Ethnizität (bzw. Ethnie)

In der Forschung wird der Begriff der „Ethnizität“ unterschiedlich bestimmt, grundsätzlich aber bezieht er sich auf eine Volksgemeinschaft, die sich von der größeren Gesellschaft, in der sie lebt, durch kulturelle Tradition, Sprache oder nationalen Ursprung absetzt. Auch die Beziehung zwischen Ethnie und Rasse ist komplex und umstritten, umgangssprachlich verwenden aber viele den Begriff der Ethnizität, um Gruppendifferenzen innerhalb einer Rasse zu beschreiben. Wissenschaftler nehmen heute an, dass Ethnizität und Rasse gesellschaftlich konstruierte Identitäten seien, viele glauben jedoch weiterhin, dass Ethnie irgendwie ursprünglicher sei als Rasse. Manchmal fungiert Religion als eine ethnische Bezeichnung (z. B. Juden, Hugenotten) und manchmal nur als ein wichtiger Bestandteil der Ethnizität (z. B. Irische Katholiken, Singhalesische Buddhisten).

1. Ethnizität als „Problem“ für mennonitisches Denken

Mennonitischer Glaube scheint mit seiner Betonung der Friedfertigkeit und der Freiwilligkeit der Taufe auf den ersten Blick Ausdruck eines Christentums zu sein, das mit Ethnizität kaum vereinbar ist. Das Mennonitentum war nicht, worauf die Glaubensbekenntnisse im 16. Jahrhundert bestanden, ein Glaube, der ererbt werden konnte oder an einen bestimmten Ort gebunden war, sondern ein Glaube, der bewusst angenommen und allen Menschen überall angeboten wird. Das Wasser der Taufe sollte wichtiger sein als Familienbande. Andererseits ist der mennonitische Glaube im Laufe der Geschichte oft mit gewissen Familien an bestimmten Orten und mit einer bestimmten Art, ihm Ausdruck zu verleihen, in Verbindung gebracht worden. Darüber hinaus förderte die mennonitische Betonung der Ethik und der praktischen Konsequenz des Glaubens einen bestimmten Lebensstil, beispielsweise einfache Kleidung zu tragen oder der deutschen Sprache selbst nach der Einwanderung in Nord- oder Südamerika die Treue zu bewahren.

Die Abneigung der Mennoniten, den Staat oder die Nation zu segnen oder die bürgerliche Ordnung am Ort mit einem Heiligenschein zu versehen, konnte ein Verständnis von Volksgemeinschaft entstehen lassen, das sich von herkömmlich verstandenen ethnischen Kategorien absetzte, und so konnte der religiöse Glaube zu einem Ausdruck ursprünglicher Ethnizität werden. Mennoniten haben sich oft in einer Welt vorgefunden, in der vielfältige Identitäten nebeneinander existierten, die sie auf gemischte Weise annahmen, so dass sie ihre Religion zu einem Teil traditionell verstandener ethnischer Kategorien machten, wo die Religion zwar die Ethnizität mit gewissen Merkmalen ausstattete, aber nicht umfassend definierte.

Diese Spannung zwischen individuellem Glauben und ethnisch ausgerichteten Kirchengemeinden ist in der Geschichte der Mennoniten allgemein gewesen. Obwohl Mennoniten bestätigen, dass der Glaube nicht frei von Kultur sein könne und dass er an die Zeit und den Raum gebunden sein müsse, um authentisch zu sein, haben sie oft den Implikationen widersprochen, die in den Beziehungen zwischen Glaube und Kultur gesehen wurden. Ebenso blieb ungeklärt, ob Kultur nur ein zufälliger Träger des mennonitischen Glaubens oder ein grundsätzlicher Teil des Mennonitentums selbst sei.

2. Ethnizität in der Geschichte der Mennoniten

An den Erfahrungen der Mennoniten in Nordeuropa und in Russland lassen sich einige der dynamischen Kräfte erkennen, die zur Entwicklung der mennonitischen Ethnizität geführt haben. Auch wenn eine Verpflichtung gegenüber bestimmten Glaubensauffassungen und religiösen Praktiken die erste Generation der Täufer auszeichnete, rückten die Erfahrungen, die sie während einer langen Geschichte der Verfolgung gesammelt hatten, die Mennoniten an die Ränder der Gesellschaft und halfen, eine Art von Identität als soziale Minorität auszubilden. Wanderung und Flucht vor solcher Verfolgung erzeugten insgesamt diesen Minderheitenstatus, beispielsweise als flämische Täufer im 16. Jahrhundert nach Friesland gezogen waren. Kulturelle Unterschiede zwischen flämischen und friesischen Mennoniten verbanden sich mit theologischen Unstimmigkeiten und führten zu einem Schisma entlang ethnischer Grenzen. Auf der Suche nach Duldung wanderten niederländische Mennoniten ins Weichseldelta aus, wo sie sich ihre holländische Sprache eine Zeit lang bewahrten und erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein westpreußisches Plattdeutsch (→Plautdietsch) als Umgangssprache annahmen. Im Gottesdienst nutzten sie das Schriftdeutsch. Damit setzten sie sich von den Mitgliedern der katholischen wie der lutherischen Kirche in ihrer Gegend ab.

Die Gewährung von Religionsfreiheit trug auch dazu bei, sich als ein eigenes Volk zu verstehen, als nachsichtige adlige Herren die Mennoniten in ihren Toleranzedikten als eine Minderheit beschrieben, die des Schutzes Wert sei, ihnen aber verboten, unter der Bevölkerung für ihre Glaubensgemeinschaft zu werben. Sowohl im polnischen Preußen als auch in der russisch-ukrainischen Steppe haben Privilegienurkunden Mennoniten als ein Volk mit besonderen Beziehungen zur weltlichen Obrigkeit (Staat) beschrieben, das die Gelegenheit erhielt, in zusammenhängenden Kolonien zu leben, ein eigenes Erziehungswesen in der Sprache ihrer Wahl aufzubauen und viele ihrer inneren Angelegenheiten selbst zu regeln. Die Subgesellschaften, die sich auf diese Weise in den mennonitischen Kolonien ausbildeten, waren durch ihre Anhänglichkeit an die deutsche Sprache gekennzeichnet, durch ein eigenes Schulwesen, bestimmte Speisen (z. B. Vereniki, Pluma Moos, bestimmte Erbregelungen und sogar einen eigenen Stil in Kleidung und Mobiliar). Mennoniten, die aus dem russischen Zarenreich bzw. später aus der Sowjetunion auswanderten, trugen Züge mennonitischer Ethnizität nach Kanada, Mexiko, Paraguay und andere Länder im 19. und 20. Jahrhundert mit sich.

Als besonders fruchtbar hat sich die Frage nach der Beziehung zwischen Mennonitentum und Ethnizität im sozialen Kontext Nordamerikas erwiesen. Masseneinwanderung und religiöser Pluralismus haben sowohl eine Reihe ethnischer Gruppen hervorgebracht, als auch zu zahlreichen Konversionen von einer Glaubensgemeinschaft zu anderen oder zum Ausstieg aus jeder religiösen Bindung geführt. Zusätzlich hat eine sogenannte Wiederbelebung der „Anabaptist Vision“ viele nordamerikanische Mennoniten davon überzeugt, ihren Glauben in Prinzipien wie Nachfolge, Gemeinschaft und Friedfertigkeit (Pazifismus) zum Ausdruck zu bringen und nicht in Sprache und Volkstum. Auch wenn diese Kennzeichen unter den Mennoniten in Nordamerika allgemein anerkannt gewesen sind, gibt es doch einige Unterschiede zwischen den USA und Kanada. In Kanada legitimiert die öffentliche Politik der Multikulturalität die Ethnizität als Quelle der Identität. Außerdem scheint „mennonitisch“ sogar als Option in nationalen Volkserhebungen ausgewiesen zu sein. Hier war besonders „Plautdietsch“ ein bedeutsames Merkmal ethnischer Zugehörigkeit. In den USA spielte die Verschmelzung ethnischer Kulturen eine größere Rolle („melting pot“).

Eine der wichtigsten Entwicklungen des 20. Jahrhunderts war in Nordamerika die Entstehung einer „symbolischen Ethnizität“, d. h. einer Ethnizität, die durch die freiwillige Zugehörigkeit zu ethnisch gebundenen Institutionen definiert wird. Unter Mennoniten war das oft ein städtisches Phänomen und blühte besonders nach 1950 auf, als nordamerikanische Mennoniten die Anzahl ihrer Colleges erweiterten und zahlreiche höhere Schulen einrichteten, Versicherungsgesellschaft, Freizeitlager, Altenheime, Kreditanstalten und sogar Reisebüros wurden geschaffen. In dieser neuen Welt „symbolischer Ethnizität“ konnte man Schulen besuchen, Ersparnisse investieren, Krankenversorgung erhalten und Erholung in mennonitischen Einrichtungen finden. Symbolische Ethnizität schien den Mennoniten eine Mischung aus individueller Freiwilligkeit und bestimmter Gruppenidentität anzubieten.

3. Beziehung von Glauben und Ethnizität in der Gegenwart Nordamerikas

Der Historiker Royden Loewen hat fünf Modelle beschrieben, die nordamerikanische Mennoniten entwickelt haben, um Glauben und Ethnizität in Beziehung zu setzen. (1) Mit dem ersten Modell wird nur mennonitische Ethnizität in kulturellen Begriffen erfasst und kein Interesse an mennonitischen Glaubensvorstellungen gezeigt. Bekannte Dichter, Wissenschaftler und Sozialkritiker empfinden den mennonitischen Glauben in diesem Lager als eine Belastung, feiern aber ethnische Traditionen der Mennoniten, plattdeutsche Literatur oder andere Formen traditionellen Volkstums. (2) Das zweite Modell wurde von frommen Mennoniten entwickelt, die der Meinung sind, dass jeder Mensch in einer vielschichtigen, modernen Gesellschaft eine bestimmte Ethnizität aufweist und ethnische Traditionen angenommen werden können. Ebenso meinen sie, dass solche Traditionen nicht den persönlichen Glauben ersetzen sollten. Diese Mennoniten mögen die „mennonitische Küche“ schätzen oder Gefallen an der genealogischen Erforschung ihrer mennonitischen Vorfahren finden, aber sie unterscheiden solche Aspekte ihres Lebens ziemlich klar von ihrem Glauben und sind darauf bedacht, beides nicht miteinander zu vermischen. (3) Für Mennoniten, die dem dritten Modell zuneigen, geht eine solche Trennung von Glauben und Ethnizität nicht tief genug. Sie sehen in der traditionellen mennonitischen Kultur eine Behinderung des mennonitischen Glaubens und auch ein Hindernis für den Auftrag der Gemeinden zur Mission. Diese oft evangelikal orientierte Gruppe weist alle traditionellen ethnischen Merkmale zurück und löst auf diese Weise die Spannung zwischen Glauben und Ethnizität so entschieden auf, wie diejenigen, die das erste Modell bevorzugen – aber nur in der umgekehrten Richtung. (4) Ein ganz anderes Modell schwebt einer vierten Gruppe vor, zu der die Old Order Mennonites, die Old Order Amischen und die Hutterer zählen. Diese vermischen bequemerweise Glauben und Ethnizität miteinander und sehen in ethnischen Gemeinschaften und Brauchtum Quellen, aus denen sich der mennonitische Glaube speist. (5) Schließlich gibt es eine Anzahl mennonitischer Gemeindeglieder, die das Adjektiv „mennonitisch“ in einer irgendwie pragmatischen Weise verwenden und weder für ethnische noch doktrinär-konfessionelle Elemente viel Verständnis aufbringen. Kirchen, zu denen auch pfingstlerische lateinamerikanische Einwanderer gehören, können mit einer Konferenz in Nordamerika verbunden sein, oder Hmong-Flüchtlinge, die vom →Mennonite Central Committee unterstützt wurden, können eine Kirche bilden, die sich einer Konferenz in Kanada anschließt, ohne ein Gespür für irgend eine Form von Ethnizität auf der einen Seite oder einen Fundus bestimmter theologischer Anliegen auf der anderen entwickelt zu haben. So setzen sich mennonitische Bevölkerungsgruppen in Nordamerika jetzt auch zusätzlich zu Angloamerikanern aus einer wachsenden Zahl Afro-Amerikaner, Asiaten und einheimischer Indianer zusammen, die alle Diskussionen um Glauben und Ethnizität verändern und Angehörige früherer Zeiten zwingen könnten, die Beziehung von Religion und Ethnizität neu zu durchdenken.

4. Mennoniten und Ethnizität weltweit

Die Beziehung zwischen Glauben und Ethnizität wurde auch in anderen Teilen der Welt unter den Mennoniten diskutiert. In Indonesien haben sich mennonitische Konferenzen lange Zeit den ethnischen Grenzen entlang organisiert. Gereja Injili di Tanah Jawa ist eine fast ausschließlich aus Gemeinden javanischer Abstammung bestehende kirchliche Konferenz gewesen, während Gereja Kristen Muria Indonesia eine Konferenz war, die sich aus den Diaspora-Mennoniten chinesischen Ursprungs gebildet hatte. Wie der mennonitische Historiker Adhi Dharma schreibt, waren die verschiedenen indonesischen kirchlichen Körperschaften der Mennoniten in den „linguistischen und sozialen Behinderungen“ verwurzelt, die die Mennoniten in eine „javanische Gemeinschaft trennte, die javanisch sprach, und eine chinesische, in der Malayisch gesprochen wurde“. Weiter: „gab es eine soziale Kluft, die nicht leicht zu überbrücken war“. An diesen beiden Konferenzen ist zu sehen, dass es sich bei dieser Trennung nicht „um eine Angelegenheit der Lehre, sondern der sozialen Identität“ handelte (I. P. Asheervadam, Churches Engage Asian Traditions, 73). In Indien haben Mennoniten mit Fragen der Klasse und Kaste gerungen, die in ihren Implikationen den Fragen der Ethnizität nicht ungleich sind.

Ethnizität ist für die Mennoniten in →Lateinamerika wichtig gewesen. In diesem Kontext haben einheimische Bevölkerungsgruppen, spanisch sprechende Mestizos und in neuerer Zeit deutsche Immigranten ein Mosaik mennonitischer Sprachen und Kulturen geschaffen. In Argentinien begannen nordamerikanische Missionare nach 1917 damit, unter den damals gerade eingewanderten Italienern zu missionieren. Diese Einwanderer waren katholischer Herkunft, fühlten sich aber in der katholischen Kirche Argentiniens, die von spanisch sprechenden Argentiniern dominiert wurde, fremd. In den 1940er Jahren eröffneten mennonitische Missionare ihre Arbeit unter den Tobas, einer einheimischen Indiogruppe im argentinischen Chaco.

Ethnische Vielfalt ist wohl am bemerkenswertesten in Paraguay, wo plattdeutsch sprechende Mennoniten aus Kanada und mennonitische Flüchtlinge aus der Sowjetunion zwischen 1920 und 1950 in sogenannten Kolonien siedelten. Bald begannen mennonitische Missionen in Paraguay, auch „Licht den Indianern“ (1935), Kirchen unter den einheimischen Paraguayern zu gründen, und nachdem einige Mennoniten aus den Kolonien in städtische Gebiete gezogen waren, beispielsweise nach Asunción, haben sie unter den spanisch sprechenden Paraguayern geworben. In den letzten Jahren sind die lateinamerikanischen Mennoniten zunehmend dazu übergegangen, diese ethnische Vielfalt positiv zu bewerten. Die →Mennonitische Weltkonferenz, die 2009 in Paraguay stattfand, stellte die Vielfalt lokaler Gottesdienste auf Deutsch, Spanisch und einem halben Dutzend einheimischer Sprachen in den Mittelpunkt der Versammlungen.

Sowohl aufgrund der wachsenden mennonitischen Bevölkerung weltweit in immer mehr Ländern und kulturellen Zusammenhängen als auch aufgrund der Dynamik der globalen Migration und zunehmender Religiosität wird die Frage nach Glauben und Ethnizität ein wichtiger Bestandteil der Gespräche unter den Mennoniten bleiben.

Bibliografie (Auswahl)

I. P. Asheervadam u. a., Churches Engage Asian Traditions. Global Mennonite History Series: Asia, Intercourse, PA, und Kitchener 2011. - Ervin Beck, MennoFolk: Mennonite and Amish Traditions, Scottdale, PA, 2004. - Kathleen Neils Conzen, David A. Gerber und Ewa Morawska, The Invention of Ethnicity: A Perspective from the U.S.A., in: Journal of American Ethnic History 12, Herbst 1992, 3–63. - Harry Loewen (Hg.), Why I am a Mennonite: Essays on Mennonite Identity, Scottdale, PA, 1988. - Royden Loewn, The Poetics of Peoplehood: Ethnicity and Religion among Canada's Mennonites, in: Christianity and Ethnicity in Canada,hg. von Paul Bramadat und David Seljak, Toronto 2008, 330–364. - Steven M. Nolt, A 'Two-Kingdom' People in a World of Multiple Identities: Religion, Ethnicity, and American Mennonites, in: Mennonite Quarterly Review 73, 1999, 485–502. - Jaime Prieto Valladares, Mission and Migration. Global Mennonite History Series: Asia, Intercourse, PA, und Kitchener, Ont., 2009. - John Redekop, A People Apart: Ethnicity and the Mennonite Brethren, Winnipeg, Man., 1987. - Hans Werner, Peoplehoods of the Past: Mennonites and the Ethnic Boundary, in: Journal of Mennonite Studies 23, 2005, 23–36.

Steven M. Nolt

 
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