Predigt

1. Predigt im Kontext gemeindlichen Lebens

Reden einzelner vor einem Publikum sind keine Besonderheit der Christenheit; monologische Mitteilungen sind in der Menschheit verbreitet; Predigt gibt es auch im Judentum und im Islam. Das Wort „Predigen“ ist aus der lateinischen Sprache entlehnt, wo praedicare die Bedeutung „öffentlich verkündigen“ hat. Das Wort „Predigt“ ist aus dem Mittellateinischen entlehnt; „predica“ bezeichnet den „öffentlichen Vortrag“, die „Predigt“ (Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 2002).

Christliche Predigt hat ihren Sitz im Leben in Gottesdiensten christlicher Konfessionen. Es wäre nicht angemessen, Predigten isoliert von diesem Kontext zu betrachten. Ebenso unangebracht wäre es, Predigten in schriftlicher Form (Predigtentwurf, Predigtnachschrift) als eigentliche Predigt anzusehen. Schriftliche Predigten sind für das Predigtgeschehen das, was Partituren für musikalische Werke sind: Sie müssen zum Leben erweckt werden. Predigt ist Rede, findet ihre Gestalt in bestimmtem Ambiente und richtet sich an Menschen, die aus unterschiedlichsten Gründen an einem Gottesdienst teilnehmen. Wo die Predigt hörend aufgenommen wird, entwickelt sich aus monologischem Beginn im Kontext des Gottesdienstes und des gemeindlichen Lebens ein Kommunikationsgeschehen, das einzelne und Gemeinden trösten, bestätigen, aufrichten, abstoßen, aufregen, erschüttern, bewegen und ändern kann. Wer auf Predigten hört, riskiert es, in diesen vielschichtigen kommunikativen Prozess verwickelt zu werden. Wer predigt, muss sich die Frage nach eigenem Hören der Botschaft gefallen lassen, setzt sich dem Widerspruch von Verständigen und Verständnislosen, von Freunden und Gegnern aus und hofft auf empathische Zustimmung, auf das bestätigende, ermutigende „Amen“ der Hörenden.

In der Umgangssprache bezeichnet das Wort „Predigt“ ermahnende Rede. Predigen ist hier identisch mit eindringlich raten, ermahnen, moralisieren. Erinnerung an ständige Wiederholung von Ratschlägen und Ermahnungen schwingt in Predigt ebenso mit wie die skeptische Annahme, dass Predigende den eigenen Worten durch ihr Verhalten widersprechen. Sei es Erfahrung mit schwer verständlicher oder unglaubwürdiger Verkündigung in christlichen Gemeinden, sei es grundsätzliche Kirchen- und Religionskritik – in der Sprache spiegeln sich Elemente der Geschichte christlicher Kirchen und Gemeinden. Die in theologischer Definition hohe Bedeutung der Predigt wird in der Außenwahrnehmung nicht selten bestritten, z. B. von Thomas Mann in Gesang vom Kindchen (835), wo als „Predigerübung und -kunst“ die Fähigkeit bezeichnet ist, aus Wort Wort zu erzeugen, ohne etwas zu sagen.

Explizite Predigtkritik ist in der Christenheit verbreitet. Der Theologe Sören Kierkegaard brachte seine Kritik in die literarische Form der Parabel von der Gänsepredigt. In der Homiletik, der Predigtlehre, gehören Analyse und Kritik von Predigten zur alltäglichen Arbeit; das Predigen soll verbessert werden. Diesem Ziel ist auch der Menno-Simons-Predigtpreis verpflichtet, der seit 2008 verliehen wird. Predigtkritik hat bei Mennoniten eine lange Geschichte. Überspitzt kann man sagen, dass die täuferische Bewegung der Reformationszeit über Kritik an Predigt und Predigern der alten Kirche bzw. der neu entstehenden reformatorischen Kirchen ihr Profil gewann.

2. Aus der Geschichte christlicher Predigt

Die ersten Gemeinden der frühen Christenheit entstanden, weil Jünger und Jüngerinnen Jesu von Nazareth nach dessen Tod am Kreuz gegen alle Erfahrung wahrgenommen hatten, dass sich Jesu Wirken in neuer Gestalt fortsetzte. Sie waren zum Glauben gekommen, dass Gottes schöpferische Kraft in Jesus über dessen Lebenszeit hinaus am Werk ist. Sie identifizierten ihn in der Sprache der Heiligen Schrift des Judentums als den Christus Gottes, in hellenistischer Diktion dann als Wort Gottes. Darum bewahrten sie die Erinnerung an die radikale Verkündigung Jesu, an die Gestalt seines Lebens, an seine spektakulären Verhaltensweisen gegenüber Menschen am Rand der Gesellschaft, an die Gemeinschaft seiner Jüngerinnen und Jünger, an seinen Kreuzestod im Licht der visionären Begegnungen einzelner mit dem Auferstandenen. Sie hatten im Glauben erfasst, dass in ihm Gottes schöpferische Kraft wirksam bleibt. Es ging in Zukunft darum, Gott in seinem Wort zu hören, Gottes Geist Raum zu geben, Jesu Spur zu folgen, in Jesu Nachfolge zu leben. Ihre Erfahrungen im Glauben konnten die frühen Christen nicht für sich behalten. Sie sprachen sie voreinander aus, teilten sie miteinander. Sie sahen sich beauftragt zur Verkündigung des Evangeliums. Der Ort dafür war zunächst der gemeinsame Gottesdienst ihrer Gemeinschaft. Die Botschaft sollte jedoch weitere Menschen erreichen, die bereit waren, darauf zu hören, sich davon ergreifen und verändern zu lassen und den Weg in der →Nachfolge Christi mitzugehen. Die vielgestaltige Verkündigung des Christusgeschehens innerhalb der Gemeinden und in missionarischen Situationen wurde zur zentralen Lebensäußerung christlicher Gemeinden. Für die Wortverkündigung bot sich der Form nach die in der damaligen Welt in Verbindung mit religiösen, philosophischen oder ethisch-moralischen Inhalten vertraute monologische Rede an. Die christliche Predigt interpretierte aktuelle Situationen und neue Glaubenserfahrungen im Rückgriff auf zunächst mündlich, dann schriftlich weiter gegebene Jesustraditionen. Später griff der Hauptstrom der vielgestaltigen frühen Christenheit auf die Bücher des neutestamentlichen Kanons zurück. Dort ist erkennbar, wie die Christenheit von Anfang an Erfahrungen, Einsichten, Wahrheiten, sprachliche und theologische Modelle aus den Texten der hebräischen Bibel zur Deutung des Christusereignisses nutzte.

Im frühen Christentum gab es freie prophetische Verkündigung (vgl. 1. Kor. 14). Auf die Dauer wurde die christliche Predigt – unter dem Einfluss des zunehmenden Drangs, Grenzlinien zu ziehen zwischen wahr und falsch, rechtgläubig und ketzerisch, also eine Orthodoxie zu etablieren – zur Auslegung verbindlicher heiliger Texte in Gestalt der Rede. Die Zeit der Charismen, der mannigfaltigen Begabungen in den frühen Gemeinden, kannte die Unterscheidung zwischen Amtsträgern und Laien nicht. Die Etablierung von Ämtern und die Verteilung von Aufgaben regelte aber schon in der Zeit der Pastoralbriefe die Frage, wer die Predigtaufgabe übernehmen sollte. In den Gemeinden des Ostens und Westens war das zumeist ein Bischof. Er konnte andere, auch Laien, mit dem Predigtdienst beauftragen. Im Westen der alten, später der mittelalterlichen Kirche entwickelten sich (anders als in den orthodoxen Kirchen des Ostens, wo Verkündigung über die symbolischen Bilder des Heils ins Zentrum der Gottesdienste rückte) Predigtpraxis und -kultur im Kontext des Messgottesdienstes, in dem die Eucharistiefeier im Zentrum steht. Einerseits galten geringe Bildung und fehlende Ausbildung von Priestern vielerorts als Problem, andererseits erwiesen sich Predigten von Gestalten wie Augustin (Bischof von Hippo) oder Meister Eckhart als wirkungsvoll.
Für die Betrachtung der Predigtgeschichte aus mennonitischer Perspektive ist es gut zu wissen, dass sich in der katholischen Kirche des späten Mittelalters neben dem Messgottesdienst Wortgottesdienste etabliert hatten. „Die konfliktträchtige Praxis der (zumeist laikalen) Wanderprediger führte zu der wiederholten Einschärfung des dem geistl. Amt zugeschriebenen Predigtmonopols durch Synoden und kuriale Erlasse, jedoch auch zur Anerkennung der als Predigtverbände auftretenden Mendikanten-Orden“ (Albrecht Beutel, Geschichte der Predigt, Sp. 1587). Am Vorabend der Reformation gab es Prediger, die an eigens eingerichteten Prädikaturen in Städten tätig waren bzw. als Buß- oder Missionsprediger durchs Land zogen. Vor der Reformation wurden bei großen Konzilen auch reformerische Predigten gehalten, die mit ihrer Kritik z. B. an Moral oder Bildung von Klerikern im Rahmen des Geduldeten blieben (Werner Schütz, Geschichte der christlichen Predigt, 85).

Zudem ist zu erwähnen, dass neben der offiziellen Kirche Laienbewegungen entstanden, die ebenfalls das Instrument der Predigt nutzten: Die Katharer (Anfänge im frühen 12. Jahrhundert, ursprüngliche Hauptanliegen Armut, Predigt, Kleruskritik, s. Daniela Müller, Katharer, Sp. 876) und ihre Prediger wurden erbarmungslos verfolgt und bis 1400 ausgerottet, aber Nachrichten über sie und den grausamen Umgang mit ihnen sind durchgedrungen bis in spätere Jahrhunderte. Die Bewegung der Waldenser hatte Ende des 12. Jahrhunderts in Lyon mit den Predigten des Kaufmanns Petrus Valdes in der Volkssprache begonnen. „Bes. Anstoß erregte es, daß sie als Laien (darunter auch Frauen) ohne kirchl. Autorisierung, ja gegen kirchl. Verbot predigten“ (Ulrich Köpf, Waldenser, Sp. 1272). Nach ihrer Verurteilung auf dem Konzil von Verona 1184 galten sie als Ketzer. Trotz aller Anstrengungen war es Kirche und Obrigkeit nicht gelungen, diese Bewegung zu vernichten. Vorreformatoren wie der böhmische Priester, Theologe, Volksprediger Johann Hus setzten sich ebenfalls von der dominierenden Kirche ab. Er wurde als Ketzer angeklagt und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt (Konzil zu Konstanz 1415), obwohl ihm freies Geleit zugesagt worden war. Die im Protest dagegen entstandene Hussitenbewegung in Böhmen kam unter dem Einsatz massiver Gewalt nach und nach zum Erliegen. In seinem letzten Brief hatte Hus geschrieben: „Lebe dem Gesetz Christi nach und wende alle Sorgfalt darauf, das Wort Gottes zu predigen!“ (Werner Schütz, Geschichte der christlichen Predigt, 88).

Anders als die Altgläubigen sahen die Reformatoren des 16. Jahrhunderts in der Wortverkündigung, nicht aber in der Eucharistiefeier, das zentrale Geschehen christlichen Gottesdienstes. Das folgte aus der reformatorischen Auffassung, dass Gottes Wort, dessen Mitte Jesus Christus ist, aus Gottes Gnade im Glauben erfasst wird, also unmittelbar wirksam ist (→Rechtfertigung allein aus Glauben, Glaube ist in der →Liebe tätig). Die Verkündigung Christi in der Predigt macht diese zu wirksamem göttlichem Wort: „Christus selbst redet in den Worten des Predigers“ (Alfred Niebergall, Geschichte der Predigt, Sp. 522). Die hohe Bedeutung der Predigt im Gottesdienst der entstehenden evangelischen Kirchen lässt sich an den Gottesdienstordnungen ablesen. Bei den reformierten Kirchen mit ihrer Konzentration auf Schriftlesung, Predigt, Gebet und Lied (Psalm) ist das besonders anschaulich. Zusammen mit den →Flugschriften wurde die Predigt „das wichtigste Medium zur Ausbreitung und Elementarisierung der reformatorischen Lehre“ (Albrecht Beutel, Geschichte der Predigt, Sp. 1587).

3. Von Predigtstörungen zur eigenen Predigt

Die Hörer der Verkündigung waren im Sinn reformatorischer Auffassung Menschen mit eigener Urteilskraft. Sie standen nach Luthers früh geäußerter Überzeugung auf gleicher Stufe wie kirchliche Amtsträger; es galt das „allgemeine →Priestertum aller Gläubigen“. In den reformatorischen Kirchen gab es keinen Priesterstand, aber auf Dauer galten ausgebildete und beauftragte Theologen als Fachleute für Bibelauslegung und Predigt. Das Neue Testament in deutscher Sprache konnten jedoch alle des Lesens Kundigen lesen. Hier kommen die Täufer ins Spiel. Sie trugen die Laisierung der Kirche weiter als Luther (Hans-Jürgen Goertz, Pfaffenhaß und groß Geschrei, 195). Das ist bei frühen Schweizer Täufern gut zu sehen. Sie machten bei der Lektüre der Bibel, wie Konrad →Grebel schon in seinem Brief an Thomas Müntzer (1524) schrieb, eigene Erfahrungen, zogen ihre Schlüsse, stießen auf Differenzen zwischen dem, was sie lasen, und dem, was altgläubige oder evangelische Prediger verkündeten, sodass diese in ihren Augen ihr Ansehen als Experten der Schriftauslegung verloren.

Ulrich →Zwingli selbst hatte das Mittel der Predigtstörung eingesetzt, um den reformatorischen Prozess voranzubringen. Wenig später praktizierten einige seiner Anhänger eine offensive Predigtkritik, die sich auch gegen reformatorische Prediger wenden konnte. Diese frühen Täufern „waren tief im antiklerikalen Milieu verwurzelt“ (Hans-Jürgen Goertz, Täufer im Aufbruch, 9); ihnen schwebte eine mündige Gemeinde vor, in deren Versammlungen jeder das Recht haben sollte, während eines Gottesdienstes eigene Einsichten, auch Widerspruch gegen Äußerungen eines Predigenden, vor den Ohren der gesamten Gemeinde auszusprechen (Heinold Fast, Reformation durch Provokation, 106 ff.). Sie hatten gelernt, die Bibel mit eigenen Augen zu lesen. Ihre Wortführer nannten sie zunächst, im Gegensatz zur Sprache der dominierenden Kirche, nicht Prediger, sondern „Leser“, Leser der Schrift (Hans-Jürgen Goertz, Radikalität der Reformation, 137 f.). Vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit der alten Kirche, mit den Reformatoren und mit den sozialen und politischen Spannungen ihrer Zeit entwickelten sie Muster zur Deutung, benannten Prioritäten (Schriftverständnis). Sie wussten sich ergriffen von der Botschaft des Evangeliums im biblischen Wort. Sie halfen einander bei der Auslegung von Schriftworten; es wurden Konkordanzen mit den für sie zentralen biblischen Aussagen zusammengestellt. Täufer wurden sprachfähig in Streitgesprächen, vor Gericht, in den reformatorischen oder altgläubigen Gottesdiensten und dann in den eigenen Gemeinden. Laien, Frauen und Männer, fingen an zu predigen (Hans-Jürgen Goertz, Religiöse Bewegungen in der frühen Neuzeit, 15).

Da sie als Ketzer und Aufrührer galten, ihre Versammlungen und also auch ihre Verkündigung als illegitim, da sie vertrieben, verfolgt, mit der Todesstrafe bedroht wurden (→Verfolgung), zogen sich die Entkommenen bei ihren Versammlungen an abgelegene Orte zurück. Das brachte ihnen den zynischen Vorwurf ein, Hecken- und Winkelprediger zu sein. Der Straßburger evangelische Pfarrer Elias Schad war 1576 mit Gleichgesinnten unerkannt bei einem täuferischen Gottesdienst und hat darüber berichtet: Etwa 200 Personen waren bei Dunkelheit zum Teil von weither zu einem Treffpunkt im Wald in der Nähe Straßburgs gekommen. Mehrere Täufer hatten nacheinander Schriftworte vorgelesen und gepredigt. Dann beteten die Versammelten vielstimmig, auf dem Boden kniend. Es folgte Übermittlung von Grüßen bzw. eine Beauftragung einzelner, Grüße auszurichten. Der Älteste lud schließlich dazu ein, Rückfragen an die Prediger zu stellen oder der Versammlung Erbauendes mitzuteilen. Schad als Gegner der Täufer ergriff diese Gelegenheit. Es kam zu einem Streitgespräch, vor allem über Taufe und Exkommunikation. „Bruder Peter“ sorgte dafür, dass die Eindringlinge unversehrt aus dem Wald geleitet wurden (Elias Schad, Warhaffte Relation, 32 f., 35).

Ähnlich wie hier wird es in der Verfolgungszeit bei Gottesdiensten im Verborgenen, in Höhlen, auf Feldern, in Scheunen oder Ställen zugegangen sein. Wer predigte, wer teilnahm, wagte viel. Menno →Simons war ein Prediger auf der Flucht, dem es mit Hilfe von Sympathisanten und Mitgliedern täuferischer Gemeinden immer wieder gelang, Häschern zu entkommen. Bei heimlichen Versammlungen hat auch er zu verstreuten, gefährdeten, verfolgten Mitgliedern und Sympathisanten täuferischer Gemeinden gesprochen. Täuferische Predigttätigkeit beschreibt er in seiner Antwort auf eine Schrift des Gellius Faber: „Wir glauben, darum reden wir (… ). Aus diesem Grunde lehren und predigen wir nach Möglichkeit, sowohl am Tage als bei Nacht, in den Häusern und auf dem Felde, in Gebüschen und Wildnissen, hier und dort, im In- und Ausland, in Kerker und Banden, in Wasser und Feuer, auf Galgen und Rad, vor Herren und Fürsten, mit Mund und Schrift, Gut und Blut, Leben und Tod, wie wir solches schon seit vielen Jahren ohne Unterlaß gethan haben; schämen uns auch des Evangeliums der Herrlichkeit Christi nicht, Röm. 1,16, denn wir sind lebendige Frucht und empfinden seine bewegende Kraft gewaltig in unsern Herzen (…). Gern möchten wir alle Menschen dem Rachen der Hölle entreißen, ihrer Sündenketten entledigen und mit Gottes gnädigem Beistand durch das Evangelium des Friedens auf ewig für Christum gewinnen, denn das ist die Beschaffenheit der Liebe, die aus Gott ist“ (Menno Simons, Werke, Zweiter Teil, 11 f.).

Unter dem Stichwort („→Täufer“) wird in der Geschichtswissenschaft eine vielgestaltige, disparate Bewegung zusammengefasst, die sich in drei Gruppierungen entwickelte (Hans-Jürgen Goertz, Täufer im Aufbruch, 11–20). Wahrscheinlich kann man sagen, dass innerhalb der gesamten täuferischen Bewegung die →Nachfolge Christi als Leitbild galt. Von wahren Christen wird Konformität mit Jesu Leben und Lehre erwartet. Im Vordergrund stand anfangs die Befolgung des Taufbefehls Jesu (Matth. 28): „Die (…) Täufer wurden wirksame Boten, die auf die Straßen hinaus, an Hecken und Zäune gingen und predigten. Höchst bedeutsam war ihr Postulat, daß eine große ‚christliche' Kultur nach tausend Jahren christlicher Lehre das Evangelium hören müsse und die Verantwortung für die Bezeugung desselben nicht allein als professionelle Aufgabe einer besonderen Klasse zu verstehen wäre. Nach täuferischem Verständnis folgte der große Missionsbefehl der Taufe und wurde so zur Aufgabe für alle Gläubigen. Dies war ein revolutionärer Gedanke (…)“ (J. Lawrence Burkholder, Nachfolge in täuferischer Sicht, 133 f.).

Die Auslegung des Begriffs „Nachfolge Christi“ ist jedoch bei den Täufern nicht einheitlich. Hans →Hut hat anders gepredigt als Felix→ Mantz, Balthasar→ Hubmaier anders als Bernhard →Rothmann, Pilgram →Marpeck anders als Menno →Simons: Dies gilt im Blick auf Inhalte der Verkündigung, denn wer das Ende der Welt in ein, zwei Jahren vor Augen hat, predigt anders als jemand, der sich und seine Gemeinde auf einem langen Weg sieht. Wer das kirchliche Leben in einer städtischen Kommune in täuferischem Sinn umgestalten will, muss anderes sagen als jemand, der die Gemeinde der wahrhaft Gläubigen in der →Absonderung von der Welt wahrnimmt und ihre Gestaltung als Leib Christi als zentrale Aufgabe sieht. Ein ‚Schwertler' muss anders gepredigt haben als ein ‚Stäbler'; die Täufer waren sich nicht einig hinsichtlich der Wehrlosigkeit, auch nicht im Blick auf das Eigentum: Konnte jemand als Christ gelten, der Privateigentum besaß? Hutterische Täufer (→Hutterische Bruderhöfe) hatten auf diese Frage ihre eindeutige Antwort.

4. Einsichten und Lebensformen bewahren

Spontaneität, Eigenständigkeit gegenüber kirchlichen Traditionen, Hochschätzung der individuellen Fähigkeiten im Blick auf Schriftauslegung und Verkündigung, Bereitschaft zur Suche nach Konsens im Gemeindegespräch waren am Anfang auffällige Charakteristika der Täuferbewegung. Aber dabei ist es nicht geblieben. Prinzipiell waren alle Mitglieder durch die Taufe zur Verkündigung berufen; in der Praxis ging es bald darum, begabte und befähigte Mitglieder für den Predigtdienst auszuwählen, zu beauftragen und Richtlinien zu entwickeln. Gerade noch hatten die Täufer sich über alte Traditionen hinweggesetzt, nun hatten sie für die Bewahrung ihres eigenen Konzepts Sorge zu tragen wie beispielsweise das Bild der Gemeinde als geschwisterliche Gemeinschaft von Glaubenden oder die →Taufe von mündigen Gläubigen.

Dieser Prozess lässt sich gut ablesen an der Entwicklung der Predigtpraxis bei hutterischen Gemeinden: „Bei den nordamerikanischen Hutterern sind traditionell ausschließlich Lesepredigten üblich. Die Praxis der Lesepredigt hat in späteren Jahrhunderten offenbar die Funktion eines die Gemeinschaft stabilisierenden religiösen Rituals erlangt (…). Das Selbstverständnis der hutterischen Prediger hatte sich innerhalb der eineinhalb Jahrhunderte seit den Anfängen der Gemeinschaft grundlegend gewandelt. Die Entwicklung verlief vom Typus des charismatischen, apostolischen Führers über den geistbegabten Ausleger der Schrift hin zum fleißigen Bibelforscher und schließlich zum epigonenhaften Hüter der Tradition, der die Predigten seiner Amtsvorgänger als Lesepredigten wiederverwendete“ (Martin Rothkegel, Tobias Bersch über Matthäus 9,1–17, S.240 f.). Deswegen liegen eine Reihe schriftlicher Predigten von Hutterern vor, zum Teil in gedruckter Form. Wer zum Prediger gewählt wird, hat die Aufgabe, für sich selbst eine handschriftliche Kopie vorliegender Predigtbücher anzufertigen. Damit nähert er sich deren Inhalten, die Gleichmäßigkeit der Verkündigung wird gesichert. Das bedeutet Verzicht auf Verknüpfung biblischer Aussagen mit eigenen religiösen Einsichten, Erfahrungen oder gar Geschehnissen und Zuständen in der Gegenwart.

Auch andere Täufer sorgten dafür, dass ihre Gemeinschaft in der gelegten Spur blieb. Menno Simons „sammelte täuferische Gemeinden, die unter einer Ältestenoligarchie in gehorsamer Nachfolge Christi und Leidensbereitschaft mit Erwachsenentaufe und scharfer Kirchenzucht in scharfer Absonderung von der ‚Welt' die reine Gemeinde Christi darstellen wollten“ (Gottfried Seebass, Geschichte des Christentums III, 164). Der letzte der sogenannten Wismarer Artikel (1554), an deren Formulierung Menno Simons beteiligt war, „erörtert die Eignung derjenigen, die berufen werden, in der Gemeinde zu predigen und zu lehren“ (Karl Koop, →Gemeindeordnungen). Die von ihnen betreuten Gemeinden hatten in dieser Phase nicht die Möglichkeit, ihre Ältesten selbst zu wählen.

Das frühe Täufertum hatte auf charismatische Begabung für die Verkündigung vertraut; spätere Generationen sahen die Hauptaufgabe der Predigt im Ermahnen, Zurechtweisen, Disziplinieren und im Bewahren der eigenen Traditionen (vgl. Cornelius Dyck, The Role of Preaching, 23 f.). Theologische Ausbildung schien nicht nötig zu sein. In vielen Gemeinden blieb es dabei, andere führten eine Veränderung herbei. Simeon Friderich Rues schrieb nach einer Besuchsreise (1741) zu Doopsgezinden bzw. Mennoniten (und Remonstranten) in den Niederlanden in seinem Bericht (S. F. Rues, Aufrichtige Nachrichten, 122), dass weniger konservative Doopsgezinde bereits einen „Professor oder Hochlehrer“ angestellt hatten: 1735 richtete die Doopsgezinde Gemeinde Amsterdam ihr Seminar zur Ausbildung von Predigern ein (seit 1811 Ausbildungsstätte für Prediger aller niederländischen Gemeinden). Sie wollten Einfluss nehmen auf die theologische Bildung ihrer künftigen Prediger. In Kirchen dieser Gemeinden gab es bereits eine Kanzel: „Wenn der Gesang zu Ende, so macht der Prediger einen Voreingang, und ermahnet zum Gebethe, spricht auch mit erhabener Stimme ein ziemlich langwährendes Gebethe her, wie er es gut findet. Er list hernach seinen Text vor, gibt seiner Gemeine an, was er abhandeln will, und erfüllet sein Versprechen. Wenn die Abhandlung zu Ende ist, so ermahnet er die Gemeine, daß sie den Armen etwas mittheilen solle, und es gehen zween Diakonen mit Klingelsäken herum; der Prediger aber fährt fort und macht die Zueignung oder Nuzanwendung dessen, was er zuvor (…)gelehrt hatte (…) Hie und da pflegt der Prediger nach geendigtem (…) Gottesdienste (…) Unterricht in Fragen und Antworten der Jugend zu ertheilen, und legt disfalls die vorgegangene Predigt zum Grunde“ (S. F. Rues, Aufrichtige Nachrichten, 128 f.).

Die späteren Versuche in Deutschland (19. Jahrhundert), ein Predigerseminar oder eine Stelle für einen Hochschullehrer zu etablieren, sind gescheitert. Aus der 1950 von Mennoniten aus der Schweiz, Frankreich und Deutschland gegründeten Bibelschule in der Schweiz wurde gegen Ende des 20. Jahrhunderts das Ausbildungs- und Tagungszentrum →Bienenberg bei Basel mit einem Theologischen Seminar. Etliche dort ausgebildete Prediger bzw. Predigerinnen wurden von mennonitischen Gemeinden angestellt.

Im nordamerikanischen Mennonitentum gibt es mehrere Ausbildungsstätten für den pastoralen Dienst, wie z. B. das Associated Mennonite Biblical Seminary, Elkart, Indiana. Vereinzelt absolvierten Studierende aus Deutschland einen Teil ihres Studiums dort oder am Seminar in Amsterdam; der Studienabschluss in Amsterdam blieb seltene Ausnahme. Angestellte Predigerinnen und Prediger in Deutschland haben ein Studium an einer Universität (evangelische Theologie) oder an einem Theologischen Seminar anderer Konfession absolviert. Homiletik, Predigtlehre, gehört bei allen Ausbildungsstätten zum Pflichtprogramm. Die Laienpredigt war mit der Anstellung ausgebildeter Prediger in vielen Gemeinden zum Erliegen gekommen, andere Gemeinden vertrauen bis in die Gegenwart auf ihre nicht ausgebildeten Prediger. In etlichen Gemeinden mit angestellten Predigern sind theologische Laien am Predigtdienst beteiligt.

5. Predigt in mennonitischen Gemeinden heute: Charakteristisches

a) Die von mennonitischen Gemeinden mit der Predigt beauftragten Männer und Frauen (letztere zuerst 1911 in den Niederlanden) sind Mitglieder und stehen nicht über anderen. Gemeinde wird gesehen als geschwisterliche Gemeinschaft – ein anrührendes Bild, sofern die Umsetzung in der Praxis gelingt. Prediger hatten ein schweres Los inmitten der Brüder, schreibt Cornelius J. Dyck und zitiert Hans de Ries mit einer Klage aus dem Jahr 1627: „Wo bloß sollte eine christliche Gemeinschaft zu finden sein, die ihre Prediger noch weniger achtet als die Mennoniten, wo also sollten Prediger noch weniger Autorität und Einfluss haben?“ (Cornelius J. Dyck, The Role of Preaching, 24 f.). Das Problem verschärfte sich, seit Gemeinden als Arbeitgeber von Pastoren bzw. Pastorinnen fungieren. Als Arbeitnehmer sind diese wirtschaftlich abhängig, müssen Beurteilungen ihrer Qualifikation und Arbeitsleistung auch im Blick auf ihre Verkündigung hinnehmen; Hirten können von Schafen entlassen werden. Gleichwohl sind hauptamtliche Mitglieder im Predigtdienst beauftragt, das Evangelium zu verkünden, das mit Zuspruch und Anspruch klare Antworten ermöglicht und zumutet. In diesem Spannungsfeld kann es geschehen, dass die Kommunikation um die Gestalt der Nachfolge Christi angesichts von Vorwürfen und Vertrauensverlust gestört ist und deswegen Predigen und Hören misslingen. Predigen, Hören und Gespräche dazu können aber auch in souveräner Freiheit gelingen, getragen von Mut und Vertrauen.

b) Um zu erfassen, was für mennonitische Predigten charakteristisch ist, müssen veröffentlichte Predigten und in Archiven aufbewahrte Predigtmanuskripte gesichtet werden. Erste Predigtsammlungen erschienen in den Niederlanden im 17. Jahrhundert; Auflistungen findet man im Mennonitischen Lexikon ( Bd. 3) unter dem Stichwort Predigt-Bücher und Predigt- Sammlungen (Christian Neff), in An Annotated Bibliography of Published Mennonite Sermons (Harold S. Bender und Nelson D. Springer) sowie in Mennonite Encyclopedia (Bd. 4) unter dem Stichwort Sermons (Harold S. Bender). Seither wurden weitere Predigten gedruckt oder als Audio- bzw. Video-Botschaften zugänglich gemacht, seit Ende des 20. Jahrhunderts auch im Internet. Etliche Gemeinden stellen Predigten regelmäßig ins Netz, um Mitglieder, Freunde, Interessierte zu erreichen, die nicht an Gottesdiensten teilnehmen können (Beispiele für Audiodateien bei Anna Groff, The sermons heard round the world; Videos unter www.stoprestpray.org/Sermon_Videos; weitere Beispiele unter dem Suchbegriff Mennonite Sermons).

c) Systematische Untersuchungen mennonitischer Predigten haben nordamerikanische Autoren vorgelegt. Roy Umble referiert in seinem Aufsatz Characteristics of Mennonite Preaching (1953) Ergebnisse seiner Dissertation (1949). In den untersuchten Predigten aus dem Zeitraum 1864–1944 ging es Umble zufolge darum, Glauben und Leben der Individuen, der Gemeinde, der Kirche in Beziehung zu bringen mit der Erlösung und mit der Bergpredigt des Erlösers, was die Betonung von Wehrlosigkeit und Nonkonformität bedeutete. James H. Waltner fasste in seinem Artikel Preaching (1989) Ergebnisse weiterer Untersuchungen aus dem nordamerikanischen Mennonitentum zusammen: Charakteristisch für mennonitische Predigten ist demzufolge Orientierung an biblischen Texten, Ermahnung bzw. Ermutigung zur Nachfolge, Befähigung zu missionarischem Leben, Eintreten für soziale Gerechtigkeit. Zunehmend werde inklusive Sprache genutzt. Noch immer sei die Predigt in den meisten mennonitischen Gemeinden Zentrum des Gottesdienstes. Für die Verkündigung werden jedoch auch Lesungen, Dialoge, Dramen und andere Formen von Kunst eingesetzt.

Auch für den deutschen Sprachraum gilt, dass die Verkündigung vielgestaltig geworden ist; neben den genannten Formen wird im Gottesdienst einiger Gemeinden gelegentlich die Ausdruckskraft des Tanzes genutzt, z.B. bei der Darstellung biblischer Szenen. Auch die Methode „Bibliolog“ wird eingesetzt. Dabei kommt es in Gruppen zu einer intensiven Begegnung mit biblischen Texten durch zeitweilige Identifikation mit deren Gestalten und Austausch im Gespräch. Eine Sammlung narrativer Predigten erschien 2008 (Hans Adolf Hertzler, Bis der Pfarrer Amen sagte); in diesen unterschiedlich strukturierten Geschichten werden Leser in biblische Texte verwickelt, angeregt, ihre Lebensgestaltung zu überdenken und ermutigt, den Weg des Glaubens zu gehen.

Ebenso wie herkömmliche Predigten erfahren die genannten oder ähnliche Versuche, die Verkündigung vielseitig zu gestalten und Hörende zu erreichen, ein unterschiedliches Echo. Waltner beantwortet aufgrund eigener Untersuchungen die Frage, welche Charakteristika das Predigen für Hörer glaubwürdig machen: Er betont Rückbindung an die Schrift, Wirken des Heiligen Geistes, Bestätigung innerer Berufung des Predigers durch die Gemeinde und beispielhaftes Leben in der Nachfolge (James H. Waltner, Preaching, 1989).

Ciska Stark, Dozentin am Amsterdamer Doopsgezinde Seminar, schreibt in ihrem Aufsatz De vermaning: Doopsgezinde liturgie en lekenpreken (2011, 109), es sei für mennonitische Predigten charakteristisch, dass sie zu Taten anspornen: Darum verwenden Doopsgezinde für Predigt den Begriff vermaning. In Anlehnung an das Neue Testament können Predigten auch die Gestalt von Verkündigung, Unterweisung, Zeugnis annehmen, aber der Nachdruck liege bei Mennoniten auf Ermahnung. Ermahnung könne Ermutigung bedeuten und Warnung, Trost und Appell, Ermunterung und Konfrontation (120). In einer empathischen Analyse wird anschaulich, wie kraftvoll Laienpredigt sein kann (125 ff.).

d) In den Mennonitischen Geschichtsblättern erschienen seit 2005 mehrere Studien zu einzelnen Predigten in der Rubrik Predigten aus früherer Zeit. Sie zeigen, wie hilfreich eine detaillierte Geschichte mennonitischer Predigt im Kontext von Gottesdienst, Gemeinden, Mennonitischer Weltkonferenz wäre. Dann gäbe es begründete Antwort auf die Frage, wie typisch mennonitische Anliegen (Taufe von mündigen Christen, Verzicht auf Eid, Gewaltverzicht, Friedenszeugnis, Freikirche, Gemeindekonzept usw.) in Predigten zur Sprache gebracht und bei hörenden Gemeinden aufgenommen wurden. Zudem könnte man nachlesen, welchen Einfluss theologische Strömungen oder z. B. die →ökumenische Bewegung auf Predigt und Gemeindeentwicklung hatten. Man würde erfahren, in welcher Weise sich gesellschaftliche Verhältnisse, Politik, Wirtschaft, Medienkultur bei Gemeinden und ihren Predigern auswirkten; bereits vorliegende Untersuchungen zu einzelnen Predigten lassen für den Bereich der deutschen Gemeinden für die Zeit des Nationalsozialismus (Drittes Reich) zum Teil verstörende Resultate erwarten.

e) Die Hoffnung auf Sternstunden der Predigt (Christian Möller und Michael Heymel) begleitet die Gemeinden. Zur Vorbereitung nutzen Predigerinnen und Prediger Kommentare zu biblischen Büchern, theologische Fachbücher, Lehrbücher der Homiletik, Studien und Meditationen zu Predigttexten; die Literatur kommt meist aus anderen Kirchen der evangelischen Glaubensfamilie. Bei der Textwahl orientieren sich mennonitische Prediger und Predigerinnen in Deutschland oft an der Ordnung der Predigttexte (in Nordamerika laut Waltner am Common Lectionary).

Die deutschsprachige Homiletik (1939) des kanadischen, nach Herkunft russlanddeutschen Mennoniten (Brüdergemeinde) Johann G. Wiens wurde für Schüler der Bibelschule Pniel in Winkler (Manitoba) geschrieben, die trotz geringer schulischer Bildung befähigt werden sollten, „das Wort Gottes klar, verständlich und eindrucksvoll“ darzulegen; der Akzent liegt nicht auf charakteristisch täuferisch-mennonitischen Anliegen und Sichtweisen.

Die niederländischen Gemeinden nennen in ihrem Gottesdienstbuch De gemeente komt samen (1998) als täuferische Akzentuierungen beim Verständnis des sonntäglichen Gottesdienstes: Vorbereitung des alltäglichen Dienstes der Gemeindeglieder in der Welt, Gemeinde als Leib Christi, gemeinschaftliche Leitung. Im Doopsgezind werkboek liturgie (1988) wird Predigt als Teil, nicht als Höhepunkt des Gottesdienstes angesehen. In einer kurzen grundsätzlichen Darstellung (26–29) ist sie verknüpft mit christlicher Predigtgeschichte. Augustin (354–450 n. Chr.) umschrieb die Aufgabe des Predigens noch immer treffend mit den Worten „docere, delectare, flectere. Ut veritas pateat, placeat et moveat“ (unterweisen, erfreuen, überzeugen. Damit die Wahrheit offenbar werde, gefalle und bewege); Augustin griff in dieser Formulierung auf klassische Rhetorik zurück.

Am Seminar in Amsterdam wird in der Ausbildung der Studierenden derzeit ein nordamerikanisches Werkbuch für den Gottesdienst eingesetzt: Preparing Sunday Dinner. A Collaborative Approach to Worship and Preaching (2005). June Alliman Yoder, Marlene Kropf und Rebecca Slough, Dozentinnen am Associated Mennonite Biblical Seminary, nutzen die Metapher einer sonntäglichen Mahlzeit, um die „unglaublich komplexen Dienste von Gottesdienstleitung und Predigen“ (Preparing Sunday Dinner, 13) darzustellen und Anregungen für Reflexion und Praxis in Teams zu geben. Dazu gehört ein „Rezept zur Vorbereitung einer Predigt“ mit „Zutaten“ wie Ratschläge für den Vortrag. Von dem klar geschriebenen, vielseitigen, inspirierenden Werk können auch Prediger und Predigerinnen profitieren, deren theologische Vorstellungen sich nicht völlig mit denen der Autorinnen decken oder die anderen Kirchen angehören. An diesem Beispiel ist zu sehen, wie sich theologische Arbeit von Mennoniten, in Nordamerika seit dem 20. Jahrhundert in Gang, auf Gottesdienst und Predigt auswirkt. Folgen für deren Theorie zeigen sich z.B. in Veröffentlichungen von Allan Rudy-Froese. In The Preached Sermon as a Happening of the Gospel (2009) schreibt er: „Eine Predigt (…) ist keine wirkliche Predigt, bis sich im Moment des Predigens das Evangelium ereignet“ (8). Das maßgebliche Wort zur Charakterisierung des Predigtgeschehens heißt bei ihm: Gnade. Welche Predigt wahre Predigt ist, bleibt auch bei Mennoniten eine offene Frage.

Bibliografie (Auswahl)

Harold S. Bender und Nelson D. Springer, An Annotated Bibliography of Published Mennonite Sermons, Mennonite Quarterly Review 1977, 1953, 143 -157. - Albrecht Beutel, Art. Predigt, II. Geschichte der Predigt, in: Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., VI. Bd., Tübingen 2003, s. v. Predigt, 1585–1591. - J. Lawrence Burkholder, Nachfolge in täuferischer Sicht, in: Hershberger, Guy F., Hg., Das Täufertum. Erbe und Verpflichtung, Stuttgart 1963, 131–145. - Karl-Fritz Daiber, Predigt als religiöse Rede. Homiletische Überlegungen im Anschluss an eine empirische Untersuchung (Predigen und Hören, Bd. 3), mit Exkursen von Wolfgang Lukatis, Peter Ohnesorg, Beate Stierle, München 1991. - Cornelius J. Dyck, The Role of Preaching in Anabaptist Tradition, in: Mennonite Life, Jg. 1, 1962, 21–26. - Heinold Fast, Reformation durch Provokation. Predigtstörungen in den ersten Jahren der Reformation in der Schweiz, in: Hans-Jürgen. 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Hans Adolf Hertzler

 
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