 1995. - David W. Bebbington, Baptists Through the Centuries. A History of a Global People. Waco, TX, 2010. - Andrea Strübind und Martin Rothkegel (Hg.), Baptismus. Geschichte und Gegenwart. Göttingen 2012.

Erich Geldbach

 
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