Beckerath, Hermann von

geb. am 13. Dezember 1801 in Krefeld, gest. am 12. Mai 1870 in →Krefeld, Deutschland; Bankier und führender Vertreter des sog. Rheinischen Liberalismus, Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung (Paulskirchenparlament) 1848.

Beckerath entstammte einer seit dem 17. Jahrhundert in Krefeld ansässigen mennonitischen Weberfamilie. Sein Vater Peter war Bandweber und später Gerichtsvollzieher. 1815 begann Beckerath eine Banklehre im drei Jahre zuvor gegründeten Bankhaus der Gebrüder Molenaar. Dort stieg er 1823 zum Geschäftsführer und 1828 zum Teilhaber auf. Am 16. Dezember 1835 heiratete er Charlotte Heilmann, mit der er später zwei Töchter hatte. 1838 machte er sich als Bankier unter der Firma „von Beckerath – Heilmann“ in Krefeld selbstständig.

1836 wurde Beckerath Mitglied des Gemeinderates von Krefeld und avancierte zu einem der führenden Liberalen der preußischen Rheinprovinz. 1844 wurde er Mitglied der Krefelder Handelskammer, 1846 deren Präsident. Von 1843 bis 1845 war er als Vertreter des dritten Standes Mitglied des rheinischen Provinziallandtags. Im Vormärz tat er sich mit Äußerungen zu Zoll- und Handelsfragen, der Forderung nach rechtlicher Emanzipation der Juden und Dissidenten sowie nach liberalen Staatsreformen für Preußen hervor. Populär wurde er besonders durch seine Debattenbeiträge während des Ersten Vereinigten Preußischen Landtags von 1847, in dem er vehement den Antrag seines Mitstreiters Ludolf Camphausen nach einer konstitutionellen Verfassung für ganz Preußen unterstützte. Wie die anderen Vertreter des rheinischen Liberalismus stand Beckerath für eine liberale Umgestaltung der preußischen Monarchie auf der Basis freiheitlicher Grundrechte. Anknüpfend an die Taten Friedrich des Großen und der preußischen Reformer sollte Preußen durch die politische Modernisierung seinen Führungsanspruch im künftigen deutschen Nationalstaat untermauern.

Als es zu Beginn der Revolution von 1848 am 5. März in Krefeld zu einer Bürgerversammlung kam, wurde Beckerath zum Vorsitzenden gewählt. Wenig später wählten ihn die Krefelder Bürger auch zum Abgeordneten in die Frankfurter Nationalversammlung, wo er sich der Casino-Fraktion (rechtes Zentrum) anschloss, das für eine konstitutionelle Monarchie eintrat. Dem Parlament gehörte er vom 18. Mai 1848 bis zum 4. Mai 1849 an. Er war dort unter anderem Mitglied des Verfassungsausschusses, beteiligte sich an der Formulierung der Grundrechte und setze die Aufnahme der Zivilehe in die Verfassung durch.

Am 9. August 1848 trat Hermann von Beckerath als Reichsfinanzminister in das Kabinett der provisorischen Zentralregierung unter Karl zu Leiningen ein. Im Frühjahr 1849 legte er wegen des Konflikts um die Ratifizierung des Waffenstillstands mit Dänemark im Schleswig-Holsteinischen Krieg sein Amt nieder. In der Folge war Beckerath in Frankfurt aber auch in Preußen aussichtsreichster Kandidat für den Posten des jeweiligen Regierungschefs. Friedrich Wilhelm IV. trug er sogar sein Regierungsprogramm vor, konnte den König aber nicht für sich gewinnen. Nachdem der Monarch die ihm angetragene Kaiserkrone abgelehnt hatte und sich damit das Scheitern der kleindeutschen Lösung abzeichnete, trat er als Minister zurück und legte am 4. Mai 1849 auch sein Abgeordnetenmandat nieder.

Nach dem Ende der Nationalversammlung nahm Beckerath am Gothaer Nachtparlament teil und war 1850 Abgeordneter im Erfurter Unionsparlament. Seit 1849 war er Mitglied der zweiten Kammer des Preußischen Landtages. Er nahm Einfluss auf die Verhandlungen über die Revision der oktroyierten Verfassung von 1848, ohne dass es gelang, liberale Forderungen durchzusetzen. Er gehörte zwar bis 1852 weiterhin dem Abgeordnetenhaus (wie die Kammer nun hieß) an, zog sich aber – wie viele seiner liberalen Mitstreiter in ganz Deutschland – weitgehend zurück. Fortan stand sein Bankhaus sowie die Wirtschafts- und Lokalpolitik im Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Im Jahr 1858 wurde er zwar noch einmal Abgeordneter, legte das Amt aber aus gesundheitlichen Gründen nach kurzeer Zeit wieder nieder.

Im Jahr 1862 wurde Beckerath erneut Präsident der Krefelder Handelskammer. Während des Deutschen Handelstages von 1862 kam es zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des Freihandels und des Schutzzolls. Dahinter standen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Gründe. Die Schutzzollbefürworter wie David Hansemann wollten Österreich die Möglichkeit eines Beitrittes zum Deutschen Zollverein offen halten. Beckerath setzte sich mit seiner freihändlerischen und kleindeutschen Haltung durch und verdrängte dabei auch Hansemann von der Position des Vorsitzenden, trat aber bereits ein Jahr später von diesem Amt wieder zurück.

Nach der Gründung des Norddeutschen Bundes im Jahre 1866 trat Hermann von Beckerath nicht mehr öffentlich in Erscheinung. Er starb im Mai 1870, wenige Wochen vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges.

In Beckeraths Denken und Handeln mischten sich mennonitisch geprägte Frömmigkeit, eine liberal-konstitutionelle Grundhaltung sowie ein stark ausgeprägter, historisch begründeter Patriotismus. Am deutlichsten spiegelt sich diese eigentümliche Verbindung in seinem Bekenntnis zur preußischen Monarchie, seinen wortgewaltigen Plädoyers für die rechtliche Gleichstellung aller Glaubensbekenntnisse, aber auch im vehementen Eintreten für die allgemeine Wehrpflicht – die er als unverzichtbares Gegenstück liberaler Freiheitsrechte sah und wiederholt auch gegen den Widerstand seiner orthodoxen Glaubensbrüder verteidigte. Der liberalen Maxime „gleiche Rechte – gleiche Pflichten“ gab er in den religions- und verfassungspolitischen Debatten seiner Zeit stets den Vorrang gegenüber dem Prinzip der uneingeschränkten Religionsfreiheit.

Literatur

Erich Angermann, Hermann von Beckerath, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 1 (1953), 723 ff. - Heinz Boberach, Hermann von Beckerath (1801–1870), in: Rheinische Lebensbilder, Bd. 2, Köln 1966, 177 ff. - Josef Hansen u. a. (Hg.), Rheinische Briefe und Akten zur Geschichte der politischen Bewegung: 1830–1850, 3 Bde., Bonn, Köln und Düsseldorf 1942 – 1998. - Ulrich Hettinger, Hermann von Beckerath im Vormärz, Preußischer Patriot und Rheinischer Liberaler (Diss. ungedr.), Köln 2003. - Ulrich Hettinger, Hermann von Beckerath. Ein preußischer Patriot und rheinischer Liberaler, Krefeld 2010. - Hugo Kopstadt, Hermann von Beckerath. Ein Lebensbild, Braunschweig 1875. - Jochen Lengemann, Das Deutsche Parlament (Frankfurter Unionsparlament) von 1850. Ein Handbuch: Mitglieder, Amtsträger, Lebensdaten, Fraktionen. München, 2000, 112 ff. - Wilhelm Stratmann, Hermann von Beckerath (1801–1870), in: Ottfried Dascher und Everhard Kleinertz (Hg.), Petitionen und Barrikaden. Rheinische Revolutionen 1848/49, Münster 1998, 72 f.

Ulrich Hettinger

 
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