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Göttner, Erich

geb. am 2. April 1899 in Königsberg, Ostpreußen, verschollen und vermutlich 1945 gestorben; Ältester und Pastor der Mennonitengemeinde Danzig.

Nach dem frühen Tod des evangelischen Vaters zog die mennonitische Mutter wieder nach Danzig, wo ihr Sohn Erich Göttner 1916 von Hermann Gottlieb Mannhardt getauft wurde. Nach dem Abschluss des Gymnasiums studierte Göttner Evangelische Theologie in Königsberg, Berlin, München und Marburg. Er heiratete Elsa Schmidt, die Tochter des Verwaltungsdirektors der Kaiserswerther Diakonie-Anstalten. Die Ehe blieb kinderlos. Seine Frau engagierte sich in der Gemeindearbeit und vermochte seine Zurückhaltung in der Begegnung mit Menschen durch ihr aufgeschlossenes und freundliches Wesen auszugleichen.

Von 1923 bis 1927 war Göttner Pastor in den Mennonitengemeinden Friesenheim (heute Ludwigshafen), Eppstein (heute Frankenthal-Eppstein) und Ibersheim (Rheinhessen), von November 1927 bis 1945 Ältester und Pastor der Mennonitengemeinde →Danzig. Im Juli 1944 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und ist wohl in sowjetischer Kriegsgefangenschaft gestorben.

In den Kriegsjahren betreute Göttner neben seiner eigenen aushilfsweise auch andere Gemeinden, z. B. Königsberg, Hamburg-Altona, Berlin und Zusammenkünfte der Glaubensgeschwister, die mit den sich zurückziehenden deutschen Truppen aus Chortitza in der Ukraine mitgekommen waren und bis Sommer 1944 in westpreußischen Lagern lebten. Für diese Flüchtlinge organisierte er auch Hilfsaktionen.

Die Danziger Gemeinde bestand größtenteils aus Werderbauern, die im Alter als Rentiers in die Stadt gezogen waren. Dort wurde allsonntäglich Gottesdienst gefeiert, an den sich der Taufunterricht anschloss, und in der Woche wurden Kindergottesdienst, Bibel- und Jugendstunden angeboten. Als Gegenpol zu den Veranstaltungen nationalsozialistischer Jugendorganisationen begann Göttner, kirchliche Jugendtage und -freizeiten anzubieten, die sich eines regen Besuchs erfreuten. Zu den Jugendtagen in Steegen kamen regelmäßig mehr als 500 Teilnehmer(innen). Aus der Jugend der Gemeinde erwuchs ein Singkreis, der auch an der →Mennonitischen Weltkonferenz mitwirkte, die 1930 in Danzig stattfand. Seine Hauptaufgabe sah Göttner in Gemeindebesuchen und Seelsorge. Jedes Gemeindeglied wurde mindestens einmal im Jahr von ihm besucht.

Erich Göttner war ein beliebter Prediger – auch überregional. So predigte er auf der 2. Mennonitischen Weltkonferenz, der sogenannten Welthilfskonferenz, 1930 in Danzig über Psalm 50, 15: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen“. Im Gottesdienst, in dem an die Gründung der →Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden gedacht wurde, hielt er am 13. Juni 1937 die Festpredigt in Berlin. Um den Predigtdienst zu fördern, organisierte er in Westpreußen Predigerseminare, in die auch die mennonitischen Rückwanderer in den Lagern einbezogen wurden.

Neben Lic. Emil →Händiges, dem Vorsitzenden der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (damals Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich), und D. Christian →Neff, den er als „väterlichen Freund“ bezeichnete, war Göttner von 1927 bis 1941 Mitherausgeber der Mennonitischen Blätter (→Zeitschriften). Er hatte die Zeit bis zur Einstellung dieser Monatszeitung wegen allgemeiner Papierknappheit im Zweiten Weltkrieg genutzt, um mit wegweisenden Beiträgen in die deutschen Mennonitengemeinden hineinzuwirken. Sein abgewogenes Urteil wurde allgemein geschätzt, zumal er als Sprecher zu aktuellen Fragen hervortrat, sich schon früh in die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen einschaltete und deutlich Stellung bezog. Nach der Übernahme der Macht im Staat durch den Nationalsozialismus warb er bis Mitte der dreißiger Jahre unter Berufung auf Römer 13 darum, der Obrigkeit um des guten Gewissens willen untertan zu sein, da das weltliche Regiment von Gott eingesetzt sei, um die Menschen vor dem Chaos zu bewahren.

Die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor 1933 hatte er – wie die meisten seiner Landsleute – negativ eingeschätzt, deshalb begrüßte er auch die Übernahme der staatlichen Macht durch Adolf Hitler (→Drittes Reich). Dem religiösen Anspruch des Nationalsozialismus, wie er von den Deutschen Christen aufgenommen wurde, stand er jedoch von vornherein ablehnend gegenüber. In einem Vortrag über Die völkische Religiosität in der Gegenwart im Februar 1932 erklärte er: „Bei diesem Dogma der Göttlichkeit der blutmäßig seelischen Triebkräfte, der seelischen Erbanlagen wird außer Acht gelassen, dass Gott nicht nur der Schöpfer der Rassen ist, sondern auch der Herr über diese Schöpfungsordnung“ (Mennonitische Blätter, November 1932, 94; Februar 1933, 14; März 1933, 30). Kurz danach verdeutlichte er seine Kritik auf unmissverständliche Weise und gab die Linie in den Diskussionen um Glaube und Rasse vor: „Rasse ist biologische Grundlage, geistige Grundlage ist sie nicht“ (Mennonitische Blätter, Juni 1933, 66). Mit dieser Meinung stand Göttner der Bekennenden Kirche in manchem nahe und nahm regelmäßig an Treffen ihrer Vertreter in Danzig teil.

1933 drohten den Mennoniten im Freistaat Danzig wie im Deutschen Reich die Auflösung und Eingliederung in die Deutsche Evangelische Kirche, in der die Deutschen Christen die Führung übernehmen sollten. Auf einer außerordentlichen Zusammenkunft der Vorstände der ost- und westpreußischen und Danziger Mennonitengemeinden am 25. August 1933 in Kalthof bei Marienburg hielt Göttner dazu einen richtungweisenden Vortrag, der auch in anderen Kirchen Beachtung fand. Sein wichtigstes Argument gegen die Deutschen Christen war, dass das von ihnen abgelehnte Alte Testament genauso das Fundament des christlichen Glaubens sei wie das Neue Testament. Das Alte Testament ist die Bibel Jesu Christi, in der das „Programm“ seines Lebens vorgezeichnet war.

Gleichwohl nahm Göttner auch politisch zur allgemeinen Judenfrage in der Gesellschaft Stellung. Bereits 1927 hatte er den Bestrebungen zugestimmt, den im Verhältnis zu ihrem Anteil an der Bevölkerung überproportionalen Einfluss der Juden in der Weimarer Republik einzuschränken. Vermutlich wollte er damit den Juden nicht schaden, sondern nur dem wachsenden Antisemitismus in Deutschland Argumente entziehen. „Wohl werden die Schäden des Vordringens der Juden zum Teil richtig gesehen, ein Überhandnehmen eines würgenden Geschäftsgeistes, eine innere Lockerung der Sitten, eine fortschreitende Rassenvermischung. Aber als Christen müssen wir bedenken, dass im Urteile Gottes kein Mensch, kein Volk, keine Rasse ohne Fehler ist, sondern alle unter seinem Gericht stehen und auf seine Barmherzigkeit allein angewiesen sind; darum haben wir keinen Grund zur Überhebung über andere Rassen (…). Rasse setzt eine Vergötzung des Blutes an die Stelle Gottes“ (Mennonitische Blätter 1927, 72).

Zur Judenfrage nahm er auch später des Öfteren sehr deutlich Stellung: „Die Verdammung der Juden in ihrer Gesamtheit als ein nach Charakter und Leistungen überhaupt minderwertiges Volk, das jede Ordnung zerstöre, (… ) ist eine nicht zu rechtfertigende Verallgemeinerung des Urteilens. Dahinter steht nicht selten die mangelnde Erkenntnis der eigenen Fehler, eine Unbußfertigkeit, die sich selbst, das eigene Volk, die eigene Rasse von Gottes Gericht ausnimmt“ (Mennonitische Blätter, Februar 1933, 14, und März 1933, 29). Mit Entschiedenheit missbilligte Göttner den Arierparagraphen in aller Öffentlichkeit, wonach Juden (Nichtarier) keine öffentlichen und kirchlichen Ämter bekleiden durften (1934). Allerdings äußerte er sich in der Mennonitischen Jugendwarte (1934. 66) nur gegen die Einführung des Arierparagraphen in der Kirche.

Im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Deutschen Christen äußerte er sich schon 1932 in seinem Vortrag über Die völkische Religiosität in der Gegenwart zur völkischen Vereinnahmung der Religion: „Das Alte Testament bringt selbst im Kampf der Propheten, die Gottes Heiligkeit eindeutig als Grenze des Volkstums und des völkischen Wollens bezeugen, gegen die primitive Volksreligion, die sich Gott nach ihren persönlichen und nationalen Wünschen denkt, die schärfste Kritik am jüdischen Wesen. Schonungslos decken sie die Schäden der nationalen Selbstüberhebung (…) auf. So ist das Alte Testament mit Recht „das antisemitischste Buch der Weltliteratur“ genannt worden. Hier erhebt sich deutlich Gottes ewige Offenbarung über alle egoistische Volksreligion“ (Mennonitische Blätter, März 1933, 30). Göttner hat hier zwar die Juden genannt, vermutlich aber hat er auch vor den kirchlichen Fehlentwicklungen in Deutschland (und im Freistaat Danzig) warnen wollen, die auf eine Vermischung von Volkstum und Religion hinaus zu laufen drohten (anders wird das von Lichti, Houses on the Sand?, beurteilt: 157, 165, 177 ff.). Zunächst galt seine Kritik den kirchenpolitischen Absichten der Deutschen Christen, ab 1935 übertrug er sie, in aller Vorsicht geäußert, wohl auf den Nationalsozialismus insgesamt. In seinen Predigten und Aufsätzen forderte er den Staat zwar nicht heraus, er vermied es aber auch, weiterhin in die allgemeine Begeisterung für den Staat einzustimmen.

Für Göttner spielten Familie und Erziehung der Kinder eine wesentliche Rolle. Hier sah er die Keimzelle der zukünftigen Gemeinde und forderte von den Familien eine christliche Erziehung. Sie ist nicht gegen den Staat gerichtet, aber sie vollzieht sich in deutlicher Distanz zum Staat, indem sie sich auf eine fest geschlossene Familie stützt, die sich am Bibelstudium und nicht an politischer Propaganda ausrichtet: „ Nur so können wir unseren Mitmenschen, unserem Volk, der Welt den von Gott aufgetragenen Dienst tun“ (Mennonitische Blätter, Januar und Februar 1939, 9). Die Grundzüge seiner Theologie beschrieb er in allgemein gehaltenen, aber doch wohl gelegentlich auch herausfordernden Formulierungen so: „Im Grunde sind wir Menschen, ein jeder für sich, zu allen Zeiten in den Kampf hineingestellt und mannigfachen Kräften ausgesetzt, die uns innerlich verlocken und verwirren, dass wir wie von einem bösen Geist besessen verblendet werden. Als Christen nehmen wir die Kraft, diesen Kampf zu bestehen, aus Gottes Verheißung, wie Paulus im Epheserbrief sagt: ‚Seid stark in dem Herrn durch die gewaltige, ihm innewohnende Kraft‘“ (Predigt über Epheser 6, 10 – 13, gehalten 1941).

Erich Göttner war in der Zeit des Dritten Reichs einer der führenden Theologen unter den deutschen Mennoniten. Er hat ihre Position und Glaubensgrundsätze gegenüber den damaligen Machthabern verteidigt und den Glaubensgeschwistern als Pastor und Seelsorger Trost zugesprochen. Zahlreiche Publikationen sind geblieben, dennoch hat er vieles nicht veröffentlicht, um nicht in zu großen Konflikt mit den Nationalsozialisten zu geraten und dadurch der eigenen Glaubensgemeinschaft zu schaden. In Zeiten der Diktatur und der vollständigen Kontrolle der Medien durch den Staatsapparat können Autoren manche kritische Aussage allenfalls so formulieren, dass sie nur von Eingeweihten als solche verstanden wird. Lesern in späteren Zeiten bleibt sie aber oft verschlossen. Abgesehen von manchen verschlüsselten Aussagen hat Göttner mutig zu aktuellen Fragen, die seine Zeitgenossen beschäftigten, Stellung genommen. In den Jahren ab 1941, als die mennonitischen Publikationsorgane nicht mehr erscheinen konnten, tröstete er seine Gottesdienstbesucher mit der Verheißung, dass Völker und Kulturen vergehen, Gott aber bleibt, und mit der Zusage Christi: „Und siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Mt. 28, 20). So war seine kleine Sammlung unveröffentlichter „Predigten im Krieg“ überschrieben (Mennonitische Forschungsstelle).

Schriften

Aus der Geschichte der Danziger Mennonitengemeinde Danzig, in: Christlicher Gemeindekalender 44, 1935, 102 – 111.- Volkstum und Christentum, in: Mennonitische Blätter 1927, 72. - Die völkische Religiosität in der Gegenwart, in: Mennonitische Blätter 1932/11, 94; 1933/1,2; 1933/ 2,14; 1933/2,28; 1933/3,29. - Die Kirchenfrage der Mennoniten (Vortrag zum Thema „Deutsche Christen“), in: Mennonitische Blätter 1933/9, 85. - Welche Aufgabe hat die Kirche in der Gegenwart? In: Mennonitische Jugendwarte 1933/ 4, 87. - Grundsätzliches zur kirchlichen Lage und Verkündigung, in: Mennonitische Jugendwarte, 1934, 66. - Deutschglaube und Christusglaube, in: Mennonitische Blätter 1935/ 5, und 1935/ 2, 213. - Das Alte Testament und seine Bedeutung für die christliche Gemeinde, in: Mennonitische Blätter 1935/1,4 und 1935, 11, 88. - Vom Wesen und Werk Jesu Christi, in: Mennonitische Blätter 1936/ 1, 6. - Der Ruf an unsere Gemeinde. Vortrag bei der westpreußischen Vorsteherkonferenz am 6. 11. 1938. In: Mennonitische Blätter 1939/1 und 2, 9. - Über die Verweltlichung unserer Gemeinden (Vortrag in Berlin 1940), in: Mennonitische Blätter 1940/3, 18, und 1940/ 4, 29. - Unveröffentlicht: Siehe, ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende. Predigten im Kriege von Erich Goettner (Danzig), Mennonitische Forschungsstelle, Weierhof/Pfalz.

Literatur

Elsa Göttner-Schmidt, Die letzten Jahre der Mennonitengemeinde Danzig, in: Der Mennonit 8, 1955, 61. - Horst Penner, Die ost- und westpreußischen Mennoniten, Band 2, Weierhof 1979, 132 ff. - Hans-Jürgen Goertz, Nationale Erhebung und religiöser Niedergang. Mißglückte Aneignung des täuferischen Leitbildes im Dritten Reich, in: Ders. (Hg.), Umstrittenes Täufertum 1525 – 1975. Neue Forschungen. 2. Aufl., Göttingen 1977, 259–289. - Diether Götz Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, Dokumentation und Deutung, Weierhof/Pfalz 1977. - James Irvin Lichti, Houses on the Sand? Pacifist Denominations in Nazi Germany. New York u. a. 2008.

Bernd Quiring

 
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