Möllinger sr., David

geb. am 24. Januar 1709 in dem im Kraichgau gelegenen Dorf Dühren der Kurpfalz, gest. am 24. Mai 1787 im rheinhessischen Dorf Monsheim der Grafschaft Hartenburg-Leiningen, Deutschland; zunächst kurpfälzischer Hintersasse und Erbbeständer, von 1744 an Gutsbesitzer und Untertan der Leininger Grafen, Besitzer einer Brennerei, Essigsiederei, Brauerei, Viehzüchter, Leiningscher Hoflieferant und Bauernkaufmann.

Der Großvater Ulrich Möllinger flüchtete um 1660 aus dem Herrschaftsgebiet der Stadt Bern und pachtete einen Hof in Guntersblum bei Worms im Temporalbestand. Danach übernahm er ebenfalls als Zeitpächter einen Teilbetrieb auf dem in adeliger Grundherrschaft befindlichen Kirschgarthäuserhof bei Mannheim. Sein zweitältester Sohn Vincenz heiratete 1692 Veronika Magelin und bewirtschaftete einen Hof in Dühren im Kraichgau, bevor er 1710 wieder in die Rheinebene zog, um in relativ kurzen Abständen von etwa vier Jahren nacheinander verschiedene Betriebe im Temporalbestand zu pachten. Der bisher in der Forschung kaum beachtete Vincenz Möllinger dürfte zum einen bereits erste Schritte in Richtung einer lukrativen Landwirtschaft eingeschlagen haben. Ausschlaggebend hierfür dürfte der Kontakt zu dem mennonitischen Branntweinbrenner Christian Schumacher in Mannheim gewesen sein, der um 1730 dann sein Schwiegersohn wurde. Auf Anregung Schumachers nämlich scheint Vincenz Möllinger erste Kenntnisse in der Herstellung lukrativer, mit Anis und Wachholder versetzter Branntweinsorten (Mannheimer Wasser) erworben zu haben. Die Herausforderung für ihn bestand nun darin, dieses Agrargewerbe mit einem landwirtschaftlichen Betrieb vorteilhaft zu kombinieren. Mit dieser experimentellen Vorgehensweise in Landwirtschaft und Gewerbe dürfte er seinen 1709 geborenen drittältesten Sohn David vertraut gemacht haben, der in dieser Hinsicht später relativ schnell eine bemerkenswerte Zielstrebigkeit entfalten sollte. Zum anderen dürfte besagter Vincenz Möllinger das Interesse seiner beiden ältesten Söhne Jakob und Johannes für das Uhrmacherhandwerk geweckt haben, die jeweils als Hofuhrmacher in Diensten des pfälzischen Kurfürsten in Neustadt seit 1738 und des Herzogs von Pfalz-Zweibrücken seit 1753 in Zweibrücken reüssierten.

Mit dreiundzwanzig Jahren heiratete David Möllinger Maria Kindig, die Tochter eines Mitbeständers seines Vaters, und zog 1732 in das rheinhessische Gronau, wo er erstmals eigenverantwortlich als Pächter eines größeren Hofes seine Kenntnisse in der Branntweinherstellung erprobte und augenscheinlich erfolgreich damit war. Zwölf Jahre später zog das Ehepaar in das rheinhessische Dorf Monsheim, wo es 1744 einen größeren Hofkomplex käuflich erwarb, dessen Eigentümer es wahrscheinlich 1748 wurde, wofür seine noch heute sichtbaren Initialen auf dem Torbogen ein Anhalt bieten, während der Kaufvertrag als verschollen gelten muss. Aus dieser Ehe gingen acht Kinder hervor, von denen zwei Töchter und zwei Söhne überlebten, die mit Partnern der mennonitischen Familien Schumacher, Kägy, Weiß und Würtz verheiratet wurden. Dank dieser verwandtschaftlichen Verbindungen verfügte David Möllinger spätestens seit den 1750er Jahren über ein räumlich weitgespanntes Netzwerk in der Pfalz und in Rheinhessen, das er für seine geschäftlichen Interessen, insbesondere für seinen ausgedehnten Agrarhandel und die Abwicklung seiner Geldgeschäfte, in Anspruch nahm. Über den Großteil seiner Handelsbeziehungen gibt sein kürzlich entdecktes Journal näher Auskunft, das er von 1746 an zunächst allein führte, um darin dann Mitte der 1770er Jahre von seinen beiden Söhnen Martin und Christian unterstützt zu werden, die das Journal bis Anfang der 1790er Jahre nutzten. Für ihre jeweiligen Geschäftspartner richteten sie eigene Konten ein, die sie gemäß einfacher Buchführung verwalteten. Gelegentlich erfolgte der Zahlungsverkehr auch ohne Bargeld, indem Assignaten, Obligationen und Wechsel ganz selbstverständlich Verwendung fanden. Diese für bäuerliche Agrarproduzenten nicht selbstverständliche Praxis im Handel und bei Geldgeschäften kann als ein Merkmal des Bauernkaufmanns interpretiert werden.

Beim Bauernkaufmann handelt sich um einen neuen bäuerlichen Sozialtypus, der die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einsetzende Agrarkonjunktur, die sich u. a. an dem erheblichen Anstieg der Agrarpreise bemerkbar machte, auf der Grundlage einer spezifischen Betriebsinnovation zu nutzen verstand. Diese Innovation beruhte auf ganzjähriger Stallhaltung, dem dadurch vergrößerbaren Rindviehbestand, sodann dem Anschluss einer Brennerei, die ihrerseits wiederum – dank des Abfallprodukts der eiweißhaltigen Schlempe – auch Viehmast begünstigte sowie dem Anbau von Leguminosen und Hackfrüchten im Feldsystem. Dank dieser aufeinander abgestimmten und sich gegenseitig stützenden agrargewerblichen Betriebssegmente konnten die Boden- und Vieherträge erheblich gesteigert und höhere Einnahmen erzielt werden, so dass sich die Investitionen vergleichsweise rasch amortisierten. Mit dieser Betriebsinnovation reagierten die angehenden Bauernkaufleute auf ein in den 1760er Jahren auftretendes agrarisches Strukturproblem der gesamten südwestdeutschen Region, das im Dung-, Vieh- und Futtermangel bestand. Dieser experimentell ermittelte Lösungsweg wurde Ende des 18. Jahrhunderts von zahlreichen bäuerlichen Agrarproduzenten verschiedener Konfession mit mindestens 20 ha Betriebsfläche in der gesamten südwestdeutschen Region aufgegriffen, als unter der französischen Okkupation die Gewerbefreiheit 1798 eingeführt wurde.

Zu den ersten Vertretern des Bauernkaufmanns in der Pfalz und in Rheinhessen gehörten auffallend viele mennonitische Mittel- und Großbauern, unter denen David Möllinger eine exponierte Stellung einnahm. Denn auf seine innovative Betriebsführung wurden inländische und ausländische Agrarreformer und Agrarschriftsteller wie Christian Wilhelm Dohm, Friedrich Casimir Medicus und Johann Heinrich →Jung-Stilling von den 1770er Jahren an aufmerksam und berichteten hierüber, als sich die Fürstenstaaten verstärkt um Agrarreformen bemühten. Infolge dieser Kontakte und dieses agrarpolitischen Interesses erlangte David Möllinger überregionale Bedeutung und wurde gewissermaßen als vorbildlicher Landwirt und Agrarpionier gepriesen, einen Ruf, den dann später auch französische Beamte und selbst der Präfekt des Departements Donnersberg kolportierten. Das von David Möllinger 1784 angelegte Gästebuch vermittelt einen näheren Eindruck von dem am Ende seines Lebens erreichten Bekanntheitsgrad. Als der Agrarökonom und Agrarschriftsteller Johann Nepomuk Schwerz um 1815 seinen gleichnamigen Enkel in Pfeddersheim besuchte, verlieh er David Möllinger senior posthum den Ehrentitel ‚Vater des Ackerbaus der Pfälzer‘.

In Anbetracht der herausragenden Rolle David Möllingers senior im Kontext der Agrarreformen dürfte er maßgeblich dazu beigetragen haben, verlässliche Grundlagen für eine wachsende Akzeptanz der mennonitischen Glaubensgemeinschaft durch die mehrheitlich anders konfessionell ausgerichteten Territorialgesellschaften des deutschen Südwestens zu schaffen. Von seiner Anerkennung und Akzeptanz dürften andere mennonitische Familien und Gemeinden profitiert haben. Auch in dieser kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Hinsicht ist sein Gästebuch aufschlussreich, das nach seinem Tod am 24. Mai 1787 von seinen Söhnen Martin und Christian weiter geführt wurde, denn ihre Gäste unterschiedlicher Standes-, Berufs- und Konfessionszugehörigkeit waren darum bemüht, der Familie Möllinger in Monsheim auf unterschiedliche Art und Weise ihre Freundschaft zu versichern. Während der Professor der Kameralwissenschaft und Pietist Johann Heinrich Jung-Stilling anlässlich seines Besuches am 2. Mai 1785 David Möllinger senior noch als seinen frommen „Bruder“ ansprach, ein religiöser Tenor, den auch mehrere Geistliche in ihren Widmungen wählten, rekurrierten die Gäste seiner Söhne – insbesondere diejenigen Christians – eher auf dessen aufgeklärt politische Einstellung und nannten ihn einen „honnête citoyen“ und „citoyen précieux à l'état“, also einen ehrenhaften und wertvollen Staatsbürger der französischen Republik. Unverkennbar vertrat die Mitte des 18. Jahrhunderts geborene jüngere Generation der Familie Möllinger eher eine liberale Position auch in religiösen Belangen, denn sie dürfte die Einstellung akademisch geschulter Prediger in den mennonitischen Gemeinden geduldet, wenn nicht sogar unterstützt haben. So wurde der erste studierte mennonitische Prediger der Pfalz Leonhard Weydmann 1820 nach Monsheim berufen, so dass das von konservativen Mennoniten wie dem Diakon und Bauernkaufmann David →Kägy aus Offstein noch vertretene Prinzip des Laienpriestertums an Geltung einbüßte.

Quellen

David Möllinger, Journal (1746–1809), in: Stadtarchiv Worms, Abt. 200 Nr. 272. - David Möllinger, Stammbuch (Gästebuch) (1781–1817), in: Privatüberlieferung der Familie Spindler-Möllinger in Mölsheim / Rheinhessen. - Gerichtsbuch Monsheim (1621–1797), in: Staatsarchiv Darmstadt, Abt. C Nr. 173/1. - Wanderungen des Marquis von St. durch Deutschland, in: Deutsches Museum 6, 1777, 519–551. - Christian Wilhelm Dohm, Einige Nachrichten von der Kurpfalz, vorzueglich vom izigen Zustande der pfaelzischen Fabriken und Manufakturen, in: Deutsches Museum 2, 1778, 97–125. - Ferdinand Bodmann, Annuaire Statistique du Département du Mont-Tonnere, pour l'an 1810, Mayence 1810. - Johann Nepomuk Schwerz, Beobachtungen ueber den Ackerbau der Pfaelzer, Berlin 1816. - Frank Konersmann (Hg.), Das Gästebuch der mennonitischen Bauernfamilie David Möllinger senior, 1781–1817. Eine historisch-kritische Edition, Alzey 2009.

Literatur

Ernst H. Correll, Das schweizerische Täufermennonitentum. Ein soziologischer Bericht, Tübingen 1925. - Christian Neff, Artikel: Möllinger, David, in: Mennonitisches Lexikon, Bd. 3, Karlsruhe 1958, 152–153. - Erich Hehr, David Möllinger 1709–1786, in: Pfälzer Lebensbilder, Bd. 1, Kurt Baumann (Hg.), Speyer 1964, 67–88. - Werner Weidmann, Die pfälzische Landwirtschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Saarbrücken 1968. - Paul Michel, Chronik von Monsheim, Monsheim 1983. - Hildegard Frieß-Reimann, Mennonitische Agrarreformer, in: Michael Simon und Hildegard Frieß-Reimann (Hg.), Volkskunde als Programm: Updates zur Jahrtausendwende, Münster 1996, 61–74. - Frank Konersmann, Rechtslage, soziale Verhältnisse und Geschäftsbeziehungen von Mennoniten in Städten und auf dem Land. Mennonitische Bauernkaufleute in der Pfalz und in Rheinhessen (18.-19. Jahrhundert), in: Mannheimer Geschichtsblätter 10, 2003, 83–115. - Ders., Neue Quellenfunde über die mennonitische Bauernfamilie Möllinger in den rheinhessischen Dörfern Monsheim und Pfeddersheim (1746–1835), in: Mennonitische Geschichtsblätter 61, 2004, 118–122. - Ders., Das Journal von David Möllinger senior und seinem Sohn Christian in Monsheim (1746–1809), in: Wormsgau 27, 2009, 87–91. - Ders., Freundschaft im Angesicht des Krieges. Kulturhistorische Studien zu den Widmungen im Gästebuch der mennonitischen Bauernfamilie David Möllinger senior in Monsheim (1781–1817), in: Kaiserslauterer Jahrbuch für pfälzische Geschichte und Volkskunde 8/9 (2008/9), 227–252. - Ders., Bäuerliche Branntweinbrenner. Ihre Schlüsselrolle in der Agrarmodernisierung des deutschen Südwestens (1740–1880), in: Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 107, 2009, 165–184. - Ders., Handelspraktiken und verwandtschaftliche Netzwerke von Bauernkaufleuten. Die mennonitischen Bauernfamilien Möllinger und Kägy in Rheinhessen und in der Pfalz (1710–1846), in: Mark Häberlein und Christof Jeggle (Hg.), Praktiken des Handels. Geschäfte und soziale Beziehungen europäischer Kaufleute in Mittelalter und Früher Neuzeit, Konstanz 2010, 631–662.

Frank Konersmann

 
www.mennlex.de - MennLex V :: art/moellinger_sr._david.txt · Zuletzt geändert: 2020/05/20 22:35 von bw     Nach oben
© 2010 - 2020 Mennonitischer Geschichtsverein e.V. | Impressum | Kontakt: webmaster@mennlex.de | Umsetzung: Benji Wiebe, mennox.de |
Artikel drucken
| ODT Export | PDF Export