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Diakonie, theologisch

1. Zum Begriff „Diakonie“

Sprachlich leitet sich der Begriff „Diakonie“ vom griechischen Terminus „diakonia“ ab, dessen etymologische Bestimmung recht unsicher ist. Einerseits wurde der Tischdienst der Antike mit diesem Ausdruck verknüpft, neuerdings jedoch haben die linguistischen Forschungen von John Collins ergeben, dass der griechische Begriff im Zusammenhang mit Vermittlungsdiensten und Mediation Verwendung fand. Anni Hentschel kommt zum Ergebnis, dass in der neutestamentlichen Verwendung dieses Begriffes die Beauftragung durch Gott und/oder Gemeinde sehr wesentlich sei und dass Diakonie sich dabei auf die vielseitigen Ausdrucksformen der Nächstenliebe beziehe.

Im gemeindlichen Kontext unserer Zeit wird Diakonie als Zeugnis der Liebe Gottes definiert, das sich besonders an Menschen „in leiblicher Not, in seelischer Bedrängnis und in sozial ungerechten Verhältnissen“ richte und als solches Lebens- und Wesensäußerung der Gemeinde sei (so die Formulierung in der Satzung des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland).

Die den ganzen Menschen umfassende Diakonie kann karitativ ausgerichtet sein (Barmherzigkeitsdiakonie), sich in Form von christlich motivierter Entwicklungshilfe äußern (Entwicklungsdiakonie) oder auch sozial-politisch wirksam werden, wenn es darum geht, mit sozialen Aktionen den Ursachen menschlicher Not durch die Umwandlung gesellschaftlicher Strukturen entgegenzuwirken (politische Diakonie).

Die Eigenart der Diakonie gegenüber anderen Formen sozialen Helfens besteht darin, dass sie von der Liebe und Gerechtigkeit Gottes ausgeht und ihre Wurzeln in der christlichen Gemeinde hat, was allerdings eine kritisch-konstruktive Partnerschaft mit dem Sozialstaat und anderen nichtchristlichen Organisationen nicht ausschließt.

2. Biblische Grundlagen diakonischen Handelns

Das Zeugnis der Bibel zum Thema der Diakonie ist vielgestaltig und kann wie folgt zusammengefasst werden: Die Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes sind Erfahrungshintergrund und motivierendes Vorbild für das diakonische Handeln der Kinder Gottes (z. B. 2 Mos. 3,7 f; 5 Mos. 10,17 ff; 24,17, 17,19; Ps. 25,10; 68,6–7; 146,5 ff; Mt. 25, 34 ff; Lk. 10,25 ff).

Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ist der Zuspruch des Schöpfers für ein Leben in Würde, unabhängig von den erbrachten Leistungen des Menschen, von seiner Rasse, Religion, Farbe, Kultur, Klasse, seines Alters und Geschlechts (1 Mos. 1,26 f; Ps. 8,6–7). Die Rechtfertigung des Sünders durch Gottes Handeln ist eine Bekräftigung der durch Gott verliehenen Würde des Menschen (Rö. 5,8), die dieser zwar verfehlen, aber nicht verlieren kann.

Sünde wird im biblischen Zeugnis als Gebrochenheit des menschlichen Lebens gekennzeichnet, und zwar, ausgehend von 1 Mo 3, in mindestens vierfacher Gestalt: Der Mensch hat eine gebrochene Beziehung zu Gott, zu sich selbst, zu seinen Mitmenschen und zur Schöpfung. Diakonie stellt sich dieser Gebrochenheit in Verantwortung, ohne den Anspruch zu erheben, die gefallene Welt in ein Paradies zu verwandeln.

Die Menschwerdung Jesu inmitten der eben erwähnten Gebrochenheit wird ebenfalls mit dem Begriff „Diakonie“ gekennzeichnet (Mk. 10,45; Phil. 2,8 f; Joh. 13,1 ff vgl. Lk. 19,10). Diese Diakonie Jesu umfasst Heilung und Heil, praktische Dienste und Versöhnung, eingebunden in die prophetische Verkündigung des Evangeliums als Botschaft der Hoffnung.

Für die Gemeinde Jesu gilt: Der Glaube ist durch die Liebe tätig (Gal. 5,6). Die diakonische Sozialgestalt der Gemeinde wird durch die Lehre, die Gemeinschaft, das Abendmahl und das Gebet geistlich genährt (Apg. 2,42 ff) und durch die Vorbildfunktion der Diakone besonders gewichtet (Phil. 1,1; 1. Tim. 3,8 ff). Die diakonische Konvivenz konkretisiert sich in der Urgemeinde beispielsweise im selbstlosen Teilen materieller Güter (Apg. 4,32 ff), in der Speisung verarmter Witwen (Apg. 6,1 ff) und in der Kollekte für die in Jerusalem von einer Hungersnot heimgesuchten Glaubensgeschwister (2. Kor. 8–9).

Die eschatologische Zielperspektive diakonischen Handelns erkennt man schnell, wenn man Diakonie und Reich Gottes miteinander in Beziehung setzt. Die zentrale Bitte im Vaterunser, dass Gottes Wille sich nicht nur im Himmel, sondern auch auf der Erde realisiere (Mt 6,10) ist ein Ausdruck dafür, dass die eschatologische Transformation der gefallenen Schöpfung (Röm. 8,21) durch Christus in Gang gesetzt wurde. Die Wiedergeburt des Einzelnen zu neuer Schöpfung mündet in eine Diakonie der Versöhnung (2. Kor. 5,16 ff).

3. Das theologische Herzstück mennonitischer Diakonie

In seiner Schrift Die Ursache, warum ich, Menno Simons, nicht ablasse, zu lehren und zu schreiben, bringt Menno →Simons den Glauben, der in der Liebe tätig wird, sehr konkret auf den Punkt. Hier wird deutlich, dass Diakonie für Menno Simons und die ersten Täufer als die soziale Frucht des Glaubens bzw. als praktischer Ausdruck lebendiger Christusnachfolge aufgefasst wurde. Auffallend ist auch die deutliche Bezugnahme zu den in Mt. 25,31 ff genannten Werken der Barmherzigkeit und die Verknüpfung von Diakonie und Feindesliebe (vgl. Mt. 5,43 ff; Lk. 6,27 ff). Es folgen die Worte Menno Simons, die übrigens auch in ein mennonitisches Kirchenlied eingeflossen sind:

"Denn der rechte evangelische Glaube ist einer solchen Natur, daß er nicht ruhen oder feiern kann, sondern er breitet sich stets aus in allerlei Gerechtigkeit und Früchten der Liebe; er stirbt Fleisch und Blut ab, rottet alle verbotenen Lüste und Begierden aus, sucht und fürchtet Gott und dient Ihm aus dem Innersten seiner Seele; er kleidet die Nackten, speist die Hungrigen, tröstet die Betrübten, herberget die Elenden, hilft und gibt Trost allen, die betrübten Herzens sind, tut wohl denen, die ihm Böses tun, dient denjenigen, die ihm Leides zufügen, bittet für die, welche ihn verfolgen, lehrt, ermahnt und straft uns mit des Herrn Wort, sucht das Verlorene, verbindet das Verwundete, heilt das Kranke und behütet das Starke, alles ist er allen geworden.“ (Menno Simons, „Die Ursache, warum ich, Menno Simons, nicht ablasse, zu lehren und zu schreiben“, Die vollständigen Werke Menno Simon's, Teil II, 349, hier zitiert in der lateinischen Umschrift nach Victor Wall, „Menno Simons: Baumeister mit Fundament“, Kein anderes Fundament: Beiträge zum Menno-Simons-Symposium, Lage, 1996, 169.)

Man würde Menno Simons falsch verstehen, wenn man diese Ausdrucksformen des Glaubens im Sinn gesetzlicher Forderungen auffasst. Cornelius J. →Dyck, Arnold Snyder und Norman Kraus haben in ihren Forschungen zur täuferischen Spiritualität festgestellt, dass die soziale Struktur täuferischen Gemeindelebens eindeutig pneumatisch verankert ist, d.h. ohne die Erfahrung der geistgewirkten Wiedergeburt und kraftvollen Innewohnung des Heiligen Geistes undenkbar sei. Die Ausdrucksformen täuferischer Diakonie, wie sie sich vor allem im Abendmahl, in der Fußwaschung und im Teilen materieller Güter manifestieren, wurden allerdings von den Täufern nicht als automatische Folge des Glaubens aufgefasst, sondern als Frucht davon, dass Menschen sich vom Heiligen Geist in eine persönliche Beziehung der Nachfolge Christi und in die diakonische Sozialstruktur der Gemeinde einbinden lassen.

4. Geschichtliche Beispiele täuferischer Gemeinde- und Friedensdiakonie

Typisch für täuferische Gemeindediakonie, vor allem in den von den Schleitheimer Artikeln (→Brüderliche Vereinigung) und Menno Simons geprägten Gruppen, sind die Absonderung der Glaubensgemeinschaft vom Staat und die Erfahrung der Verfolgung, die automatisch dazu führten, dass die gesamte soziale Fürsorge der Gemeindemitglieder nicht vom staatlichen Gemeinwesen erwartet werden konnte, sondern von der Gemeinde selbst verantwortet und gestaltet werden musste. In diesem Kontext wurde die Praxis der gegenseitigen Verantwortung und Hilfe gefördert und vertieft.

Die geographisch verstreuten Gruppen der Täufer unterstützten sich gegenseitig durch Spenden von Geld, Lebensmitteln und Kleidern. Auf der sogenannten Märtyrer-Synode, die 1527 in Augsburg tagte, wurde von den Vertretern unterschiedlicher Täufergruppen festgelegt, dass man nur solche als Mitglieder der Gemeinde aufnehmen wolle, die sich zu gegenseitiger Hilfeleistung verpflichteten. In Bezug auf die Diakone in der Gemeinde wurde 1591 in Köln von Vertretern der Schweizer Brüder sowie niederländischer und norddeutscher Mennoniten betont, dass diese für die Fürsorge an Armen zuständig seien. Die Diakone seien dafür zuständig, die freiwilligen Gaben, die im Verborgenen von Mitgliedern der Gemeinde gespendet werden sollten, an die Bedürftigen weiterzuleiten. Im Dordrechter Glaubensbekenntnis aus dem Jahr 1632 werden auch Diakonissinnen erwähnt, denen vor allem die Diakonie an Witwen und Waisen anvertraut wurde.

Aus den Initiativen der niederländischen Mennoniten zur diakonischen Hilfeleistung an ihren in der Schweiz verfolgten Glaubensgeschwistern entstand 1710 eine „Commission for Foreign Relief“, deren Diakonie sich sogar auf die Hugenotten ausweitete, die im 17. Jahrhundert als Flüchtlinge in die Niederlande kamen. Dass Diakonie bereits zur Zeit Menno Simons nicht auf die eigene Glaubensgruppe reduziert blieb, ist auch an der von ihm selbst überlieferten, im Winter 1553 durchgeführten Aktion der Täufer zugunsten der reformierten Flüchtlinge und Anhänger von Johannes a Lasco, die auf der Ostsee vor Wismar eingefroren waren, erkennbar.

Im Koloniemennonitentum, das sich im 18. Jahrhundert, bedingt durch geographische und soziale Isolierung in Preußen entwickelte und vor allem im Russland des 19. Jahrhunderts etablierte, nahm Diakonie vielfach die Gestalt christlicher Sozialhilfe im Rahmen eines mennonitischen Gemeinwesens (Kolonie) an.

5. Aktuelle diakonische Herausforderungen aus täuferisch-mennonitischer Sicht

Für viele Täufer war das gewaltfreie Zeugnis der Gemeinde fundamental. Das Wesen der Gemeinde als geistgewirkte alternative Sozialordnung des Friedens hat in der täuferisch-mennonitischen Tradition und Theologie bestimmte Ideale und Ausdrucksformen entwickelt, die sich unter dem Stichwort mennonitischer Friedensdiakonie wie folgt zusammenfassen lassen (zit. nach Giesbrecht, Mennonitische Diakonie am Beispiel Paraguays, 126 f):

Soziale Ausdrucksformen mennonitischer Friedensdiakonie

  • Strategien versöhnender Konfliktlösung, vor allem durch die Knüpfung von Netzwerken und die Aktivierung und Weiterentwicklung von kultureigenen Ressourcen zur Konfliktüberwindung
  • Förderung einer interethnischen und internationalen Friedenskultur
  • Gabenorientierte Gegenseitigkeit, Verantwortung und gemeinschaftsorientierte Entscheidungsfindung in sozialen Prozessen
  • Förderung von gewaltlosen Prozessen sozialer Transformation, vor allem durch gezielte Bewusstmachung und Beteiligung der verschiedenen Akteure
  • Integrale Entwicklungshilfe zur Förderung des wirtschaftlichen, kulturellen, sozialen und geistlichen Wachstums
  • Abbau destruktiver oder machtorientierter Hierarchien bei gleichzeitiger Förderung von solidarischer Interdependenz und Verantwortung

Ethische Ausdrucksformen mennonitischer Friedensdiakonie

  • Beachtung der Interdependenz von Menschheit und Umwelt im Sinn einer dem Schöpfer gegenüber zu verantwortenden Schöpfungsethik.
  • Die Förderung von Strategien des ökonomischen Ausgleichs zwischen Menschen und Menschengruppen verschiedener wirtschaftlicher Voraussetzungen
  • Option für die Armen, Schwachen und Stimmlosen
  • Überwindung des Bösen durch Gewaltlosigkeit

Pädagogische Ausdrucksformen mennonitischer Friedensdiakonie

  • Förderung der Kreativität zur Überwindung schwieriger Herausforderungen und Probleme
  • Transformation einer Kriegskultur in eine Friedenskultur
  • Kultivierung einer lernenden Haltung und Bevollmächtigung lokaler Akteure in sozialen Transformationsprozessen

Politische Ausdrucksformen mennonitischer Friedensdiakonie

  • Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen
  • Entwicklung von Modellen zur gerechten Friedensstiftung
  • Abbau von Diskriminierungen
  • Entwicklung von Strategien zur restaurativen Gerechtigkeit in der Bekämpfung der Kriminalität
  • Prophetische Kritik an Unterdrückung, Nationalismus, Rassismus, Klassendenken, theokratischen Strukturen und Machtmissbrauch
  • Förderung der Religions- und Gewissensfreiheit

Bibliografie (Auswahl)

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Heinz Dieter Giesbrecht

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