Heiliger Geist (Pneumatologie)

1. Heiliger Geist im Neuen Testament

Das Bild, das in der Bibel vom Heiligen Geist gezeichnet wird, ist schillernd, ja, gelegentlich sogar verschwommen. Das Alte Testament benutzt die Bezeichnung „Heiliger Geist“ (ruah qadosch) nur drei Mal (Jes. 63, 10 und 11; Ps. 51, 11). Im Neuen Testament ist diese Bezeichnung dagegen mit einiger Konsistenz bezeugt (to pneúma hágion), besonders im Evangelium und in der Apostelgeschichte des Lukas. Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament tritt der weniger bestimmte Gebrauch des „Geistes“ (ruah und pneúma wechselweise) ohne das Attribut „heilig“ häufiger auf.

Das Erscheinen des Heiligen Geistes im Neuen Testament wird oft direkt oder indirekt in verschiedenen Rollen zum Ausdruck, die bereits im Alten Testament mit dem Geist verbunden waren. Im Alten Testament ist der Geist eine schöpferische und erhaltende Kraft, die auch die Macht zu zerstören besitzt. Am Anfang nahm der Geist an der Schöpfung der Welt teil (1. Mos. 1, 2); in der Zeit der Richter führte er das Volk Israel mit Hilfe ungewöhnlicher Anführer zu ungewöhnlichen Siegen (Ri. 3, 10; Ri. 11, 29; 1. Sam. 1, 5 ff.); in der Zeit der Könige Israels und Judas teilte er Segen aus und identifizierte sich mit dem Aufstieg und der Herrschaft des Königs (1. Sam. 16, 13 f.). In den Tagen der Propheten wurde der Geist zum Werkzeug, mit dessen Hilfe Recht, Gerechtigkeit und Erlösung zustande kamen (Mich. 3, 8), besonders bezeichnend wohl in der Vision des Hesekiel vom Tal der vertrockneten Knochen (Hes. 37, 1–4). Die Propheten erwarteten auch eine Zeit am Ende der Tage, in der die Gemeinschaft mit dem Geist unmittelbar erfahren wird (Jes. 32,15; Hes. 39, 29).

In den Geschichten des Neuen Testaments wird der Heilige Geist mit dem Leben und dem Auftrag Jesu eng verbunden. Im Nachklang zum ersten Erscheinen im Alten Testament wird der Geist zu Beginn als ein Werkzeug beschrieben, mit dessen Hilfe Jesus gezeugt und getauft wurde. Unmittelbar auf die Genealogie, die das Matthäusevangelium eröffnet, wird berichtet, dass Maria mit einem Kind „vom Heiligen Geist“ gesegnet sei (Mt. 1, 18; Lk. 1,35). Indem Jesus mit der prophetischen Kraft des Geistes verbunden wird, wie er im Alten Testament dargestellt wurde, wird Johannes der Täufer – „der Prophet des Höchsten“ – vom Heiligen Geist ausgesondert und gesegnet (Lk. 1, 67–79). Während der Taufe Jesu durch Johannes senkte sich der Heilige Geist vom Himmel in Gestalt einer Taube auf Jesus nieder und bezeugte auf diese Weise die göttliche Sendung und Identität des Getauften (Lk. 3, 21 f.). Und es ist auch Johannes, der verkündet, dass Jesus derjenige sei, der „mit dem Heiligen Geist und Feuer“ taufen werde (Lk. 3, 16). Das Leben lang wird Jesus vom Heiligen Geist begleitet. Der Geist führt ihn beispielsweise in die Wüste und steht ihm dort in der Versuchung durch Satan bei (Lk. 4, 18 f.). Hier versteht Jesus sich auch als derjenige, der mit dem Geist aus Jes. 61, 1 (Lk. 4, 18 f.) erfüllt ist. Gegen Ende des Lukasevangeliums schließlich verheißt Jesus seinen Jüngern kurz vor dem Aufstieg in den Himmel, dass sie mit der Kraft des Höchsten umkleidet werden (Lk. 24, 49), eine Verheißung, die an die eschatologische Vision des Alten Testaments erinnert, und eine Verheißung, die zu Pfingsten (Apg. 2) in Erfüllung geht.

Das Johannesevangelium berichtet auf treffende Weise von der Verheißung, die Jesus den Jüngern verkündet: „Wenn der Geist der Wahrheit kommt, wird er euch in alle Wahrheit führen“ (Joh. 16, 13). In diesem Sinne ist auch der Geist in den Briefen des Apostels Paulus zu verstehen, denn nach Paulus folgen die Christen ihrem Herrn Jesus Christus, indem sie im Geist leben. Dieses neue Leben ist nicht an das Fleisch gebunden oder an die Forderungen des jüdischen Gesetzes (Gal. 3, 2–5; Gal. 5, 16–21); dieses Leben ist an das „Gesetz Gottes gebunden“ (Rö. 7, 21–24). Es ist„ das Gesetz des Lebens in Christo Jesu“ und wird in dem Geist befolgt, der stärkt, tröstet, Frieden schafft und für diejenigen eintritt, die Kinder Gottes sind (Rö. 8; Eph. 3, 14–21). Weiterhin fordert Paulus, niemand könne sagen, dass „Jesus der Herr sei“, es sei denn durch den Heiligen Geist (1. Kor. 12, 3). Leben im Geist ist von Grund auf gemeinschaftliches Leben. Der Geist eint die Nachfolger Christi in der Taufe (1. Kor. 12, 12 f.); es ist derselbe Geist, der auch jedes Glied des Leibes Christi einzeln mit einzigartigen Gaben oder Geistesgaben ausrüstet (1. Kor. 14, 4–11). Im Geiste leben heißt auch, „die Früchte des Geistes“ hervorzubringen: Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Freundlichkeit, Großherzigkeit, Glaubensgehorsam, Sanftmut und Selbstbeherrschung (Gal. 5, 22 ff.).

Der eschatologische Rahmen, in den das Werk des Heiligen Geistes im Alten Testament gespannt ist, ist auch der Rahmen im Neuen Testament. Es ist der Geist, der am Ende der Geschichte das Wasser des Lebens anbietet (Offb. 22, 17). Bis dahin sind die Nachfolger Jesu aufgerufen, in alle Welt zu gehen und alle Völker zu Jüngern zu machen, „sie im Namen des Vaters, des Sohnes und den Heiligen Geistes zu taufen“ (Mt. 28, 19). Genau solche Aussagen veranlassten die Kirche, ihre Pneumatologie in einer trinitarischen Richtung zu entwickeln.

Paul Martens

2. Geistverständnis der Täufer

Im November 1521 forderte Thomas →Müntzer in einem Sendschreiben die Reform der Kirchen, zunächst in Prag und dann überall. In dieser Stadt blieb sein Aufruf wirkungslos, in diesem Sendschreiben legte er aber das Fundament für eine Theologie, die sich deutlich von der Theologie der Reformatoren unterschied. Müntzer wollte „die Posaune mit dem neuen Lobgesang des Heiligen Geistes blasen“, der einen neuen Weg ankündigte, wie der Heilige Geist in den Gläubigen wirken werde. Dieser Lobgesang wurde fortan auch in allen Reformbewegungen der →Täufer angestimmt.

In der traditionellen Theologie war das Wirken des Heiligen Geistes exklusiv an die Dienstleistungen der Sakramente in der Kirche geknüpft, an seine Rolle als Wächter und Deuter der Heiligen Schrift und an die Behauptung der Kirchen, dass das Leben der Kirche und ihre Entwicklung unfehlbar unter der Führung des Heiligen Geistes stand. Während alle diese Forderungen im Denken und in der einen oder anderen Ordnung der Täufer gefunden werden können, erschien die Beziehung des souveränen Geistes zu den Sakramenten, der Schrift und dem Verständnis von der Kirche, grob gesprochen, in zwei Varianten.

Lehrmäßig verließen die meisten Täufer nicht die traditionelle Lehre der Kirche über den Heiligen Geist als Person der Heiligen Dreieinigkeit (Trinität). Der Geist ging aus dem Vater und dem Sohn hervor, blieb aber in beiden. Zusammen sind sie ein Gott. Die Inkarnation war das Werk des Heiligen Geistes, und dieser Geist war der ständige Begleiter Jesu, wie er den Willen des Vaters in seinem Leben und mit seinem Tod ausführte. Nichts davon war neu. Einmütig unterschieden sich aber die Täufer auf dramatische Weise von der spätmittelalterlichen Sicht, dass materielle Gegenstände, trotz ihrer priesterlichen Weihe, geistliche Kraft vermitteln könnten. Gegen Martin →Luther proklamierten sie wie Müntzer, dass der Heilige Geist eine freie, gegenwärtige, lebendige und handelnde Kraft im menschlichen Leben sei und sein Wirken an dem heiligen Leben der einfachen Gläubigen erkannt werden könne.

Die Täufer teilten mit Müntzer die Überzeugung, dass sie in dem joachitischen Zeitalter des Geistes lebten, in dem eine erneute Ausgießung des Geistes stattfände, nachdem das Evangelium von den Reformatoren befreit worden sei. Dieser Geist sei vor allem über die Laien ausgegossen worden, deren Aufnahmebereitschaft nicht von unfruchtbarer Schriftgelehrsamkeit abgestumpft worden sei. Das war ein Ereignis der Letzen Tage. Darin lag etwa Bedrängendes, denn unmittelbar danach sollte das Weltgericht folgen, das Neue Jerusalem und die göttliche Vollendung aller Dinge (→Eschatologie).

Die protestantischen Reformatoren hatten die Heilige Schrift als die letzte und umfassende Autorität für die Kirche wiederentdeckt. Diese Restauration beschwor eine neue Kontroverse über das Verhältnis von Wort und Geist herauf. Luther favorisierte zunächst das gottgegebene Recht eines jeden Christen, die Bibel lesen und interpretieren zu können, damit führte er aber auch das Problem der individuellen Interpretation ein, das die Kirche seit langen so gelöst hatte, dass sie dem Klerus das Recht der Schriftauslegung allein übertrug. Als Luther der radikalen Forderung Müntzers (bald auch der Täufer) nach dem unmittelbaren Zugang zum Geist ausgesetzt wurde, wich er zurück und nahm die Position ein, dass Gottes Geist nur in den äußeren Mitteln der Schrift, der Taufe und des Abendmahls wirke. Geist und Schrift wurden miteinander vermischt.

Die täuferischen Anschauungen vom Verhältnis der Schrift zum Geist reichen von der müntzerschen bis zur lutherischen Interpretation (→Schrifverständnis). Für Hans →Denck war der Buchstabe der Schrift, die zahlreiche Widersprüche aufwies, deshalb der Verursacher der Zwietracht unter Christen und konnte so keine unabhängige Autorität sein. Das innere Wort, der Geist, der jedem Gläubigen gegeben sei, war zuerst und bestätigte die Wahrheit der Schrift. Die Schrift könne nicht vorrangig sein, meinte Hans Hut, da sie voller Widersprüche sei. Nur der Geist könne sie auflösen und Einmütigkeit in der Interpretation der Schrift schaffen. Den Geist jedoch an erste Stelle zu setzen, leiste einer Individualisierung des christlichen Lebens Vorschub und würde den Heiligen Geist von der Geschichte trennen.

Die meisten Täufer würden wohl mit Balthasar →Hubmaier darin übereingestimmt haben, dass der Geist durch das Wort vermittelt werde. Ebenso lehrte Jacob →Huter, dass der Heilige Geist, die göttliche Feuersäule, alle wahren Christen mit der Schrift regiert, lehrt und führt. Pilgram →Marpeck folgte in seinem Streit mit den täuferischen Spiritualisten Martin Luther und behauptete, dass der Heilige Geist nicht unabhängig vom apostolischen Dienst der Kirche wirke. Auf diese Weise waren Wort und Geist untrennbar. Dann aber nahm Marpeck die allgemeine Sicht der Täufer sofort wieder auf, dass weder der vollkommene Vollzug eines solchen Dienstes noch der Zwang, an ihm teilzunehmen, die Gegenwart des Heiligen Geistes garantiere. Nur wo das Wort Christi und seine Gebote befolgt werden, würden der Geist und der Vater einziehen. Marpeck schrieb, dass das Wirken des Geistes in der Ausdehnung der göttlichen Liebe auf andere bestehe, in der Übergabe aller Dinge um Christi willen und in der Absage an jeglichen Zwang und jegliche Selbstbehauptung in Glaubensangelegenheiten. Die Täufer lasen die Schrift nicht so sehr, um daraus eine korrekte Lehre zu erheben, als vielmehr darin Führung für ein christliches Leben zu finden. Die täuferische Erfahrung zeigte auch, dass die vorrangige Wertschätzung des Wortes Buchstäblichkeit und Gesetzlichkeit mit sich zu bringen drohte und soziale Gewohnheit mit göttlichem Auftrag verwechselte.

Alle Täufer sahen im Heiligen Geist denjenigen, der Heiligung bewirkte, die Verwandlung des Glaubenden in das Bild Christi. Dieses freie Wirken des Geistes befreite die Gläubigen von dem Gefühl der Ungewissheit, das von der Prädestinationslehre ausgelöst wurde. Heiligung war göttliche Aktivität, keine innere Gerechtigkeit, auf keinen Fall aber eine moralische Leistung des Menschen. Der Geist brachte in Erinnerung, was Christus lehrte, und entzündete im Gläubigen das Feuer der Liebe zu Gott und dem Nächsten. Derselbe Geist, der im Gläubigen wohnt, erzeugte die äußeren Früchte des Geistes sowohl im Gläubigen als auch in der Kirche: Freude, Friede und göttliche Güte.

Der Geist, schrieb Peter →Riedemann, sammelt ein heiliges Volk und kontrolliert und ordnet dann das Leben seiner Glieder, indem er einmütige Überzeugungen und Absichten herstellt. Nur wenn der befreiende Geist mit seinen Gaben gegenwärtig ist, entsteht wahre Kirche. Diese Kirche, schrieb Dirk →Philips, die der Heilige Geist sammelt, ist sichtbar in Raum und Zeit. Mit Ausnahme bei den Spiritualisten wie Hans Bünderlin war es gerade das Wirken des Geistes, das der Kirche Sichtbarkeit in Raum und Zeit verlieh. Täuferische Denker legten besonders Wert darauf, die tatsächliche Sichtbarkeit der wahren Kirche zu unterstreichen, und verbanden mit dem Geist die Auffassung, dass er sein eigentliches Werk in und durch die Hingabe der Gläubigen vollbrachte.

Schließlich deuteten die Täufer die tröstende Rolle des Heiligen Geistes als Gottes Gegenwart, wenn sie unter Gefangenschaft und Folter litten und den Tod um ihres Glaubens willen erwarteten. Jakob Huter schrieb, dass der Geist das glänzende Licht der Feuersäule sei, das die dunkle Nacht des Leidens erhellt. Die Begabung durch den Heiligen Geistes verlieh nicht nur Geduld und Durchhaltevermögen, wie Leonhard Schiemer schrieb, sondern auch unaussprechliche Freude, wo Ablehnung und Tod drohen.

Die Pneumatologie der modernen Mennoniten unterscheidet sich kaum von den Auffassungen, wie sie von der Mehrheit der Kirchen in der ökumenischen Bewegung vertreten werden. Im Hinblick auf ihre Tradition sind sie jedoch zu keiner Zeit bereit gewesen, die Arbeit der Schriftauslegung in die Hände der biblischen Exegeten allein zu legen, sondern bestanden stets auf der täuferischen Einsicht, dass die biblische Offenbarung allen Gläubigen auf unvermittelte Weise zugänglich sei.

Walter Klaassen

3. Pneumatologie in mennonitischer Theologie

Im Hinblick auf die Mennoniten-Brüdergemeinde bemerkte G. W. Peters einst, dass der Heilige Geist als bewusst wahrgenommene Gegenwart in der Erfahrung der Menschen verhältnismäßig unbekannt und sicherlich nicht sonderlich stark hervorgehoben worden sei. Das bedeutete nicht, dass die Mennoniten-Brüdergemeinde nicht eine tiefe und sogar dogmatisch artikulierte Überzeugung von der Gegenwart des Geistes ausgebildet hätte. Ihre Überzeugung war aber „eher eine Übernahme biblischer Einsichten und weniger eine bewusste Erfahrung“ des Geistes in der Gegenwart (G. W. Peters, Foundations, 53). Die Zweideutigkeit, die hier zum Ausdruck kommt, trifft ziemlich genau auf die gegenwärtige Theologie der Mennoniten in ihrer Gesamtheit zu. Freilich ist in den täuferischen und mennonitischen Glaubensbekenntnissen immer das Wirken des Heiligen Geistes angesprochen worden, vom ersten Satz der Brüderlichen Vereinigung von Schleitheim (1527) bis zum dritten Artikel der Confession of Faith in a Mennonite Perspective, das von der Mennonite Church USA 1995 erarbeitet wurde (→Bekenntnisse). Aus diesen Bekenntnissen heraus hat die neuere mennonitische Theologie angesichts der an verschiedenen Fronten entstehenden Herausforderungen versucht, die Gegenwart und das Wirken des Heiligen Geistes zu thematisieren und in Worte zu fassen – mit beträchtlichen voneinander abweichenden Ergebnissen.

Zweifellos ist die größte Übereinstimmung unter mennonitischen Theologen, was das Wirken des Heiligen Geistes betrifft, in der Anschauung von Bekehrung und Erneuerung des Menschen erreicht worden. In der Anabaptist Vision bezog sich Harold S. →Bender auf Max Göbel, um zu zeigen, dass die frühen Täufer von der individuellen Erneuerung durch das Werk des Heiligen Geistes überzeugt gewesen seien. Erneuerungen und Erweckungen werden unter den Mennoniten im Anschluss an die frühen Täufer gewöhnlich auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückgeführt, ob an die Erweckung 1860 in den Mennoniten-Brüdergemeinden Russlands gedacht wird oder die Erneuerung der Kirche, wie sie 1906 in Coimbatore, Indien, erfahren wurde. So ist es auch kein Zufall, dass das Wirken des Heiligen Geistes zum Thema mennonitischer Weltkonferenzen an entscheidenden Wendemarken der mennonitischen Geschichte weltweit wurde: „Das Zeugnis des Heiligen Geistes“ (Amsterdam 1967) und „Höre, was der Geist den Kirchen sagt“ (Calcutta 1997). Mit ähnlichen Worten hatte auch die so genannte →Concern-Gruppe, die sich nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs am Beginn einer kirchlichen Erneuerung wähnte, die in ihren Augen erstarrte Organisationsform des bestehenden mennonitischen Kirche herausgefordert, indem sie an die Freiheit appellierte, wie sie in einer vom Heiligen Geist erfüllten Kirche zum Ausdruck kommt.

Wenn mennonitische Theologen über Bekehrung und Erneuerung nachdachten, waren sie allerdings immer darauf bedacht, das Wirken des Heiligen Geistes mit der Nachfolge Jesu Christi in Verbindung zu bringen. Das ist beispielsweise in der Introduction to Theology (1954) von John C. Wenger zu beobachten, wo er die Pneumatologie in dem Zusammenhang erörtert, in dem die Heiligung der Gläubigen durch Gott thematisiert wird. Einerseits wird in der mennonitischen Theologie argumentiert, dass der Geist die Christen mit der Kraft ausrüstet, Jesus Christus nachzufolgen, oder, noch stärker ausgedrückt, dass „Nachfolge ohne eine geistliche Grundlage unmöglich ist“ und „Spiritualität, Leben im Heiligen Geist (…) zur einzigen Quelle der Ethik“ wird (Neal Blough, The Holy Spirit, 144). Andererseits kann gesagt werden, dass die mennonitische Theologie auf den Einfluss von Pietismus, Evangelikalismus und charismatischen Bewegungen immer nervös reagiert hat. Diese Bewegungen haben nicht nur Innerlichkeit und emotionale Erfahrungen besonders betont, sondern sogar die Bedeutung des Heiligen Geistes erneut bekräftigt, die eigentlich schon in der täuferischen Tradition von Anfang an betont, aber gelegentlich wohl vergessen worden sei. So ziehen Forderungen nach dem Wirken des Heiligen Geistes gewöhnlich Aussagen nach sich, die etwa so lauten: Wo der Heilige Geist präsent ist, sind Glauben und Leben eins geworden und die „Inkonsistenzen zwischen Glauben und Leben“ wie weggefegt (Peter Penner, The Holy Spirit and Church Renewal, 140).

Ein weiterer Aspekt, der in der neueren mennonitischen Theologie fast überall diskutiert wird, ist die gemeinschaftliche Gestalt der Nachfolge, ob sie im Rahmen der Kirche der Glaubenden („Believers´s church“, Freikirche), der gehorsamen Gemeinde oder dem Reich Gottes erörtert wird. In diesem Sinne meinte C. Norman Kraus in The Community of the Spirit (1974) gegen die landläufige Auffassung, dass das fundamentale Werk des Heiligen Geistes zu Pfingsten die Ausbildung der neuen Gemeinschaft selbst gewesen sei. Ebenso kraftvoll bezieht sich John Howard Yoder wiederholt darauf, wie Paulus die Rolle des Heiligen Geistes bestimmt, um zwei wichtige Kennzeichen der glaubenden Gemeinde zu beschreiben: 1. die Universalität der Geistbegabung oder der „Fülle Christi“ – jedem Mitglied wird eine besondere Rolle durch den Geist zugemessen, die benannt und bekräftigt werden soll, und 2. die offene Versammlung – jedes Mitglied erhält die Gelegenheit zu sprechen, sofern es befähigt ist, in der Kraft des Heiligen Geistes zu reden.

Den Geist wiederum so stark an die Nachfolge und die Gemeinde zu binden, hatte unbeabsichtigte Folgen in der mennonitischen Theologie. Da einflussreiche Theologen unter den Mennoniten die Gewaltlosigkeit als eine einzigartige Gestalt der Nachfolge und das Gespräch als zentrales Kennzeichen der Gemeinde verstanden (eine Tendenz, die sich zweifellos aus Benders besonderen Akzenten in Anabaptist Vision ergab), begannen sich alle anderen theologischen Themen sich in diese Richtung neu zu ordnen. Im Verlauf dieses Prozesses wurde der Heilige Geist oft ignoriert, nur am Rande behandelt, uminterpretiert oder mit den Praktiken der Gemeinde identifiziert. Einige Bemerkungen, die die erlöschende Bedeutsamkeit des Hl. Geistes in der mennonitischen Theologie beschreiben, sind unerlässlich, um den umstrittenen Charakter der zeitgenössischen Auseinandersetzung um die Frage des Geistes zu verstehen.

In einigen Fällen wird der Heilige Geist tatsächlich aus rhetorischen Gründen ignoriert. So beschreibt Donald Kraybill in Upside-Down Kingdom (1978, 1990) den radikalen Ruf Jesu, im Sinne des göttlichen Reiches Gottes zu leben. Im Folgenden wird das Reich Gottes jedoch nur mit einem einzigen Beleg aus der Apostelgeschichte und nicht mit weiteren Hinweisen aus den Briefen des Paulus charakterisiert, nämlich mit dem Abschnitt, in dem Jesus seinen Nachfolgern Macht verheißt, sobald sie den Heiligen Geistes empfangen werden (Apg. 1, 8 und 12). Wohl anerkennt Kraybill, dass der Geist Ordnung und Richtung in das Volk Gottes bringt, doch die überwiegend christologische Beschreibung des auf den Kopf gestellten Königreichs weist dem Geist eine recht untergeordnete Rolle zu.

Andere Theologen betonen die Bedeutsamkeit des Heiligen Geistes unter den frühen Täufern und Mennoniten, doch wenn sie eine Theologie für die Gegenwart entwerfen, wird die Sprache (und gelegentlich die Rolle) des Geistes entweder aufgegeben oder umgedeutet. So wiederholt Robert Friedmann in The Theology of Anabaptism (1973) Positionen des 16. Jahrhunderts, die dem Heiligen Geist eine hervorragende Rolle zuweisen, während er den Geist in seiner eigenen konstruktiven Synthese nicht in Erscheinung treten lässt. Oder um ein neueres Beispiel zu nennen, der Geist wird in den historischen Positionen, die J. Denny Weaver in Keeping Salvation Ethical (1997) wiederholt beschrieben, in seiner programmatischen Schlussfolgerung nur einmal angesprochen, nämlich im Zusammenhang mit den „katholischen Dogmen und Formeln“. Das ist zwar korrekt, muss aber im Sinne der täuferisch-mennonitischen Voraussetzungen neu durchdacht werden.

In vielen anderen Fällen wird die Rolle des Heiligen Geistes mit den Praktiken bzw. Ordnungen der Gemeinde identifiziert. Ein Beispiel dieser Bestimmung erscheint im Werk John Howard →Yoders, der meint, dass die Berufung der Kirche zum Glaubensgehorsam in politischer Begrifflichkeit zum Ausdruck gebracht werde. An verschiedenen Stellen entwickelt er in seinem Werk soziale Praktikern (zwei davon wurden oben bereits angeführt), die die glaubenstreue Kirche deutlich in Erscheinung treten lassen soll. In Body Politics (1992) erklärt er diese Praktiken sogar zu Aktionen Gottes „in und mit, durch und unter dem, was Männer und Frauen tun“ (John Howard Yoder, Body Politics, 72 f.). Falls Yoders Beispiel ein wenig zweideutig erscheint, kann auf Gordon D. →Kaufman verwiesen werden, der ein klareres Beispiel bietet. In der Systematic Theology (1968) meint Kaufman, dass der Geist gegenwärtig und in den Kreaturen Gottes wirksam ist, ob sie das nun bewusst fühlen oder nicht. Tatsächlich ist Gott in der ganzen Geschichte am Werk, die er nach seinem Plan lenkt. Und wenn das Volk Gottes in Liebe und Vergebung handelt, ist der Geist mit neuer Kraft und Effektivität in der Geschichte wirksam.

In allen diesen Beispielen aus der Theologie des späten 20. Jahrhunderts – ob nun die Rolle des Geistes so heruntergespielt wurde, dass sie ganz verschwindet, oder ob der Geist so stark betont wird, dass seine Gegenwart einfach mit den Praktiken der Kirche oder mit der Geschichte selbst identifiziert wird – bleibt allein die Nachfolge das zentrale Thema. In letzter Zeit wurde allerdings eine abweichende Stimme am Rande laut. 1992 veröffentlichte Stephen Dintaman The Spiritual Poverty of the Anabaptist Vision, eine kurze und leidenschaftliche Kritik. Er behauptete, dass die Anabaptist Vision Benders unglückerlicherweise dafür verantwortlich sei, dass wohl Generationen von Studierenden und Kirchenführern, soviel sie davon auch gelernt hätten, im Grunde nicht erfahren haben, was eine lebendige und das Leben verändernde Beziehung zum gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus eigentlich bedeute. Dieser Mangel, so lautete sein Vorwurf, habe zur geistlichen Verarmung der Mennoniten beigetragen. Während Dintaman konkrete Hinweise schuldig blieb, wie die Rolle des Heiligen Geistes wieder mit Leben zu füllen sei, haben sich andere gerade darum intensiver bemüht.

Neben Dintaman rief auch A. James →Reimer dazu auf, die Rolle des Heiligen Geistes noch einmal zu überdenken. Reimer glaubte, dass die Theologie im Allgemeinen und die Pneumatologie im Besonderen von einer vereinfachten Christologie verfinstert worden seien, die in ethisch-politischer Begrifflichkeit interpretiert wurde. Reimer bestand darauf, den christlichen Glauben mit der Gnade und nicht mit der Nachfolge beginnen und enden zu lassen. Und deshalb schlug er vor, eine Lehre vom Heiligen Geist und der Kirche zu entwickeln, in der weder die immanente noch die transzendente Weise, über den Geist zu sprechen, ausgeschlossen werden dürfe. Thomas Finger trieb dieses Argument noch weiter und meinte, dass die gegenwärtige Theologie einen Begriff wie den Geist brauche, um die rettenden Taten Gottes als reine Gnade zum Ausdruck zu bringen. Nachfolge steht nach Finger mit Geisthandeln in Interaktion. So wird versucht, den Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Handeln zu erforschen (auch wenn beide zusammenfallen). Das aber sei wohl im Denken Yoders und Kaufmans verloren gegangen.

Zurzeit sind sich die mennonitischen Theologen recht uneins darüber, wie die Rolle der Heiligen Geistes zu beschreiben sei. Manche Unstimmigkeit ist von der Anabaptist Vision Harold S. Benders in die Diskussion gebracht worden. Sowohl implizit als auch explizit sind es von ihm bevorzugte Aspekte der täuferischen Tradition, die das Herzstück der theologischen Identität der Mennoniten ausmachen – und darunter fehlt die Lehre vom Heiligen Geist. Wenn die neuere mennonitische Theologie geistlich verarmt ist, so ist die Geistvergessenheit (die auch in anderen Kirchen beobachtet wird) gewollt und eine bewusste Abweichung von der ursprünglichen Tradition, denn sowohl die Heilige Schrift als auch die frühen Täufer versorgen die zeitgenössische Diskussion ja mit wahren Reichtümern, d. h. mit einem Schatz zutiefst verschiedener und detaillierter Beschreibungen der Rolle, die der Heilige Geist einnimmt und die sicherlich nicht auf die Nachfolge Jesu Christi allein beschränkt ist.

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Paul Martens

 
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