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Evangelische Täufergemeinden (auch Neutäufer, Nazarener)

Die Evangelischen Täufergemeinden sind eine täuferische →Freikirche, deren Ursprung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts liegt und eng mit der Erweckungsbewegung und den alten →Täufern (Mennoniten) in der Schweiz und in Süddeutschland verbunden ist.

1. Namen

Aus der Frühzeit der Evangelischen Täufergemeinden (ETG) sind folgende Namen als Selbstbezeichnung bekannt: „Gemeinschaft der Taufgesinnten“ (1836), „Taufgesinnte Gemeinden“ (1843) und „Gemeinschaft Evangelisch Taufgesinnter“ (1888). Diese Selbstbezeichnungen gehen auf den Namen „Taufgesinnte Gemeinden“ der Schweizer Mennoniten (auch Alttäufer) zurück und sind ein Indiz für das täuferische Selbstverständnis der neuen Bewegung. Die Gemeinschaft wurde in der Entstehungszeit jedoch auch nach dem Namen ihres Gründers Samuel Heinrich Fröhlich „Fröhlichianer“ genannt. Zur Unterscheidung von den alten Täufern in der Schweiz wird gelegentlich auch der Name „Neutäufer“ verwendet. In Osteuropa haben sich die fröhlichianischen Gemeinschaften den Namen „Nazarener“ gegeben (nicht mit der später entstandenen Kirche des Nazareners zu verwechseln). In Nordamerika nennen sich die auf Fröhlich zurückgehenden täuferischen Gemeinden „Apostolic Christian Church“. Eine Gruppe von Gemeinden in der Schweiz und in Süddeutschland haben sich 1984 zum „Bund evangelischer Täufergemeinden“ (ETG) zusammengeschlossen.

2. Ursprung

Die Anfänge der Neutäufer liegen im Wurzelboden der Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts in der Schweiz. Ihr Gründer, Samuel Heinrich Fröhlich (1803–1857), geboren in Brugg (Schweiz), studierte reformierte Theologie in Zürich und Basel. Das Studium brachte ihn in den Einflussbereich des aufkommenden Rationalismus und der Erweckungsbewegung. Nach eigenen Aussagen kam es 1825 zu einer einschneidenden Bekehrungserfahrung, die hinfort sein Leben und seinen Dienst bestimmen sollte. Fröhlich wurde 1827 ordiniert und in den aargauischen Kirchendienst aufgenommen, wo er 1828 eine erste Anstellung als Pfarrverweser in Leutwil fand. Der erweckliche Pfarrer wurde aber wegen seiner von den offiziellen Lehren der aargauischen Kirchenbehörden abweichenden Predigten 1830 aus seinem Amt entlassen. Sein weiterer Weg brachte ihn in Kontakt mit der pietistisch-erwecklichen Gemeinde in Wilhelmsdorf, mit erwecklichen Kreisen im Raum Schaffhausen – Zürcher Unterland und schließlich mit dem Réveil in Genf. Dort liess er sich 1832 vom Erweckungsprediger Ami Bost taufen. Durch Leute im Umfeld des Réveil kam er in Kontakt mit britischen erwecklichen Kreisen und dadurch zu einer Anstellung durch die englische (baptistische) Continental Gesellschaft, als deren Missionar er dann die Schweiz als Wanderprediger bereiste. An seinem früheren Tätigkeitsort Leutwil kam es in der Folge zu einer ersten freikirchlichen Gemeindegründung täuferischer Prägung, als Fröhlich 38 Personen im Frühjahr 1832 taufte. Eine erste Abendmahlsfeier der neuen Gruppe ist an Pfingsten 1832 belegt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Fröhlich noch keinen Kontakt zum historischen Täufertum. Kurz nach der Entstehung der ersten Gemeinde in Leutwil, setzte er sich allerdings mit der Alttäufergemeinde (Mennoniten) im Emmental in Verbindung. Ein erster Besuch Fröhlichs bei den Alttäufern ist im August 1832 bezeugt. Die erweckliche Verkündigung Fröhlichs führte bald dazu, dass sich eine Gruppe aus der Alttäufergemeinde im nahe gelegen Weiler „Gibel“ separat versammelte (erste Abendmahlsfeier der neuen Gruppe Weihnachten 1834).

Bis 1844 war Fröhlich unermüdlich als Erweckungsprediger und Gemeindegründer unterwegs. Die letzten dreizehn Jahre seines Lebens verbrachte er in Straßburg, von wo aus er nicht nur die Gemeinden in der Schweiz weiter betreute, sondern auch im Elsass, in Baden und Württemberg weitere Gemeinden gründete. Auch in diesen Regionen kam es zu Begegnungen mit den bereits ansässigen Mennoniten (vor allem im Kraichgau).

Theologisch fließen in der Geschichte der Neutäufer sowohl evangelisch-erweckliche wie auch täuferisch-freikirchliche Akzente zusammen. Das neupietistisch-erweckliche Erbe kommt in der Betonung der Bekehrungserfahrung, der Mission und in einer ablehnenden Haltung gegenüber dem theologischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts zum Ausdruck. Täuferische Akzente sind in der freikirchlichen Ekklesiologie (Unabhängigkeit vom Staat, freiwillige Mitgliedschaft), in der Taufe auf den Glauben (durch Untertauchen), im kongregationalistischen Gemeindeverständnis sowie in der Wehrlosigkeit zu sehen. Lokale Gemeinden verstehen sich als „Versammlungen“ von Gläubigen mit einem stark ausgeprägten Gemeinschaftssinn. Die Neutäufer sind historisch eine Laienbewegung ohne ausgebildete und angestellte Pastoren. Die Gemeinden werden von Ältesten geleitet, Predigtdienste werden von „Lehrbrüdern“ wahrgenommen. Unter Fröhlichs Führung kam es aber auch zu Ausprägungen, die sich in der weiteren Geschichte als Hypothek erweisen sollten: starke Betonung der reinen Gemeinde, Hang zum Perfektionismus, strikte Absonderung von der Welt und allen anderen Kirchen, rigorose Taufzulassungsprüfungen, geschlossenes Abendmahl, sowie eine strenge Gemeindezucht.

3. Ausbreitung und Geschichte bis zum Zweiten Weltkrieg

Durch Wandergesellen breitete sich die Bewegung bereits ab 1838 nach Ungarn und später im Raum der österreichisch-ungarischen Monarchie aus. Unter dem Namen „Nazarener“ entwickelte sich eine freikirchliche Bewegung, welche durch ihre missionarische Tätigkeit bis in den Balkan Aufmerksamkeit erregte und durch ihr konsequentes Festhalten an der Wehrlosigkeit viel Widerstand und Leid erfuhr. In der Zeit der Sowjetherrschaft sind viele Nazarener in den Westen ausgewandert bzw. geflohen und haben sich in Österreich, Deutschland und in Übersee angesiedelt. An manchen Orten (z. B. Salzburg) ist die Ansiedlung von Nazarenern nach dem Zweiten Weltkrieg durch das →Mennonite Central Committee unterstützt worden.

Bereits in Fröhlichs Zeit sind erste Kontakte zu Amischen in Lewis County, New York (USA), bezeugt. Durch den von Fröhlich in die USA gesandten Mitarbeiter Benedict Weyenet kam es ab 1847 zu erwecklichen Aufbrüchen unter Amischen und schließlich zu eigenständigen Gemeindegründungen, durch Auswanderungen aus der Schweiz, Deutschland und der österreichisch-ungarischen Monarchie, auch bald zu einer ausgedehnten Ansiedlung von fröhlichianischen Gemeinden in Nordamerika. Anfänglich wurde der deutsche Name einfach mit „Evangelical Baptists“ übersetzt, später wurde der eigenständige Name „Apostolic Christian Church“ eingeführt. Ebenfalls durch Auswanderung sind in Argentinien und Brasilien Gemeinden gegründet worden, die den Namen „Iglesia Nazarena Apostolica Christiana“ tragen.

Zwischen 1890 und 1910 kam es aufgrund unterschiedlicher Auffassungen in ethischen Fragen und zur Praxis der Gemeindezucht zu einer Spaltung in den westeuropäischen und den nordamerikanischen Gemeinden. Daraus gingen eine konservativ-separatistische Gruppe hervor, die sich noch heute unter Berufung auf Fröhlich als abgesonderte und geschlossene Gemeinschaft versteht, sowie eine offenere Bewegung, welche vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg einen Aufbruch zu einer evangelischen Freikirche erfuhr. Die geschlossene Gruppe trägt heute noch den Namen „Evangelisch Taufgesinnte“. Sie pflegt keinen Kontakt zu anderen Kirchen und lebt ihren Glauben nach strikten Regeln in Abgeschiedenheit. Die offenen Gemeinden haben sich 1984 im Bund der evangelischen Täufergemeinden (ETG) zusammengeschlossen.

4. Entwicklungen der Evangelischen Täufergemeinden seit dem Zweiten Weltkrieg

Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts ist für die ETG durch einen vielgestaltigen Aufbruch gekennzeichnet: (1) Eine wachsende Öffnung gegenüber anderen Denominationen ebnet den Weg zu lokaler Zusammenarbeit im Rahmen der Evangelischen Allianz und zur Mitgliedschaft im Verband Evangelischer Freikirchen und Gemeinden (in der Schweiz). (2) Damit verbunden kommt es auch zu wachsenden Beziehungen zu den Alttäufern/Mennoniten. Um 2000 treten die ETG dem Trägerkreis des (mennonitischen) Theologischen Seminars →Bienenberg bei. (3) Das Missionsbewusstsein erwachte neu und führte ab 1955 zu einer weltweiten Missionstätigkeit. So entstanden vor allem in Tansania eigene Gemeinden (Mbalizi Evangelistic Church). (4) Insbesondere in den beiden Freizeithäusern CREDO, Wilderswil (Schweiz), und Lindenwiese, Überlingen (Deutschland), wurden Jugend- und Kinderfreizeiten aufgebaut. (5) Eine wachsende Schulungsarbeit wurde organisiert, zuerst durch Kurse für die Laienprediger, später auch umfangreiche Schulungen für Mitarbeitende. (7) In den 1980er Jahren erfolgten erste Anstellungen von Gemeindemitarbeitern. 2011 sind in den 28 Gemeinden des Bundes dreißig teil- und vollzeitlich Angestellte tätig.

Diese weitreichenden Veränderungen führten auch zu einer Ablösung von der Fröhlichtradition. Die Gemeinden entwickelten sich durch die wachsenden lokalen Öffnungen in unterschiedliche Richtungen. Manche täuferischen Akzente (Wehrlosigkeit, Gemeinschaftssinn, Ethik der Bergpredigt) treten in den Hintergrund. Zur Stärkung der Einheit und einer gemeinsamen Identität wurde 1984 der Bund evangelischer Täufergemeinden gegründet. Heute verstehen sich die ETG als täuferische Freikirche mit evangelikaler Prägung (→Evangelikalismus). Der Bund ETG umfasst 28 Gemeinden (20 in der Schweiz, 8 in Süddeutschland) mit insgesamt ca. 2300 Mitgliedern. Die Zahlen der Gemeinden außerhalb des Bundes sind nicht erfasst (Postanschrift und Verlag: Brunnenwiesenstrasse 20, CH-8610 Uster/Schweiz).

Literatur (Auswahl)

Garfield Alder, Die Tauf- und Kirchenfrage in Leben und Lehre des Samuel Heinrich Fröhlich, Bern 1976. - Bojan Aleksov, Religious Dissent between the Modern and the National: Nazarenes in Hungary and Serbia 1850–1914, Wiesbaden 2006. - Perry A. Klopfenstein, Marching to Zion, The History of the Apostoloc Christian Church of America, Fort Scott 1984. - Bernhard Ott, Missionarische Gemeinde werden. Der Weg der Evangelischen Täufergemeinden, Uster 1996.

Bernhard Ott

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