Niederrhein

Was von den Täufern am Niederrhein bekannt ist, findet sich vor allem in den obrigkeitlichen Verhörprotokollen, ebenso in den Briefen und Berichten, die in den verschiedenen Märtyrerspiegeln veröffentlicht wurden.

1. Der Niederrhein − Grenze und Kontaktzone

Der Niederrhein war seit der Frühen Neuzeit in vielerlei Hinsicht ein Grenzgebiet, und das hat einen großen Einfluss auf die Geschichte der Täufer gehabt. Diese Region befand sich an den Rändern der Siebzehn Provinzen, die im Laufe der Zeit zur Republik der vereinigten Provinzen und den spanischen Niederlanden wurden. Politisch war sie stark zersplittert. Die Herzöge von Juliers-Berg standen an der Spitze eines politischen Konglomerates, das bis 1614 das Territorium von Kleve-Mark mit umschloss. Aber hierzu gehörte auch das Erzstift von Köln, dessen geistlicher Herr die Würde eines Kurfürsten innehatte, sowie zahlreiche kleine Territorien freier Herrschaften und starke freie Reichstädte wie Köln und Aachen. Dass das Territorium am Niederrhein im 17. Jahrhundert mehrheitlich katholisch geblieben war, führen Historiker auf die Nähe zu den Habsburger Territorien zurück. Die Täufer wurden offiziell nie geduldet. Dennoch war das Streben nach Erneuerung der Frömmigkeitsformen gross. In Köln und den ländlicheren Gebieten gab es unter dem Einfluss der Devotio moderna eine Tradition der Erneuerung praktischer Frömmigkeit sowie ein Interesse an „alternativer“ Spiritualität, bemerkenswerterweise unter den Eliten und dem niederen Adel, der sich häufig den Reformierten zugewandt hatte, aber gelegentlich auch bei einigen Adligen, die katholisch geblieben waren. Außerdem war eine zögerliche Haltung gegenüber konfessionellen Entscheidungen im 16. Jahrhundert zu beobachten: in den Reformationsversuchen von Herman von Wied (1543–1547) und Hermann Truchseß von Waldburg (1583–1589) beispielsweise, in der Religionspolitik als via media der Herzöge von Jülich-Kleve-Berg, im Streit um die Erbfolge in Jülich (1609–1614). Auf diese Situation ist zurückzuführen, dass die Region sich multikonfessionell entwickelte: Es gab reformierte Kirchen in Jülich, Berg und im Fürstentum Köln sowie in der Stadt Köln. Die Existenz täuferischer Gruppen war bis Ende des 17. Jahrhundert dadurch erleichtert worden, dass sie sie in die Bevölkerung integriert und von adligen Familien geschützt waren (den Familien von Palant, Frentz, Stommel). Der zerspaltene Zustand des Territoriums erlaubte es ihnen, die jurisdiktionellen und konfessionellen Grenzen leicht zu überschreiten – z. B. als sie 1654 und 1671 aus der Stadt Mönchengladbach vertrieben wurden, haben sich viele in der vier Kilometer entfernten Herrschaft von Rheydt eingerichtet. Übrigens verkehrten in dieser Gegend Händler und Arbeiter, besonders den Rhein entlang. Sie war Zuflucht für Flüchtlinge und Migranten im Zuge des Aufstandes in den Niederlanden (1568–1648).

2. Allgemeine Merkmale des Täufertums am Niederrhein

Das niederrheinische Täufertum war gleichzeitig autochthon, wie auch von angrenzenden Gegenden beeinflusst. Der Anteil des niederen Adels und des Patriziats war zum Beispiel im 16. Jahrhundert ziemlich wichtig, wie es der Fall in den Niederlanden war. So waren 1565 etwa 10 bis 15 % der Teilnehmer einer Täuferversammlung Frauen aus der Elitenschicht. Die Gegend war eine Art Drehscheibe, die die Verbindung zwischen den Täufergemeinden längs des Rheins herstellte, wie es beispielsweise das Konzept von Köln oder die Popularität eines Thomas von Imbroich bei den Schweizer Brüdern und den Mennoniten zeigt. Der Niederrhein und besonders Köln sind eine „Wasserscheide“ geblieben. In den Jahren 1580 gab es in Köln mindestens drei unterschiedliche Gemeinden, die sich selber als „Oberlander“, „Niederlendische“ und „Ameldunckische“ bezeichneten. Im 17. Jahrhundert nannten sich einige „Mennisten“. Die Täufer aus dem Norden und Westen der Region wandten sich nordwärts und richteten sich dort ein, wenn sie die Region verlassen mussten (in Nijmegen zum Beispiel oder Amsterdam).

3. Der Einfluss der Täuferherrschaft zu Münster am Niederrhein

Das Täufertum ist in der ersten Hälfte der 1530er Jahre am Niederrhein in Erscheinung getreten. Lange wurde in der Forschung darüber diskutiert, ob das niederrheinische Täufertum zum Erbe des Täuferreichs zu →Münster zu zählen oder aus anderen Wurzeln entstanden sei. Zwischen 1528 und 1532 sind die sogenannten Wassenberger Prädikanten, die sich gegen die Kindertaufe stellten, vom Amtmann von Wassenberg nördlich von Jülich geschützt worden. Einige wie Henrik Rol († 1534) oder Johann Klopreis sind dann nach Münster gezogen und haben die beginnende Täuferreformation in ihren Anfängen beeinflusst. Die ersten bekannten Gemeinden, die mit den Wassenbergern zusammenhängen, sind bedeutend. Die Verhörprotokolle von Richard von Richradt, Goddart Glasswerder und Johann Mey, die in der Reichstadt Köln hingerichtet wurden, zeichnen das Bild mehrerer aktiver Gemeinden in Aachen, in Mönchengladbach, in Köln und Rodenkirchen. Sie hatten einen regen Austausch unter einander. In Köln waren es über zwanzig Mitglieder. Die Anführer der Bewegung in Köln waren die Patriziersöhne Gerhard und Arnold Westerburg. Gerhard →Westerburg hat sich zusammen mit anderen Mitgliedern der Gemeinde vom Niederrhein in Münster taufen lassen. Die Gruppen wurden durch die Verfolgung ihrer Anführer beraubt, und einige Mitglieder wurden hingerichtet. Die Brüder Gerhardt und Arnold Westerburg flohen aus der Stadt und wandten sich schließlich vom Täufertum ab. Die Gemeinden schienen zu erlöschen, aber einige Täufer lebten wahrscheinlich immer noch in der Gegend. So wurde der Täufer Vit Tho Pilgrams 1537 in Mönchengladbach hingerichtet. Manchmal bekannten sich die Täufer trotz des Verfolgungsdrucks noch offen zu ihrem Glauben, wie spätere Zeugnisse belegen.

Die Täufertum ist uneinheitlich. So behauptete Werner Teschenmacher, ein calvinistischer Chronist von Kleve, dass Exemplare der Restitutio Bernhard Rothmanns in den 1570er Jahren auf Wunsch von Janz Willemsz. († 1580), nachgedruckt worden seien. Willemsz war ein Nacheiferer Jan van Batenburgs, der das Herzogtum Kleve mit einer bewaffneten Bande marodisierend durchzog. Obwohl der Einfluss der Münsteraner Täufer auf das Gebiet am Niederrhein nicht zu leugnen ist, scheinen viele Täufer doch keine Separatisten gewesen zu sein. Das Bekenntnis der Kempener Täufer, das Bürger im Erzstift von Köln dem Amtmann im Jahre 1545 übergaben, bestätigt ihren Willen, gleichzeitig Mitbürger und Christen zu sein. Später, im 17. Jahrhundert, brachten mehrere Eingaben der Täufer in Jülich dieselbe Haltung zum Ausdruck. In ihren Ausführungen wurden sie von den lokalen Behörden unterstützt und als „Mitbürger“ vorgestellt, die bereit waren, die kommunalen Lasten mitzutragen.

4. Das goldene Zeitalter des Täufertums?

Seit den 1550er Jahren suchten die obrigkeitlichen Behörden aktiv nach Täufern und tauschten Informationen untereinander aus, so dass sich die Kenntnisse über die Gemeinden zwar vermehrt haben, insgesamt aber sind sie immer noch recht fragmentarisch. Eine Art goldenes Zeitalter dauerte bis in die frühen Jahre des 17. Jahrhunderts, solange die Gemeinden aktiv, einflussreich und vielfältig tätig zu sein schienen. Umfragen lassen erkennen, dass es Gemeinden in Mönchengladbach, Köln, Aachen, aber auch im Süden des Herzogtums Berg gab. Der berühmteste Märtyrer ist Thomas von Imbroich (geb. um 1533 in Sint-Truiden, Limburg, † 1557 in Köln), der im niederländischen Märtyrerspiegel wie im Ausbund ehrenvoll erwähnt wird. Als Drucker hatte er seine Ausbildung in den Niederlanden absolviert und zog dann nach Köln. Sein sehr langes Glaubensbekenntnis, das im Druck vorliegt, verbreitete sich schnell nach seinem Tod und ist weitgehend der Ursprung seines guten Rufes. Aus dieser Zeit stammt auch ein Gesangbuch, das denselben Titel wie der Ausbund, das erste bekannte Gesangbuch der Täufer, trägt (→Gemeindegesang). Er wurde höchstwahrscheinlich vor 1556 in Köln gedruckt. Im Juni 1565 wurden fast sechzig Teilnehmer einer heimlichen Versammlung in Köln festgenommen. Diese Täufer, die sich untereinander «Christen Brüder» nannten, waren aus dem ganzen Niederrheingebiet gekommen, um den beiden Predigern Mattheis Servaes von Ottenheim (1536–1565) und Heinrich Krufft, die aus der Bibel lasen, zuzuhören sowie (gemeinsam) zu singen und miteinander zu beraten. Einige waren Migranten aus den Niederlanden, andere aus Köln oder der Region. Viele der gefangenen Teilnehmer wurden ausgewiesen, viele andere wurden nach Abschwörung freigesprochen. Mattheis Servaes wurde hingerichtet, er erschien im Märtyrerspiegel als Märtyrer. Später wurde er auch im Erbauungsbuch Güldene Aepffel in Silbernen Schalen (1702) erwähnt.

Das Täufertum am Niederrhein wurde trotz der Verfolgungen nicht zerstört, und Köln blieb noch für mehrere Jahrzehnte eines seiner Zentren. Eines der ersten täuferischen Glaubensbekenntnisse, das Konzept von Köln, wurde am 1. Mai 1591 in der Freien Reichsstadt nach einem Treffen von Vertretern aus dem gesamten Rheinland (von Straßburg bis Odenkirchen) unterzeichnet, das von einer der Täufergemeinden der Stadt organisiert worden war, deren Leiter und Prediger reiche Kaufleute und Bürger waren (→Bekenntnisse). Dies ist eines der letzten Vereinbarungen zwischen den „Schweizer Brüdern“ und den Mennoniten.

5. Kaufleute (Händler), Weber und Bürger

Es ist schwer zu sagen, ob es in der Stadt Köln nach den 1620er Jahren noch Täufergemeinden gab, obwohl es durchaus sein könnte. In den anderen Territorien waren sie aber sehr präsent. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren die Gemeinden erfolgreich und wohlhabend, obwohl sie oft auch von den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges und von diskriminierenden Maßnahmen betroffen waren. Sie sind manchmal sogar sehr wichtig, wie die Gemeinden in Bad Honnef und Blankenberg im Herzogtum Berg, Millen und Monschau in Jülich und besonders in Mönchengladbach, wo nach Zeugenaussage und Volkszählung zwischen 1610 und 1654 etwa 150 Familien erfasst sind. Seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts profitieren sie von einer „toleranten“ Politik, trotz zahlreicher, teilweise sehr harter Ausweisungsbefehle. Die Amtmänner, die weitgehend autonom handelten, schlossen die Augen, begrüßten sie manchmal in ihren Herrschaften aus politischen, religiösen und wirtschaftlichen Gründen. In Jülich zum Beispiel arbeiteten die meisten im Textilbereich, einige als reiche Seidenhändler, während andere nur schwer über die Runden kamen. In Mönchengladbach wurden sie Ende des 17. Jahrhunderts von dem Amtmann verteidigt, weil sie Farbfabriken gegründet und neue Techniken eingeführt hatten. Freilich waren die Täufer in Jülich und Berg mit einer Geldstrafe vom Gericht Brüchten oder mit Sonderbeiträgen (Sammlung von 1639) belegt worden. De facto wurde diese Geldbuße in eine Art Ausgleich für das Bleiberecht, ebenso wie die Zahlung der Geleitbriefe für Juden, verwandelt. So wird verständlich, warum sich die Täufer von Mönchengladbach 1654 selber in eine „Täuferliste“ eingetragen haben. Nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges führte der Herzog von Jülich-Berg eine entschiedene Rekatholisierung seiner Gebiete ein. Viele Ausweisungsedikte waren vor seiner Herrschaft erlassen worden, ohne hart durchgesetzt worden zu sein, aber das Edikt von 1654 wurde streng angewendet, ebenso das Edikt von 1671. Die Täufergemeinden gingen allmählich zurück, obwohl sie sich in den Territorien festgesetzt hatten. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verschwanden sie ganz und gar in Jülich. Die letzte Gemeinde in Jülich wurde 1694 aus der Herrschaft Rheydt bei Mönchengladbach vertrieben, doch der Herzog wurde vom Kaiser gezwungen, die beschlagnahmten Güter den Täufern zurückzugeben. Die Täufer hingegen wurden im 18. Jahrhundert in Kleve allgemein geschützt, weil das Herzogtum dem Kurfürsten von Brandenburg gehörte. Sie waren in Kleve, Rees, Goch, Emmerich, Rees und Hamm präsent.

Ein Großteil der Täufergeschichte des Niederrheins ist wahrscheinlich noch zu erforschen, vor allem für das 18. Jahrhundert. Für die ländlichen Gebiete sind die Quellen sehr verstreut. Ihre Beziehung zu neuen geistlichen Strömungen (Pietisten, Quäkern, Erweckten) könnten Gegenstand neuer Untersuchungen werden.

Bibliografie (Auswahl)

Quellen

Ein ausbundt, schöner geistlicher Lieder, aus dem Alten und Newen Testament zusamen getragen …, [Köln, 1556], Vaticanische Bibliothek, Stamp.Pal.V.954. - August Franzen, (Hg.), Die Visitationsprotokolle der ersten nachtridentinischen Visitation im Erzstift Köln unter Salentin von Isenburg im Jahre 1569, 1960. - Otto R. Redlich, Jülich-Bergische Kirchenpolitik am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit, Bonn 1905–1915. - Quellen zur rheinischen Kirchengeschichte. Evangelische Kirche im Rheinland, 2 Bde., Düsseldorf 1991–2004. - Thomas von Imbroich, „ Confessio : Ein schöne bekantnuss eines frommen vnd Gottliebenden Christen “ S. l.,1558.

Literatur

Stefan Ehrenpreis, «Wir Sind mit blutigen Köpfen davongelaufen …». Lokale Konfessionskonflikte im Herzogtum Berg 1550–1700, Bochum 1993. - Antje Flüchter, Der Zölibat zwischen Devianz und Norm. Kirchenpolitik und Gemeindealltag in den Herzogtümern Jülich und Berg im 16. und 17. Jahrhundert, Köln 2006. - Johann F. G. Goeters, Die Rolle des Täufertums in der Reformationsgeschichte des Niederrheins, in: Rheinische Vierteljahrs-Blätter 24, 1959, S. 217–236. - Peter Kriedte, Taufgesinnte und grosses Kapital. Die niederrheinisch-bergischen Mennoniten und der Aufstieg des Krefelder Seidengewerbes, Göttingen 2007. - Mathilde Monge, Des communautés mouvantes. Les «sociétés des frères chrétiens» en Rhénanie du Nord. Juliers, Berg, Cologne vers 1530–1694, Genf 2015. - Karl Rembert, Die «Wiedertäufer» im Herzogtum Jülich, Studien zur Geschichte der Reformation, besonders am Niederrhein, Berlin 1899. - Hans H. Th. Stiasny, Die strafrechtliche Verfolgung der Täufer in der freien Reichstadt Köln, 1529 bis 1618, Münster 1962. - Russell S. Woodbridge, Gerhart Westerburg, in: Bibliotheca Dissidentium. Répertoire des non-conformistes religieux des seizième et dix-septième siècles, Tome XXVII, Baden-Baden 2012, S. 15–80.

Mathilde Monge

 
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