Plautdietsch

1. Verbreitung

Die größte Gruppe der Mennoniten in Europa, aber auch in vielen Ländern Nord- und Lateinamerikas, sind Nachfahren der ca. 2300 Familien, die ab 1789 nach Russland auswanderten. Da die meisten von ihnen aus Westpreußen kamen, sprechen sie bis heute die früher zwischen Weichsel und Nogat gesprochene Variante des Niederdeutschen, das Plautdietsche.

In Europa leben zur Zeit mehr als 40.000 dieser russlanddeutschen Mennoniten, das sind 67 % aller europäischen Mennoniten (vgl. www.eumen.net/de/locations/germany-central-russlanddeutsche). In →Lateinamerika lebten 2012 in folgenden Ländern plautdietsche Mennoniten: Paraguay (33.000), Mexiko (32.000), Bolivien (25.000), Brasilien (13.000), Belize (5.000). Da in diesen Statistiken nur (als Erwachsene getaufte) Gemeindemitglieder erfasst sind, liegen die Zahlen der Plautdietsch Sprechenden 2- bis 2,5-mal höher, wenn man auch Kinder und kirchenferne Erwachsene mitzählt. Vor allem in Mexiko und Bolivien sind die Familien groß; hier wird damit gerechnet, dass es spätestens bis 2020 jeweils mehr als 100.000 Plautdietsch Sprechende geben wird. Die Nachfahren der Russlandmennoniten in Nordamerika gaben das Plautdietsche nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend zugunsten des Englischen auf. Heute wird es in Kanada und den USA nur noch von Rentnern und von Rückwanderern aus Lateinamerika gesprochen.

2. Eigenart des Plautdietschen

Das Hochdeutsche unterscheidet sich von allen anderen germanischen Sprachen durch die Zweite Lautverschiebung der Konsonanten (Peper > Pfeffer, Tiet > Zeit, Water > Wasser, maken > machen). Das Niederdeutsche behielt nicht nur die alten germanischen Konsonanten, sondern auch die langen Vokale i und u bei, während das Hochdeutsche, das Niederländische und das Englische sie diphthongierten (mien Hus > mein Haus / my house etc.). Während dies für alle niederdeutschen Varianten gilt, hat das Plautdietsche als sein östlicher Vertreter – innerhalb eines Sprachbunds mit baltischen und slavischen Nachbarsprachen – einige Neuerungen durchgeführt: k und g werden in der Umgebung palataler Vokale palatalisiert (Köök > Tjeatj (Küche), Brügge > Bridj (Brücke), gegen > jeajen) und die Umlaute werden entrundet (Döör > Dea (Tür), Fööt > Feet (Füße), vgl. Siemens (2012).

3. Plautdietsche Literatur

Die plautdietsche Literatur setzt in Kanada mit Arnold Dyck (1889–1970) ein, der vor allem durch seine Koop-en-Bua-Reisegeschichten sowie einige Theaterstücke bis heute unvergessen bleibt. Eine Generation jünger sind Reuben Epp (1920–2009) und Jack Thiessen (*1931). In Deutschland trifft sich seit einigen Jahren unter der Federführung von Agnes Gossen eine Gruppe plautdietscher Autoren und Autorinnen regelmäßig zum Gedankenaustausch. Zu nennen sind Lore Reimer, Tatjana Klassner, Katharina Fast, Dmitrij Neufeld, Peter Wiens, der Liedermacher Andreas Dück und viele andere. In Deutschland erscheint zweimal jährlich die plautdietsche Zeitschrift FRIND (→Plautdietsch-Freunde e. V.).

4. Filme in Plautdietsch

Der mexikanische Regisseur Carlos Reygadas drehte in Plautdietsch den in einer mexikanischen Mennonitenkolonie spielenden Film Stellet Licht, der insgesamt 29 internationale Filmpreise gewann, unter anderem 2007 den Preis der Jury in Cannes (→Filme). 2015 drehten Alexandra Kulak und Ruslan Fedotov den plautdietschen Semi-Dokumentarfilm Salamanca, der ebenfalls auf internationalen Festivals Erfolge feiert.

5. Pflege des Plautdietschen

Während das Plautdietsche weltweit nicht gefährdet ist, bleibt abzuwarten, wie lange es in Deutschland noch Plautdietsch-Sprechende geben wird, da der Sprachkontakt mit der Mehrheitsgesellschaft und mehrsprachige Familien weitaus häufiger sind als in den weitgehend abgeschotteten Siedlungen in der ehemaligen Sowjetunion oder in den lateinamerikanischen Kolonien.

Plautdietsch hat als Schulsprache keine lange Tradition, nur in Bolivien gibt es muttersprachlichen Unterricht in der Schule. In Norddeutschland ist auf Grundlage der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen das Niederdeutsche seit einigen Jahren Schulfach. Da auch das Plautdietsche nicht mehr mit der früheren Selbstverständlichkeit zu Hause oder auf der Straße gelernt wird, müssen andere Wege gefunden werden. Der Verein Plautdietsch-Freunde setzt sich dafür ein, das Bewusstsein dafür zu stärken, wie wichtig es ist, Plautdietsch an die folgenden Generationen weiterzugeben, und strebt eine Institutionalisierung der Erforschung des Plautdietschen und des Spracherwerbs in Kindergärten, Schulen, Universitäten etc. an.

Literatur

Heinrich Siemens, Plautdietsch: Grammatik, Geschichte, Perspektiven, Bonn 2012. - Benjamin Heinrich Unruh, Die niederländisch-niederdeutschen Hintergründe der mennonitischen Ostwanderungen im 16., 18. und 19. Jahrhundert, Selbstverlag, Karlsruhe 1955.

Heinrich Siemens

 
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