Gottesdiensthäuser, mennonitische

1. Räume und Orte des Gottesdienstes

Unter →Gottesdienst wird gewöhnlich die Zusammenkunft von Mitgliedern einer Gemeinde verstanden, die gemeinsam zuhören, wenn das Wort Gottes gelesen und gelehrt wird, die zusammen singen, miteinander das Wort auslegen und sich gegenseitig anhalten, danach zu leben, gemeinsam beten und ihre Angelegenheiten ordnen, Abendmahl, Fußwaschung und Taufe feiern sowie gelegentlich Mahlzeiten gemeinsam einnehmen. „Räume und Orte des Gottesdienstes“ deutet an, dass es sich hier um eine Vielfalt von Orten handelt, in denen sich Täufer und ihre mennonitischen, amischen, hutterischen und anderen Nachfahren getroffen haben. Solche Räume können auch geheime Höhlen und offene Felder gewesen sein. Gelegentlich kamen Täufer unter Bäumen und in Booten auf dem Wasser zusammen oder in ganz gewöhnlichen Räumen wie in Scheunen, Wohnungen, Wirtshäusern, umfunktionierten Lagerhallen. Eine „Architektur“ im eigentlichen Sinne entstand erst Jahrhunderte danach.

Gemeinden, Geschichtsvereine und Museen, die sich mit dem Schicksal geschichtsträchtiger mennonitischer Orte und Räume kurz vor deren Renovierung oder dem Abbruch befassen, müssen entscheiden, was als bedeutsames Kulturgut erhalten werden sollte. Gemeinden und Gemeinschaften sind sich in der Regel dessen bewusst, dass die materielle Verkörperung von zwischenmenschlichen Beziehungen in Räumen und an Orten, an die Erinnerungen gebunden sind, eine einflussreiche Ausdruckskraft besitzt. Das gilt auch für die Gegenwart und Zukunft. In einer Zeit, in der der Bau mennonitischer Gottes- oder Bethäuser zu einem großen Geschäft geworden ist, setzen Bauausschüsse, Architekten und Bauleiter ihre Vorstellungen, Ideale und religiösen Überzeugungen in Materialien und Formen um, die mit ihren Licht- und Farbeffekten den Raum bestimmen.

Der Status oder die Bedeutung des Heiligen in Versammlungs- und Gottesdiensthäusern unter Mennoniten, Amischen, Hutterern, Brüdergemeinden und anderen täuferischen Gruppen ist bisher unklar gewesen. Der Architekt Rudy Friesen charakterisiert mennonitische Gottesdiensträume folgendermaßen: Sie sind keine ausschließlich „heiligen Orte“, sie haben „nichts Mystisches“ an sich und weisen „keine ausgeprägte räumliche Ausrichtung“ auf. „Die Kirche ist die Gemeinde der an Christus Glaubenden, und das Kirchengebäude ist nur ein überdachter Ort, an dem die Gläubigen Gott dienen. Es ist kein heiliger Ort an und für sich.“ Demzufolge haben Täufergruppen wie die Old Order Amischen oder die Hutterer keine „Gotteshäuser“. Sie versammeln sich vielmehr zum Gottesdienst in ihren Wohnräumen oder in Schulen. Andererseits sind in den wohlhabenden Gemeinden Europas, Nord- und Südamerikas die Gebäude für Gottesdienste und Gemeindetreffen von Berufsarchitekten errichtet worden und ähneln den „Kirchen“ anderer christlicher Konfessionen. Angesichts dieser gleichzeitigen Verneinung und Bejahung der „Welt“, wie sie in verschiedenen Gruppen des Täufer-Mennonitentums zu beobachten, ist, stellen sich folgende Fragen: Wie drückt die bauliche Verkörperung von Versammlung und Gottesdienst die Beziehung zwischen den Menschen untereinander und zwischen ihnen und Gott aus? Wie verleihen Versammlung und Gottesdienst dem Ort und dem Raum Bedeutung? Und umgekehrt: Wie formen die Strukturen von Raum und Ort die Gemeinschaft?

2. Bethaus, Versammlungshaus, Kirche

Die frühesten Bet- und Versammlungsorte, die weltliche Obrigkeiten den Nachfahren der Täufer zu erwerben oder zu bauen gestatteten, in Europa vom späten 16. bis zum 18. Jahrhundert, weisen besondere Merkmale auf, die aus Gemeindebräuchen, Glaubensvorstellungen und der Kultur der jeweiligen Zeit erwachsen waren. Diese Eigentümlichkeiten wurden in neue Länder mit anderem Klima mitgenommen, was oft das Bauen mit neuen Materialien zur Folge hatte. Die Formen aber blieben erhalten.

Die Bautradition des Bethauses entstand im 17. Jahrhundert in der Weichselniederung Polens und Preussens, breitete sich ostwärts weiter nach Russland und später über den Atlantik nach Nord- und Südamerika aus. Die Versammlungshaustradition leitet sich von den schweizerischen und süddeutschen Gemeinden her und verbreitete sich vor allem in den Gemeinden Pennsylvaniens unter dem englischen Namen „Meetinghouse“.

Die Bet- und Versammlungshaustraditionen weisen eine bemerkenswerte Reihe übereinstimmender „klassischer“ Merkmale auf: (1) die Gemeinde sitzt in einander gegenüberstehenden Reihen, so dass die Mitglieder sich von Angesicht zu Angesicht sehen, wobei die Mitte der Längsseite des Raums als Mittelpunkt oder Hauptorientierung des Gottesdienstes dient (ähnlich hatten die Reformierten die Sitzanordnung in den ehemals katholischen Kirchen verändert); (2) die Gemeindeleiter sitzen in derselben Reihe entweder hinter einem Tisch, von wo aus sie sitzend sprechen, oder auf einer Bank längs der Wand hinter einer „Kanzel“; (3) die „Kanzel“ ist entweder ein Pult auf dem Tisch oder ein Geländer oder sie steht in der Mitte zwischen besagter Bank und Gemeinde; (4) Die Gemeinde sitzt gewöhnlich nach Geschlechtern getrennt, auch gibt es geschlechtsgetrennte Ein- und Ausgänge; (5) die Innenausstattung ist schmucklos, außer Bibelsprüchen und Blumenmotiven, was die zentrale Platzierung der Bibel und den Blumenschmuck für den Gottesdienst unterstreicht; (6) das Äußere des Gebäudes ist ebenfalls von der Funktion her schlicht, mit großen klaren Fenstern, so dass der Versammlungsraum hell ausgeleuchtet ist.

Ältere Bethaus- und Versammlungsgebäude werden oft als erhaltenswert angesehen. Dazu gehören: die „verborgenen“ Versammlungsorte in den Niederlanden des 16. und 17. Jahrhunderts, die Scheunen, Dachstühle oder versteckten Versammlungsorte in der Schweiz, im Elsass und in Süddeutschland, die Holzbauten im Werdergebiet des 18. Jahrhunderts, die frühen Gebäude der Chortitza- und Molotschna-Kolonien in Russland, die alten Versammlungshäuser in Pennsylvanien, die Lehmziegel und Holzschindelbauten der amerikanischen Prärie, die ersten Versammlungsbauten des frühen 20. Jahrhunderts im Chaco Paraguays. Bedauerlicherweise bestehen viele dieser Gebäude, die die Entstehung eines besonderen Baustils darstellen, nicht mehr, oder aber sie stehen in Gefahr, zu verfallen und abgebrochen zu werden. Einige sind dermaßen umgestaltet worden, dass ihre ursprüngliche Form nicht mehr erkennbar ist. Nur sehr wenige befinden sich in der Obhut des Denkmalschutzes.

Die Bezeichnung „Kirche“ ersetzte im 19. Jahrhundert sowohl die Begriffe „Bethaus“ als auch „Versammlungshaus“, wobei das Wort „Kirche“ nun die doppelte Bedeutung von Gebäude für den Gottesdienst und Versammlung sowie „Gemeinde“ angenommen hat. Vor diesem Zeitpunkt wurde die Gemeinschaft Gläubiger „Gemeinde“, „Gemeine“, „Assemblée“ oder ähnlich genannt. Piet Visser (in Bezug auf die Niederlande), Sebastian Schritt (für die Gemeinde Krefeld am Rhein) und Keith Sprunger (für nordamerikanische Gemeinden) stellen ausführlich dar, wie sich diese Identitätsveränderung in Spannungen äußert, sobald Gemeinden, oft aus Anlass einer Renovierung oder eines Neubaus, ihre Identität und ihre Beziehung zu ihren nicht-mennonitischen Nachbarn neu zu bestimmen versuchen.

Eine neue Phase für die Errichtung täuferisch-mennonitischer Gottesdiensthäuser setzte im letzten Drittel des 20. und im beginnenden 21. Jahrhundert mit dem Erscheinen professionell ausgebildeter mennonitischer Architekten ein, die in Zusammenarbeit mit der auftraggebenden Gemeinde einen Bau konzipieren, entwerfen und bauen, der den oben geschilderten Prinzipien bewusst entspricht. Der in einer amischen Familie aufgewachsene Architekt Leroy Troyer hat zum Beispiel viele Kirchen gebaut, die von der Schlichtheit der Linie und Form, von funktionsbestimmten Räumlichkeiten und vom Mittelpunkt der Gemeinschaft bestimmt sind. Die kanadischen Architekten Rudy Friesen und Harold Funk haben mit ihren Klienten in ähnlicher Richtung gearbeitet.

3. Forschungen zu täuferisch-mennonitischen Gottesdiensthäusern

Eines der Forschungsziele bei der Untersuchung dieser „klassischen“ Bauten ist es herauszufinden, warum in mennonitischen Gemeinschaften in Europa und in der Diaspora ein derart weitverbreiteter Zusammenhang gebauter Form besteht. Gab es eine stillschweigende (unausgesprochene) Theologie des Gottesdienstraumes und -ortes? Oder war die Form einfach nur die äußere Gestalt der Gemeinde? Vielleicht nahmen diese Bauten eine bestimmte Besonderheit an, weil ihre Baumeister (meistens Laien) ein starkes Gemeinschaftsbewusstsein besaßen, das vom Charakter ihrer Versammlungen, von ihrer Theologie der Glaubensgemeinschaft, ihren Ritualen und Bräuchen, von ihrer Leitungsstruktur sowie den wirtschaftlichen und politischen Einschränkungen, unter denen sie lebten, bestimmt wurde.

Vieles, was über Räume und Orte mennonitischer Gottesdienste und Versammlungen geschrieben wurde, ist nur deskriptiv, mit Berichten von Bauten in Beziehung zu Gemeinden und Menschen, ihren Siedlungen, Wanderungen und Feiern. Erwähnungen von Gebäuden in Gemeindegeschichten betonen entweder die Wichtigkeit der Schlichtheit oder aber die Unvermeidbarkeit von Fortschritt und Neuerungen. Diese widersprüchlichen Andeutungen weisen darauf hin, dass Gemeindegeschichten selten die theologischen oder kulturellen Gründe für die Gestaltung eines Gottesdienst- oder Versammlungsraumes ansprechen. Einige historische Untersuchungen regionaler oder nationaler Bautraditionen stellen Anfänge eines systematischen Zugangs zu diesem Thema dar. Herausragend unter ihnen sind J. J. Schieres Studie über niederländische Doopsgezinde Kirchenarchitektur (1977) und Rudy Friesens Abhandlung über russlandmennonitische Bauten (1996), in denen sie sich auf die umfassende nationale Geschichte während der täuferisch-mennonitischen Anwesenheit in diesen Gebieten konzentrieren. Der Eintrag zu „Architektur“ in der Mennonite Encyclopedia skizziert eine kurze Geschichte von Versammlungshäusern und Kirchengebäuden mit Hinweisen auf Orte und Bauweise bzw. bauliche Anlagen, die von besonderem Interesse sind. Es gibt nur wenige wissenschaftliche Arbeiten von nichtmennonitischen Autoren, und sie zeigen kein kritisches Verständnis für die vielschichtigen Traditionen der weiteren mennonitischen Welt. Während der letzten Jahrzehnte wurden Symposien abgehalten, die sich mit der Frage nach der Art von Bauten, die einer mennonitischen Gemeinde angemessen sind, befassten. Levi Miller gab das Buch über The Meetinghouse of God's People (1977) heraus, das Betrachtungen mennonitischer Historiker, Theologen, Architekten und Bauleiter enthält, einschließlich der Richtlinien für die Errichtung von Kirchengebäuden. 1997 war das Mennonite Heritage Center in Harleysville, Pennsylvanien, Gastgeber der Konferenz „Bethaus, Meetinghouse, Church: an Historical Inquiry into the Architecture of Anabaptist-Mennonite Worship Spaces and Places“. Organisiert vom Germantown Mennonite Historic Trust (Sitz in Philadelphia, Pennsylvania), brachte diese Konferenz eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern und Praktikern zusammen, um bei der Interpretation und Erhaltung des 1770 errichteten Gebäudes, Geländes und Friedhofs der German Town Mennonite Church zu assistieren. Sie ist die älteste mennonitische Gemeinde Nordamerikas, die 1683 von ausgewanderten Mitgliedern der mennonitischen Gemeinde in Krefeld gegründet wurde.

In diesen Schriften wird damit begonnen, den formativen theologischen und philosophischen Fragen der Täuferbewegung des 16. Jahrhunderts und den kulturellen-historischen Sachverhalten nachzugehen, die Architekturhistoriker in ihren Analysen von Bautraditionen beschreiben. Um die Fragen allerdings zu beantworten, die sich Historikern, Denkmalschützern und Gemeindebauleitern zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellen, sind weitere Studien notwendig, die das Ausgestalten von Baustrukturen für Gottesdienst und Versammlung mit dem Nachdenken über die Struktur der Gemeinde, über Lehre, Abendmahl, Taufe, Musik und andere Aspekte des Gottesdienstes verbinden.

4. Das Verhältnis von Form und Bedeutung

Die Herausforderung, vor der die heutige Generation steht, die sich mit Orten und Räumen des Gottesdienstes beschäftigt, ist die Vorstellung von der Abwesenheit des Heiligen in der Welt der Dinge. Dieses Problem kristallisierte sich natürlich am deutlichsten im Zusammenhang mit Abendmahl und Taufe heraus.

Taufgesinnte des 16. Jahrhunderts waren davon überzeugt, dass besondere Formen des Gottesdienstes in keiner wesentlichen Beziehung zu deren Bedeutung stehen. Insbesondere lehnten sie die katholische Lehre von der „Verwandlung“ (Transsubstantiation) der Abendmahlselemente ab. Ebenfalls lehnten sie die lutherische Auffassung von der Gegenwart Christi im Empfang von Wein und Brot unter dem Wort Gottes ab. Für die Taufgesinnten behielten Wein und Brot ihren Nahrungscharakter bei und symbolisierten oder stellten den Leib und das Blut Christi nur symbolisch dar. Sie bestanden darauf, dass die Handlungen und Elemente des Abendmahls äußere Zeichen eines inneren, willenskräftigen, erwachsenen Bewusstseins sind (→Abendmahl). Daher überrascht nicht, dass die Nachfahren der Täufer eine Vielfalt der Abendmahlsformen (z. B. das Versammeln um Tische wie bei einer Mahlzeit, das Trinken aus einem gemeinsamen Kelch oder aus kleinen Gläsern usw.) und Formen der Taufe (z. B. durch Begießen mit Wasser, Eintauchen oder durch dreifaches rückwärtiges Untertauchen) entwickelten. So ist auch eine Mannigfaltigkeit des Brauchtums in der Musik der Taufgesinnten oder Mennoniten, besonders im Gesang zu beobachten, der Hauptstütze mennonitischen Identitätsausdrucks. Die Amischen und einige andere Old Order Gruppen singen weiterhin die Märtyrerballaden des Ausbunds aus dem 16. Jahrhundert auf eine Weise, die dem gregorianischen Gesang ähnelt. Andere mennonitische Kreise schätzen dagegen den vierstimmigen Choralgesang der Gemeinde. Wenn außer-europäische musikalische Traditionen der Mennoniten hinzugezählt werden, gehören auch z. B. zentralafrikanisches Singen, Tanzen und Trommeln und Sing-Sang und Trommeln der Prairie-Indianer zu den musikalischen Ausdrucksformen, die in der mennonitischen Welt akzeptiert, geschätzt und praktiziert werden. Wir können sogar sagen, dass all diese Gesangsformen ihren eigenen „kanonischen“ Rang haben, nämlich als historische und künstlerisch-kreative Ausdrucksformen mit eigenen Gesetzen (→Gemeindegesang).

Die Vielfalt musikalischer Ausdrucksweisen und Brauchtumsformen bietet einen Schlüssel für eine differenzierte, kritische Betrachtung der gebauten Formen, die dem Gottesdienst dienen. Die ausdrucksträchtigen Stile der Predigt, der Abendmahlsfeier, des Choralgesangs, des Geschichten-Erzählens haben alle ihre charakteristischen Attribute, die respektiert werden müssen, so dass der jeweilige Stil Sinn erhält. Das klassische mennonitische Bet- oder Versammlungshaus kann als Behausung anderer kanonischer Formen, wie der Musik, der Gemeindeorganisation, den Sitzanordnungen, gesehen werden. Das Ganze wird geprobt, schöpferisch vervollkommnet und von Generation zu Generation vorsorglich weitergegeben.

5. Idee und Praxis in architektonischer Gestalt

Einige vorbildliche wissenschaftliche Studien zur Beziehung zwischen Ideen und gebauter Form sind für die Bildung einer Theorie des merkwürdigen Paradoxes täuferisch-mennonitischer Gottesdiensträume und -orte hilfreich. Das Paradox besteht darin, dass Verfolgung, Wanderung und Beschränkung der Baurechte zu Improvisationen geführt haben, und dennoch ein fast als klassisch zu bezeichnendes Muster von gebauter Form für den Gottesdienst entstanden ist, kanonische Formen, denen die Treue gehalten wurde. Dieses Paradox besteht auch darin, dass die Mennoniten ihre Architektur ein Jahrhundert lang der konventionellen Architektur ihrer Umwelt anpassten und schließlich mit Hilfe mennonitischer Architekten eine gebaute Form wieder erscheinen ließen, die an die klassische Phase erinnert.

Der bekannte Kunsthistoriker Erwin Panofsky hat die Formen gotischer Architektur und den Einfluss der Reformation auf gebaute Form und Ikonografie untersucht. Spätmittelalterliche Scholastik, verkörpert in Thomas Aquinas Summa Theologiae, setzte auf die aristotelische Idee des Göttlichen in der Natur und erhob dieses Prinzip zu grösstmöglicher Deutlichkeit. Die gotische Kathedrale ist die Verkörperung des Göttlichen in dem von Gott geschaffenen Universum. So wie die Summa eine vernunftgemäße Gliederung des Universums darstellt, stellt die Kathedrale das Universum der Sinne zur Ehre Gottes dar, markiert von Beziehungen zwischen materiellen, geistigen oder logischen Regeln. Das hohe Gewölbe bezieht sich auf die Allmacht Gottes; die Vielzahl hoher Fenster lässt das Licht des Glaubens und die Wirklichkeit Gottes in den Raum des Gläubigen strömen. Physikalische Gesetze und göttliche Wahrheit verschmelzen in der Natur Gottes.

Die Reformation, insbesondere die radikale Reformation der Täufer, brach mit der mittelalterlichen Wirklichkeitsstruktur. Sie trennte das Individuum vom Priester, die Kirche vom Staat. Auf ähnliche Weise zerbrach die perfekte Integration – eine Art Wesenhaftigkeit – zwischen der äußeren Form und dem inwendigen Bewusstsein die für die Scholastik bestand. In seinen Gedanken über die christliche Kunst während dieser Zeit der Umwälzung stellt Panofsky fest, dass die Prinzipien der Darstellung und nicht die Ausdrucksformen und der eigentliche Inhalt der biblischen Erzählung betroffen waren. Die Art und Weise, in der Bilder und Materialien gebraucht wurden, waren von nun an kein einziges vom Wesen her zusammenhängendes Ganzes mehr.

Bevor die Konsequenzen dieser Veränderung in der Rolle der Künste und der gebauten Formen innerhalb des christlichen Gottesdienstes erörtert werden, wird die Untersuchung Rudolph Schwartzs über die Wirkung alternativer Formen auf die Gemeindeversammlung und den Gottesdienst kurz skizziert, nämlich seine drei Grundformen: „der heilige Kreis“, „die heilige Öffnung“ und die „Wallfahrt“ (auch „der Weg“ genannt).

Die erste dieser drei Raumformen ist der Kreis, den die Gemeindemitglieder um den Altar, das Abendmahl, den Priester und vielleicht eine Kerze herum bilden. Sie sind eine sich gegenseitig anschauende Gemeinschaft, deren Mittelpunkt Christus ist. Um das Abendmahl zu feiern, braucht kein allzu großer Raum vorhanden zu sein, in dessen Mitte der Tisch mit der Schale für das Brot und das Gefäß für den Wein steht. Der Tisch kann mit Kerzen geschmückt sein und umringt mit Sitzgelegenheiten für die Versammelten. Ein Tisch im Raum ist alles, was für die einfachste Kirche nötig ist. Der Tisch stellt die tragende Erde dar, die für die Feier erhoben ist. Das Gefäß ist die innerste Vertiefung (Mulde, Senkung) des Mysteriums, dessen Urform und damit auch das Urbild der um den Tisch versammelten Menschen, die die Menschen umgebenden Wände werden zum Urbild der innerlichen Kirche. Die Kerze ist das lebendige Licht, das von der Mitte her strahlt. Der Raum ist Gegenwärtigkeit des Heiligen. Wände und Dach sind die äußere Umhüllung. Die kleine Gemeinde sitzt oder steht um den Tisch, der Herr ist in ihrer Mitte, wie Er es versprach: wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind.

Die zweite Form, die „heilige Öffnung“, ist ein Rechteck, in dem sich die Gemeindemitglieder an drei Seiten gestaffelt so einander gegenüber sitzen, dass ihr gemeinsamer Blickpunkt der Altar, Priester oder Prediger und das heilige Abendmahl in der oberen Mitte der Längsachse werden. Diese Form entspricht in ihrer Anordnung der Menschen im Zueinander den Eigenschaften des „heiligen Kreises“ – bleibt aber dann offen, hingewandt zur Möglichkeit einer transzendenten Gegenwart jenseits der versammelten Gemeinde. Diese „Öffnung“ am Ende der Längsachse des Raums ist zumeist mit Symbolen des Transzendenten, zum Beispiel mit Altar, Kreuz, Fenster oder dem offenen Himmel markiert.

Die dritte Form, „der Weg“ oder „die Wallfahrt“ wird in der Form der Basilika ausgedrückt. Alle Versammelten blicken in dieselbe Richtung nach vorne zum Altar und zum Priester hin, vielleicht auch zu einem Kreuz oder einer anderen Darstellung des Ewigen. Dies ist eine strenge Form. Da alle nach vorne sehen, fehlt das gegenseitige Anschauen, das herzliche Miteinander. Hier stehen zwar alle zusammen, doch jeder für sich allein, Schulter an Schulter, Schritt auf Schritt folgend in geraden Linien. Keiner sieht das Gesicht des Anderen, die hinter einem Sitzenden sieht man überhaupt nicht. Die Form des „Weges“ oder der „Wallfahrt“ lässt jeden allein, das Herz bleibt abgesondert (Rudolph Schwartz, Vom Bau der Kirche, 1947).

Für Schwartz verkörpern die ersten beiden Formen des Gottesdienstraumes Gemeinschaft und Verantwortlichkeit füreinander; sie sind egalitär unter einem höheren Gesetz. Die dritte Form, der „Weg“, ist von Natur aus ohne Liebe zum Nächsten hierarchisch; er setzt eine untergebene Gemeinschaft voraus. Die ausschließlich der Längsachse folgenden, nach einem „Vorne“ ausgerichteten Sitzreihen tragen zu einer passiven Gemeindehaltung bei oder spiegeln sie wider, geregelt von einer Priesterschaft, die den Zugang zum Göttlichen kontrolliert.

Wenn die mennonitische Geschichte im Licht dieses Schemas gelesen wird, verkörpern der erste und zweite Raumtypus – der „heilige Kreis“ und „die heilige Öffnung“ – am besten die klassischen Bethaus- und Versammlungshausformen. Es ist ebenfalls offensichtlich, dass Mennoniten im Verlauf ihrer Aneignung des Kirchenmodells zu einer unpersönlicheren, hierarchischen und strengen Form des „Weges“ (dritter Typus) übergetreten sind. Die Priesterschaft der Gläubigen hat sich in die Robe einer hierarchischen, hochpriesterlichen Architektur gehüllt, die die vollkommen integrierte Welt der Scholastik, des Göttlichen versinnbildlicht und in der gotischen Kathedrale am deutlichsten veranschaulicht.

6. Zufällige Verbindungen zwischen Form und Bedeutung

Insofern es um die Materialität (Elemente, Bestandteile, Körperlichkeit) des Gottesdienstes geht, bleibt diese „ikonographische Umwandlung“ ein schwierig zu überwindendes Hindernis. Das sich ergebende Paradox ist der Grund für die Schwingungen zwischen freiem und dogmatischem Verhalten, zwischen Bilderstürmerei und genauem Beibehalten einer bestimmten Form. Daraus folgte im 20. Jahrhunderts die Entstehung von „Old Order"-Gruppen, die Kontinuität mit der Vergangenheit sowohl in der Form ihrer Gottesdienst- und Versammlungshäuser als auch in der Form ihres Gottesdienstes befürworten.

Scharfsinnige Beobachter dieser Situation haben diese Spannung sowohl als Quelle des Konservatismus als auch des schöpferischen Ausdrucks verstanden. Alvin Beachy, Theologe amischer Abstammung, meinte, dass gerade die Körperlichkeit von Kunst und Architektur die Menschwerdung Christi manifestiert. Er beklagte die mennonitische Ablehnung des Mystizismus der vorreformatorischen Kirche und der Orthodoxen Kirche des Ostens – für die das Mysterium der Gnade Gottes im Abendmahl offenbart wird – eine Ablehnung, die Beachy als „versteckten Gnostizismus“ bezeichnete.

Max Weber bezieht sich auf die Täufer in seinen Schriften über religiöse Askese und bietet eine sehr hilfreiche Formulierung des erwähnten Paradoxes. In seinen Erörterungen zu weltabweisenden Religionen und dem Einfluss, den eine solche Haltung auf kulturelle Formen und ästhetischen Ausdruck hat, gebraucht Weber den Begriff „Zufälligkeit“ in seiner Beschreibung kultureller Formen, die innerhalb einer „Ethik religiöser Brüderlichkeit“ entstehen. Weber erklärt mit diesem Begriff, wie eine religiöse oder kulturelle Bewegung ihre einerseits „Welt-verneinende fast mystische Ethik“ mit den Sinnesempfindungen unserer Körper und Gemeinschaften im erdgebundenen Leben miteinander verbinden kann. Wir können diese Argumentation für das Verständnis der Beziehung zwischen der gebauten Form und dem Leben der versammelten Gemeinschaft anwenden. Weber sagt, dass die Zufälligkeit der Beziehung zwischen Form und Bedeutung andeutet, sie könne „sein oder nicht sein“. Das heißt, die Verbindung von Form und Bedeutung ist nicht auf absolute Weise notwendig, obwohl sie – wie gutes mennonitisches Singen und verschiedene Taufpraktiken – als bedeutungsvoll erkannt und geschätzt werden können. Zufällige Verknüpfung von Form und Bedeutung weist darauf hin, dass es bestimmte Traditionen und Formen geben kann – wie für Musik, Taufe, Abendmahl oder Gottesdiensträume – die variieren, aber trotzdem jeweils ihrer inneren Eigengesetzlichkeit folgen.

Es überrascht daher nicht, dass innerhalb der „Bethaus, Meetinghouse, Church“-Konferenz individuelle Stimmen in der Diskussion zur Beziehung zwischen Form und Bedeutung täuferisch-mennonitischer Bauten das gesamte Spektrum von „zufällig“ bis „notwendig“ vertraten, ein Hinweis darauf, dass beide Seiten dieses Paradoxes beachtet werden müssen. Piet Visser betont in seinem Aufsatz über die vierhundertjährige Geschichte der Gottesdienstbauten holländischer Mennoniten, dass keine Belege zu finden seien, die eine Übereinstimmung zwischen baulicher Form mit täuferischen Glaubensüberzeugungen annehmen ließen. Ähnliches beobachtete Leonard Gross auch für die Hutterer (Leonard Gross, 1999).

Die auf erwähnter Konferenz anwesenden Architekten vertraten zumeist die Ansicht, dass eine Verbindung von Form und religiöser Bedeutung notwendig sei. Sie betonten weniger die Sachverhalte der Lehre oder Prinzipien des Glaubens, als vielmehr die physischen Eigenschaften von Raum, Akustik, Farbe, Licht und Materialien und deren Wirkung auf das menschliche Wahrnehmungs- und Empfindungsvermögen. Leroy Troyer wies darauf hin, dass Augenkontakt zwischen zwei Menschen nur bis zu einer Entfernung von 16 Metern möglich sei und auf diese Weise der Größe eines Gottesdiensthauses Grenzen gesetzt seien, sofern es dem intensiven Miteinander der Menschen dienen soll.

Der kanadische Architekt Harold Funk kommt einer konkreten Umsetzung von Beziehungen zwischen der täuferisch-mennonitischen Gemeinde und der dazu passenden gebauten Form am nächsten. Schon von Beginn seiner beruflichen Tätigkeit war er mit den Schriften von Rudolph Schwarz vertraut und entwirft heute „mennonitische Kirchen“ für Mennoniten, Katholiken und Auftraggeber anderer Glaubensgemeinschaften in und um Winnipeg (Manitoba).

7. Suche nach neuen Formen der Architektur

Ungeachtet unterschiedlicher Einschätzungen der Beziehung zwischen baulicher Form und religiöser Bedeutung des Gottesdienstbaus sollte es möglich sein, einen Konsens zu formulieren. Alle von Zufälligkeiten bestimmten Traditionen und Formen, die für eine bestimmte Zeit und an einem bestimmten Ort als täuferisch-mennonitisch identifiziert werden können, sind bedenkenswert. Wenn in einem Gebäude Elemente einer erkennbaren täuferisch-mennonitischen Form vorhanden sind, dann sollte das aufgezeichnet und erhalten werden. Falls es formale Eigenschaften des Baus und dessen Materialien gibt, die mit dem täuferisch-mennonitischen Verständnis konsequenter Nachfolge Christi mitschwingen, dann sollten sie respektiert und in neuen Formen weiter ausgestaltet werden.

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John M. Janzen

 
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