Landwirtschaft

1. Nicht von Anfang an in der Landwirtschaft verwurzelt

Neuere religionssoziologische, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Forschungen haben die weithin kolportierte Ansicht revidiert, dass das Täufer- und Mennonitentum (→Täufer,→Mennoniten) von Grund auf in bäuerlichen Lebensbereichen verwurzelt gewesen seien. Bereits in seinem vielbeachteten „soziologischen Bericht“ über das schweizerische Täufertum stellte Corell 1925 fest, dass die überwiegende Mehrheit der Mennoniten als verfolgte Minderheit erst allmählich im Verlauf der Frühen Neuzeit unter bestimmten herrschaftlichen Bedingungen hauptsächlich in der Landwirtschaft tätig wurde, um von den agrarwirtschaftlich erzeugten Erträgen leben und damit in erster Linie ihre Existenz als Glaubensgemeinschaft sichern zu können. Diese wirtschaftliche Schwerpunktsetzung unter Mennoniten sei vor allem als „das Ergebnis mannigfaltiger Einflüsse“ (Corell, 143) zu beurteilen, dabei seien raum- und zeitspezifische Wechselwirkungen zwischen internen und externen Faktoren der Glaubensgemeinschaft ausschlaggebend geworden. Demnach waren agrarwirtschaftlich fundierte Existenzformen für Täufer und Mennoniten weder aus theologischen Gründen noch von Anfang an selbstverständlich. Auch plädierte Corell mit Blick auf agrarwirtschaftliche Pionierleistungen, für die mennonitischen Agrarproduzenten vor allem im 18. und 19. Jahrhundert von zeitgenössischen Agrarreformern wie Friedrich Casimir Medicus und Johann Heinrich Jung(-Stilling) gepriesen wurden, für eine historisierende Betrachtungsweise.

Es lassen sich zwei gesellschaftliche Konstellationen in der Frühneuzeit im deutschsprachigen Raum voneinander unterscheiden, die für die Lebens- und Existenzbedingungen von Täufern und ihren mennonitischen Nachfahren in ländlichen Gesellschaften maßgebend waren. Die erste Konstellation bestand zwischen 1540 und 1650, als mehrere tausend verfolgte Täufer bzw. Mennoniten zumeist in ländlichen Grenzregionen des Deutschen Reiches wie besonders in Mähren, West- und Ostpreußen Zuflucht fanden und dort häufig in den ersten Generationen zunächst einmal Böden entwässern und urbar machen mussten. Die zweite Konstellation entfaltete sich zwischen 1650 und 1800, als nach den verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Krieges mehrere Territorialstaaten wie etwa Kurbrandenburg und Kurpfalz dringend auf Zuwanderung angewiesen waren und daher Duldungspatente erließen. Mit diesen Patenten sollten gerade religiöse, konfessionelle und ethnische Minderheiten zur Ansiedlung motiviert werden, indem ihnen nicht nur religiöse Freiheiten, sondern auch finanzielle und ökonomische Vorteile für die ersten Jahre in Aussicht gestellt wurden. Daraufhin wanderten u. a. mehrere hundert Täufer in diese Gebiete ein, nachdem sie von den Stadtrepubliken aus der Schweiz und dann auch vom Französischen König aus dem Elsass vertrieben worden waren.

2. Unterschiedliche Existenzformen in Landwirtschaft und ländlichen Gesellschaften

In den skizzierten gesellschaftlichen Konstellationen waren gerade die agrarwirtschaftlichen Existenzbedingungen, die betrieblichen Handlungsspielräume und die eingeschlagenen Lösungswege der täuferischen Akteure verschieden. So traten die seit den 1530er und 1540er Jahren nach Mähren, West- und Ostpreußen geflohenen Täufergruppen zumeist als kollektive Akteure in Erscheinung (Driedger; Friedmann). Als Gemeinschaften bzw. als „associations“ und „companies“ schlossen sie mit verschiedenen Obrigkeiten in Ostpreußen gemäß der bestehenden gutsherrschaftlichen Verfassung Verträge ab, um Flächen urbar zu machen und Güter zu bewirtschaften (Driedger, 311), während sie in Westpreußen unter zumeist günstigeren grundherrschaftlichen Bedingungen immerhin auch einzelbetrieblich zugeschnittene Pachtverträge einzugehen vermochten (Wiebe, 2–7). Von diesen Einzelgehöften sollen um 1676 immerhin 320 Betriebe existiert haben, die wegen der zumeist aus Holland stammenden täuferischen Pächter „Holländereien“ genannt wurden (Penner 1967, 512, 509). In Mähren gewährte der böhmische Adel den eingewanderten Täufern seit den 1530er Jahren insofern eine besondere Gestaltungsfreiheit, als er sie so genannte Bruderhöfe bzw. Haushaben errichten ließ, in denen im Durchschnitt 300 Glaubensbrüder und Glaubensschwestern gemäß der religiösen und ethischen Grundsätze der Hutterer (→Hutterische Brüder) zusammen lebten und arbeiteten (Loserth 1937a, 266 f.; Klassen 1964, 57–63, 90–97). Auch wenn der ökonomische Schwerpunkt dieser von Robert Friedmann als „collective farms“ bezeichneten Großbetriebe (Friedmann, 445 f.) beim Handwerk lag, spielte die Landwirtschaft mitunter eine erhebliche Rolle, so etwa der Anbau von Wein, von Futtergetreide (Gerste, Hafer) und die Haltung von Vieh (Clasen 1972, 283–285). Diese handwerklichen und agrarwirtschaftlichen Großbetriebe, von denen rund neunzig ermittelt werden konnten, wurden von erfahrenen Verwaltern geleitet, die u. a. die Bodenverhältnisse vor Ort untersuchten, den benötigten Dung beschafften und das erforderliche Arbeitsaufkommen abschätzten. Die Mehrheit der Brüder und Schwestern dürfte daher eher als abhängige Arbeitskräfte denn als selbstständige individuelle Agrarproduzenten einzuschätzen sein. In den 1620er Jahren fand diese besondere täuferische Existenzform infolge kaiserlicher Mandate und Maßnahmen in Mähren ein Ende.

Nach 1650 änderten sich die reichsrechtlich restriktiven Lebens- und Existenzbedingungen für religiöse und ethnische Minderheiten im Deutschen Reich. Sie konnten nun mit einer größeren Duldungsbereitschaft seitens der fürstlichen Obrigkeiten rechnen, die nun vor allem an einer Stärkung und Förderung der vorhandenen ökonomischen Potentiale ihrer Herrschaftsgebiete interessiert waren. Die gezielte Förderung und Unterstützung von Fähigkeiten und Talenten in Bereichen des Handwerks, der Landwirtschaft und des Handels machten sich allenthalben bemerkbar und eröffneten gerade Minderheiten neue Handlungsspielräume, die nunmehr eher auf familiärem und individuellem Wege ihre Existenz zu sichern suchten. In der Landwirtschaft machte sich diese neue Konstellation u. a. in der Flexibilisierung von Verträgen bemerkbar. So wurde den nach 1650 in süddeutsche Gebiete geflüchteten Täufern aus der Schweiz unterschiedliche Nutzungsrechte an Land und Gebäuden eröffnet, die sie zwischen dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts und dem Beginn des 20. Jahrhunderts für sich zu nutzen wussten (Galle, 309 f.; vgl. auch Guth und Pfister).

Dabei handelte es sich bei den meisten Betrieben um Domänengüter von Fürstenstaaten, des Weiteren gehörten nicht wenige Betriebe zum Allodialgut von Reichsrittern bzw. Landadligen, und manche Betriebe befanden sich im bürgerlichen Eigentum von Staatbediensteten. Auf der Grundlage so verschiedenartiger Lehens-, Pacht- und Eigentumsverhältnisse übernahmen mennonitische Akteure in verschiedener Zusammensetzung und auch in unterschiedlicher Anzahl die Bewirtschaftung von Agrarbetrieben: Zum einen wirtschafteten mehrere mennonitische Familien gemeinsam wie etwa im rheinhessischen Dorf Ibersheim bei Worms (→Worms-Ibersheim) seit 1661 (Trieb) und auf dem Branchweilerhof nahe der vorderpfälzischen Amtsstadt Neustadt seit 1682 (Mennonitengemeinde Branchweilerhof), zum anderen organisierten streng gläubige amische Familienverbände ihre Agrarproduktion und ihren Agrarhandel im Rahmen ihres verwandtschaftlichen Netzwerkes wie im Raum um Zweibrücken in der Westpfalz seit den 1750er Jahren (Drumm; Guth), zum dritten bewirtschafteten einzelne Familien eigenständig Betriebe wie beispielsweise in der Umgebung von Kirchheimbolanden in der Nordpfalz, in Rheinhessen und im Kraichgau seit den 1760er Jahren (Penner 1964; Gerlach; Schuchmann; Lichdi; Konersmann 2006). Insgesamt wichen diese von Mennoniten übernommenen Agrarbetriebe nicht nur in ihrem Flächenumfang stark voneinander ab, sondern sie unterschieden sich auch gemäß ihres Standortes, denn es handelte sich sowohl um einzeln stehende Gehöfte als auch um Betriebe, die sich innerhalb einer dörflichen oder städtischen Siedlung befanden (Konersmann 2001, 2002, 2003, 2004b, 2009b).

Einige dieser individuellen Agrarproduzenten – allen voran der Gutsbesitzer und Untertan David →Möllinger senior (1709–1787) sowie der Erbbeständer und Untertan David →Kägy (1767–1841), die beide als religiös konservative Mennoniten einzuschätzen sind (Konersmann 2004a, 2009a) – vermochten in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihre Betriebe auf einen hohen Grad rationeller Landwirtschaft zu führen, wobei sie sich einer bemerkenswert akribisch geführten Buchhaltung bedienten und ihre Betriebsführung auf agrarkapitalistische Zwecke der Gewinnsteigerung ausrichteten (Corell, 135–143; Konersmann 2003, 2004a, 2009b, 2011).

3. Semiagrarische Existenzweisen auf dem Land unter Täufern und Mennoniten

Es bestanden auch andere, nicht selten prekäre Existenzformen in ländlichen Gesellschaften neben den landwirtschaftlich exponierten Agrarproduzenten. Immer mehr Täufer und ihre mennonitischen Nachfahren sahen sich im Verlauf der Frühen Neuzeit gezwungen, diese Formen anzunehmen (Peachy und vor allem Clasen 1972; Konersmann 2001, 2003, 2004b; Räisänen 2011). In der Schweiz waren es in den 1530er Jahren neben zahlreichen Bauern, deren Betriebsflächen leider nicht erfasst worden sind, zumeist Handwerker, die eventuell auch noch einen Parzellenbetrieb bewirtschafteten, insgesamt überwogen unter ihnen Schneider und Weber (Peachey, 43–49). Wesentlich genauere Angaben sind über die soziale und wirtschaftliche Lage der zwischen 1526 und 1618 nachweisbaren insgesamt 1.654 Täufer in Württemberg ermittelt worden (Clasen 1965, 118–145). In diesem Zeitraum lebten in Dörfern 96 von 128 Handwerkern täuferischer Religiosität, die meisten von ihnen waren Tuchmacher, Schneider und Weber, von denen nicht wenige sogar den Status eines Meisters innehatten. Darüber hinaus gehörten immerhin 251 von 430 Täufern, für die Berufsangaben bekannt sind, der Gruppe der Landarbeiter an, von denen 70 als Gesinde und Tagelöhner identifiziert werden können. Zudem sind 114 der 430 Täufer der Gruppe der Parzellen- und Kleinbauern zuzuordnen. Insgesamt konnten zwei Trends im Verlauf des 16. Jahrhunderts festgestellt werden: Zum einen nahm die Zahl städtischer Täufer seit den 1530er Jahren ständig ab, zum anderen erhöhte sich der Anteil der Knechte, Mägde, Hirten, Tagelöhner und Handwerkergesellen in der Glaubensgemeinschaft seit 1570 erheblich und hatte um 1600 mehr als 60 % der seinerzeit in Württemberg lebenden Täufer erreicht. So konnte eine spezifische soziale Differenzierung unter den Täufern in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts konstatiert werden, die zudem nunmehr ausschließlich auf dem Land lebten und sich insbesondere im Amt Schorndorf nahe der Residenzstadt Stuttgart konzentrierten (Clasen, 1965).

Die Täufer im Amt Schorndorf sind inzwischen genauer untersucht worden, vor allem ihre sozialen und wirtschaftlichen Netzwerke an der Wende vom 16. auf das 17. Jahrhundert. Für die Ausprägung ihrer Religiosität (Räisänen 2009, 2011) spielten die vielseitigen und engen Kontakte zu ihren Glaubensbrüdern und Glaubensschwestern in →Mähren eine erhebliche Rolle.

4. Veränderte Rahmen- und Existenzbedingungen für täuferische und mennonitische Agrarproduzenten (17. bis 19. Jahrhundert)

Eine anders gelagerte Option zeichnete sich Mitte des 17. Jahrhunderts für die in der Schweiz verfolgten Täufer ab, als beispielsweise lutherische Adlige und Reichsritter und der reformierte Kurfürst von der Pfalz Karl Ludwig für die Bewirtschaftung ihrer Güter im →Kraichgau, in →Rheinhessen und in der →Pfalz auf den Zuzug von Kolonisten und landwirtschaftlichen Arbeitskräften dringend angewiesen waren (Pfister), nachdem weite Gebiete des Oberrheins infolge des Dreißigjährigen Krieges verwüstet worden und Bevölkerungsverluste von bis zu 80 % zu verzeichnen waren. Die meisten täuferischen Flüchtlinge waren arm oder verfügten nur über geringe Mittel, da ihr gesamtes Vermögen in der Schweiz konfisziert worden war. Sie mussten sich in ihrer neuen Heimat häufig als Tagelöhner und Viehhirten verdingen und zumeist innerhalb der Dörfer zur Miete wohnen (Schuchmann; Pfister, 68–77; Konersmann 2004b, 222; Konersmann 2006, 183 f.; Glück, 81–99). Nur einige Familien waren bereits Ende des 17. Jahrhunderts in der Lage, die Pacht für die Bewirtschaftung eines Einzelgehöftes zu zahlen, wobei deren Erträge in den ersten Jahrzehnten noch äußerst bescheiden ausfielen und sich nicht von ihren Zeitgenossen unterschieden. Eine Konsolidierung dieser Agrarbetriebe unter den rechtlich günstigen Bedingungen der Erbpacht erfolgte im gesamten südwestdeutschen Raum erst in den 1740er Jahren, als sich zum einen eine Agrarkonjunktur infolge eines Bevölkerungswachstums und erhöhter Nachfrage in den Städten bemerkbar machte und zum anderen eine neue Generation fürstlicher Regenten die Regierungsgeschäfte übernahm, die wie der pfälzische Kurfürst Karl Theodor, der Markgraf Karl Friedrich von Baden-Durlach und der pfalz-zweibrückische Herzog Christian IV. aufgeklärt-absolutistisch regierten und Agrarreformen veranlassten (Konersmann 2001; Schmölz-Häberlein und Häberlein). Unter diesen günstigen Rahmenbedingungen vermochten religiöse und ethnische Minderheiten ihre Existenz erstmals dauerhaft vor allem auf dem Land, aber auch immer häufiger in Amtsstädten zu sichern.

Vor diesem Hintergrund entschieden sich zunehmend mehr wohlhabende mennonitische Familien für Agrarinnovationen auf den von ihnen gepachteten Höfen. Seit den 1760er Jahren entwickelten sie auf experimentellem Wege – allen voran David Möllinger senior – ein neues agrarisches Betriebssystem. Es beruhte auf ganzjähriger Stallhaltung, Anbau von Futterpflanzen, insbesondere Klee, Fruchtwechselwirtschaft, Anbau von Getreide und Viehzucht, und ihm waren zumeist eine Branntweinbrennerei und eine Essigsiederei, zuweilen auch eine Bierbrauerei angeschlossen (Corell; Bender 1976; Konersmann 2003, 2009b). Dieses neue, auf innerbetriebliche Kreisläufe abzielende Betriebssystem, das auch Änderungen im Stallbau nach sich zog, wurde dann an der Wende vom 18. auf das 19. Jahrhundert von zahlreichen Agrarproduzenten unterschiedlichster Konfessionalität in ihren Betrieben mit 15 bis 25 Hektar Betriebsfläche in der gesamten Pfalz und in Rheinhessen aufgegriffen (vgl. den Reisebericht des Agrarökonomen Johann Nepomuk Schwerz von 1816). Der sich auch anderorts wie beispielsweise in Friesland (→Niederlande) und in →Westpreußen im Verlauf des 19. Jahrhunderts in Viehzucht, Milchwirtschaft, Käseherstellung (Tilsiter) und Anbau von Zuckerrüben bemerkbar machende agrarindividualistische und auch agrarkapitalistische Habitus bei auffallend vielen Vertretern mennonitischer Familien (Driedger, 312 f), ist letztlich nur unter den seit dem 18. Jahrhundert allenthalben deutlich einsetzenden gesamtgesellschaftlichen Veränderungen vorstellbar.

So wurden nunmehr auch talentierten und ehrgeizigen Agrarproduzenten mennonitischen Glaubens und ihren Familien überhaupt erst die nötigen Handlungsspielräume eröffnet und die erforderlichen Anreize für Innovationen verschiedenster Art geboten. Dabei zollten erst die seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts gegründeten agrarökonomischen Gesellschaften und die zu Beginn des 19. Jahrhunderts etablierten Agrarvereine den Agrarinnovationen mennonitischer Agrarproduzenten jetzt die nötige Anerkennung. Damit erhöhten sie letztlich ihre Reputation gegenüber andersgläubigen Zeitgenossen, die sie bis dahin vor allem misstrauisch beäugt und latent auf deren Ausweisung gedrungen hatten. Stattdessen machte sich nunmehr eine kritische bis ablehnende Haltung unter konservativen Ältesten, Predigern, Schulmeistern und Familien der mennonitischen Glaubensgemeinschaft bemerkbar. Sie befürchteten den Verlust ihrer mühsam errungenen religiösen Gruppenidentität infolge eines sich intensivierenden und weiter ausbreitenden säkularen Strukturwandels, der ihnen zwar zum einen neue Spielräume eröffnete, ihnen aber zum anderen auch – etwa als Staatsbürger und Mitglied von Berufsverbänden – eine neuartige Anpassungsbereitschaft abverlangte (Konersmann, 2001, 374 f.; 2004a, 2004b).

5. Mennonitische Religiosität und landwirtschaftliche Leistungsfähigkeit

Ungeachtet der gravierenden Unterschiede in den Lebensbedingungen von Täufern und Mennoniten auf dem Lande, die sie – gemäß der vorherrschenden gesellschaftlichen Konstellation in der frühen Neuzeit – eher zu kollektiven oder zu familiären und mitunter zu individuellen Vorgehensweisen und Entscheidungen in der Landwirtschaft veranlassten, wird gelegentlich noch in der Gegenwart an lang gehegten und normativ bzw. religiös akzentuierten Annahmen über die Existenzweise von Täufern und Mennoniten festgehalten. Sie haben auch in entsprechende Lexikon-Artikel Eingang gefunden (Hege 1913, 12; H. S. Bender 1972, 303–306). So verwies Bender auf die „Anabaptist-Mennonite virtues“, die sich beispielsweise in „frugality, simplicity“ und „belief in the Christian virtue of work“ bemerkbar machen und vor allem auf „uniquely determined ethical and cultural behavior pattern and religio-centered group solidarity“ beruhen (ebd., 305 f.). Mit dieser Einschätzung wird letztlich ein dauerhaft wirksamer und damit Zeit, Raum und Person übergreifender religiöser und ethischer Habitus bei Täufern und Mennoniten unterstellt, der historische Betrachtungen und erst recht empirisch gehaltvolle sozialwissenschaftliche Untersuchungen überflüssig erscheinen lässt. Dagegen muss festgestellt werden, dass gerade die Fähigkeit, den christlichen Glauben in konkreten Situationen auf eigene Weise zum Ausdruck zu bringen, zu den besonderen Stärken täuferischer und mennonitischer Frömmigkeit gehört.

Literatur (Auswahl)

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Frank Konersmann

 
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