Espelkamp

1. Anfänge und Entwicklung der Gemeinde

In einem größeren zusammenhängenden Waldstück des Ortsteils Mittwald in der westfälischen Landgemeinde Espelkamp (Kr. Lübbecke) war 1938 eine Munitionsanstalt aufgebaut worden. Aus der Luft uneinsehbar, war die Anlage im Zweiten Weltkrieg vor Luftangriffen geschützt. Nach Kriegsende wurden in den Gebäuden der ehemaligen Munitionsanstalt Flüchtlinge aus dem Osten und entlassene Kriegsgefangene mit Hilfe des Evangelischen Hilfswerks angesiedelt. 1948 organisierte Paul →Peachy, der nordamerikanische Direktor des Mennonitischen Freiwilligendienstes für Europa, ein Internationales Jugend-Aufbaulager in Espelkamp. Junge Menschen verschiedener Länder, Sprachen und Kulturen halfen beim Umbau der ehemaligen Munitionshallen zu brauchbarem Wohnraum. In diesem Jahr trafen auch mennonitische Paxboys (→Pax-Programm) aus den USA ein, um anstelle eines Militärdienstes waffenlosen Friedensdienst zu leisten. Auch sie beteiligten sich an den Um- und Aufbauarbeiten. In gemeinsamen Bibelstunden vertieften die jungen Helfer und die Flüchtlinge ihren Glauben an Jesus Christus. Auch die Kinder- und Jugendstunden, die sie anboten, wurden von der jungen Generation gern angenommen. Parallel zu den Aufbauarbeiten warben Cornelius Franz →Klassen vom →Mennonite Central Committee (MCC) und Otto Wiebe aus Neuwied unter den in Norddeutschland verstreut lebenden mennonitischen Flüchtlingen für deren Ansiedlung in Espelkamp. Einige folgten dieser Aufmunterung, unter ihnen Kurt Ewert aus der früheren Mennoniten-Gemeinde Tragheimerweide (Westpreußen) sowie Kurt und Erika Klaassen, die sich intensiv an den Aufbauarbeiten in Espelkamp beteiligten. Weitere mennonitische Flüchtlinge folgten und siedelten sich in der Weichselgasse und deren unmittelbarer Umgebung an. Schließlich wurde am 21. September 1952 die Mennoniten-Gemeinde Espelkamp e. V. gegründet. Eine ehemalige Munitionshalle wurde erworben und zu einer kleinen Kirche umgebaut.

Im Herbst 1953 zog Albert →Bartel, der frühere Älteste der Gemeinde Tragheimerweide, mit seiner Familie nach Espelkamp und wurde zum Ältesten der Gemeinde berufen. Die Gemeinde schätzte diesen umsichtigen und erfahrenen Prediger. Noch im Jahr 1953 fand die erste Taufe statt. Weitere Glaubensgeschwister zogen nach Espelkamp, 1954 wurde die erste Diakonenwahl, 1955 die erste Predigerwahl durchgeführt.

Parallel zum Aufbau der Mennoniten-Gemeinde betrieb die Conservative Mennonite Conference (CMC, später Rosedale Mennonite Missions) eine stadtmissionarische Arbeit, die bis 1967 von dem ehemaligen Paxboy John Gingerich und dessen Ehefrau Grace geleitet wurde. 1958/59 baute die CMC in unmittelbarer Nachbarschaft der Mennoniten-Gemeinde das „Mennoheim“. Manche Aufgaben wurden nun gemeinsam wahrgenommen. Die sonntäglichen Gemeindegottesdienste fanden in der Kirche statt, die Sonntagsschule für die Kinder sowie Bibelstunden, Chorproben, Jugendarbeit, Frauenstunden und Kinderfreizeiten wurden im Mennoheim durchgeführt. Die Zusammenarbeit zwischen der Mennoniten-Gemeinde und den Mitarbeitern des Mennoheims war besonders anfangs von mancherlei Konflikten geprägt. Im Laufe der Jahre wuchsen aber beide immer mehr zusammen. Als weitere Leiter der Arbeit im Mennoheim, unterstützt von CMC, dienten von 1968 bis 1977 Klaus und Linda Penner, ab 1975 unterstützt von Familie Heinrich Boschmann, die bis 1978 in Espelkamp blieb.

Am 3. November 1964 besuchte Albert Bartel das Durchgangslager in Stukenbrock. Dort traf er auf mennonitische Rückwanderer aus →Paraguay. Albert Bartel warb unter ihnen für eine Ansiedlung in Espelkamp. So zogen ab 1965 etliche Familien aus Paraguay sowie einzelne aus →Uruguay nach Espelkamp. Viele von ihnen schlossen sich der Mennoniten-Gemeinde an. Noch in →Südamerika gewählte Prediger und Diakone wurden nach einer Kennenlernphase und bei entsprechender Bereitschaft auch hier zum Dienst eingesetzt. Am 7. März 1965 beschloss die Gemeindeversammlung für alle Gemeindemitglieder ab 18 Jahren das Stimmrecht, das bis dahin nur den Männern vorbehalten war.

Ab 1972 zogen Glaubensgeschwister aus der ehemaligen UDSSR nach Espelkamp und schlossen sich der Mennoniten-Gemeinde an. Wiederum konnten sich noch dort eingesetzte Prediger nach einer Zeit des Kennenlernens auch in Espelkamp am Predigtdienst beteiligen. Bald schon platzte die Kirche aus allen Nähten. Im August 1973 erfolgte die Grundsteinlegung für einen größeren Kirchenanbau, der am 20. Oktober 1974 eingeweiht wurde. Nachdem die Gemeinde in den ersten Jahren ihres Bestehens um 85 Gemeindeglieder hatte, ist sie bis zum Jahr 1979 auf über 600 Gemeindeglieder angewachsen.

1976 signalisierte die CMC, dass sie sich aus der stadtmissionarischen Arbeit in Espelkamp zurückziehen wolle, und bot der Mennoniten-Gemeinde den Kauf des Mennoheims an. 1978 realisierte die Gemeinde den Kauf dieses Heims. Gleichzeitig wurden Horst und Irmtraud Neufeld als Leiter der Arbeit im Mennoheim berufen, und Horst Neufeld wurde vollzeitig als Prediger der Gemeinde angestellt. Er hatte seine theologische Ausbildung im Prediger- und Missionsseminar St. Chrischona bei Basel erhalten und schon viel Erfahrung im Gemeindedienst der Mennonitengemeinde Ingolstadt und in der Gemeindegründungsarbeit der Mennonitischen Heimatmission in Dachau gesammelt. Im Oktober 1983 wurde Horst Neufeld zum leitenden Ältesten der Gemeinde gewählt, nachdem Albert Bartel dieses Amt aus Gesundheits- und Altersgründen kurz zuvor niedergelegt hatte.

In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre setzte ein weiterer starker Zuzug von Glaubensgeschwistern aus der ehemaligen Sowjetunion ein, die sich teilweise der Mennoniten-Gemeinde anschlossen. So wurden wegen Platzmangel seit 1988 sonntäglich zwei Gottesdienste angeboten. Der vorläufige Höhepunkt der Gemeindemitgliederzahl wurde 1991 mit 750 erreicht. 64 % von ihnen stammten aus den Ländern der ehemaligen UDSSR, 18 % aus Südamerika und ebenso 18 % aus dem ehemaligen Westpreußen.

Im Dezember 1999 wurde Horst Neufeld im Rahmen eines Gottesdienstes in den Ruhestand verabschiedet. Horst und Irmtraud Neufeld sind der Gemeinde als ehrenamtliche Mitarbeiter erhalten geblieben, da sie ihren Ruhestand in Espelkamp verbringen. Zum 1. August 2000 hat die Gemeinde Wilfried Jotter als Pastor angestellt. Er zog mit seiner Familie nach elfjähriger Tätigkeit in den Mennonitengemeinden Monsheim und Obersülzen (Rheinland-Pfalz) nach Espelkamp. Seine theologische Ausbildung hatte er in der Bibelschule Bergstraße und am Theologischen Seminar Bienenberg absolviert. Seit August 2002 ist Wilfried Jotter auch als Ältester bestätigt, zusammen mit Heinrich Dyck, der seit 1998 der Gemeinde ehrenamtlich als Ältester dient.

Unter dem Motto „Bis hierher und noch weiter … wir feiern Gottes Treue!“ feierte die Gemeinde im September 2002 mit einem Tag der offenen Tür und einem Festgottesdienst ihr fünfzigjähriges Bestehen. Ehrengäste waren John und Grace Gingerich, die aus diesem Anlass zum letzten Mal die Reise aus den USA nach Espelkamp angetreten hatten.

Aufgrund der räumlichen Enge und der im Laufe der Jahre entstandenen Schäden an den bestehenden Gebäuden hat die Gemeinde in den Jahren 2007 bis 2009 ein komplett neues Gemeindezentrum mit einem Investitionsvolumen von rund zwei Millionen Euro errichtet. Zuvor war die alte Kirche abgerissen worden, ebenso wie nach der Bauphase das frühere Mennoheim. Während der zweijährigen Bauzeit konnten die Gottesdienste in der nahe gelegenen Aula des Söderblom-Gymnasiums abgehalten werden. Im August 2009 wurde der Neubau eingeweiht, wiederum mit einem Tag der offenen Tür und einem Festgottesdienst.

In den letzten Jahren haben sich Menschen unterschiedlicher Herkunft der Gemeinde angeschlossen, darunter auch manche, die schon immer in Ostwestfalen verwurzelt waren oder aus anderen Gegenden Deutschlands in die Region gezogen sind. Seit 2015 finden sich auch Flüchtlinge aus unterschiedlichen Herkunftsländern in der Gemeinde ein. Außer der beschriebenen Gemeinde tragen zwei weitere Gemeinden den Begriff „Mennoniten“ im Namen: die →Mennoniten-Brüdergemeinde und die Mennoniten-Kirchengemeinde. Die Gründung dieser Gemeinden geht auf russlandmennonitische Umsiedler (→Aussiedler) zurück. Vier weitere Gemeinden sind unmittelbare Abspaltungen von der Mennoniten-Brüdergemeinde.

2. Konfessionelles Selbstverständnis der Gemeinde

Als ihr Glaubensbekenntnis hat die Mennoniten-Gemeinde Espelkamp den folgenden Text formuliert: „Wir glauben an Gott, den Vater, den allmächtigen Schöpfer des ganzen Universums. Wir glauben an Jesus Christus, Gottes Sohn, den gekreuzigten, auferstandenen, erhöhten und wiederkommenden Erlöser und Herrn. Wir glauben an den Heiligen Geist, Gottes Stellvertreter auf Erden und unseren unverzichtbaren Beistand im Alltag.

“Die Bibel, Gottes Wort, ist unser Fundamentbuch für Lehre und Leben.“ Dieses Glaubensbekenntnis dient der Gemeinde als Richtschnur für ihr Verhalten und Handeln in der Nachfolge Jesu Christi. Sie pflegt ein vielfältiges Gemeindeleben in Gottesdiensten sowie Kleingruppen und vertraut darauf, von Jesus Christus her zu einer lebendigen Gemeinschaft zusammengefügt zu werden. Die Gemeindemitglieder begleiten und ermutigen einander, sie treten auch füreinander ein und tragen die Botschaft Jesu Christi in ihre Umgebung hinein.

Vor Ort gehört die Mennoniten-Gemeinde Espelkamp zum Netzwerk der Evangelischen Allianz. Innermennonitisch ist sie eine der Gründungsgemeinden und Mitglied im WEBBplus e.V.. Darüber hinaus pflegt sie informelle Kontakte zu einzelnen Gemeinden in der AMG, im Forum Evangelischer Freikirchen und zu weiteren Gemeinden unterschiedlicher Prägung. Sie unterstützt die der →Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland (AMG) angeschlossenen Werke Deutsches Mennonitisches Missionskomitee und Mennonitisches Hilfswerk sowie diverse Missionswerke aus dem Spektrum der Arbeitsgemeinschaft Evangelikaler Missionen. Sie unterhält Beziehungen zur Theologischen Ausbildungsstätte auf dem →Bienenberg in der Schweiz und zum Bibelseminar Bonn.

3. Leitgedanken für die Zukunft

Für ihre zukünftige Entwicklung sind der Mennoniten-Gemeinde Espelkamp folgende Leitgedanken wichtig geworden: Gottesdienste mit den drei Schwerpunkten Lobpreis, Verkündigung und Raum für spontane und geplante Beiträge zu halten und jedem Gemeindemitglied die Gelegenheit zur Mitarbeit zu bieten. Neue Gemeindeglieder werden eingeladen, sich auch über ihre Teilnahme an Hauskreisen in die Gemeinschaft zu integrieren.

Durch gezielt eingerichtete Kurse und Seminare sollen Gemeindemitglieder in ihrem geistlichen Wachstum gefördert werden. Es werden Jüngerschaftskurse, Leiterschaftskurse, Seelsorgeseminare, Ehevorbereitungs- und Ehekurse, Bibelstudienkurse, Predigerschulungen u. a. angeboten. Darüber hinaus weiß die Gemeinde sich verpflichtet, „das Beste für unsere Stadt“ zu suchen und weiterhin missionarisch-diakonisch zu wirken.

Literatur

Horst Penner, Horst Gerlach und Horst Quiring, Weltweite Bruderschaft, 5. Auflage, Weierhof 1995, 115 f. - John Gingerich, Erinnerungen an Espelkamp, in: Stadt Espelkamp (Hg.), Espelkamp – Gemeinsam auf neuen Wegen, Espelkamp 1998, 22 ff. - Wilfried Jotter, Zwischen Sanierung und Neubau, in: Mennonitisches Jahrbuch 2009, Lahr 2009. - Diether Götz Lichdi, Die Mennoniten in Geschichte und Gegenwart, Maxdorf 2004, 203, 206, 214 f., 219, 223, 232, 294 – Horst Neufeld, Peter Bartel und Peter J. Foth, Die Mennoniten- und Brüdergemeinden sowie weitere Freikirchen, in: Dirk Möllering (Hg.), Gemeinden und Seelsorge im Altkreis Lübbecke, Lübbecke 2006, 409 ff. - Hilfe der amerikanischen Mennoniten, in: Geschichtskreis Espelkamp (Hg.), Espelkamp 1945–1966, Espelkamp 2013, 110 ff. - Kurt Ewert, Mennoniten-Gemeinde Espelkamp e.V. - Entstehung – Aufbau – Entwicklung, in: Festschrift: 40 Jahre Mennonitengemeinde Espelkamp e.V. 1952 – 1992, Espelkamp 1992, 3 ff. - Kurt Klaassen, Mennoniten-Gemeinde Espelkamp 1952–1992, in: ebd., 8 ff. - Festschrift: 50 Jahre Mennoniten-Gemeinde Espelkamp e.V. 1952–2002, Espelkamp 2002, 3 ff. - Faltblatt „Mennoespelkamp“, hg. von der Mennoniten-Gemeinde Espelkamp, Espelkamp 2009. - Die Mennoniten-Gemeinde Espelkamp e. V. im Netz: http://www.mennoespelkamp.de/

Wilfried Jotter

 
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