Inhaltsverzeichnis

Dedic, Paul

geb. am 19. Februar 1890 in Olmütz (Olomouc), Mähren, gest. am 20. März 1950 in Graz, Österreich; Kirchenhistoriker.

Paul Dedic stammte väterlicher- und mütterlicherseits aus altösterreichischen Pfarrerdynastien, die über Generationen in lutherischen und reformierten Gemeinden, aber auch in kirchenleitenden Funktionen in Mähren in der Cisleithanischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie wirkten. Nach dem Tode des Vaters zog die Familie 1901 nach Brünn (Brno). Ab 1909 studierte Dedic Evangelische Theologie und Geschichte in Wien. Nach Studienaufenthalten in Bonn und Berlin in den Jahren 1911/12 schloss er seine Studien im März 1913 in Wien ab. Nach dem Examen ging er mit Hilfe eines Stipendiums der Wiener Kirchenleitung noch für ein Semester nach Heidelberg. Lehrer, bei denen er hörte und die ihn nach eigener Aussage prägten, waren Georg Loesche, Karl Sell, Adolf Deissmann, Adolf v. Harnack, Hans v. Schubert und Johannes Weiss. Nach dem Vikariat in Lundenburg (Břeclav) und in Graz war er von 1918 bis 1930 Pfarrer in Knittelfeld in der Steiermark.

Bereits ab 1914 hatte Dedic im Landesarchiv in Brünn und im Stadtarchiv von Olmütz an einer Reformationsgeschichte von Olmütz gearbeitet, mit der er 1917 an der Wiener Evangelisch-Theologischen Fakultät (die Fakultät war damals noch nicht Teil der Universität) den Lizenziatengrad erwarb und die in überarbeiteter Form 1931 bis 1936 im Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich erschien. Im März 1923 erwarb Dedic als Pfarrer den ersten Doktortitel der nun in den Verband der Universität Wien aufgenommenen Evangelisch-theologischen Fakultät mit einer Dissertation über Die kirchlichen und religiösen Verhältnisse in Mähren im Reformationsjahrhundert, die aufgrund der Wirtschaftskrise nicht gedruckt werden konnte. In der Folge arbeitete sich Dedic neben dem Pfarramt in die Geschichte von Reformation und Gegenreformation und Geheimprotestantismus in Innerösterreich ein. 1929 wurde er von seinem ehemaligen Lehrer Hans v. Schubert, dem damaligen Vorsitzenden des Vereins für Reformationsgeschichte, mit der Herausgabe der österreichischen Täuferakten betraut, wofür Dedic aufgrund seiner Kenntnis der mährischen Archive als prädestiniert erschien. 1930 verließ er das Pfarramt und wurde Mittelschullehrer für Religion am Akademischen Gymnasium in Graz, um sich stärker auf seine wissenschaftliche Arbeit konzentrieren zu können. Seine Arbeiten in den Dreißigerjahren sind auch von der damaligen kirchenpolitischen Situation in Österreich geprägt. Für Dedic spiegelte sich in der Lage der Protestanten im katholischen Ständestaat seiner Gegenwart, wo die Protestanten unter der katholisch geprägten Regierung litten und teilweise in Konfrontationsstellung zum Staat gerieten, das Schicksal der Protestanten in Österreich zur Zeit der Gegenreformation und des Geheimprotestantismus wider. In manchen Passagen seiner damaligen Arbeiten dürften sich illegale evangelische Nationalsozialisten in den ehemals illegalen Geheimprotestanten wieder gefunden haben. Dedic ist später der NSDAP beigetreten. Nach dem Tod des Kirchengeschichtlers an der Evangelisch-theologischen Fakultät in Wien Karl Völker im Jahre 1937 erschien Dedic als der einzig mögliche Kandidat, obwohl er noch nicht habilitiert war (die Habilitation wurde 1939 nachgeholt). Da er von der Fakultät primo et unico loco gesetzt wurde, wies das Ministerium den Vorschlag aus formalen Gründen zurück und forderte einen Dreiervorschlag. Dieser fiel jedoch bereits in die Zeit nach dem „Anschluss“ von 1938, sodass die Besetzung nun in Berlin entschieden wurde, bei der dann aber Dedic keine Berücksichtigung fand. Stattdessen wurde Georg Opitz berufen. Die darauf einsetzenden Bemühungen um eine zusätzliche territorialkirchengeschichtliche Professur für „Geschichte der Reformation und Gegenreformation in den habsburgischen Ländern“ blieben erfolglos. Berlin hatte das Interesse an einer „Grenzlandfakultät“ und an einem Vorposten für das Deutschtum im Südosten verloren. Die in Österreich praktizierte kirchenfeindliche Politik der nationalsozialistischen Machthaber brachte auch den Religionsunterricht praktisch zum Erliegen. Es gelang Dedic 1940, als Staatsbeamter dem Steiermärkischen Landesarchiv zugewiesen zu werden. Während des Krieges erwarb er sich hier sehr große Verdienste bei der Bergung des Archivmaterials des Steiermärkischen Landesarchivs. Als nach dem Krieg die kirchengeschichtliche Professur an der Wiener Fakultät wieder neu zu besetzen war, kam der immer stets kirchlich gesinnte Dedic – auch wenn er sich nichts zu Schulden hatte kommen lassen – als ehemaliges Parteimitglied für das Ministerium nicht mehr in Frage.

Dedic gilt heute in erster Linie als der Erforscher des sogenannten „Geheimprotestantismus“ in den österreichischen Ländern. Hinzuweisen ist auch auf seine Arbeiten zu evangelischem Bücherbesitz und Bücherschmuggel in Österreich sowie auf seine Forschungen in deutschen Archiven zu evangelischen Exulanten aus Kärnten.

Dedic war darüber hinaus aber in der Nachfolge Johann Loserths zweifellos der beste Kenner der Geschichte der →Täufer in den habsburgischen Erblanden. Sein durch intensive eigenständige archivalische Arbeit erworbenes enormes Wissen auf diesem Gebiet hat sich leider nicht in einem Gesamtwerk oder einer Quellenedition niedergeschlagen, sondern wird in Umrissen nur in den 40 bemerkenswerten Beiträgen zum Mennonitischen Lexikon sichtbar, die allesamt auf den genannten Archivstudien beruhen. Die hervorragenden Überblicksartikel im Mennonitischen Lexikon zu „Niederösterreich“ und „Oberösterreich“ stellen bis heute mehr als nur eine (zumeist übersehene) Einführung in die Geschichte des Täufertums dieser Länder dar. Nachdem er mit der Herausgabe der österreichischen Täuferakten betraut worden war, besuchte Dedic noch im September 1929 Archive in Wien, Nikolsburg und Brünn, im Mai 1930 in Linz und wieder in Wien und Brünn, im Oktober desselben Jahres in Wien, Znaim, Nikolsburg und Brünn und schließlich 1934 in Innsbruck. 1935 musste er diese Reisen (Versiegen der Reisekostenzuschüsse) einstellen. Abgesehen von den Grazer Beständen im Steiermärkischen Landesarchiv arbeitete Dedic noch die Bestände des Kärntner Landesarchivs in Klagenfurt und die Stadtarchive von Freistadt und Steyr auf. Bis zu seinem Tod hatte er über 1800 Aktenstücke gesammelt. Mit Ausnahme der Bestände in Innsbruck hat Dedic die Erfassung des Materials als vollständig betrachtet.

Erbin dieses Materials wurde 1951 Grete →Mecenseffy, die nun die Herausgabe der österreichischen Täuferakten übernahm. Auf dem Titelblatt des 1964 erschienen ersten Bandes der österreichischen Täuferakten, in dem 399 Aktenstücke ediert wurden, erscheint der Name Dedic auf dem Titelblatt: „Mit Benutzung der von P. Dedic gesammelten Texte bearbeitet von Grete Mecenseffy“. Auch die Inhaltsangaben am Kopf der Aktenstücke in der Edition stammen größtenteils von Dedic. In den weiteren 1972 und 1983 erschienen zwei Bänden mit insgesamt etwa 1800 Nummern erscheint Dedic auf dem Titelblatt nicht mehr. Mecenseffy hat wohl nicht das gesamte Material (die Aufzeichnungen von Dedic sind heute offenbar verloren) publiziert. Bestimmte Aktenstücke, die Dedic in seinen Artikeln im Mennonitischen Lexikon erwähnt, fehlen in der Edition von Mecenseffy, die wiederum ihrerseits ihr bekannt gewordene Aktenstücke hinzugefügt hat. Dedic, der auch bei Ernst →Troeltsch gehört hat, war einer der ersten, die sich für den sozialgeschichtlichen Hintergrund der Täufer interessiert haben: The Social Background of the Austrian Anabaptists (Mennonite Quarterly Review XII, 1939, 5–20).

Dedic, der nie theologiegeschichtlich gearbeitet und wenige systematisierende bzw. zusammenfassende Darstellungen geschrieben hat, war vor allem an der wissenschaftlichen Erschließung und Entdeckung des archivalischen Materials zur Protestantengeschichte Österreichs interessiert. Seine Kenntnisse auf diesem Gebiet sind erstaunlich und bis heute unerreicht. Er hat hier für viele Bereiche Pionierarbeit geleistet. Auf seinen Schultern ruht im Grunde bis heute nicht nur die Forschung zum Geheimprotestantismus, sondern zu einem bedeutenden Teil auch die Forschung zur Geschichte der Täufer in den habsburgischen Erblanden.

Schriften

Im Mennonitischen Lexikon die Artikel: Kobelitz, Kräl, Krems, Krumau, Kuntersweg, Landeck, Landshut, Lang, Legeder, Lemmbach, Lenz, Leoben, Leopold I., Lettowitz, Lewär, Lienz, Lösche, Lundenburg, Lüsen, Markowitz, Neudorf, Neumarkt, Neumühl, Niederösterreich, Niemtschan, Niemtschitz, Nikolsburg II, Nikoltschitz, Nuslau, Oberösterreich. - Der Protestantismus in Steiermark im Zeitalter der Reformation und Gegenreformation (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 149), Leipzig 1930. - Der Kärntner Protestantismus von der Adelsemigration bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts, in: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 59, 1938, 63–165. - Besitz und Beschaffung evangelischen Schrifttums in Steiermark und Kärnten, in: ZKG 58, 1939, 476–495. - Bauernschicksale aus der Zeit des Geheimprotestantismus in Innerösterreich, in: Der Säemann 18, Graz 1938, 1–10. - Der Geheimprotestantismus in Kärnten während der Regierung Karls VI. Archiv für Vaterländische Geschichte und Topographie Bd. 26), Klagenfurt 1940. - Kärntner Exulanten des Siebzehnten Jahrhunderts I-VIII (Nachdruck Klagenfurt 1979).

Der Nachlass von Paul Dedic liegt im Steiermärkischen Landesarchiv in Graz. - Verzeichnisse der Publikationen von Dedic (leider ohne seine Rezensionen) finden sich bei: Gustav Entz, Paul Dedic. Nachruf und Würdigung, in: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 67, 1951, 205 – 216, und: Reiner Puschnig, Paul Dedic, in: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark 42, 1951, 168 ff.

Literatur

Grete Mecenseffy, Quellen zur Geschichte der Täufer Bd. XI: Österreich, I. Teil, Gütersloh 1964, VII–XIII. - Rudolf Leeb, Zum wissenschaftlichen Profil der an der Fakultät lehrenden Kirchenhistoriker und zur österreichischen evangelischen Protestantengeschichtsschreibung, in: Karl Schwarz und Falk Wagner (Hg.), Zeitenwechsel und Beständigkeit. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien 1821–1996 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs Universität Wien 10), Wien 1997, 13–50. - Karl Schwarz, „Grenzburg“ und „Bollwerk“. Ein Bericht über die Wiener Theologische Fakultät im Nationalsozialismus in den Jahren 1938–1945, in: Leonore Siegele-Wenschkewitz und Carsten Nicolaisen (Hg.), Theologische Fakultäten im Nationalsozialismus, Göttingen 1993, 361–389. - Ders., „Haus in der Zeit“. Die Fakultät in den Wirrnissen dieses Jahrhunderts, in: Karl Schwarz und Falk Wagner (Hg.), Zeitenwechsel und Beständigkeit. Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien 1821–1996, Wien 1997, 125–208.

Rudolf Leeb

 
www.mennlex.de - MennLex V :: art/dedic_paul.txt · Zuletzt geändert: 2020/05/09 17:50 von bw     Nach oben
© 2010 - 2020 Mennonitischer Geschichtsverein e.V. | Impressum | Kontakt: webmaster@mennlex.de | Umsetzung: Benji Wiebe, mennox.de |
Artikel drucken
| ODT Export | PDF Export