Oyer, John Stanley

geb. am 5. Januar 1925 in Hesston, Kansas, gest. am 4. Mai 1998 in Goshen, Indiana, USA; Professor für allgemeine Geschichte, Historiker des Täufertums. Schriftleiter von Mennonite Quarterly Review (MQR).

International bekannt wurde John S. Oyer als Schriftleiter von Mennonite Quarterly Review (MQR) 1966 bis 1974 und 1977 bis 1992 und als Täuferforscher. Er war ein beliebter Lehrer für allgemeine Geschichte am Goshen College (1955–1993) und leitete die Mennonite Historical Library (MHL) von 1975 bis 1987 mit besonderer Umsicht.

John S. Oyer wuchs als Sohn von Noah und Siddie Oyer in Goshen, Indiana, auf, wo sein Vater längere Zeit als Dean des Goshen Colleges tätig war. Im Sommer 1943 wurde Oyer für den Militärdienst erfasst, verbrachte die nächsten Jahre aber im Ersatzdienst in verschiedenen Dienstlagern. Von 1946 bis 1949 arbeitete er mit dem →Mennonite Central Committee in Europa, wo er einige Hilfswerks- und Wiederaufbauprojekte leitete – zunächst im Elsass und dann in den deutschen Städten Kiel und Hamburg. Im Juli 1949 heiratete er Carol Schertz, eine Hilfswerksmitarbeiterin aus Illinois, die er in Goshen kennengelernt hatte.

Nachdem Oyer 1951 den Titel eines Bachelor of Arts am Goshen College erworben hatte, schrieb er sich für ein Master-Programm an der Harvard University ein und brachte in sein Studium klare Erinnerungen an europäische Städte ein, die in Feuer und Asche untergegangen waren, und ein waches Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit der menschlichen Zivilisation. Dieses Bewusstsein hat seine Forschung und Lehre fortan tief geprägt. In seiner Dissertation, mit der er 1959 am History Department der University of Chicago promoviert und die 1964 in den Niederlanden unter dem Titel Lutheran Reformers Against Anabaptists veröffentlicht wurde, nahm Oyer in der lutherischen Polemik gegen die Täufer das tiefere Anliegen wahr, die bestehende Gesellschaftsordnung, die offensichtlich im Chaos unterzugehen drohte, zu bewahren. Seine späteren Studien zum Martyrium der Täufer bemühten sich, nicht nur die Weltsicht der heroischen Märtyrer zu verstehen, sondern auch des Henkers und des Täufers, der widerrufen hatte. Im Gegensatz zur entschiedenen Parteilichkeit der Reformationsforschung seiner Zeit atmet Oyers Werk einen anziehenden und irenischen Geist, der die Welt stets auch aus den Perspektiven zu verstehen versuchte, die anders waren als seine eigenen.

Im Herbst 1955 nahm Oyer seine Lehrtätigkeit als Historiker am Goshen College auf, eine Tätigkeit, die er die nächsten 38 Jahre über wahrnehmen sollte und die nur von einigen Freijahren unterbrochen wurde, in denen er Forschungen in Europa nachging. Er war ein begnadeter Redner, der einen ästhetischen Gefallen an einer präzisen Sprache fand. Als Schriftleiter und Wissenschaftler sind seine Publikationen durch sorgfältige Forschung gekennzeichnet, die mit einer verlässlichen und nuancierten Interpretationsweise verbunden war.

Während seiner fünfundzwanzigjährigen Tätigkeit als Schriftleiter von MQR weitete Oyer den interdisziplinären Zuschnitt der Zeitschrift aus und führte sie über den sich selbst bestätigenden Charakter der „Bender-Schule“ hinaus, indem er ihre Seiten einer neuen Forschergeneration öffnete, auch wenn deren Erkenntnisse gelegentlich kritisch gegenüber der traditionellen mennonitischen Geschichtsschreibung ausfielen. 1978 übernahm Oyer die Leitung der Mennonite Historical Library, einer umfassenden Sammlung von Mennonitica und Anabaptistica, die das Herzstück von Harold S. →Benders Renaissance der Täufergeschichte in Goshen waren. Wie mit MQR brachte Oyer auch eine neue Ordnung und Anschaulichkeit in die Bibliothek. Er nutzte seine Verbindungen nach Europa, erweiterte zielbewusst die Sammlung seltener Bücher und wirkte gemeinsam mit den Kuratoren der MHL, Nelson und Joe Springer, daran, die Bibliothek auf den Stand professioneller Exzellenz zu heben.

Oyers wissenschaftliche Forschungsinteressen waren weit gestreut: von Streitschriften gegen die Täufer, zum täuferischen Liedgut und zur Geschichte der Amischen. Das zeigt sich sehr deutlich in der posthumen Veröffentlichung seiner Aufsätze in dem Sammelband „They Harry the Good People out of the Land“. Essays on the Persecution, Survival and Flourishing of Anabaptists and Mennonites (2000). In seinen späteren Jahren arbeitete er mit Robert Kreider am Mirror of the Martyrs (1990), einem Buch, das seine erfolgreichen Bemühungen krönte, die dreiundzwanzig originalen Kupferplatten anzukaufen, die vom niederländischen Künstler Jan Luyken gestochen wurden, um die Ausgabe des Märtyrerspiegels von 1685 zu illustrieren. Diese Platten wurden schließlich zum Kernstück einer Wanderausstellung zum täuferischen →Martyrium, die Oyer gemeinsam mit Kreider für ein allgemeines Publikum organisierte. Um die Zeit seines Todes (1998) arbeitete Oyer an einem umfangreichen Forschungsprojekt zu den Widerrufen der Täufer. Leider hinderte eine Krankheit ihn daran, die notwendige Energie aufzubringen, um diese Arbeit zu ihrem Ende zu führen.

Werke (Auswahl)

Lutheran Reformers Against Anabaptists: Luther, Melanchthon and Menius and the Anabaptists of Central Germany, The Hague 1964. - Gemeinsam mit Robert Kreider, Mirror of the Martyrs, Intercourse, Pa., 1990. - They Harry the Good People Out of the Land. Essays on the Persecution, Survival and Flourishing of Anabaptists and Mennonites, hg. von John D. Roth, Goshen, Ind., 2000. - The Strasbourg Conferences of the Anabaptists, 1554 – 1607, in: Mennonite Quarterly Review 58, 1984, 218–229. - Die Täufer und die Confessio Augustana, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1980, 7–23.

Bibliografie

A Bibliography of John Oyer´s Writings, in: They Harry the Good People Out of the Land. Essays on the Persecution, Survival and Flourishing of Anabaptists and Mennonites, 323–324.

Literatur

Tributes to John S. Oyer, in: Mennonite Quarterley Review 63, 1993, 379–406. - James M. Stayer, John Stanley Oyer, 1925 – 1998, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1998, 154–158. - John D. Roth, In Memoriam John S. Oyer, 1925 – 1998, in: Mennonite Quarterly Review 72, 1998, 349–350.

John D. Roth

 
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