Weltkrieg, Zweiter

1. Wehrdienst- und Friedensfrage 1933 – 1939

a) Die Diskussion in der mennonitischen Presse

Trotz der blutigen Erfahrungen des Weltkrieges hatte sich in der Zeit der Weimarer Republik unter den deutschen Mennoniten keine erkennbare Mehrheit gefunden, die für das Prinzip der →Wehrlosigkeit eingetreten wäre. Es liegen auch keine Hinweise auf Kontakte zu den verschiedenen Gruppen der damaligen Friedensbewegung vor. Auch internationale ökumenische Konferenzen wurden in den folgenden Jahren gemieden. Christlich-pazifistische Ideen, für die vor allem amerikanische Mennoniten geworben hatten, konnten in Deutschland nicht Fuß fassen.

Diese Haltung änderte sich auch nicht zu Beginn und im Verlauf des →Dritten Reiches. Die Zeitschriften spiegeln zwar bis 1935 eine lebhafte Diskussion zur Frage Staat und Wehrpflicht wider, an der sich die jüngeren akademisch ausgebildeten Prediger und auch zahlreiche Laien beteiligten. Auch zeugen viele Artikel und schriftlich geäußerte Einstellungen von einer erstaunlichen Ernsthaftigkeit, mit der um einen zentralen mennonitischen Standpunkt gerungen wurde. Die ausgetauschten Argumente blieben jedoch im traditionellen bibeltheologischen Rahmen. Es wurde überwiegend für den Wehrdienst votiert. Nur eine kleine Minderheit trat für eine grundsätzliche Wehrlosigkeit ein. Erfahrungen aus dem Ersten →Weltkrieg und auch das täuferische Erbe spielten in diesen Diskussionen kaum eine Rolle. Christian →Neffs Haltung kann für diesen Zeitabschnitt als repräsentativ gelten: „Ich bejahe den Wehrdienst. Wenn wir die Rechte des Staates genießen, so haben wir auch die Pflichten zu üben (…). Wenn wir auch das Prinzip der Wehrlosigkeit aufgegeben haben (…), so sollten wir doch, wo es gilt, für die eintreten, die aus Gewissensnot den Dienst mit der Waffe ablehnen und den Krieg verweigern“ (Mennonitische Blätter 1935, 9, 69).

Der Regierung Hitlers begegneten die meisten Mennoniten mit Wohlwollen und beachtlichem Vertrauensvorschuss, auch mit Dankbarkeit darüber, dass durch den nationalsozialistischen Staat die politische und geistige Gefahr des Bolschewismus abgewandt worden sei. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 wurde ohne erkennbaren Widerspruch hingenommen. Die vermeintlichen Friedensabsichten Hitlers standen auch für Emil →Händiges, den Vorsitzenden der →Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich, zum Jahresbeginn 1936 außer Zweifel: „Obgleich rings um uns die Kriegswolken sich auftürmten, blieb uns durch die weisheitsvolle Führung unseres Kanzlers Adolf Hitler der edle Frieden erhalten. Wir durften die Befreiung der Saar und die Wiederaufrichtung der Wehrmacht erleben. Das neuerstandene Deutsche Reich ist zu einem schützenden Wall gegen den Ansturm des Bolschewismus geworden“ (Mennonitische Blätter 1936, 1, 1).

Der Verlust demokratischer Rechte und die Härte, mit der dieser Staat seine Gegner verfolgte, wurden nicht kritisiert. Als kleine Freikirche in Zeiten kirchenpolitischer Umwälzungen religiöse Eigenständigkeit bewahrt zu haben, zählte allein und weckte die Bereitschaft, an der christlichen Erneuerung der Volksgemeinschaft im Hitlerstaat mitwirken zu wollen.

Gegen die Wiederaufrüstung Deutschlands und seine immer militanter werdende Außenpolitik (Anschluss des Sudetenlandes und Österreichs an das Deutsche Reich), erhob sich aus mennonitischen Kreisen keine warnende Stimme, obgleich diese Entwicklungen im In- und Ausland als eine wachsende Kriegsgefahr angesehen wurden. Der gewaltsame „Anschluss“ Österreichs wurde von den Mennonitischen Geschichtsblättern sogar als ein die Täuferforschung bereicherndes Ereignis dargestellt.

Insgesamt zeigten sich die Mennoniten als religiöse Minderheit dankbar, im Schutze eines militärisch erstarkten Staates leben zu können und gaben gemäß dem Bibelwort dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist: „Wir beanspruchen heutzutage keinerlei Ausnahme von der Wehrpflicht mehr. Damit geben wir freilich nicht den auf dem Evangelium ruhenden Friedensgedanken auf“ (Erich Göttner, Mennonitische Blätter 1938, 1, 3).

b) Offizielle Dokumente

Schon im April 1933, zwei Jahre vor der Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht, einigte sich das Kuratorium der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich darauf, im Falle einer Wiedereinführung der Wehrpflicht keine besonderen Vorrechte mehr zu beanspruchen. Mit besonderem Nachdruck wurde hervorgehoben, „daß auch der, der um des Gewissens willen den Waffendienst nicht leisten könne, sich opfernd in das Ganze hineinstellen müsse, z. B. in der Bereitschaft, Sanitätsdienst in vorderster Front zu erfüllen (…). Die letzte Entscheidung bleibt dem Gewissen des Einzelnen überlassen“ (Mennonitische Blätter 1933, 6, 62). Dieser Beschluss fiel im Zusammenhang der Beratung eines Entwurfs für eine neue Verfassung der Vereinigung. Er war aber sicher auch ein Signal gegenüber den neuen nationalsozialistischen Machthabern, denen die oberste Gemeindevertretung der Mennoniten Loyalität zusicherte: Es wurde die „Verpflichtung zur Einordnung und zum Dienst im Ganzen des Staates betont“ (ebd.).

Die Konferenz der westpreußischen Gemeindevorsteher vom 25. August 1933 bejahte den nationalsozialistischen Staat, lobte die „neue Erhebung“ und bezeugte, im Kriegsfalle „mit Gut und Blut für den Staat einzustehen“ (Mennonitische Blätter 1933, 9, 87). Ein Teil der Gemeindevertreter beharrte jedoch darauf, das alte Sonderrecht des waffenlosen Kriegsdienstes nicht aufzugeben. Vertreter westpreußischer und süddeutscher Gemeinden und der Gemeinde Hamburg hatten im November 1933 für die neue Verfassung eine Formulierung vorgeschlagen, die allerdings den Friedensgedanken betonte: „Sie (die Vereinigung der Mennonitengemeinden) erwarten von ihren Mitgliedern, daß sie dem Evangelium gemäß (…) mit allen Menschen in Frieden leben, nicht Wunden schlagen, sondern Wunden heilen“ (Gemeindeblatt 1934, 5, 22). Die Wehrpflichtfrage sollte in die Gewissensverantwortung des einzelnen gelegt werden. Dieser Vorschlag konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Schon im Januar 1934 stimmte die Pfälzisch-Hessische Vorsteherkonferenz mehrheitlich dafür, dass in einer künftigen Verfassung der Vereinigung ein zunächst vorgesehener Passus über die Wehrfreiheit gestrichen werden sollte.

Die Verfassung der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden vom 11. Juni 1934 nannte dann im Zuge der Beschreibung ihrer Glaubensgrundsätze nur die Verweigerung des Eides. Das Prinzip der Wehrlosigkeit fand keine Erwähnung mehr. In den „Erläuterungen zur Geschichte“ wurde an die im Weltkrieg erbrachten Opfer und die den Mennoniten „eingeräumte Befreiung vom Waffendienst“ erinnert (Verfassung, 5).

Im Vorfeld der →Mennonitischen Weltkonferenz 1936 in Amsterdam beschloss die Pfälzisch-Hessische Predigerkonferenz, an einer im Anschluss an die Weltkonferenz geplanten Friedenskonferenz aus innenpolitischen Gründen nicht teilzunehmen (Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, 122). Schon einige Zeit davor hatte Jacob Ter →Meulen, ein holländisch-mennonitischer Friedensaktivist und Initiator dieser geplanten Friedenskonferenz, im süddeutschen Raum für ein Manifest gegen den Kriegsdienst geworben. Er war aber auf wenig Resonanz gestoßen.

Im Mai 1937 distanzierte sich die Vereinigung offiziell von der Gruppe der Neuhutterer (→Rhönbruderhof), die mit ihrem gütergemeinschaftlich organisierten Bruderhof bei Fulda, ihrem offen vertretenen christlichen Pazifismus und ihrer Kritik am Hitlerstaat aufgefallen und daraufhin aus Deutschland ausgewiesen worden waren: „Wir schätzen die ‚Bruderhöfer' um ihrer aufrichtigen christlichen Gesinnung willen hoch, teilen aber nicht ihre Ablehnung des Wehrdienstes“ (Mennonitische Blätter 1937, 6, 47). Auf keinen Fall wollten die deutschen Mennoniten öffentlich mit einer Gemeinschaft in Verbindung gebracht werden, die noch das alte täuferische Glaubensprinzip der Wehrlosigkeit praktizierte. Dies unterstrich im September 1937 eine in die Öffentlichkeit gebrachte amtliche Erklärung. Darin bekundete Emil Händiges die „unbedingte Treue zu unserem Führer und Reichskanzler Adolf Hitler und dem Dritten Reich“. Und er erklärte: „Unter den Mennoniten gab es (im Weltkrieg) keinen einzigen Kriegsdienstverweigerer. Heute wird von den deutschen Mennoniten der Heeresdienst ohne jede Einschränkung geleistet“ (Grundsätzliches über die deutschen Mennoniten, über ihre Stellung zur Wehrpflicht und Eid und ihr Verhältnis zum Dritten Reich, in: Mennonitische Blätter 1937, 10, 72 f.).

Obwohl die Ältesten- und Predigerversammlung des süddeutschen →Verbandes noch Mitte 1935 an der Wehrlosigkeit festgehalten hatte, musste sie Anfang 1938 feststellen: „Der Grundsatz der Wehrlosigkeit wurde und wird z. Zt. in unseren Gemeinden praktisch nicht mehr geübt“ (Lichdi, Die Mennoniten im Dritten Reich, 123). Kein einziger Fall einer mennonitischen Kriegsdienstverweigerung ist in dieser Zeit und dann später im Zweiten Weltkrieg bekannt geworden. Einige Mennoniten hatten schon in der Reichswehr gedient.

Nirgendwo gibt es einen Beleg für einen Protest gegen die Aufrüstung oder eine Warnung vor dem Krieg.

2. Die Mennoniten und der Zweite Weltkrieg

a) Mennonitische Reaktionen zum Kriegsausbruch 1939

Die militärischen Erfolge im sogenannten Polenfeldzug wurden in den Mennonitischen Blättern überschwänglich gefeiert und geradezu religiös überhöht. Vor allem Emil Händiges verlieh dem Krieg mit nationalistischem Pathos religiösen Sinn im Gleichklang mit der offiziellen Kriegspropaganda der Nazis (Mennonitische Blätter 1939, 10/11, 65).

Er sah in diesem Krieg das Schicksal der deutschen Mennoniten mitsamt den wiedervereinten Glaubensbrüdern unmittelbar in die schützende Hand Hitlers gelegt. Mennonitische Zeitschriften berichteten in der Folgezeit ausführlich über die Opfer des Polenfeldzuges und über Mennoniten als Pioniere des Deutschtums in Polen und Galizien. Diese hätten ihr Deutschtum trotz aller Unterdrückung nie verleugnet. Rund 7000 Gemeindemitglieder in Danzig, dem Memelgebiet und Polen seien wieder als Reichsdeutsche hinzugewonnen worden. Ernst →Crous, der stellvertretende Vorsitzende der Vereinigung, nannte diesen Krieg ein „großes Weltgeschehen“ und wünschte den wiedervereinten Gemeinden „ein neues Erblühen im alten Vaterland“ (Christlicher Gemeindekalender 1940, 115). Selbst der Danziger Pastor Erich →Göttner, der einige Jahre zuvor noch in mutiger Weise dem Antisemitismus der Deutschen Christen eine theologisch fundierte Absage erteilt hatte, sah in diesem Krieg „ein Ringen um die Befreiung der deutschen Ostgebiete“ und forderte seine Gemeinde auf, immer wieder betend die Hände zu Gott zu erheben und „den Führer und seine Mitarbeiter für ihre verantwortungsvolle Aufgabe“ zu stärken (Mennonitische Blätter 1939, 10/11, 66 f.). Besonders für die westpreußischen Mennoniten war Hitlers Einfall in Polen nichts weniger als ein Befreiungskrieg, der auch in ihrem Namen geführt worden war (Lichti, Houses, 45).

b) Mennonitische Volkstumspolitik im Krieg

Kurz nach dem Überfall auf Polen gründete Heinrich Himmler das Reichskommissariat für die Festigung des deutschen Volkstums, dessen Ziel zunächst die Rücksiedlung großer auslandsdeutscher Bevölkerungsteile aus den im Krieg eroberten Gebieten war. Der Bericht des ehemaligen Lemberger Mennonitenpastors Arnold Bachmann deutete ungewollt die schrecklichen Begleitumstände dieser Umsiedlungsaktionen an: „Kurz darauf wurden unsere Landwirte auf verlassene jüdische bzw. polnische Güter als Treuhänder eingesetzt“, hieß es in den Mennonitischen Blättern (1940, 2, S.13). Benjamin →Unruh, der Ehrenvorsitzende der →Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden, hatte schon im November 1939 auf der Konferenz der süddeutschen Mennoniten einen Vortrag gehalten, der „die großen deutschen Umsiedlungsmaßnahmen“ pries und offen die rassischen Grundlagen dieser „Deutschtumspolitik“ ansprach (Mennonitische Blätter 1940, 1, 2). Unruh, der aus seiner Bewunderung für Hitler nie einen Hehl machte, war eingebunden in ein Netzwerk von Historikern, Ethnographen und Bevölkerungsspezialisten, das die aggressive NS-Politik der rassischen Neuordnung Europas, die seit Kriegsbeginn gegen Russland immer brutaler wurde, wissenschaftlich begleiten sollte. Er war publizistischer Mitarbeiter im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und hatte sechs Bände über die Rußlandmennoniten vorbereitet. Schon vor dem Krieg trieb er die sippenkundliche Erfassung der mennonitischen Auslandsdeutschen im →Mennonitischen Geschichtsverein voran. Er hielt während des Krieges über 100 „wehrgeistige“ Vorträge vor Offizieren und höchsten SS-Rängen und war als offizieller Mitarbeiter der Volksdeutschen Mittelstelle (VoMi) für Bildungsfragen in der Ukraine zuständig. Noch im Juni 1943 hielt Unruh an der Mission der Russlandmennoniten als Leistungsträger deutschen Volkstums bei der Germanisierung der eroberten und von „fremdvölkischen Elementen“ befreiten Siedlungsgebiete fest (Nachrichten des Sippenverbandes Danziger Mennoniten-Familien 1943, 1, 25).

Nach der großen Aussiedlung der Russlandmennoniten in den Warthegau und nach Oberschlesien ab dem Spätsommer 1943 wurde Benjamin Unruh von Heinrich Himmler als ihr religiöser Führer angesehen. In unermüdlichem Einsatz ordinierte er noch 1944 Gemeindeälteste und verhandelte mit SS-Führern in Kirchenfragen. Er organisierte eine rassisch homogene Freikirche der Russlandmennoniten als deutsch-germanische Bastion, immer noch im Glauben an die Rückkehr in die ehemaligen Siedlungsgebiete in der Ukraine (Benjamin Goossen, The Racial Church). Während des Krieges war sein direkter Einfluss auch in der Vereinigung und in den süddeutschen Konferenzen enorm.

c) Weiterer Kriegsverlauf bis Kriegsende 1945

Die Identifikation mit dem Krieg hielt besonders nach den militärischen Erfolgen über Frankreich sowohl in der mennonitischen Presse als auch in vielen Feldpostbriefen und privaten Aufzeichnungen an. Mit Genugtuung schrieb Christian →Hege in den Mennonitischen Geschichtsblättern „von den überall siegreichen deutschen Armeen“ und zeigte sich erfreut über die nun wieder zum Deutschen Reich hinzugekommenen Mennonitengemeinden (Mennonitische Geschichtsblätter 1940, 6). Ernst Crous warf einen Blick auf die kriegerische Einverleibung Norwegens, Belgiens und Hollands und den Sieg über Frankreich und war angetan von der „atemberaubenden Schnelligkeit, mit der das große Weltgeschehen sich letzthin abrollte“ (Christlicher Gemeinde-Kalender 1941, 138). Kein wehrfähiger Mennonit, auch nicht die mennonitischen Pastoren, entzogen sich dem Kriegsdienst. Es ist aber erwiesen, dass in zahlreichen Einzelfällen an der alten Wehrlosigkeit festgehalten wurde und man sich zu Sanitätsabteilungen und technischen Diensten meldete (Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, 136). Mit oder ohne Waffe sahen es die Mennoniten auch in diesem Krieg getreu ihrer Verfassung von 1934 als Christenpflicht an: „Weltliche Obrigkeit und menschliche Ordnung“ zu ehren und „Volk und Staat gewissenhaft zu dienen“ (Verfassung, 3). In der mennonitischen Presse erschienen Gefallenenanzeigen und Nachrufe von Gemeindegliedern. Die Prediger Walter →Fellmann und Johannes →Foth betreuten für die Jugendkommission der süddeutschen Mennoniten die mennonitischen Soldaten aus ihrem Bereich mit militärseelsorgerlichen Briefen, die dann aber der NSDAP-Kreisleiter bei strengster Strafandrohung untersagte. Für ihn war der religiöse Inhalt dieser Briefe nicht geeignet, die Kampfkraft der Soldaten zu stärken (Schreiben vom 27. 6. 1944, Mennonitische Forschungsstelle Weierhof).

Mit den unter der deutschen Besatzung bedrängten Glaubensgenossen in Elsass und Lothringen wollte man sich nicht solidarisieren. Vom Schicksal leidgeprüfter niederländischer Mennoniten, die im Widerstand gegen die deutschen Besatzer sogar ihr Leben ließen, wurde so gut wie keine Notiz genommen. Mennonitische Bauern und Handwerker, die im Elsass, in Lothringen und im Warthegau Betriebe übernehmen konnten, wurden sogar Nutznießer des Krieges und der NS-Besatzungspolitik (Lichdi, Vergangenheitsbewältigung, 39). Die allermeisten mennonitischen Bauernhöfe profitierten von der Zwangsarbeit von Männern und Frauen aus den besetzten Ländern. Theologisch wurde der christliche Glauben mit dem Kriegsdienst in Einklang gebracht. Erich Göttner fand am Heldengedenktag 1941 Trost „vom Kreuze her“ für diejenigen, die einen Menschen verloren hatten und gedachte derer, die „für unseres Vaterlandes Sicherheit, für unseres Reiches Macht und Ehre, für unseres Volkes Zukunft ihre Leben in die Schanze geschlagen haben“ (Mennonitische Blätter 1941, 2, 9). Außergewöhnlich mutig und riskant war eine im Rückblick auf die Weihnachtsbotschaft formulierte Kriegskritik Christian Neffs: „Nein, daran kann Gott kein Wohlgefallen haben, wenn die Menschen sich bekriegen, wenn sie sich aufs Blut bekämpfen, wenn sie in unseligem Haß auf gegenseitige Vernichtung sinnen ( … )“ (Gemeindeblatt 1941, 1, 2). Das Gemeindeblatt musste daraufhin sein Erscheinen einstellen. Neff erhielt Schreibverbot, konnte aber noch 1942 mit Christian Hege die 36. Lieferung (Niederlande-Obersülzen) des Mennonitischen Lexikons herausgeben. Im deutschen Mennonitentum fand sich jedoch bis Kriegsende niemand, der bereit gewesen wäre, sich dem immer sinnloser werdenden Krieg zu verweigern.

Trotz zunehmender Verluste an Menschenleben und Zerstörung der Städte, Kirchen und Verkehrswege wurden die Predigt- und Kasualdienste und das Gemeinde- und Konferenzleben in vielen Teilen des Landes bis Kriegsende 1945 aufrechterhalten. Die 45. Mitteilungen der Konferenz der ost- und westpreußischen Mennonitengemeinden, verfasst von Erich Göttner im August 1944, konnte noch namentlich 144 aktive Älteste, Prediger und Gemeindevorstände aufzählen, darunter drei ausgebildete Theologen. Selbst im März und Juni 1944 fanden noch wie immer Lehrdienstfortbildungen und Bibelkurse statt, wohl auch unter dem Motto des später vermissten Erich Göttner: „Wir dürfen den schweren Schicksalskampf unseres Volkes Gottes gnädiger Führung empfehlen“ (Mennonitische Geschichtsblätter 1978, 78).

d) Flucht und Vertreibung

Die übergroße Mehrheit der ost- und westpreußischen Mennoniten floh ab Januar 1945 in den Westen, oft unter dramatischen Umständen und mit großen Verlusten an Menschenleben. Das ost- und westpreußische Mennonitentum war ausgelöscht worden. Über 10 000 Mennoniten hatten ihre Heimat verloren und mussten im Westen ein neues Leben beginnen. Die meisten lebten jetzt in der Diaspora oder wurden von bestehenden Mennonitengemeinden aufgenommen. Mit Hilfe des →Mennonite Central Committees (MCC) entstanden aber auch neue Flüchtlingsgemeinden (z. B. in Backnang, Bechterdissen, Enkenbach, Espelkamp, Neuwied-Torney, Wedel). Über 1000 westpreußische Flüchtlinge wanderten in den Folgejahren nach Nord- oder Südamerika aus.

Es wird geschätzt, dass sich insgesamt rund 35.000 Russlandmennoniten aus der Ukraine mit Hilfe der deutschen Armee und Behörden schon vorher auf die Flucht nach Westen begaben. Rund 20.000 von ihnen wurden noch während der Flucht oder später aus den von den Alliierten besetzten Gebieten von russischen offiziellen Stellen und Geheimdiensten aufgegriffen, repatriiert und zurück in die Sowjetunion gebracht.

Der größte Teil der in Westeuropa verbliebenen rund 15.000 Russlandmennoniten konnte in den folgenden Jahren nach Kanada, Paraguay und Uruguay auswandern. Im Vergleich mit der Emigration anderer nationaler Minderheiten aus der Sowjetunion hatten die Mennoniten durch ihre Hilfsorganisationen, Vereine und internationale Netzwerke bessere Voraussetzungen, in neue Länder überzusiedeln und sich dort zu etablieren (Thausing, Die Emigration, 113).

3. Stimmen nach dem Krieg

Die mennonitischen Zeitschriften widmeten sich ausführlich der Situation in den Flüchtlingslagern und berichteten über den Aufbau von Mennonitensiedlungen. Eine direkte Konfrontation mit der allerjüngsten politischen Vergangenheit wurde vermieden (Lichdi, Vergangenheitsbewältigung, 43). Wie die meisten Deutschen empfanden auch die Mennoniten den Kriegsausgang als Katastrophe, nicht als Befreiung. Auf der Vierten →Mennonitischen Weltkonferenz 1948 in Kansas/USA waren die fünf deutschen Vertreter zu keinem einmütigen Schuldbekenntnis bereit. Nur Dirk →Cattepoel sprach ein Wort des Bedauerns, „dass so viel Leid, so viel Grausamkeit und so viel Zerstörung durch unsere Landsleute über andere gekommen“ seien (zit. nach Hans-Jürgen Goertz, Mennoniten und der Nationalsozialismus, in: Thull, 81). Angeregt durch das Friedenszeugnis amerikanischer und kanadischer mennonitischer Kriegsdienstverweigerer, die in Deutschland Wiederaufbauarbeit leisteten, kam es 1946 mit der „Thomashöfer Entschließung“ zum Aufruf, den Friedensgedanken praktisch zu fördern und zu vertreten. (Lichdi, Vergangenheitsbewältigung, 47). Im Zuge dieser Neubesinnung wirkten Mennoniten bei der Gestaltung des Zivildienstgesetzes (1960) mit. Das 1956 gegründete →Deutsche Mennonitische Friedenskomitee (DMFK) warb unter der mennonitischen Jugend für das Friedenszeugnis und betreute Kriegsdienstverweigerer. 1995 verabschiedete die →Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden (AMG) aus Anlass der 50. Wiederkehr der deutschen Kapitulation vom 8. Mai 1945 eine ausführliche Erklärung. Darin wurde auch das Versagen gegenüber den holländischen und elsässischen Glaubensgeschwistern im Krieg benannt und um Vergebung gebeten.

Im deutschen Mennonitentum war das Bewusstsein gewachsen, nicht nur kriegerische Gewalt abzulehnen, sondern sich für Gerechtigkeit und Versöhnung unter den Völkern einzusetzen. Schon früh hatten sich Johannes →Harder und Helmut Reimer für eine Aussöhnung mit Polen eingesetzt. Pastor Peter →Foth (Hamburg) hat dann über drei Jahrzehnte lang Begegnungsfahrten ins polnische Westpreußen durchgeführt, eine Versöhnungsarbeit ganz besonderer Art, die bis heute vom →Mennonitischen Arbeitskreis Polen fortgesetzt wird. Auf mennonitische Initiative ging die Anregung zurück, in den Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen eine „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ (2001 bis 2010) auszurufen und die Diskussionen um einen aktiven, zivilen Friedensdienst weltweit zu beleben.

Bibliografie (Auswahl)

Quellen

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Helmut Foth

 
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