Jantzen, Walter

geb. am 3. März 1907 in Berlin, gest. am 4. Oktober 1993 in Salzgitter-Bad; Vorsitzender des Vorstands, Prediger und Ältester der Mennonitengemeinde in der →Deutschen Demokratischen Republik (DDR).

Walter Jantzen stammte aus einer in Berlin gegründeten Familie; seine Mutter war eine Mennonitin aus Elbing (Westpreußen). Nach mennonitischer Tradition ließ er sich 1922 taufen und in die Berliner Mennonitengemeinde aufnehmen (→Berlin). Als Autoschlosser und Fuhrunternehmer wurde er im August 1939 zur Wehrmacht eingezogen und Ende 1949 aus englischer Gefangenschaft zu seiner Familie in den sowjetischen Sektor Berlins entlassen. Mehr als zehn Jahre hatte seine, aus Schlesien stammende Ehefrau Berta Jantzen (1915–2000) ihre drei Kinder allein großgezogen und am Leben der Berliner Mennonitengemeinde teilgenommen. Auch Walter Jantzen setzte sich schon bald nach seiner Rückkehr für diese Gemeinde ein. Er wurde ein wichtiger Mitarbeiter im Beirat zum Vorstand und das einzige Beiratsmitglied, das im sowjetischen Sektor Berlins wohnte.

Als am 13. August 1961 mit dem Bau der Mauer zwischen dem Ostsektor und den Westsektoren Berlins die Sperren im Grenzverkehr für Personen und Güter fast unüberwindbar wurden, bat der damalige Älteste der Berliner Mennonitengemeinde, Erich →Schultz, das Beiratsmitglied Walter Jantzen fernmündlich, sich der im Ostsektor Berlins sowie in der DDR lebenden Mitglieder anzunehmen. Mit Hilfe seiner Frau, der Kinder und anderer Gemeindeglieder folgte der noch beruflich tätige Laienbruder dem Aufruf, als Autodidakt die seelsorgerliche und organisatorische Gemeindearbeit im Osten zu übernehmen. Mit dem Versand von Gemeindebriefen, mit Einladungen zu Andachten und Besuchen in den Familien nahm Walter Jantzen die Verbindung zu den Glaubensgeschwistern von der Ostsee bis in den Thüringer Wald auf. Dabei hielt er sich mit der ihm eigenen Umsicht und Sorgfalt an die vom Staat erlassenen Vorschriften über die Durchführung von kirchlichen Versammlungen und beantragte die offizielle Anerkennung der „Mennonitengemeinde in der DDR“, die das Staatssekretariat für Kirchenfragen schon 1963 erteilte. Gleichzeitig erkannte das Staatssekretariat die von einer Gemeindeversammlung bestätigten „Grundsätze“ der neuen Gemeinde an. Dass Pläne für Veranstaltungen, Texte für Predigten usw. den zuständigen staatlichen Stellen jeweils vorab vorgelegt werden mussten, belastete die mühevolle Arbeit sehr, musste aber hingenommen werden, ebenso die erkennbare Überwachung der ausländischen freiwilligen Helfer des →Mennonite Central Committee und der mennonitischen Hilfskräfte aus anderen europäischen Staaten. Bei allem, besonders bei Verhandlungen mit den Behörden bewahrte sich Walter Jantzen seine ehrliche, besonnene Art und gewann Vertrauen bei den Gesprächspartnern. Das galt auch für die brüderliche Zusammenarbeit mit vielen Pfarrern auf ökumenischer Ebene. Die Mennonitengemeinde in der DDR brauchte zur Durchführung der Andachten, Gemeindeversammlungen, Beratungen und sonstigen Veranstaltungen, die nicht in dem gastfreien Haus des Predigers und Ältesten durchgeführt werden konnten, Räume in den ortsansässigen Kirchen anderer Konfessionen: in Berlin (Ost), in Rostock, Sildemow, Schwerin, Leipzig, Halle,Torgau, Döbeln, Erfurt und Potsdam. An diesen Orten hielt Jantzen jeweils zwei- bis dreimal im Jahr Andachten und Abendmahl, außerdem diente er bei Taufen, Hochzeiten, Bestattungen und anderen Veranstaltungen zur gegenseitigen Aussprache. Mit seiner Frau besuchte er Kranke, Betagte und Notleidende. So wuchs in der etwa 275 Mitglieder umfassenden Mennonitengemeinde eine familiäre Atmosphäre heran. Neben den Spenden für den Reisedienst wurde Walter Jantzen vor allem auch in seelsorgerlicher und in materieller Hinsicht von Besuchern aus der weltweiten Gemeinschaft der Mennoniten unterstützt, von der Berliner Mennonitengemeinde sowie Gemeinden in Westdeutschland. 1978 wurde das Ehepaar Jantzen – als Anerkennung ihrer umfassenden, eindrucksvollen Leistungen für die Mennoniten in der DDR – zur Teilnahme an der →Mennonitischen Weltkonferenz in Winnipeg, Kanada, eingeladen.

Gegen Ende des Jahres 1979 zeichnete sich ab, dass Walter Jantzen den Anstrengungen, die ihm dieser Dienst abverlangte, nicht mehr gewachsen war. Nach seiner fast zwanzigjährigen Gemeindearbeit wurde in Pastor Knut Hansen ein Nachfolger gefunden, so dass das Ehepaar Jantzen 1982 mit offizieller Ausreisegenehmigung aus Berlin-Ost nach Salzgitter-Bad übersiedeln konnte. Auch von dorther hielt er Verbindung zu seiner alten Diasporagemeinde und bewahrheitete immer wieder seine Erfahrung: „Die Gemeinde war mein Leben“.

Literatur

Peter J. Foth, Das Jahr der Umzüge. Viele Veränderungen bei den deutschen Mennoniten im Jahr 1982, in: Mennonitische Blätter 9, 1982, 136. - Jochen Jantzen, Die Mennonitengemeinde in der DDR, in: 100 Jahre Berliner Mennonitengemeinde 1887 -1987. Festschrift, Berlin 1987 (Privatdruck), 2. erg. Aufl., Berlin 1995, 99 ff.

Wolfgang Schultz und Jochen Jantzen

 
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