Quäker (Religiöse Gesellschaft der Freunde)

Quäker (von engl. to quake: zittern) bzw. „Religious Society of Friends/Quaker“ (Religiöse Gesellschaft der Freunde/Quäker), wie die seit dem 18. Jahrhundert gebräuchliche Bezeichnung lautet, bildeten sich um die Mitte des 17. Jahrhunderts als ursprünglich christliche Religionsgemeinschaft bzw. Kirche. Die Bewegung verbreitete sich zunächst in England, Irland und Nordamerika, im 20. Jahrhundert auch in Lateinamerika und in Zentralafrika. Quäker, →Mennoniten und die Kirche der Brüder (→Church of the Brethren) bilden heute die drei historischen Friedenskirchen (→Friedenstheologie), die sich vor allem dem →Pazifismus verbunden fühlen.

1. Anfänge

Als Gründer der religiösen Bewegung gilt der englische Schuhmacher George Fox (1624–1691). Er soll 1650 in einem Prozess in Derby darauf hingewiesen haben, nur vor Gott zittern zu wollen, und seine Anhänger und Anhängerinnen nahmen diese Bezeichnung schnell an. Alternative Bezeichnungen waren Friends of the Truth, Seekers of Truth oder Quiet Helpers.

1647 hatte Fox, dessen Lehre z. T. mit der der Dissidenten übereinstimmte, eine Audition, wobei Christus ihn direkt im Herzen ansprach. Die Idee eines „Inneren Lichts“ (inward light), die bis in das Mittelalter und die Antike zurückgeführt werden kann, wurde zum zentralen Charakteristikum der Quäker, die in ihren Andachten auf unterschiedliche Weise versuchten und versuchen, diesem Licht einem Ausdruck zu geben (etwa auch durch spontane Wortbeiträge/Predigten). Weitere Merkmale sind das allgemeine →Priestertum, einfaches Leben („Zeugnis der Einfachheit“), gleiche Rechte und Pflichten von Mann und Frau (→Frauen), sowie in der Anfangszeit eine ausgeprägte chiliastische Erwartung. Äußere Sakramente (insbesondere Taufe und Abendmahl) wurden abgelehnt, ebenso das Schwören von Eiden und übertriebene Höflichkeitsfloskeln. Insgesamt lässt sich sagen, dass kein einziger dieser Punkte wirklich neu gewesen ist, sehr wohl aber die Kombination dieser Punkte etwas Neues ausmachte.

Fox gewann vor allem im Nordwesten Englands Anhänger, um 1660 etwa 60.000 Quäker allein in Großbritannien und Irland. Dennoch war diese Zeit von schweren Verfolgungen geprägt: 400 Männer und Frauen starben in Europa den Märtyrertod, und auch in den nordamerikanischen Kolonien gab es einige (wenige) Hinrichtungen durch Puritaner. Robert Barclay (1648–1690), ein schottischer Konvertit, erarbeitete 1676 einen ersten systematischen Katechismus: „Apology for the True Christian Divinity“. Er ist noch heute für nordamerikanische Quäkergruppen von Bedeutung.

2. Weitere Ausbreitung und Mission

Das Quäkertum beeinflusste zwar gesamteuropäische Bewegungen wie den →Pietismus, den Evangelikalismus oder die Friedensbewegung, es blieb aber ansonsten eine angelsächsische Angelegenheit. Durch den „Act of Toleration“ (1689) und das Engagement von William Penn (1644–1718; Exil für Glaubensflüchtlinge in Nordamerika, Gründung von „Philadelphia“, humane Gesetzgebung; „Holy Experiment“) wurden die Quäker bald zu einer angesehenen und wirtschaftlich erfolgreichen Glaubensgemeinschaft. Vor allem in Nordamerika kam es, trotz der viel größeren Distanzen als in Europa, zu verschiedenen Kontakten: Mennoniten beteiligten sich aktiv an quäkerinternen Kontroversen, wurden zu Vierteljahresversammlungen entsandt oder unterzeichneten offizielle Dokumente der Quäker. Außerdem teilten Quäker und Mennoniten sich in Germantown zeitweilig ein Versammlungshaus (ähnlich wie in Danzig). Germantown (heute ein Stadtteil von Philadelphia) war 1683 unter Franz Daniel Pastorius (1651–1719) gemeinsam von Quäkern und Mennoniten gegründet worden. Ein Teil der ersten Bewohner bestand aus dreizehn Quäker- und Mennonitenfamilien aus dem Krefelder Raum (→Krefeld), den so genannten „Original 13“. Über diese Auswanderung entzündete sich im frühen 20. Jahrhundert eine Kontroverse um die Frage, welcher Denomination und Nationalität die Auswanderer zuzuordnen seien. William Hubben erläuterte 1926 erstmals, dass sich bis 1692 (außer dem Mennonit Johann Lenßen/Jan Lensen) zwölf der Auswanderer von 1683 unter dem Auswanderungsagenten Pastorius den Quäkern angeschlossen hätten. Später wurde von Wilhelm Niepoth präzisiert, dass die meisten der Auswanderer bereits schon in Krefeld zum Quäkertum übergetreten waren.

In Kontinentaleuropa gab es praktisch überall, wo sich Quäkergemeinden bildeten, wie in →Amsterdam, Kriegsheim (bei Worms), →Friedrichsstadt an der Eider oder →Danzig Beziehungen zu den älteren Mennonitengemeinden. Viele der ersten Quäker waren konvertierte Baptisten, und so war es für sie nahe liegend, gezielt unter täuferischen und pietistischen Gruppen zu missionieren: Die Altonaer Mennoniten-Gemeinde (→Hamburg-Altona) verlor zwischen 1655 und 1692 insgesamt 36 Mitglieder, von denen sich dreizehn (mehr als ein Drittel) den Quäkern anschlossen. Verständlicherweise kam es zu Konflikten, die durchaus öffentlichkeitswirksam ausgetragen wurden: 1670 etwa wurden drei Quäker festgenommen, die in Harlingen (niederländische Provinz Friesland) eine Mennoniten-Versammlung gestört hatten, und umgekehrt statteten auch Mennoniten den Quäker-Versammlungen Besuche ab, sorgten für Tumulte und ergriffen das Wort.

Auch wenn die Missionsversuche der Quäker bei den Mennoniten keineswegs immer erfolgreich waren, suchten die Quäker-Missionare bewusst die räumliche Nähe zu den Mennoniten. Ein Grund war auch die – zum Teil berechtigte – Hoffnung, ebenso toleriert zu werden wie mennonitische Gemeinden. Langfristig gesehen waren sie erfolgreich: am 13. Januar 1828 wurde vom preußischen König veranlasst, auch die Quäker ab sofort wie Mennoniten zu behandeln (die bereits in Preußen toleriert worden waren).

Auf Grund ähnlicher theologischer Überzeugungen hegten beide Gruppen trotz der konkurrierenden Situation um Mitglieder eine gewisse Akzeptanz füreinander; die Überschneidungen betrafen die Ablehnung des →Eides, eine Betonung des Laientums, eine Autonomie der lokalen Kirchengemeinden, das Verweigern des Kriegsdiensts und der Gewaltanwendung (→Wehrlosigkeit) sowie die Interpretation des Leidens für eine gerechte Sache als Zeichen oder Beweis wahrer →Nachfolge Christi. Die Ähnlichkeiten waren für Außenstehende derart auffallend, dass in vielen zeitgenössischen Quellen der Begriff Quäker/Mennoniten synonym verwendet wurde.

3. Entwicklungen im 19. und 20. Jahrhundert

Die Jahre zwischen 1800 und 1820 waren bei den Quäkern vom Quietismus geprägt, mit dem die einst radikale Bewegung in eine Erstarrung gefallen war: Abgrenzung von außen durch Kleidung (Quäkeruniform), Unbeweglichkeit nach Innen durch ein starres Regelwerk sozialer wie formaler Regularien und Bestimmungen. Quäkern war nach den eigenen Bestimmungen untersagt zu studieren, was zum überdurchschnittlichen Ergreifen von Berufen führte wie Botaniker, Apotheker, Uhrmacher, Handelsleute (vor allem wegen transatlantischer Verbindungen), Bankiers (Barclay, Llyods, Sandy Hill Bank). Die Zeit des Quietismus war zusätzlich geprägt von inneren Spaltungen (Abtrennung der Shakers 1747 und der Universal Friends 1776 als eigenständige Gemeinschaften). Insbesondere in Nordamerika kam es zu unzähligen Schismen, deren zwei bekannteste die „Christian Quakers“ um George Keith (1638–1716) und die „great separation“ 1827 zwischen Orthodox-Quäkern und Hicksite-Quäkern waren. Streitfragen waren nicht allein der Stellenwert des Inneren Lichts, Deismus, Rationalismus sowie der Stellenwert der Bibel, sondern auch soziale und persönlich-biografische Unterschiede. Viele Quäker begannen aus der Konkurrenzsituation heraus zu missionieren (vor allem in Afrika, Asien) und Geistliche einzustellen (vor allem Gemeinden in Kalifornien, Oregon und Indiana). In Deutschland gab es, da die frühen Gemeinden des 17. Jahrhunderts eingegangen waren, erst wieder ab 1792 Quäker im Raum Pyrmont und Minden. Ihre Aktivitäten wurden von Quäkern aus dem angloamerikanischen Ausland finanziert, die ihre Gelder häufig über die Mennonitenfamilie Van der Smissen in Altona nach Deutschland brachten. 1830 mussten diejenigen, die in Preußen vom Militärdienst freigestellt werden konnten – Mennoniten, Quäker, Separatisten – drei Prozent der Einkommenssteuer entrichten. Die Mennoniten zahlten diese Summe meist, die Quäker fast nie und ließen sich demonstrativ pfänden, bis 1868 das Preußische Innenministerium diese Regelung abschaffte und wieder schärfer gegen Kriegsdienstverweigerer vorging.

Im 19. Jahrhundert trat die soziale Frage neben religiös-theologische Fragen. Zunächst in den USA, verspätet in anderen Commonwealth-Staaten, propagierten Quäker den Abolitionismus, wobei John Woolman (1720–1772) das Verhalten der Mennoniten gegenüber Sklaven den Quäkern als vorbildlich empfahl. Aktionen wie die „Underground Railroad“ brachten Tausende von Sklaven aus den Südstaaten über die Grenze nach Kanada und damit in Freiheit. 1796 gründete William Tuke (1732–1822) in York eine humane psychiatrische Klinik; seit 1817 popularisierte Elizabeth Fry (1780–1845) die Gefängnisreform (mehrmalige Besuche Berlins).

Im 19. und 20. Jahrhundert setzte sich das karitative Wirken fort, das beispielsweise Isaac Robson (1800–1885) und Thomas Harvey (1812–1884) nach Russland brachten, wo sie intensive Verbindung mit Russland-Mennoniten aufnahmen. Mennoniten, vor allem aus Südrussland und der Krim, emigrierten über Quäker-Netzwerke nach Kanada oder in die USA. Bei den Quäkern führte der aufkommende Evangelikalismus zu einem ökumenischen Interesse, was sie auch näher zu den Mennoniten brachte. Zusätzlich war der →Pazifismus (nur diese beiden Glaubensgemeinschaften kennen ein Friedenszeugnis) ein Band, das beide Gemeinschaften verband, auf Kongressen (Allgemeiner Friedenskongress zu Frankfurt 1850) ebenso wie in der praktischen Hilfsarbeit. Die vermehrt aufkommenden Fälle von Kriegsdienstverweigerungen (beginnend mit dem Amerikanischen Bürgerkrieg) betrafen Quäker wie Mennoniten gleichermaßen, zuletzt in nennenswertem Umfang während des Vietnamkriegs – insbesondere Donald F. →Durnbaugh (1927–2005) und Peter Brock (1920–2006) haben diese Beziehungen wissenschaftlich untersucht.

In Deutschland war der Schriftsteller und Quäker Alfons Paquet (1881–1944) eine zentrale Figur, der in Frankfurt kontinuierliche Kontakte mit Mennoniten, Baptisten und der jüdischen Gemeinde hielt. Mennoniten halfen dann auch in den Hilfswerken nach den beiden Weltkriegen („Quäkerspeisung“) innerhalb der Quäkerorganisationen AFSC oder FAU mit. Zuletzt war die Friedensbewegung ein gemeinsames Anliegen von Quäkern und Mennoniten, wobei man sich einmal (1988) bei dem Abschnitt „Frieden“ im Forum „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (1988) auf ein gemeinsames Abstimmungsverhalten einigte.

In Deutschland sind die Beziehungen beider Gemeinschaften nie intensiv gewesen, schon allein wegen des unterschiedlichen Zahlenverhältnisses: 40.000 Mennoniten zu 240 Quäkern (2010). Auf lokaler Basis gibt es, bis auf persönliche Einzelfälle, selten institutionalisierte Kontakte, nicht einmal über Friedensveranstaltungen werden gegenseitige Informationen ausgetauscht. Eine Ausnahme sind die Unabhängigen Quäker, die 2009 in München den (wohl weltweit) ersten gemeinsamen Gottesdienst von Quäkern und Mennoniten veranstalteten, in dem sowohl Lieder gesungen als auch geschwiegen wurde.

Trotz ähnlicher Theologie, Sozialstruktur und in Teilen parallel erfahrener Geschichte blieb die Zusammenarbeit von Quäkern und Mennoniten begrenzt. Über Jahrhunderte waren gemeinsame Gottesdienste oder Hochzeiten in den Gemeindeordnungen untersagt. Auch heute, wo zahlreiche Quäker Mitglied in anderen Glaubensgemeinschaften sind, hat es bis dato noch keine Doppelmitgliedschaft bei Mennoniten gegeben. Ökumenische Zusammenarbeit, weiter voranschreitende Internationalisierung, wachsende Notwendigkeit einer hörbaren pazifistischen Stimme könnten aber eine zukünftige Grundlage für quäkerisch-mennonitische Zusammenarbeit bilden.

Literatur

Isaac Robson und Thomas Harvey, An die in den Vereinigten Staaten aus Süd-Russland eingewanderten Mennoniten, Leeds 1879. - Christian Neff, Die Quäker in Kriegsheim bei Worms, in: Mennonitische Blätter 58, 1911, 74–78. - Wilhelm Hubben, Labadisten, Mennoniten und Quäker am Niederrhein. Kirchengeschichtliches aus der Zeit von 1670 – 1683, in: Die Heimat 5, 1926, 268–273. - Dirk Cattepoel, Deutsche Mennoniten oder holländische Quäker? Der Amerikaner William J. Hull schreibt über die Krefelder Gründer Germantowns, in: Die Heimat. Krefelder Jahrbuch 16, 1937, 122–126. - J. Evelynn Mott, Brethren, Doukhobors, Mennonites, Quakers: a comparative, historical analysis, o.O. 1937. - Walter Fellmann, Kriegsheimer Mennoniten und Quäker in ihrer religiösen Verschiedenheit, in: Beiträge zur Geschichte der Mennoniten, Weierhof 1938, 19–24. - William Hull, The Mennonites and Quakers of Holland, in: Howard H. Brinton (Hg.), Children of Light. In Honor of Rufus M. Jones, New York 1938, 191–209. - Wilhelm Niepoth, Die Abstammung der 13 Auswanderer von Krefeld nach Pennsylvanien im Lichte niederrheinischer Quellen, in: Die Heimat 24, 1953, 2–9. - Paul Michel, Täufer, Mennoniten und Quäker in Kriegsheim bei Worms. Das Täufertum bis zum 30jährigen Krieg, in: Der Wormsgau 7, 1965/1966, 41–52. - Donald Durnbaugh, Relationships of the Brethren with the Mennonites and Quakers, 1708–1865, in: Church History 35, 1966, 35–59. - Ders., (Hg.), On earth peace. Discussions on war. Peace issues between Friends, Mennonites, Brethren and European Churches, 1935–75, Elgin 1978. - Erklärung zum Abstimmungsverhalten der Mennoniten und Quäker zum Abschnitt ‚Frieden', in: Wilfried Warneck, Friedenskirchliche Existenz im konziliaren Prozeß, Hildesheim 1990, 238–242 (Anstöße zur Friedensarbeit, 5). - Peter Brock, Liberty and conscience: a documentary history of conscientious objectors in America throughout the Civil War, Oxford 2002. - James Irvin Lichti, Houses on the Sand? Pacifist Denominations in Nazi Germany. Studies in Modern European History, Bd. 51, New York u. a. 2008. - Sünne Juterczenka, Über Gott und die Welt: Endzeitvisionen, Reformdebatten und die europäische Quäkermission in der Frühen Neuzeit, (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 143), Göttingen 2008. - Claus Bernet: Quäker und Mennoniten: Frühe Kontakte in der Pfalz, in Krefeld, Friedrichstadt, Hamburg, Emden und Danzig, in: Mennonitische Geschichtsblätter 63, 2008, 49–61. - Olaf Radicke, Quäker und Mennoniten schweigen gemeinsam, in: Die Brücke. Täuferisch-mennonitische Gemeindezeitschrift 4, 2009, 14. - Claus Bernet, Hans Klassen: Lebensreformer und Bürokrat, Nationalsozialist und Kommunist, Mennonit und Quäker, in: Mennonitische Geschichtsblätter 64, 2009, 125–146.

Claus Bernet

 
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