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Literatur I (über Täufer und Mennoniten in deutscher Sprache)

1. Die Täufer des 16. Jahrhunderts

Werden Täufer und Mennoniten mit Literatur in einen Zusammenhang gebracht, so ergeben sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten. Einerseits kann es sich um Literatur handeln, die von Täufern und Mennoniten aus ihrer religiös-sozialen Lebenswelt heraus verfasst wurde und sie widerspiegelt oder sich mit ihr auseinandersetzt, andererseits haben Täufer und Mennoniten in Werken Außenstehender ihren Platz gefunden. Beide Varianten sind bereits im 16. Jahrhundert anzutreffen. Etliche Täufer, speziell Märtyrer und Märtyrerinnen, haben Lieder zu Papier gebracht, außerdem sind die täuferischen Briefe, wie sie beispielsweise der Märtyrerspiegel enthält, literarische Zeugnisse mit autobiographischem Charakter. Briefe und Lieder wurden nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen verfasst, unter ihnen Anna Jansz von Rotterdam (→Liederdrucke der Täufer). Zu erwähnen sind auch →Flugschriften, wie jene Friedrich Hubers (Pseudonym), in denen die Täufer gegenüber Angriffen Außenstehender verteidigt werden.

Wurden die Täufer literarisch thematisiert, so führte dies oft nur zu flüchtigen Erwähnungen, andererseits konnten Täufer auch in den Mittelpunkt des literarischen Geschehens gerückt werden, wobei ihr Image je nach Verfasserintention und religiösem Standort variierte. In einem illustrierten Flugblatt mit niederländischem Text (um 1590), das für religiöse Toleranz wirbt, ist beispielsweise auch ein Vertreter der „Wiedertäufer“ präsent. Ein positives Täuferbild vermittelt der elsässische Erzähler und Dramatiker Jörg Wickram, der heute zu den bedeutendsten Schriftstellern des 16. Jahrhunderts zählt. In seinem Dialog Von der Trunkenheit (1555) erscheinen die Täufer in einem positiven Licht. Vor Verbrechern muss man sich fürchten, nicht jedoch vor Täufern, die in ihre Bibel versunken am Feuer lesen. Im Rollwagenbüchlein (1555) lässt Wickram unter der Überschrift „Von zweyen boesen Nachbauren“ zwei streitsüchtige Nachbarn sich gegenseitig beschuldigen, Wiedertäufer zu sein. Der Bürgermeister in seiner Rolle als Richter erkennt schnell, dass die Kontrahenten keine Täufer sind. Sie hätten sich auf einen derartigen Nachbarschaftszwist nicht eingelassen, denn Täufer schwören und drohen nicht, sie lassen sich auf keine Händel ein und erdulden lieber weitere Schläge. Ein gänzlich anderes Täuferbild vermittelt der lutherische Pfarrer Thomas Birck in seinem von Gemeindegliedern auch aufgeführten Ehespiegel (1598), in dem er ein täuferisches Ehepaar nebst zwielichtiger Tochter agieren lässt, um seine Gemeindeglieder und alle vermeintlich Rechtgläubigen vor den Täufern zu warnen. Thermut ist geldgierig, verlogen und gewaltsam, wodurch nicht nur sie in Misskredit gerät, sondern mit ihr ein Schatten auf alle Täufer fällt. In Bircks Ehespiegel wird anschaulich thematisiert, was in Predigten und zur Erbauungsliteratur zählenden gedruckten lutherischen Leichenpredigten vom Ende des 16. bis ins 18. Jahrhundert hinein gang und gäbe war, nämlich gegen Andersgläubige zu Felde zu ziehen, darunter nicht nur Katholiken und Pietisten, sondern auch die viel geschmähten Wiedertäufer, Täufer oder Anabaptisten.

Das täuferische Leben und Sterben im 16. Jahrhundert anschaulich zu thematisieren, geschah erst Jahrhunderte später aus der literarischen Retrospektive. In Dramen, Romanen, Novellen, Erzählungen und Geschichten wurde der leidgeprüften Täufer und mennonitischen Vorfahren gedacht, über die in den historischen Quellen zumeist wenig zu erfahren ist. Gefühle, Worte, Charaktereigenschaften, Sorgen und Freuden, all das konnte auf literarischem Wege mehr oder weniger quellennah dargestellt werden. Schriftsteller verliehen den Täufern des 16. Jahrhunderts Seele und Sprache, auch im Kontext von Werken, die nicht ausschließlich im täuferischen Milieu angesiedelt sind, wie beispielsweise Luther Blissetts Roman „Q“ (1999), der die turbulenten Jahre der Reformation einfängt und mit ihnen Thomas Müntzer, den Bauernkrieg und die Täufer. Die in den literarischen Bearbeitungen der Täufergeschichte des 16. Jahrhunderts gesetzten Akzente variieren. Täuferische Führergestalten konnten genauso ins Zentrum der Darstellung gerückt werden wie einfache Täufer. 1876 war Arnold Fokkes Erzählung Anne Holme oder die Wiedertäufer erschienen, die ca. 150 Jahre später Pate für Michael Boomhuis' Roman Im Namen des Herrn – Anno 1535 stand. Dazwischen liegen unzählige literarische Bearbeitungen täuferischen Lebens, darunter Cäsar von Arx' erfolgreich aufgeführte Tragödie Brüder in Christo (1947), die den Konflikt zwischen Zwingli und den Zürcher Täufern thematisiert, Edmont Diebolds Erzählung Folge dem Licht (1945) und Hans Franks Novelle Sebastian (1949), womit nur einige literarische Bearbeitungen älteren Datums genannt wären. In Veröffentlichungen, die über das 16. Jahrhundert hinausreichen, rücken seit einiger Zeit verstärkt Frauen ins Blickfeld und in den Mittelpunkt der Handlung, so in Ernst Behrends Roman Die Rose von Wüstenfelde (1973), der in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges beheimatet und Teil eines sechsbändigen Romanwerkes ist, das mit dem Ketzerbischof (1961), einem Roman über Menno Simons, beginnt und bis zur Auswanderung der Mennoniten nach Amerika reicht. Um Frauenschicksale geht es ebenfalls in Katharina Zimmermanns Roman Die Furgge (1989), der im Emmental zur Zeit der Täuferverfolgung von 1690 bis 1717 spielt und in Ulrike Renks historischem Roman Die Frau des Seidenwebers (2010), der den Leser ins mennonitische Milieu Krefelds im 18. Jahrhunderts führt.

2. Das Münsteraner Täuferreich 1534/36

Das →Münsteraner Täuferreich separat zu behandeln, erweist sich zunächst als problematisch, wird hierdurch doch die von der Forschung überwundene Vorstellung eines täuferischen Sonderfalls genährt. Andererseits erscheint dieser Schritt gerechtfertigt, da gerade dieser täuferischen Bewegung aufgrund ihres eigenwilligen Charakters große literarische Aufmerksamkeit zuteilwurde. Unter den zeitgenössischen Texten ragen Angriffe auf das Münsteraner Täuferreich und seine tonangebenden Führergestalten hervor, darunter das anonym verfasste Spottgedicht auf Bernd Rothmann Stutenbernd bin ick genannt und die 3383 Zeilen umfassende Kampfschrift Das Ketter-Bichtbok sowie die Flugschrift Artickel der Widderteuffer zu Munster. Mag das Münsteraner Täuferreich vom 16. bis 18. Jahrhundert auch den Stoff für literarische Bearbeitungen geliefert haben, darunter das Trauerspiel Elisabeth (1777) des gebürtigen Münsteraners Christoph Bernhard Joseph Schücking und F. G. Freiherr v. Nesselrodes Jan van Laiden, oder die Belagerung von Münster (1793), so fällt die Blüte doch ins 19. Jahrhundert mit dem ihm eigenen Interesse speziell an historischen Romanen. Viele Autoren sind in Vergessenheit geraten, ihre Werke werden kaum noch gelesen und ihre Stücke nicht mehr aufgeführt. Veröffentlicht wurden u. a. Carl Spindlers romantisches Gemälde Der König von Zion (1834), Ernst Meverts Tragödie Der König von Münster (1869) und Robert Hamerlings Der König von Sion (1868). Neben einem grundsätzlichen Interesse am Münsteraner Täuferreich verraten einige Titel bis in die Gegenwart hinein eine besondere Vorliebe für einzelne prägende Gestalten, allen voran Bockelson oder Jan van Leiden als Prophet und König von Münster. Aber auch Frauen wie Elisabeth Wandscherer, die aus der Menge hervorragen und nach einem Profil verlangen, sind von literarischem Interesse. Sie steht im Mittelpunkt von Joseph von Lauffs Roman Elisabeth Wandscherer (1931) und hat neben Königin Divara und Hille Feicken in Norbert Johannimlohs Triptychon Die zweite Judith (2000) Eingang gefunden. Der Titel bezieht sich auf die zuletzt genannte Frauengestalt, die als neue Judith den Fürstbischof Franz von Waldeck ermorden wollte. Sie lebt nicht nur in Rosemarie Schuders Roman Die Erleuchteten (1968) weiter, sondern auch in Illa Andreaes Erzählung Hille und der Droste (1952), in der der Leser Hille Feicken auf ihrem Weg ins feindliche Lager und in den Tod begleitet. Nicht nur in jüngeren Werken, vielmehr fällt generell auf, dass der sexuellen Komponente im Kontext des Geschehens seit jeher literarische Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Auf diese Weise gerät das Münsteraner Täuferreich zum historischen Ort von Ausschweifungen und Gewalt wie beispielsweise in Nicholas Salamans Roman Der Garten der Lüste (1995). Sicherlich haben Hinrichtungen, Gewalt und die zeitweise praktizierte und theologisch legitimierte „Vielweiberei“ entscheidend dazu beigetragen, das Münsteraner Täuferreich in Misskredit zu bringen und es literarisch mehr oder weniger sensationslüstern in Szene zu setzen. Nicht minder beflügelten die in Käfige verfrachteten und am Lambertiturm zur Schau gestellten Körper der hingerichteten Täuferführer die Fantasie, wovon Leopold von Sacher-Masochs Novelle Welthistorische Käfige (1879) und Ludwig Wegmanns Erzählung König im Käfig (1935) zeugen. Eine enge Affinität zum Nationalsozialismus stellt Fritz Reck-Malleczewens Roman Bockelson. Geschichte eines Massenwahns (1937) her. Für Reck-Malleczewen bestanden bedrohliche Parallelen zwischen dem Nationalsozialismus und Münster, das sich einst aus der zivilisierten Welt gelöst habe. Jürgen Kehrer gelingt es mit seinem Krimi Wilsberg und die Wiedertäufer (1994), einen engen Bezug zwischen dem historischen Stoff und Gegenwartsproblemen herzustellen, in seinem Kriminalroman geht es um fragwürdige Machenschaften der katholischen Kirche. Der von Pierre Barret und Jean-Noël Gurgand verfasste Roman Der König der letzten Tage (1981) stand nicht nur für den gleichnamigen Film König der letzten Tage (1993) Pate, sondern gehört zu den populärsten Darstellungen des Münsteraner Täuferreichs. Für ein breiteres, an „sex and crime“ interessiertes Lesepublikum wurden Heftromane verfasst, darunter der von Raymond Hart (d. i. Rainer Delfs) verfasste Titel Die toten Augen von St. Lamberti (1986) und der unter dem Pseudonym C. W. Bach erschienene Roman Wiedertäufer-Vampire (1999). Das Münsteraner Täuferreich bietet Stoff für jeden Lesegeschmack in der ganzen Spannbreite von der Trivial- bis zur Hochliteratur. Ihr zuzurechnen sind Friedrich Dürrenmatts Erstlingsdrama Es steht geschrieben (Uraufführung 1947) und seine Komödie Die Wiedertäufer (Uraufführung 1967), die nach wie vor auf Spielplänen von Bühnen zu finden sind.

3. Reisen zu Täufern und Mennoniten

Die in der Literatur anzutreffenden negativen Vorstellungen über Täufer und Mennoniten treten in den Hintergrund oder lösen sich gänzlich auf, wenn es zu unmittelbaren Begegnungen und Kontakten kommt, die in Reisebeschreibungen ihren Niederschlag finden. Ein frühes Beispiel ist jener Bericht Stephan Gerlachs über seinen Besuch bei seinen wiedertäuferischen Geschwistern und Freunden in Mähren (1578). Der spätere Tübinger Professor beschreibt u. a., wie man sich zunächst behutsam, dann aber doch herzlich begegnet sei, wie seine hutterischen Schwestern mit ihren Ehemännern leben und die Kinder erzogen werden. Zwar schaffen unterschiedliche Glaubensauffassungen unüberbrückbare Differenzen, die jedoch zu keiner Verurteilung seitens des Berichterstatters führen. Wesentlich bekannter ist Christoph von Grimmelshausens wohlwollende Schilderung der Hutterischen Brüder in seinem Roman Der abenteuerliche Simplicissimus (1669), wobei es sich wohl mehr um ein ideales Bild als um eine reale Beschreibung oder Berichterstattung handeln dürfte. Grimmelshausen will die wiedertäuferischen Höfe in Ungarn zwar kennen gelernt haben, er könnte mit ihnen aber auch anderweitig in Berührung gekommen sein, etwa über die Hutterischen Brüder in Mannheim. Mögen die Hutterer bedauerlicherweise auch Irrlehren anhängen, so hält er ihr Leben doch in vielen Bereichen für durchaus erstrebenswert, angefangen bei der geregelten Arbeit und züchtigen Lebensweise über eine bemerkenswerte Krankenpflege und ein allgemein vorbildliches ethisches Verhalten. Immer wieder finden sich in Reiseberichten nicht nur Hinweise auf die Existenz von Anabaptisten, Hutterern und Mennoniten, sondern auch gelegentlich anerkennende Worte für ihre Lebensweise. In diesem Zusammenhang sei der Lübecker Theologe und Pastor an St. Marien Heinrich von der Hude erwähnt, der sich in seiner Reise durch Holland (1755) besonders für die Mennoniten interessierte. In Johann Jacob Grabners Briefen Über die Vereinigten Niederlande (1792) finden sich ebenfalls längere Ausführungen über die dortigen Mennoniten und ihre Geschichte. Betont wird ihr sanfter Charakter, der mit dem der Münsteraner Täufer nichts gemein habe, die immer wieder in Erinnerung gerufen und als Negativmaßstab angelegt werden. In Thomas Nashes fiktivem Reisebericht Der glücklose Reisende oder Das Leben des Jack Wilton (1594) lässt der Verfasser seinen Helden u. a. nach Münster gelangen. Die Täuferherrschaft wird zwar verdammt und Jan van Leiden spöttisch mit Thomas Müntzer in einem Atemzug genannt, dennoch klingen im Kontext der „tragischen Katastrophe“ von Münster auch versöhnlichere Töne an. Der Journalist Michael Holzach, der ein Jahr bei den Hutterern in Kanada lebte, schaffte es mit seinem Bestseller Das vergessene Volk (1980) ein breites Interesse an den weitgehend unbekannten Hutterern und ihrer Geschichte zu wecken.

Nicht nur Außenstehende, auch Mennoniten wie der Prediger Hinrich van der Smissen aus Sembach begaben sich auf Reisen. In seinem Reise-Bericht (1871) beschreibt er seine Fahrt zur Gemeinde nach Etupes bei Mömpelgard. Vor ihm hatte David Hamm Reiseberichte verfasst und in den Mennonitischen Blättern veröffentlicht, darunter seinen Bericht über eine Reise von der Mennoniten-Colonie an der Molotschna nach der Wolga (1856). Wenige Jahre später erschien ebenfalls in den Mennonitischen Blättern Heinrich Ewerts Bericht über die Reise der beiden Preuß. Deputirten nach der Krimm und den Menoniten=Colonien in Süd= u. Ostrußland, im Sommer 1861.

4. Ernst von Wildenbruchs Trauerspiel und die Literatur des 19. Jahrhunderts

Im 19. und 20. Jahrhundert war es die Debatte um die Wehrdienstverweigerung, die für die Mennoniten und ihre Kritiker zunehmend an Bedeutung gewann und sich auch literarisch niederschlug. Vor allem sorgte Ernst von Wildenbruchs Trauerspiel Der Menonit (1881) für Wirbel, da das Stück die Mennoniten und ihre religiös bedingten Grundsätze zu verunglimpfen schien, allen voran die Wehrlosigkeit. Wildenbruchs Unmut greift jedoch noch wesentlich tiefer. Die altüberlieferten Glaubens- und Lebensgrundsätze der Mennoniten werden zur Diskussion gestellt und als wenig zeitadäquat und zukunftsträchtig gebrandmarkt. Die Handlung spielt im Jahre 1809 zur Zeit der französischen Belagerung Danzigs. Eingebettet in ein Liebesdesaster mit tödlichen Konsequenzen werden nicht nur die verhängnisvollen Folgen der Wehrlosigkeit aufgezeigt, sondern auch Einblicke in die enge und keineswegs harmonische Welt mennonitischen Lebens gegeben. Reaktionen seitens aufgebrachter Mennoniten ließen nicht auf sich warten. Für Wildenbruchs Stück gab es von mennonitischer Seite weder verständnisvolle noch anerkennende Worte, obwohl es vielleicht nicht einmal in der Absicht des Verfassers lag, die Mennoniten grundsätzlich zu schmähen. Einiges spricht dafür, dass Wildenbruch den sich andeutenden Wandel hinsichtlich der mennonitischen Wehrlosigkeit aufgegriffen hatte und mit seinem Stück neue Wege eröffnen wollte. Wenige Jahre vor dem Erscheinen von Wildenbruchs Trauerspiel war mit dem Bundesgesetz des Norddeutschen Bundes vom 9. November 1867 die Wehrfreiheit der Mennoniten aufgehoben worden, gemildert durch die Kabinettsorder vom 3. März 1868, durch die den Mennoniten zugestanden wurde, ihrer Wehrpflicht u. a. als Krankenwärter und Schreiber nachzukommen. Die Frage der Wehrpflicht blieb zwar ein heißes Eisen, das sich jedoch immer stärker abkühlte, da die Mennonitengemeinden im Deutschen Reich den Dienst an der Waffe letztlich billigten und unterstützten. Ein Beispiel dafür ist das von Heinrich August Neufeldt verfasste Festgedicht zur Rückkehr der Krieger, 1871, das der Verfasser auch an Antje Brons in Emden geschickt hatte, die sich selbst schriftstellerisch betätigte. Sie war stolz darauf, dass einer ihrer Söhne freiwillig am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 teilgenommen hatte.

Die Wehrlosigkeit war eines der brisantesten Themen, die in dem an historischen Stoffen interessierten 19. Jahrhundert im Kontext der Täufer- und Mennonitengeschichte literarisch zur Sprache kam und nach wie vor rückblickend von Interesse ist, wovon Peter P. Klassens Buch Die schwarzen Reiter (1999) zeugt. Im Zuge dieser im 19. Jahrhundert aufkeimenden und heftig geführten Diskussion um die Wehrlosigkeit bleibt für das 20. Jahrhundert zu überprüfen, inwieweit nationalsozialistisches Gedankengut in die von Mennoniten verfasste Literatur Eingang gefunden hat. Abseits dieser politischen Thematik beherrschten vor allem Rückblicke in die Vergangenheit das literarische Feld, auf dem Täufer und Mennoniten sich entweder mit kurzen Auftritten oder einer knappen Erwähnung begnügen müssen wie in der unter dem Pseudonym W. O. von Horn (d. i. Friedrich Wilhelm Philipp Oertel) verfassten Erzählung Die Spinnerin (1860). Neben diesen heute weitgehend verblassten Namen sind unter den Schriftstellern des 19. Jahrhunderts auch literarische Größen zu finden, die den Täufern und ihren Nachfahren Aufmerksamkeit schenkten, wenn auch nicht immer uneingeschränkt wohlwollend. In diesem Zusammenhang ist an Gottfried Kellers Novelle Ursula (1877) und Theodor Fontanes Roman Quitt (1890) zu erinnern.

Nicht zu vergessen sind darüber hinaus Gedichte als fester Bestandteil mennonitischen Literaturschaffens. So veröffentlichte die mit den Templern sympathisierende Christine Schmutz ihre Poesie und Prosa vereinenden Samenkörner der Wahrheit (1886), Bernhard Brons Aus Ostfriesland (1908) und Gerhard Henry Peters seinen Gedichtband Blumen am Wegrand (1940) als Beitrag zur „kanadisch-deutschen Literatur“ (Vorwort Johann Hermann Enns). Mennonitische Lyrik ist in einschlägigen mennonitischen Periodika, wie u. a. den seit 1854 erscheinenden Mennonitischen Blättern beheimatet, in der Nachkriegszeitschrift Der Mennonit und in der seit 1986 erscheinenden Gemeindezeitschrift Die Brücke. Die zwischen 1906 und 1914 in der mennonitischen Zeitschrift Friedensstimme erschienenen Gedichte liegen in dem Sammelband Zum Licht (2010) vor.

5. Europäische Streifzüge

In der europäischen Literatur sind Täufer, Mennoniten und Hutterer überall dort beheimatet, wo sie durch ihre historische Existenz Spuren hinterließen und Erinnerung bewahrten. Die Orte des literarischen Geschehens liegen in Deutschland, der Schweiz, Österreich, Polen, Frankreich, den Niederlanden und Russland. Obwohl die Täufer des 16. Jahrhunderts und ihre Nachfahren einen festen Platz in der Geschichte haben, sind sie kein zentrales Thema der Weltliteratur geworden. Zumeist wird der Leser in älteren und jüngeren Werken eher zufällig auf sie stoßen wie in Voltaires Candide (1759) oder in den Romanen Hundejahre (1963) und Der Butt (1979) von Günter Grass sowie seiner Erzählung Unkenrufe (1992). Fest beheimatet sind sie hingegen in literarischen Bearbeitungen des Reformationsgeschehens, so in Ricarda Huchs Das Zeitalter der Glaubensspaltung (1937). Während der polnische Schriftsteller Paweł Huelle die Erinnerung an die Danziger Mennoniten in seinen Geschichten und Erzählungen bewahrt, darunter Schnecken, Pfützen, Regen und andere Geschichten aus Gdańsk (1996) sowie Silberregen (2000), verbleibt der Autor Alfred Fankhauser mit seinem mehrfach aufgelegten Werk Die Brüder der Flamme (1925) in seiner Schweizer Heimat.

Hinsichtlich ihrer literarischen Produktivität nehmen Russlandmennoniten einen Sonderplatz ein. Aus ihrer Lebenswelt heraus, dem Wissen um eingewanderte Vorfahren und bitteren Erfahrungen mit dem sowjetischen Machtapparat wurden Russlandmennoniten zu Literaturschaffenden, die heute in der ganzen Welt leben und schreiben. Sie sind ein Beispiel dafür, dass das Kapitel der europäisch-mennonitischen Literatur letztlich keinen regional begrenzten, sondern einen Kontinente umspannenden Charakter hat. Zu den bekannten russlandmennonitischen Autoren gehört Johannes →Harder, der u. a. eine Vielzahl von Romanen und Erzählungen verfasste wie beispielsweise Das Dorf an der Wolga (1937), während Reuben Epp, Arnold Dyck, Jack Thiessen und Lore Reimers zu jenen zeitgenössischen Autoren und Autorinnen gehören, die auch noch in ihrer Muttersprache, dem Plautdietschen, schreiben. Aus dem Wissen um das gefährliche, entbehrungsreiche Leben in Russland erwuchs Jakob Bergens Buch Margarita und der Mitarbeiter der KGB (2000), während Wolfgang W. Moelleken sich in seinen Erzählungen Die Aussiedler der Probleme all jener annimmt, die ihrer Heimat den Rücken kehrten. Die Flucht aus der Sowjetunion spielt auch in Peter P. Klassens Roman Elisabeth (2009) eine Rolle, der im paraguayischen Chaco spielt und in Tagebuchform das Leben einer Jugendlichen erzählt. Ob in Paraguay oder Nordamerika, überall prägen Mennoniten die Literatur ihres jeweiligen Heimatlandes mit, ohne ihre religiös-kulturelle Identität aufzugeben oder ihre europäischen Wurzeln zu verleugnen.

Werke (Auswahl)

Illa Andreae, Hille und der Droste, in: Dies., Das versunkene Reich. Vier historische Erzählungen, Heidelberg 1952, 7–40. - Anonym, Stutenbernd bin ick genannt, in: Robert Stupperich (Hg.), Schriften von katholischer Seite gegen die Täufer, Münster i. W. 1980, 128–132. - Cäsar von Arx, Brüder in Christo. Schauspiel in drei Akten, Zürich, New York 1947. - Ernst Behrends, Der Ketzerbischof, Basel 1961. - Ders., Die Rose von Wüstenfelde, Bodman 1973.- Jakob Bergen, Margarita und der Mitarbeiter der KGB, Meckenheim bei Bonn 2000. - Bericht Stephan Gerlachs über seinen Besuch bei seinen wiedertäuferischen Geschwistern und Freunden in Mähren, in: Gustav Bossert (Hg.), Quellen zur Geschichte der Wiedertäufer, Bd. I: Herzogtum Württemberg, Leipzig 1930, 1105 ff. - Thomas Birck, Ehespiegel. Ein sehr lustige vnd lehrhaffte Comedi […], Tübingen 1598. - Michael Boomhuis, Im Namen des Herrn – Anno 1535, Books on Demand 2005. - Ay Pap ist met schillen gekooct… (illustriertes Flugblatt, um 1590), in: Illustrierte Flugblätter aus den Jahrhunderten der Reformation und der Glaubenskämpfe, hg. von Wolfgang Harms, Coburg 1983 (Ausstellungskatalog). - Pierre Barret, Jean-Noël Gurgand, Der König der letzten Tage – Le roi de derniers jours. Die grauenvolle und exemplarische Geschichte der Wiedertäufer zu Münster 1534–1535, Hamburg 1982. - Thomas Birck, Ehespiegel. Ein sehr lustige vnd lehrhaffte Comedi/ darinnen angezeigt wuerdt: Wie die Eltern ihre Kinder auffziehehn vnd verheyraten: Und welcher massen das jung Gesind/ beides im ledigen Stand/ vnd hernach in wehrender Ehe sich verhalten solle …, Tübingen 1598. - Luther Blissett, Q. Roman, 2. Aufl., München 2004. - Michael Boomhuis, Im Namen des Herrn – Anno 1535. Historischer Roman aus dem Münsterland und der Grafschaft Bentheim, München 2005.- Bernhard Brons, Gedichte und Übersetzungen fremdsprachlicher Gedichte, Emden 1908. - Eva Caskel, Marguerite Valmore. Roman, Hamburg 1948. - Edmond Diebold, Folge dem Licht. Erzählung aus der Zürcher Reformationszeit, Zürich 1945. - Friedrich Dürrenmatt, Es steht geschrieben. Die Wiedertäufer. Zwei Stücke, 2. Aufl., München 1984. - Reuben Epp, Plautdietsche Schreftsteckja. Jedichta, Jeschichte, Leeda, Spelkjes, Steinbach, Man., 1972. - Heinrich Ewert, Bericht über die Reise der beiden Preu. Deputirten nach der Krimm und den Mennoniten-Colonien in Süd- u. Ost-Russland, im Sommer 1861, in: Mennonitische Blätter, Nr. 6 1861, 10–14,22–23,58–60. - [Arnold Fokke], Anne Holme oder die Wiedertäufer. Eine historische Erzählung aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts für den Bürger und Landmann aus den hinterlassenen Papieren eines alten Schulmeisters, Lingen 1876. - Johann Jacob Grabner, Über die Vereinigten Niederlande. Briefe von Johann Jacob Grabner, Lieut. in Niederländischen Diensten, Gotha 1792. - Günter Grass, Der Butt. Roman, Frankfurt am Main 1979. - Günther Grass, Unkenrufe. Eine Erzählung, 2. Aufl., Göttingen 1992. - Günther Grass, Hundejahre. Roman, 4. Aufl., München 1999. - David Hamm, Bericht über eine Reise von der Mennoniten-Colonie an der Molotschna nach der Wolga, in: Mennonitische Blätter, Nr. 4, 1856, 45–49, 57–62, 69–73. - Johannes Harder, Das Dorf an der Wolga. Ein deutsches Leben in Russland, Stuttgart 1937. - Michael Holzach, Das vergessene Volk. Ein Jahr bei den deutschen Hutterern in Kanada, 2. Aufl., Hamburg 1981. - W. O. von Horn, Die Spinnerin. Eine Geschichte, in: Die Spinnstube, ein Volksbuch für das Jahr 1860, hg. von W. O. von Horn, 84–114. - Heinrich von der Hude, Reise durch Holland, im Jahr 1755, in: Joh. Bernouilli's Sammlung kurzer Reisebeschreibungen und anderer zur Erweiterung der Länder- und Menschenkenntnis dienender Nachrichten, Bde. 13 und 14, Berlin 1784. - Paweł Huelle, Schnecken, Pfützen, Regen und andere Geschichten aus Gdańsk, Frankfurt am Main 1996. - Paweł Huelle, Silberregen. Danziger Erzählungen, Berlin 2000. - Norbert Johannimloh, Die zweite Judith. Drei Frauen aus der Zeit der Wiedertäufer, Zürich 2000. - Jürgen Kehrer, Wilsberg und die Wiedertäufer. Kriminalroman, Dortmund 1994. - Peter P. Klassen, Die schwarzen Reiter. Geschichten zur Geschichte eines Glaubensprinzips, Uchte 1999. - Peter P. Klassen, Elisabeth. Roman, Filadelfia, Paraguay, 2009. - Wolfgang W. Moelleken, Die Aussiedler. Ein Erzählzyklus. Libri Books on demand 1998. - Thomas Nashe, Der glücklose Reisende oder Das Leben des Jack Wilton, hrsg. von Anselm Schlösser, Berlin/ Weimar 1982. - Heinrich August Neufeldt, Festgedicht zur Rückkehr der Krieger, 1871, in: Mennonitische Geschichtsblätter 1982, 66–70. - Gerhard Henry Peters, „Blumen am Wegrand“, Gretna, Man., o. J. [1940]. - Lore Reimar, Du kannst miene Sproak verstohne. Jedichte opp Plautdietsch en Hochdietsch, Bonn 2009. - Ulrike Renk, Die Frau des Seidenwebers. Historischer Roman, Berlin 2010. - Leopold von Sacher-Masoch, Welthistorische Käfige, in: Ders., Silhouetten. Novellen und Skizzen, Erster Bd., Leipzig 1879, 121–135. - Nicholas Salaman, Der Garten der Lüste. Ein Roman aus der Zeit der Wiedertäufer. Aus dem Englischen von Irene Rumler, Zürich 1995. - Christine Schmutz, Samenkörner der Wahrheit, ausgestreut für wahrheitsliebende Herzen, Eberbach o. J. [1880]. - Rosemarie Schuder, Die Erleuchteten oder Das Bild des armen Lazarus zu Münster in Westfalen von wenig Furchtsamen auch der Terror der Liebe genannt, 6. Aufl., Berlin 1983. - J. van der Smissen, Ein Reise-Bericht, in: Mennonitische Blätter, Nr. 7, 1871, 52–54. - Heinrich Vruchter (?), Das Ketter-Bichtbok, in: Robert Stupperich (Hg.), Schriften von katholischer Seite gegen die Täufer, Münster i. Westf. 1980, 133–224. - Ludwig Wegmann, König im Käfig. Leben und Taten der Wiedertäufer und ihr klägliches Ende, Münster 1935. - Georg Wickram, Von zweyen boesen nachbauren, aus: Georg Wickram, Rollwagenbüchlein, in: Georg Wickrams Werke, Dritter Bd., hg. von Johannes Bolte, Tübingen 1903, 37. - Georg Wickram, Von der Trunkenheit, in: Georg Wickrams Werke, Vierter Bd., hg. von Johannes Bolte, Tübingen 1903, 102. - Ernst von Wildenbruch, Der Menonit. Trauerspiel in vier Akten, 5. Aufl., Berlin 1892. - Katharina Zimmermann, Die Furgge, 3. Aufl., Bern 1991. - Zum Licht. Gedichtesammlung aus der mennonitischen Zeitschrift „Friedensstimme“ 1906–1914, Steinhagen 2010.

Literatur

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Internet

Projekt Historischer Roman. Datenbank. Wiedertäufer (http://www.uibk.ac.at/germanistik/histrom/cgi/wrapcgi.cgi?wrap_config=hr_sw_l.cfg&nr=5235)

Marion Kobelt- Groch

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