Amt

Zum Begriff des „Amtes“ findet sich im 1. Band des Mennonitischen Lexikons (1913) nur ein Eintrag zum „obrigkeitlichen Amt“ und zur Frage, ob es Mennoniten erlaubt sei, ein solches Amt zu übernehmen. Über das Amt in der christlichen Gemeinde informieren andere Stichwörter: Berufung zum Predigtamt, Priesterweihe, Predigerausbildung, Allgemeines Priestertum und Diener am Wort bzw. Diener der Notdurft. Einen ähnlichen Eindruck vermittelt die Mennonite Encyclopedia. Das zeigt, dass im Mennonitentum der Bedeutungsakzent mehr auf „Dienst“ als auf „Amt“ in der Übersetzung des neutestamentlichen Begriffs „Diakonia“ (griech.) oder „Ministerium“ (lat.) liegt und dass die Diskussion um das Verständnis des geistlichen „Amts“ in den Mennonitengemeinden neu ist. Die Vertreter der Mennonitengemeinden sind in ihren ökumenischen Begegnungen mit Vertretern anderer Kirchen angeregt worden, sich an den Gesprächen über das Amt in der Kirche zu beteiligen und gemeinsam Konsequenzen daraus zu ziehen, dass die Alternative „Amt oder Dienst“, die für den Gegensatz zwischen Staats- und Freikirche charakteristisch war, sich inzwischen zwar nicht aufgelöst, aber ihre kirchentrennende Schärfe eingebüßt hat.

1. Neutestamentliche Impulse und altkirchliche Entwicklung

Die Verständigung über die Führung und Betreuung der Gemeinde orientiert sich unter den Mennoniten an biblischen Hinweisen in der Apostelgeschichte und den paulinischen Briefen. Dort wird auf unterschiedliche Weise umschrieben, was heute unter Amt verstanden wird. Dabei wird nicht eigentlich auf den gesellschaftlichen Stand und die Würde des Amtsträgers reflektiert, sondern mehr auf die Funktionen, die von Gemeindegliedern wahrgenommen werden, um der Gemeinde zu dienen und sie zu erhalten.

Mennoniten berufen sich häufig auf Apg. 1, 21 – 26 (Wahl des Matthäus als zwölften Jünger) und Apg. 6, 2–6 (Wahl der Diakone), da hier die doppelte Berufung besonders zur Geltung kommt: Berufen durch Gott und gewählt durch die Gemeinde (vgl. Art. Berufung zum Predigtamt im Mennonitischen Lexikon, Bd. 1, 198). Eine besondere Rolle spielt auch die theologische Argumentation des Paulus, der in Auseinandersetzung mit charismatischen Wanderpredigern 2. Kor. 11,5 eine „Theologie der Dienste“ entwickelt hat. Durch die Taufe findet nach Paulus (Röm. 6) ein grundlegender Wandel im Beziehungsverhältnis des Christen statt: Er bezieht sich nicht mehr auf die „Welt“, sondern auf Gott. Daraus folgen verschiedene Geistbegabungen (Charismen). Die erste und größte Gnadengabe ist die des ewigen Lebens, das Gott in Jesus Christus schenkt (Röm. 6, 23). Erstlingsgabe des ewigen Lebens ist der Heilige Geist (Röm. 8, 23), den jeder Christ und jede Christin bei der Taufe erhält (1. Kor. 12,13). Allerdings darf die Übertragung des Geistes bei der Taufe nicht als Besitz des Getauften betrachtet werden, sie muss vielmehr als Inbesitznahme des Getauften durch den Heiligen Geist angesehen werden (Ernst Käsemann, Amt und Gemeinde, bes. 111). Damit wird eine Geistesgabe immer auch zur Aufgabe. Die Getauften werden dem Leib Christi eingegliedert und erhalten dadurch ihre Aufgaben. „Ihr seid nun der Leib Christi, einzeln genommen dessen Glieder“ (1. Kor. 12, 27). Mit der Lehre von den Geistesgnadengaben und dem Bild vom Leib beschreibt Paulus das Verhältnis der Dienste und damit der Ämter innerhalb der Gemeinde. Hier setzt auch das den Mennoniten so wichtige Prinzip vom →Priestertum aller Gläubigen oder vom allgemeinen Priestertum an (vgl. John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi, 93–112). Es gibt also noch keine Distanz von Amtsträgern zur Gemeinde, obwohl sich eine solche bereits in den letzten Paulusbriefen andeutet. So führt Paulus im Philipperbrief die „Episkopoi“ und die „Diakonoi“ an exponierter Stelle auf (Phil. 1, 1).

Diese Entwicklung setzt sich in der nachpaulinischen und nachbiblischen Zeit des 2. Jahrhunderts n. Chr. fort. Durch den Rückgang der sog. Naherwartung, also der „Wiederkehr des Herrn“, und der Trennung von den jüdisch-kultischen Einrichtungen wird die junge christliche Gemeinde langsam selbstständig und gibt sich festere Strukturen in der Gestaltung der Gemeinde. Die Betonung der Abendmahlsfeier als Zentrum des Gottesdienstes und die Übertragung der Verantwortung in der Gemeinde auf Amtspersonen, besonders auf den Bischof, sind die Folge. Zum ersten Mal taucht der Gedanke der Sukzession auf, d. h. der Übertragung der Amtsautorität durch Handauflegung von einem Bischof auf den anderen zurück bis auf Petrus und damit Jesus Christus (Übertragung der Schlüsselgewalt: vgl. Brief des Bischofs Clemens von Rom an die Gemeinde in Korinth etwa 96 n. Chr., zit. in Klaus Berger und Christiane Nord, Neues Testament und frühchristliche Schriften, 686 – 737, bes. Kap. 42, 710 ff). Auf dem Konzil zu Chalcedon (451 n. Chr.) wurde die Gemeinde vom Mitspracherecht bei der Pfarrerwahl ausgeschlossen. Im 12. Jahrhundert wurde die Trennung zwischen Klerikern und Laien festgeschrieben (Corpus Iuris Canonici: c. 12, q. 1, c. 7) und auf dem Konzil von Trient 1543 (Sessio XXII c. 4) jegliche Mitwirkung der Laien bei der Berufung und Bestellung zum geistlichen Amt beseitigt (s. Enchiridion Symbolorum, 1965).

2. Veränderungen des Amtsverständnisses im Aufbruch der Reformation

Seit dem ausgehenden Mittelalter verschärfte sich der Gegensatz zwischen Klerus und Laien, und es entstanden antiklerikale Reformbewegungen, die nicht bereit waren, dem Klerus die Sorge um das Heil allein anzuvertrauen. Predigten wurden unterbrochen, Messgottesdienste gestört, Bilder in den Kirchen gestürmt und Priester, Mönche und Nonnen gelegentlich beschimpft und tätlich angegriffen. Der Papst wurde kritisiert und die Kurie in Rom verspottet. Bald machte sich eine antiklerikale Atmosphäre breit, in der sich das Engagement der Laien für ihr eigenes Heil nicht verringerte, sondern erhöhte. Noch wurde die Hoffnung auf eine Reform des Klerus nicht aufgegeben. Erst mit der Losung vom Priestertum aller Gläubigen, wie Martin →Luther sie in seiner berühmten Reformschrift An den christlichen Adel deutscher Nation (1520) formulierte, verschärfte sich dieser Antiklerikalismus und führte dazu, den Klerus als den ersten Stand in der mittelalterlichen Gesellschafts- und Herrschaftspyramide ganz abzuschaffen (→Antiklerikalismus). Jetzt wurde Kirche nicht mehr über den Klerus definiert, sondern über die Gemeinschaft der Gläubigen. „Denn alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und ist unter ihnen kein Unterschied, denn allein des Amts halber (…). Wir haben wohl alle diese Gewalt; aber niemand soll sich vermessen, dieselbige öffentlich zu üben, denn der, der dazu durch die Gemeinde gewählt ist: „Den was gemeyne ist / mag niemandt on (= ohne) der gemeyne willen und befehle an sich nehmen.“ (Martin Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation, in: Luthers Werke, Bd. 1, 367). Daraus folgt, dass alle Getauften alle Aufgaben in der Kirche übernehmen können, allerdings nicht auf ungeordnete Weise, sondern nur, wenn sie von der Gemeinde dazu beauftragt wurden. Nun ist es nicht mehr der Stand, der zur Übernahme eines Amtes qualifiziert, sondern die Gemeinde, die dazu den Auftrag erteilt. Bald wird es in den lutherischen Kirchen nicht mehr die Gemeinde sein, sondern der jeweilige Landesherr. War es eine besondere sakramentale Weihe, die den Priester aus dem Kirchenvolk heraushob, wird es jetzt die Anordnung des weltlichen Herrschers, die den Amtsträger mit obrigkeitlichem Nimbus versieht („Amtsperson“) und ihn der Gemeinde vorsetzt. Dadurch wurde die Tendenz, das Leben der Kirche vom Priestertum aller Gläubigen her egalitär zu organisieren, wieder eingeschränkt und der antiklerikale Entstehungsimpuls reformatorischer Bewegungen um seine Wirkung gebracht.

3. Dienst und Amt im Täufertum

Im antiklerikalen Reformmilieu entstanden auch die Gemeinden der →Täufer, und in diesen Gemeinden, die sich dem obrigkeitlichen Einfluss entzogen hatten, konnten sich antiklerikale Impulse zu einer egalitär organisierten Leitung der Gemeinden entwickeln.

Um im Gottesdienst zu singen und zu beten, sich zur Auslegung der Heiligen Schrift zu äußern, einander zu ermahnen, zu trösten, um zu weissagen und einander zu helfen, bedarf es keines Auftrags durch die Gemeinde. Beauftragt werden von ihr dagegen diejenigen, die den Gottesdienst leiten, aus der Heiligen Schrift vorlesen („Leser“, „Diener am Wort“), sie auslegen oder sie in Mahn- und Trostrede auf die Gemeindeglieder beziehen, die Taufe vollziehen und das Abendmahl austeilen. Sie werden im Täufertum nicht eigentlich mit einem „Amt“ beauftragt, sondern zum „Dienst“ berufen. Sie werden nicht beauftragt, um die Heilige Schrift in monologisierender Predigt autoritär auszulegen, sondern um dafür zu sorgen, dass jedes Gemeindeglied die Gelegenheit erhält, sich aktiv am Gottesdienst mit seinen jeweiligen Gaben zu beteiligen, und die Gemeinde sich mit ihrer gesamten Existenz als „Vorgeschmack“ des Reiches Gottes in dieser Welt präsentiert. Die Gemeinde ist als Leib Christi „die Welt auf dem Weg zu ihrer Erneuerung“ (John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi, 137). Leitbild für die Personen, denen ein Auftrag von der Gemeinde erteilt wird, ist der „Hirte“, der seiner Herde vorangeht, sie weidet und immer wieder zu frischem Wasser führt (Ps. 23), nicht der „Herr“ und nicht „Hochwürden“ (Vgl. Hans-Jürgen Goertz, Die Täufer, 51–55).

(1) In der Schweiz und in Oberdeutschland

Die Beteiligung aller Getauften an den Vorgängen der Gemeinde Jesu Christi führte in der Frage des Auftrags zur Führung der Gemeinde im nördlichen und im südlichen Verbreitungsgebiet der Täufer zu unterschiedlichen Folgen.

In der Schweiz und in Oberdeutschland wirkte sich der biblisch-reformatorische Gedanke vom Priestertum aller Gläubigen sowohl auf einzelne als auch auf die Gemeinschaft aus. Zum einen fühlten sich viele berufen zu predigen. Von Jörg Cajakob, genannt Blaurock, wird berichtet, dass er einem Pfarrer die Kanzel mit der Begründung streitig machte: „Nicht du bist, sondern ich bin gesandt zu predigen“ (Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 1, 39). Zum anderen bedeutete die neu erlangte Verantwortung, dass die Gemeinden sich das Recht zur Wahl des Pfarrers herausnahmen. So wählte das Dorf Wittikon Wilhelm →Reublin, einen späteren Täufer, zu ihrem Pfarrer. Eng verbunden war dieses Priestertum aller Gläubigen im Süden sowohl mit der genossenschaftlichen Bewegung auf dem Land (Kommunalismus, →Bauernkrieg) als auch mit dem bürgerlichen Aufbegehren in den Städten (→Gemeindereformation in der Stadt und auf dem Land). Daher war auch die Stellung der Gemeinde gegenüber ihren gewählten Geistlichen stark aufgewertet worden, was besonders in manchen Gruppen der Täuferbewegung zum Ausdruck kam. Deutlich zeigt sich das im 5. Artikel der Brüderlichen Vereinigung von Schleitheim (1527), der vom Hirtenamt handelt (Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 2, 31). Der Hirte nimmt keine Sonderstellung ein und soll keine neue Herrschaft aufrichten können. Deshalb unterliegt er genauso dem Bann durch die Gemeinde, wie alle anderen Gemeindeglieder. Dass dies nicht nur Theorie war, zeigt das Beispiel Martin Wenigers, der von seiner Gemeinde ausgeschlossen wurde (Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 1, 145). Diese starke Betonung der Gemeindeautorität führte gelegentlich zu gravierenden Führungsproblemen. So schrieb Pilgram →Marpeck 1542 an die so genannten Schweizer Brüder, dass unter ihnen fast wenige Vorsteher seien, weil sie von ihnen und ihren Versammlungen ausgestoßen seien. Solches finde Marpeck in der christlichen Kirche nirgends, dass einer, der den Heiligen Geist zum Apostel- oder Bischofsamt einmal empfangen hat, von der Gemeinde ausgeschlossen wurde (vgl. Briefe und Schriften der Täufer, „Kunstbuch“, 235).

(2) In Niederdeutschland und den Niederlanden

Die Täuferbewegung in Niederdeutschland und in den Niederlanden wurde von Melchior →Hoffman, einem Kürschner aus Schwäbisch Hall, angestoßen und geprägt. Er war in Straßburg mit einem auf die Endzeit ausgerichteten Täufertum in Berührung gekommen und trug diese endzeitliche Orientierung in den Norden. Zwar wirkt sich auch hier das antiklerikal geprägte „Priestertum aller Gläubigen“ deutlich aus. Aber schon unter der Führung Hoffmans entwickelt sich eine merkwürdige Diskrepanz zwischen der Gemeinschaft der Gläubigen und der aus der Apokalyptik hergeleiteten Autorität der „apostolischen Sendboten“. Nur letztere sind inspiriert und im Vollbesitz der Wahrheit. Diese Unterscheidung sollte sich später auch auf die Mennoniten in den Niederlanden besonders nachhaltig auswirken. So entstand hier eine so genannte „Ältestenoligarchie“ (wenige herrschen). Die Ältesten nahmen die Geschicke der Gemeinden in die Hände. Sie allein hatten das Recht, nicht nur zu taufen und das Abendmahl auszuteilen, sondern auch Gemeindeglieder (oder ihre Ältestenkollegen) zu bannen und Älteste zu wählen. Das führte letztlich zu einer Entmündigung der Gemeinden. Sie war an der Ordination der Ältesten nur noch durch das Gebet der Fürbitte beteiligt. Das Priestertum aller Gläubigen verkümmerte schon unter Menno →Simons zur Verpflichtung der Einzelnen, ein heiliges Leben zu führen.

Insgesamt wird in der Täuferbewegung eine Tendenz sichtbar: Zu Beginn wird die Unabhängigkeit gegenüber den etablierten Institutionen und der offiziellen Kirche dadurch erreicht, dass das „Priestertum aller Gläubigen“ im Sinne des Mitsprache- und Ausführungsrechtes betont wird. Mit der organisatorischen Loslösung und der folgenden Eigenständigkeit der Gemeinden beginnt dann aber eine Phase der Sicherung nach innen und nach außen, in deren Folge Ämter gefestigt und Berufungs- bzw. Einsetzungszeremonien eingeführt werden. Besonders deutlich tritt diese Tendenz schon recht früh auch auf den Bruderhöfen der Hutterer (→Hutterische Bruderhöfe) in Mähren in Erscheinung.

4. Entwicklungen in Süd- und Norddeutschland

Die eher ländlich geprägten Gemeinden des Verbandes im heutigen Bayern und Baden-Württemberg haben bereits im 19. Jahrhundert einen regen Austausch von Ältesten und Predigern organisiert, die die Gemeinden und Einzelhöfe der Mennoniten besuchten. Die erst ehrenamtlichen und im 20. Jahrhundert dann auch hauptamtlich angestellten Reiseprediger blieben oft eine Woche in der Gemeinde, hielten Bußpredigten und luden die Gemeinde meist eine Woche später zum versöhnenden Abendmahl ein. Sie waren eingesetzte Älteste, denen allein die Verwaltung der Bundeszeichen (Taufe und Abendmahl) vorbehalten war. Ihnen war aufgetragen, die Jugend zu unterrichten und nicht selten auch Trauungen zu vollziehen. Oft waren sie auch Vermittler unter den Mitgliedern verschiedener Gemeinden und sorgten für den Zusammenhalt der Mennoniten in der Region. Die Autorität der Führung ging allerdings von der versammelten Gemeinde, oftmals auch von einzelnen starken Persönlichkeiten in den Gemeinden aus (vgl. Peter Foth, „Gemeinde“, 75 f.). Die Prediger im Ältestenamt waren lediglich für die außerordentlichen Dienste zuständig und reisten von Ort zu Ort weiter.

In den traditionellen mennonitischen Stadtgemeinden, die bereits im 16. Jahrhundert und frühen 17. Jahrhundert im Norden entstanden waren, wirkte das Prinzip der Ältestenoligarchie auch bei den Predigern fort. Wichtige Persönlichkeiten prägten die Gemeinden. Durch die enge Beziehung der großen Stadtgemeinden zu den Niederlanden wurden auch bald die Möglichkeiten der Ausbildung am Amsterdamer Seminar der Mennoniten (Doopsgezinde) genutzt. So stellten norddeutsche und Pfälzer Mennonitengemeinden bereits seit dem 19. Jahrhundert Pastoren hauptamtlich ein. Diese blieben oft Jahrzehnte lang in den Gemeinden und prägten das Frömmigkeitsleben der Gemeindeglieder. 1886 schlossen sich norddeutsche Stadt- und westpreußische und pfälzische Landgemeinden zur →Vereinigung der Mennoniten im Deutschen Reich, später umbenannt in Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden K. d. ö. R. (VDM) zusammen, um vor allem die gemeinsame Ausbildung der Pastoren zu ermöglichen. Es sollte ein Dozent in Berlin angestellt werden. Dies blieb allerdings nur ein Plan und beschränkte sich über viele Jahrzehnte auf die Begleitung von Theologiestudierenden (vgl. Heinold Fast, Zweckverband oder Glaubensgemeinschaft?, 21). Ein weiteres Ergebnis dieser Bemühungen war zunächst auch die Gründung der mennonitischen Internatsschule auf dem Weierhof (Pfalz).

Heute gibt es für die Ausbildung mennonitischer Pastorinnen und Pastoren die Möglichkeit, an der Universität evangelische Theologie zu studieren und darüber hinaus das Studium an mennonitischen Seminaren in Nordamerika oder den Niederlanden fortzusetzen. Seit 2006 wurde an der Universität in Hamburg eine „→Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen“ eingerichtet, an der auch mennonitische Studierende die Möglichkeit nutzen, sich in die Friedenstheologie einführen zu lassen. Viele, besonders in den süddeutschen Gemeinden später tätige Pastorinnen, Pastoren und Gemeindemitarbeitende besuchen das Täuferisch-Theologische Seminar auf dem →Bienenberg (Liestal/Schweiz).

5. Veränderungen im Amtsverständnis

In den letzten Jahren hat sich das Verständnis vom Amt auf verschiedene Weise verändert. Waren es früher die ins Amt durch Los oder Wahl gekommenen Personen (zur Wahl und zum Losverfahren vgl. z. B. den Leitfaden der Gesammt=Mennoniten=Gemeine in Baden, 99 – 117), von denen man etwas Besonderes erwartete und die auch etwas Besonderes darstellten, so ist heute sowohl vom Selbstverständnis der Amtsinhaber als auch aus der Sicht der Gemeinde ein Wandel feststellbar: weg vom Berufenen (oft „vom Ackerpflug auf die Kanzel“) hin zum theologisch ausgebildeten Angestellten. Dies ist allerdings kein typisch mennonitisches Phänomen, sondern eher eine gesellschaftliche und überkonfessionelle Entwicklung, auch in den anderen Kirchen der Reformation und Freikirchen in Westeuropa. Früher hielten viele ländliche Gemeinden nichts von „studierten“ Theologen. Das hat sich gewandelt. Heute legen die Gemeinden der AMG (→Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland K. d. ö. R.) auf eine solide Ausbildung wert, sei es auf der Bibelschule, dem Theologischen Seminar oder der Universität. Auch wird der Begriff Pastor bzw. Pastorin heute in den AMG Gemeinden häufig benutzt – ungeachtet der universitären Ausbildung. So wird versucht, die eigene Aufgabe und den Gemeindeauftrag vor allem in der Öffentlichkeit und in Gremien ökumenischer Zusammenarbeit deutlich zu machen. Umgekehrt haben Gemeinden, die bisher von einer stark auf den Pastor ausgerichteten Tradition geprägt waren, mittlerweile wieder ehrenamtliche Prediger und Predigerinnen und die gemeinschaftliche Leitung einer Gemeinde in den Blick genommen. In vielen Gemeinden gibt es neben der Gemeindeleitung als Kirchenrat, Konsistorium oder Gemeindevorstand für den geistlichen Dienst verantwortliche Personen als Älteste, Kreis der Predigenden oder Leitungskreis (zum Leitungskreis, der eher in süddeutschen Mennonitengemeinden üblich ist, vgl. Tim Geddert, Gemeinde Jesu – ein königliches Priestertum, 3 f). Diese Personen werden zu ihrem Dienst oft in einem Segensgottesdienst offiziell beauftragt (vgl. z. B. Segnungshandlungen im Leitfaden des Verbandes der deutschen Mennonitengemeinden).

6. Frauen im Amt

Die erste mennonitische Frau, die zum Predigtdienst ordiniert wurde, war Anne →Zernike (1887 – 1972) in den Niederlanden. Sie wurde 1911 in ihr Amt als Pastorin eingeführt. Ab 1906 konnten sich auch weibliche Studenten im Amsterdamer Doopsgezinde Seminar einschreiben. In Deutschland begann der Einstieg von Frauen in Leitungsfunktionen der Mennonitengemeinden erst mit der Wahl des ehrenamtlichen Mitglieds Ruthild Foth in den Vorstand der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden 1973 (vgl. Frauen in der VDM, 37 f). Hauptamtliche Frauen, die für Kinder- und Jugendarbeit und damit auch für Kindergottesdienste und Jugendgottesdienste zuständig waren, wurden bereits etliche Jahre vorher beauftragt, und in Notzeiten waren es oft Frauen, die die Gemeinde „am Laufen hielten“, z. B. wenn die Männer im Krieg oder erkrankt waren. Die erste gewählte und eingesegnete ehrenamtliche Predigerin in Deutschland war Ruth Wedel. Sie wurde 1977 in den Dienst der Gemeinde Hamburg berufen und 1984 als ehrenamtliche Älteste in die Gemeinde Kiel eingeführt. 1981 wurde die erste Pfarrerin, Dorothea Ruthsatz, in den hauptamtlichen Dienst der Mennonitengemeinde in Krefeld berufen. Mittlerweile bewerben sich Männer wie Frauen auf frei werdende Pfarrer-, Pastorinnen bzw. Gemeindeleitungsstellen im Bereich der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden (AMG).

7. Die Frage des Amtes in ökumenischen Gesprächen

Neben Taufe und Abendmahl ist auch die Frage nach dem Amtsverständnis in zahlreichen ökumenischen Gesprächen auf multi- und bilateraler Ebene beraten worden (→Ökumenische Bewegung, →Bilaterale Konfessionsgespräche). Wichtig wurden der sog. Accra-Text, den die Kommission für Glauben- und Kirchenverfassung (ÖRK) den Kirchen unter dem Titel Eine Taufe, eine Eucharistie, ein Amt (1974) und die Konvergenzerklärung von Lima (1982) zur Stellungnahme vorgelegte. Außerdem wurde das sogenannte Ämtermemorandum Reform und Anerkennung kirchlicher Ämter (1973) der Ökumenischen Universitätsinstitute in Deutschland diskutiert. Daneben ist die Frage des Amts in verschiedenen bilateralen Konfessionsgesprächen erörtert worden. Die Mennoniten waren in diese Gespräche teilweise einbezogen worden. An drei Beispielen wird die Reaktion der Mennonitengemeinden auf die Gesprächsergebnisse kurz angedeutet:

(1) Mennonitische Antwort auf die Lima-Erklärung

1982 hat die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) eine Konvergenzerklärung zu den Themen Taufe, Eucharistie (Abendmahl) und Amt vorbereitet, in Lima (Peru) verabschiedet und die Mitgliedskirchen um Stellungnahmen dazu gebeten. Die Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden hat eine vorläufige „deutlich kritische“ Stellungnahme in der mennonitischen Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt und an den ÖRK weitergeleitet (vgl. VDM, Stellungnahme, 1985). Schon im Vorgehen zeigt sich der Unterschied im verschiedenen Verständnis von Amt. Die Lima Erklärung soll nach Wunsch des ÖRK „auf der höchsten hierfür zuständigen Ebene der Autorität“ bearbeitet werden, doch die „Vorstellung einer höchsten Autorität kennen wir in unseren Gemeinden nicht“, heißt es in der mennonitischen Stellungnahme. Daher müssen theologische Texte, wie der vorliegende vor allem auf Gemeindeebene besprochen werden. Was das Amt angeht, so legt die mennonitische Stellungnahme sehr viel Wert darauf, das Amtsverständnis nicht auf die kirchliche Tradition, sondern auf das Evangelium zu gründen, das Jesus Christus bezeugt. Weiter weist die mennonitische Stellungnahme darauf hin, dass das „ordinierte Amt“ gegenüber der „Berufung des ganzen Volkes Gottes“ zum Dienst in Kirche und Welt überbetont worden sei. Andererseits müssen die Mennoniten sich auch die Frage stellen lassen, ob die Unabhängigkeit der Evangeliumsverkündigung gegenüber der Gemeinde gewahrt ist, wenn sie den Konsens über das Verständnis des Evangeliums höher bewertet als die verkündigende Auslegung der Predigenden, Theologen und Theologinnen. Erhellende Beiträge zu der Spannung von Priestertum aller Gläubigen und autorisierte Leitung kommen auch aus USA und Kanada (vgl. das Themenheft der Halbjahreszeitschrift Vision: Power and Leadership, Herbst 2004).

(2) Mennonitisch-Lutherischer Dialog in Deutschland Ausgelöst durch die Feierlichkeiten zum 450jährigen Jubiläum der Confessio Augustana (1530) wurde ein Dialog zwischen Mennoniten und Lutheranern angeregt, der in den Jahren 1989 bis 1993 grundsätzlich zur Einigung in der Frage des Amtsverständnisses geführt hat, so dass auch einer gegenseitigen Einladung zu Gottesdienst und Abendmahl nichts im Wege steht (vgl. Fernando Enns (Hg.), Heilung der Erinnerungen, 168, →Bilaterale Konfessionsgespräche).

(3) Studie des ÖRK „Wesen und Auftrag der Kirche“ (Genf 2005) und Antwort der VDM

In der Stellungnahme der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden zur Studie des ÖRK Wesen und Auftrag der Kirche (Genf 2005, deutsch 2006) unterstreichen die Mennoniten der VDM ihr Einverständnis über die Art und Weise wie Themen des Glaubens und der Kirchen- bzw. Gemeindeverfassung dargestellt wurden: Was eint, wird konvergent vorangestellt, was noch trennt, wird ehrlich divergent in einem Kasten angefügt. Anders als noch im Lima-Papier sehen jetzt auch die Mennoniten ihre Glaubensauffassungen vielfach berücksichtigt. Zum Thema Amt und Dienst sehen sie besonders den Ansatz vom Priestertums aller Gläubigen und damit ihr Gemeindeverständnis ausreichend dargestellt (Studie, Kap. D. Der allgemeine Dienst aller Gläubigen, Absätze 82 – 85), ebenso unterstützen sie die Darstellung in Kap. E: Der besondere Dienst der Ordinierten in der Gemeinschaft der Gläubigen (Absätze 86 – 89): „Denn auch wir wählen und beauftragen Menschen zu bestimmten Diensten in der Gemeinde, um dadurch Dienste zu ordnen und auch um Kontinuität zu wahren. Allerdings nennen wir dies meistens nicht Ordination, sondern eher Einsetzung, Beauftragung oder verwenden ähnliche Begriffe. Beauftragte zu besonderen Diensten bleiben gleichrangig mit allen anderen Geschwistern. Entscheidungsträgerin ist bei uns die versammelte Gemeinde“ (vgl. Stellungnahme der VDM zu Kap. E: Abs. 86 – 89).

Insgesamt hat sich in den ökumenischen Beratungen gezeigt, dass der Dienstcharakter des geistlichen Amtes in allen Kirchen inzwischen mehr als früher zur Geltung gebracht wird: Das Amt lässt sich nur als Dienst des ganzen Gottesvolkes verstehen, andererseits steht es mit einem besonderen Auftrag der einzelnen Gemeinde gegenüber (s. G. Vischer, Art. Amt., Sp. 2).

Bibliografie (Auswahl)

Quellen

Clemens von Rom, Erster Klemensbrief 75 n. Chr. In: Das Neues Testament und frühchristliche Schriften, übersetzt und kommentiert von Klaus Berger und Christiane Nord, Frankfurt a. M. und Leipzig 2005, 686 – 737. - Briefe und Schriften oberdeutscher Täufer 1527 – 1555. Das „Kunstbuch“ des Jörg Probst Rotenfelder gen. Maler, hg. von Heinold Fast und Gottfried Seebaß, bearb. von Martin Rothkegel, Quellen zur Geschichte der Täufer, XVII. Bd. 17, Gütersloh 2007. - Das lutherische-mennonitische Gespräch in der Bundesrepublik Deutschland, 1989 – 1992, in: Fernando Enns (Hg.) Heilung der Erinnerungen – befreit zur gemeinsamen Zukunft, Mennoniten im Dialog, Berichte und Texte ökumenischer Gespräche auf nationaler und internationaler Ebene, Frankfurt a. M. 2008, 151 – 181. - Enchiridion Symbolorum. Definitionum et Declarationum de Rebus Fidei et Morum, hg. von Henricus Denzinger und Adolfus Schönmetzer, 34. Aufl., Freiburg i. Br. 1965. - Martin Luther, An den christlichen Adel deutscher Nation (1520), in: Luthers Werke, hg. von Otto Clemen, 5. Aufl., Berlin 1959, Bd. 1, 362 – 425. - Leitfaden zum Gebrauch bei gottesdienstlichen Handlungen zunächst für die Aeltesten und Prediger der Gesammt=Mennoniten=Gemeine in Baden und anderer mit ihr verbundenen Gemeinen, Sinsheim, 1876, Leitfaden des Verbandes der deutschen Mennonitengemeinden (aktuelle Version: http://mennonitisch.de/leitfaden.html). - Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 1: Zürich, hg. von Leonhard von Muralt und Walter Schmid, Zürich 1952. - Quellen zur Geschichte der Täufer in der Schweiz, Bd. 2, Ostschweiz, hg. von Heinold Fast, Zürich 1973. - Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden, Stellungnahme zu den Konvergenzerklärungen über Taufe, Eucharistie und Amt der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung des Ökumenischen Rates der Kirchen, Lima 1982, Beilage zu: Die Brücke 2, 1985. – Studie des Ökumenischen Rates der Kirchen: „Wesen und Auftrag der Kirche“, Genf 2005: http://www.oikoumene.org/fileadmin/files/wcc-main/documents/p2/FO2005_198_ge.pdf. - Briefliche Stellungnahme der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden zur Studie des ÖRK „Wesen und Auftrag der Kirche“ (bisher unveröffentlicht).

Literatur

Heinold Fast, Zweckverband oder Glaubensgemeinschaft Entstehungsgeschichte von Vereinigung und Konferenz in Mennonitisches Jahrbuch 1986, 17 – 22. - Peter Foth, Gemeinde, in: Mennonitische Blätter 6, 1977, 75 f. - Tim Geddert, Gemeinde – ein königliches Priestertum. Gemeindeleitungsverständnis. Vortrag bei den VdM Impulstagen 2009, 1 – 4: http://mennonitisch.de/fileadmin/downloads/Impulstage2009. - Tim Geddert Vortrag Gemeinde_Jesu-ein königliches Priestertum.pdf – Hans-Jürgen Goertz, Die Täufer. Geschichte und Deutung, 2. Aufl., München 1988. - Ernst Käsemann, Amt und Gemeinde im Neuen Testament, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. 1, Göttingen, 1960, 109 – 134. - Ders. Paulus und der Frühkatholizismus“, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen Bd. 2, Göttingen 1964, 239 – 252. - Power and leadership, Themenheft von: Vision, A Journal for Church and Theology, Elkhart, Ind., und Winnipeg, Man., 2004. - Bernhard Thiessen und Corinna Schmidt, Frauen in der VDM, in: Auf dem Weg – 125 Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden, VDM, o. O. 2011, 37 f. - Georg Vischer Art. Amt., in: Ökumene Lexikon. Kirche, Religionen, Bewegungen, Frankfurt a. Main 1983, Sp. 50–54. - John Howard Yoder, Die Politik des Leibes Christi. Als Gemeinde zeichenhaft leben, Schwarzenfeld 2011.

Bernhard Thiessen

 
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