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Polnische Brüder (Sozinianer)

Die Polnischen Brüder waren eine um 1565 entstandene und bis 1658 bestehende täuferisch-antitrinitarische Minderheitskirche in der Adelsrepublik Polen-Litauen. Nach dem in Polen lebenden Italiener Fausto Sozzini (1539–1604), dessen Theologie um die Wende zum 17. Jahrhundert maßgeblichen Einfluss auf die Polnischen Brüder ausübte, wurden sie oft Sozinianer genannt. Wegen der Ablehnung des trinitarischen Dogmas wurden die Polnischen Brüder von katholischen und protestantischen Gegnern auch als Arianer oder Photinianer bezeichnet, also polemisch mit zwei von der Alten Kirche verurteilten Häresien gleichgesetzt.

1. Entstehung einer täuferisch-antitrinitarischen Kirche in Polen

Hintergrund der Entstehung der Polnischen Brüder waren theologische Kontroversen unter reformierten Theologen und Adligen über die Trinitätslehre, die Kindertaufe, den Waffendienst und die Ausübung obrigkeitlicher Ämter. 1556 und 1558 hatte der Theologe Petrus Gonesius (Piotr z Goniądza, ca. 1530–1573), der während seines Studiums in Padua anscheinend mit den italienischen antitrinitarischen Täufern und anschließend wohl auch mit den Hutterern in Mähren (→Hutterische Bruderhöfe) in Berührung gekommen war, auf Synoden der polnischen reformierten Gemeinden die biblische Berechtigung des trinitarischen Dogmas und der Kindertaufe (→Taufe) in Frage gestellt.

Während sich die Mehrheit der polnischen Reformierten weiterhin an den Schweizer reformierten Theologen und insbesondere an Johannes →Calvin orientierte, wurde die von Gonesius geäußerte Kritik von einigen politisch einflussreichen Adligen und von zahlreichen Prädikanten und Gelehrten aufgenommen. Unter letzteren befanden sich der 1558 bis 1563 in Polen lebende italienische Arzt Giorgio Biandrata (ca. 1516–1588) und die Theologen Gregorius Pauli (Grzegorz Paweł, 1525–1591), Marcin Czechowic (ca. 1532–1613), Szymon Budny (1530–1593) und Georg Schomann (1530–1591).

Seit 1565 löste sich der antitrinitarisch-antipädobaptistische Flügel endgültig vom Synodalverband der polnischen Reformierten und bildete ein eigenständiges, synodal verfasstes Kirchentum, das (zur Unterscheidung von der Mehrheit der Reformierten) als Ecclesia minor oder (in Analogie zu den Gruppennnamen der Böhmischen Brüder sowie der täuferischen Mährischen bzw. Hutterischen Brüder und →Schweizer Brüder) als Polnische Brüder bezeichnet wurde.

Innerhalb der neuen Denomination war eine erhebliche Bandbreite an theologischen und sozialethischen Auffassungen vertreten. Es gelang den Polnischen Brüdern nicht, die traditionelle Trinitätslehre durch einen innerhalb ihrer Gemeinschaft konsensfähigen Gegenentwurf zu ersetzen. Auch die Praxis der Erwachsenentaufe, die bei den Polnischen Brüdern durch vollständiges Untertauchen gespendet wurde, setzte sich erst allmählich durch, da viele Mitglieder der Gemeinschaft trotz ihrer grundsätzlichen Ablehnung der Kindertaufe davor zurückscheuten, sich einer „Wiedertaufe“ zu unterziehen.

Besonders umstritten waren die Fragen des Waffendienstes und der Ausübung von obrigkeitlichen Ämtern. Der sozialethisch radikale Flügel der Polnischen Brüder vertrat einen strikten Pazifismus und forderte die Aufgabe der sozialen Vorrechte des Adels und die Freilassung der Leibeigenen auf den Gütern adliger Gemeindemitglieder. Das Zentrum dieses Flügels wurde die 1569 gegründete Ortschaft Raków in Kleinpolen (etwa auf halbem Weg zwischen Krakau und Lublin), wo anfangs ein kommunitäres Gemeindeleben (→Gütergemeinschaft) nach dem Vorbild der Hutterischen Brüder in Mähren angestrebt wurde.

Andererseits waren die Polnischen Brüder auf den Schutz durch ihre adligen Gemeindemitglieder, die einen erheblichen Teil der Anhängerschaft der Gemeinschaft ausmachten, angewiesen, denn nur diese hatten im multikonfessionellen polnisch-litauischen Ständestaat Anspruch auf eine weitgehende (durch die Warschauer Konföderation von 1573 verfassungsrechtlich gesicherte) Glaubensfreiheit. Zur Aufrechterhaltung ihrer Standesvorrechte waren Adlige zur Heeresfolge im Verteidigungsfall, zur Teilnahme an Landtagen und zur Übernahme öffentlicher Ämter verpflichtet.

2. Die Polnischen Brüder unter dem Einfluss Fausto Sozzinis

Am Konflikt zwischen dem rigorosen Pazifismus der kleinpolnischen Brüder in Raków und der von Budny in Litauen vertretenen Auffassung, adligen Gemeindemitgliedern seien die Wahrnehmung ihrer Standespflichten und die Teilnahme am politischen Leben grundsätzlich zu gestatten, drohte die Ecclesia minor zu zerbrechen. Einen maßgeblichen Beitrag zu einem Kompromiss leistete der Italiener Fausto Sozzini (1539–1604), der sich 1579 in Polen niedergelassen hatte. Sozzini erklärte zwar das Tötungsverbot der Bergpredigt für verbindlich und empfahl, sich von der Übernahme obrigkeitlicher Ämter so weit wie möglich zu enthalten, war aber der Auffassung, dass es durchaus möglich sei, adligen Standespflichten nachzukommen, ohne die Christenpflicht zu verletzen.

Insgesamt setzte sich Sozzinis Theologie unter den Polnischen Brüdern im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts weitgehend durch. Zu deren Hauptzügen gehörte eine Christologie, die die Präexistenz Christi ausschloss, aber die Anbetung des erhöhten Mittlers Christus billigte; die Ablehnung der Erbsündenlehre und der Lehre von der Sühnewirkung des Todes Christi; ferner eine reflektierte Bibelhermeneutik, wonach der mit Hilfe der Vernunft ausgelegte Wortlaut des Neuen Testaments Quelle der für die Erlangung der Seligkeit notwendigen Erkenntnis sei, die zwar die Vernunft übersteige, aber dieser nicht widerspreche. Sozzini hielt den Empfang der Erwachsenentaufe für überflüssig und trat daher nie formal der Ecclesia minor bei. In diesem Punkt konnte sich Sozzini jedoch nicht durchsetzen, vielmehr blieb die Immersionstaufe für den Beitritt zu den Gemeinden der Polnischen Brüder obligatorisch.

Zu den führenden Vertretern der von Sozzini geprägten Generation der Polnischen Brüder zählten die Deutschen Christoph Ostorodt (ca. 1560–1611), Johann Völkel (1565–1618) und Valentin Schmalz (1572–1622), die ursprünglich lutherische Theologie studiert hatten. Die beiden letzteren waren an der Abfassung des Rakauer Katechismus (1605), des bedeutendsten Lehrdokuments der Ecclesia minor, beteiligt. Raków entwickelte sich als Sitz einer Hochschule mit späthumanistischem Curriculum und als Druckort, an dem neben polnischen und lateinischen auch zahlreiche deutsche sozinianische Schriften erschienen, zum intellektuellen Zentrum der Polnischen Brüder.

Mit den Fortschritten der Gegenreformation in Polen kam es jedoch seit den 1630er Jahren zu zunehmenden Beeinträchtigungen des Gemeindelebens der Polnischen Brüder. 1638/39 wurden Hochschule und Druckerei in Raków geschlossen und zerstört. Zwei Jahrzehnte später, 1658, wurden die antitrinitarischen Gemeinden in ganz Polen-Litauen verboten. Ihre Mitglieder wurden vor die Wahl gestellt, zum Katholizismus zu konvertieren oder ins Exil zu gehen.

3. Der spätere Sozinianismus und seine Nachwirkung

Nach der Zerschlagung der kirchlichen Strukturen in der Adelsrepublik bestanden Exilgemeinden der Polnischen Brüder in Siebenbürgen fort, wo sie mit der (nicht-täuferischen) unitarischen Kirche verschmolzen, ferner eine Zeitlang in Schlesien und bis ins frühe 19. Jahrhundert in Ostpreußen. Dagegen konnten die Polnischen Brüder in den →Niederlanden, wohin sich einige ihrer führenden Theologen gewandt hatten, kein Gemeindeleben aufrechterhalten.

Im niederländichen Exil erschien mit Unterstützung remonstrantischer Gelehrter unter dem Titel Bibliotheca Fratrum Polonorum eine Serie von zehn Foliobänden mit Sammelausgaben sozinianischer theologischer Schriften (Amsterdam 1665–1668 und 1692). Bei den Verfassern handelte es sich, abgesehen von Fausto Sozzini selbst, um die führenden in Polen wirkenden sozinianischen Denker der zweiten Generation: Johann Crell (1590–1633), dessen Schriften noch vor der Zerstörung von Raków entstanden waren, Jonas Schlichting (1592–1661), Johann Ludwig von Wolzogen (1600–1661) und Samuel Przypkoswki (1592–1670).

In ihren Schriften spiegeln sich grundlegende Akzentverschiebungen gegenüber Sozzinis ursprünglicher Lehre wider. Während Sozzini sich als Bibeltheologen verstand und die Möglichkeit heilsrelevanter Erkenntnis auf dem Weg der rationalen Spekulation verneinte, gewann seit Johann Völkel und Johann Crell die natürliche Theologie, die allerdings der Vervollständigung durch die geoffenbarten Glaubenswahrheiten bedürfe, an Bedeutung für das theologische Denken der Sozinianer. Diese Entwicklung fand ihren Abschluss bei Andreas Wiszowaty (1608–1678), einem Enkel Sozzinis, der einen supranaturalen Rationalismus vertrat. In seinem Hauptwerk Religio rationalis legte er die Übereinstimmung der offenbarten Glaubenslehre mit der Vernunft dar und grenzte sich gegenüber dem rationalistischen Deismus ab.

Samuel Przypkowski baute Sozzinis Auffassung, dass die für die Erlangung des Heils notwendige Glaubenserkenntnis in mehreren der zerspaltenen christlichen Konfessionen zugänglich sei, zu einem umfassenden Toleranzkonzept aus. Anders als Sozzini, der das Tötungsverbot der Bergpredigt auch auf das Handeln der Obrigkeit beziehen wollte, schränkte Przypkowski den Pazifismus weitgehend auf den privaten und kirchlichen Bereich ein und betonte die Eigengesetzlichkeit der staatlichen Sphäre, die die Blutgerichtsbarkeit und den Verteidigungskrieg notwendigerweise einschließe.

Durch die Bibliotheca Fratrum Polonorum, aber auch durch das übrige umfangreiche sozinianische Schrifttum, wurden Impulse aus der sozinianischen Tradition in die Toleranzdiskurse, die Staatslehre und die Religionsphilosophie der Frühaufklärung vermittelt.

4. Beziehungen der Polnischen Brüder zu den deutschsprachigen und niederländischen Täufern

Seit ihren ersten Anfängen suchten die Polnischen Brüder den Kontakt mit den deutschen und niederländischen Täufergruppen (→Täufer, →Mennoniten). In den daraus resultierenden Auseinandersetzungen nahmen abweichende sozialethische Auffassungen deutlich größeren Raum ein als die dogmatischen Differenzen. Die Hutterischen Brüder, die Schweizer Brüder und die Mennoniten tendierten, ohne das trinitarische Dogma explizit abzulehnen, zu einem theologischen Binitarismus, indem sie zwar an der Präexistenz Christi und der Wesensgleichheit der Gottheit Christi mit dem Vater festhielten, den heiligen Geist aber eher als eine göttliche Kraft und Wirkung auffassten denn als dritte Person der Trinität. Neben der Präexistenz und Gottheit Christi verteidigten die Hutterischen Brüder, Schweizer Brüder und Mennoniten in ihren Auseinandersetzungen mit den Polnischen Brüdern auch den Vollzug der Taufe durch Begießen des Kopfes aus einem Wassergefäß anstelle des von den Polen geforderten vollständigen Untertauchens in einem See oder Fluss.

In der Gründungsphase von Raków kam es zu einem intensiven Austausch mit den Hutterischen Brüdern in Mähren, der jedoch – abgesehen von vereinzelten Übertritten polnischer Adliger zu den Hutterern – zu keiner dauerhaften Annäherung der beiden Gruppen führte, da die Polen nicht bereit waren, die Gütergemeinschaft als verbindliche Ordnung der christlichen Gemeinde anzuerkennen.

Bereits im Kontext der fortschreitenden Bedrängung der Polnischen Brüder durch die Gegenreformation trat der sozinianische Arzt Daniel Zwicker (1612–1678) aus Danzig 1650 im slowakischen Sabatisch (Sobotište) den inzwischen aus Mähren vertriebenen Hutterischen Brüdern bei, ohne jedoch weitere sozinianische Glaubensgenossen für diesen Schritt gewinnen zu können. Zwicker war später im niederländischen Exil in einen langen polemischen Schriftenwechsel mit Johann Amos Comenius (Jan Amos Komenský, 1592–1670), dem aus Mähren verbannten Bischof der Böhmischen Brüder, verwickelt und starb als religiöser Einzelgänger in Amsterdam.

1590 forderte ein polnischer Emissär die in Straßburg zu einer Synode versammelten Prediger und Ältesten der Schweizer Brüder zu Vereinigungsverhandlungen mit den Polnischen Brüdern auf. Der anschließende Briefwechsel, der für die polnische Seite von Christoph Ostorodt geführt wurde, führte jedoch zu keinem Ergebnis. Um 1610 bemühten sich die Polnischen Brüder erneut, aber wiederum vergeblich, um die Aufnahme von Unionsverhandlungen mit der „Befriedeten Bruderschaft“, einer kurzlebigen Kirchenunion der Schweizer Brüder mit den „Friesen“ (einer der mennonitischen Teildenominationen) und den taufgesinnten Waterlandern (→Niederlande).

Zwischen den mennonitischen Gemeinden in Preußen und den Polnischen Brüdern kam es allein schon aufgrund der geographischen Nähe zu vielfältigen Berührungen. In →Danzig spaltete sich in den 1580er Jahren von der Mennonitengemeinde eine unitarische Gemeinde unter der Leitung des ehemaligen Danziger Stadtschreibers Matthäus Radecke (1540–1612) ab, die sich den Polnischen Brüdern anschloss.

Auch in den Niederlanden, wohin Gesandte der Polnischen Brüder seit den 1590er Jahren mehrere regelrechte Missionsreisen unternommen hatten, blieb die sozinianische Propaganda nicht ohne Widerhall auf Seiten der Mennoniten. Der niederländische Reformierte Johannes Hoornbeeck formulierte 1653 polemisch: Anabaptista indoctus Socinianus, Socinianus autem doctus Anabaptista („Ein Mennonit ist ein ungelehrter Sozinianer, ein gelehrter Mennonit ist ein Sozinianer“). Der Übergang eines Teils der niederländischen Taufgesinnten zu unitarischen theologischen Auffassungen im 19. Jahrhundert stand nicht mehr in einem direkten Zusammenhang mit den Polnischen Brüdern.

Gegen die Tendenz der Täuferforschung, den deutschsprachigen und niederländischen Täuferbewegungen des 16. und 17. Jahrhunderts pauschal eine trinitarische Orthodoxie zuzuschreiben, ist zu betonen, dass die Quellen einen differenzierteren Befund bieten. Die Sozinianismusforschung wiederum nimmt primär die dogmatischen und philosophischen Ideen der Polnischen Brüder in den Blick und vernachlässigt tendenziell die Tatsache, dass es sich bei der Ecclesia minor um eine täuferische Freiwilligkeitskirche handelte, in der das täuferische Element bis in die Spätzeit ihrer Existenz als kirchliche Gemeinschaft eine wichtige Rolle spielte.

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Martin Rothkegel

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