Nordamerika (Mennoniten in den USA und Kanada)

Im Jahr 2015 gab es in Nordamerika ungefähr 567.000 Mennoniten (einschließlich der Brethren in Christ, der Amischen und der Hutterer). Dazu zählen nicht die ungetauften Kinder, sondern nur die getauften Gemeindemitglieder. In Kanada lebten zu diesem Zeitpunkt ungefähr 144.000 Mennoniten (0,4 % der Bevölkerung), in den USA waren es 423.000 Mennoniten (0,1 % der Bevölkerung). In Kanada lebten die meisten Mennoniten in den Provinzen Ontario und Manitoba, zahlreiche auch in British Columbia, Alberta und Saskatchewan, weniger in den übrigen Provinzen und Territorien. In den USA konnten Mennoniten in 47 von 50 Bundesstaaten nachgewiesen werden, die meisten in Pennsylvanien, Ohio, Kansas, Indiana und Kalifornien. Nach einigen Zählungen gibt es achtzig verschiedene mennonitische Gruppen in Nordamerika, viele sind allerdings sehr klein.

Auch wenn zwischen den USA und Kanada gravierende Unterschiede bestehen – so ist in Kanada das System sozialer Fürsorge stärker entwickelt -, haben beide Staaten auch vieles gemeinsam. Beide Nationen sind „Gesellschaften von Siedlern“, in denen Einwanderer aus vielen Teilen der Welt neue Traditionen entstehen ließen. Sie sind multikulturelle Gesellschaften, in deren Entstehungsprozess die eingeborene indianische Bevölkerung verdrängt wurde. Beide Nationen sind industrialisiert und urbanisiert, dennoch erzeugen sie weiterhin landwirtschaftliche Produkte und verfügen im Inneren über weite ländliche, nur spärlich bewohnte Gebiete. In beiden Staaten wird vor allem Englisch gesprochen, in beiden gibt es aber auch größere Bevölkerungsteile, die eine andere Sprache sprechen (in Kanada Französisch und in den USA Spanisch). Stabile finanzielle Verhältnisse haben es den Mennoniten in beiden Staaten ermöglicht, viele Institutionen zu schaffen, und demokratische Verfassungen haben ihnen die Möglichkeit geboten, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

1. Zwei große Gruppierungen

Grob gesprochen fallen die Mennoniten und die mit ihnen verwandten Kirchen in Nordamerika in zwei Gruppen: solche, deren Mitglieder in das maßgebliche Wirtschafts- und Erziehungssystem integriert sind, und solche, deren tägliche Gewohnheiten sie klar von ihren Nachbarn absetzen. Die erste Gruppe umfasst Mitglieder der Mennonite Church of Canada, der Mennonite Church USA, die Mennonite Brethren, Brethren in Christ und andere Konferenzen. Auch wenn diese Kirchen sich in ihrer Lebensweise deutlich von anderen Menschen in ihrer Umgebung unterscheiden wollen, gehören sie sehr oft beruflich zur städtischen Mittelklasse. Die gesellschaftlich angepassten Mennoniten informieren sich in den öffentlichen Medien, besitzen Privatautos, setzen sich für höhere Bildung ein, nehmen an allgemeinen Wahlen teil usw.

Die Mitglieder der Old Order →Amish, der Old Order Mennonite, Old Colony Mennonites, der Hutterer und anderer kulturell konservativer Gruppen täuferischen Ursprungs teilen dagegen nicht die Grundüberzeugungen und Wertvorstellungen der angepassten Gruppen. Ihre besonders einfache Kleidung, ihre teilweise Meidung des technischen Fortschritts und ihre Weigerung, wissenschaftliche Erkenntnisse für das Leben zu übernehmen, bedeuten, dass sie absichtlich nicht Schritt halten wollen mit dem, was für die breite Mehrheit der Bürger in den USA und Kanada von zentraler Bedeutung für ein gutes Leben ist. Zehn von Tausend fahren mit Pferdewagen, meiden das Internet, verwerfen höhere Bildung und lehnen private oder allgemeine Krankenversicherungen ab. Viele halten an einem deutschen Dialekt (Pennsylvania Dutch) als ihrer ersten Sprache fest.

Es gibt freilich auch Ausnahmen und Variationen in diesem weiten Spektrum. Mitglieder der kulturell angepassten Gruppen werden gern sagen, dass sie sich dem Zeitgeist entgegenstellen, weil sie Pazifisten sind. Und einige Old Order Mennoniten sind gerade dabei, mehr als bisher in die nationale Wirtschaft integriert zu werden. Dennoch ist eines der grundsätzlichen Merkmale mennonitischen Lebens in Nordamerika die Trennung zwischen denen, die sich in den Rahmen der nordamerikanischen Gesellschaft eingefügt haben, und den „plain“ (einfachen) Gruppen, die sich der Anpassung auf bemerkenswerte Art und Weise widersetzen. Gegenwärtig gehört ungefähr die Hälfte der erwachsenen Mennoniten in Nordamerika zu den „plain“ oder kulturell traditionalistischen Kirchen und die andere Hälfte zu den stärker angepassten Gruppen.

2. Historische Entwicklungen: Einwanderung und Auswanderung

Die ersten Mennoniten, die in Nordamerika ankamen, waren mennonitische Kaufleute aus den Niederlanden, die in der Kolonie Neu Amsterdam (jetzt New York) des 17. Jahrhunderts siedelten. Allerdings bildeten sie keine beständige Kirchengemeinschaft aus. Das gelang vielmehr einigen Mennoniten aus Krefeld, die 1683 in der Kolonie Pennsylvanien angekommen waren. Sie ließen den Kern der ersten beständigen Mennonitengemeinde auf dem Kontinent entstehen. Zwischen 1700 und 1860 wanderten ungefähr 8.000 schweizerische und süddeutsche Mennoniten, auch amische Mennoniten, nach Nordamerika aus. Sie siedelten Anfang des 18. Jahrhunderts in Pennsylvania und im Mittelwesten der Vereinigten Staaten von Amerika, wie in Ohio, Illinois und Iowa, ebenso in Upper Canada, der heutigen Provinz Ontario (gegen Ende des 19. Jahrhunderts).

1874 begannen ungefähr 20.000 Mennoniten und Hutterer aus dem russischen Zarenreich und Preußen in die Präriestaaten der USA und die kanadische Provinz Manitoba einzuwandern. Während der 1920er Jahre siedelten ungefähr 24.000 Mennoniten aus der Sowjetunion im Westen Kanadas. Nach 1945 kamen zusätzlich 7.000 Mennoniten aus Europa nach Kanada. Die meisten waren während des Zweiten Weltkrieges aus der Sowjetunion geflohen. Im späten 20. und dem frühen 21. Jahrhundert sind einige Mennoniten aus Afrika, Asien und Lateinamerika nach Nordamerika eingewandert, z. B. aus der indonesischen Sinode Jemaat Kristen, die jetzt in acht Gemeinden an der Westküste der USA leben, und die aus Honduras stammenden Mennoniten, die unter dem Namen Amor Viviente bekannt sind und mehrere Gemeinden in den USA gegründet haben.

Um 1930 verließen mehrere Tausend traditionalistisch eingestellte Mennoniten Kanada. Diese konservativen Old Colony Mennoniten und Mennoniten der Kleinen Gemeinde widersetzten sich der englischsprachigen Erziehung in den Schulen, wie sie vom kanadischen Staat nach dem Ersten Weltkrieg verordnet worden war, ebenso dem Kriegsdienst. Sie zogen nach Mexiko, und 1.800 Gemeindemitglieder wichen nach Paraguay aus, wo sie sich ein abgesondertes Leben auf dem Lande und einen deutschsprachigen Schulunterricht zu bewahren versuchten. Seit den 1980er Jahren sind etwa bis zu 60.000 Nachkommen der Plattdeutsch (→Plautdietsch) sprechenden mexikanischen Mennoniten nach Kanada zurückgewandert, in den meisten Fällen aus wirtschaftlichen Gründen. Einige haben sich in den USA niedergelassen.

Die Geschichte der Einwanderung hat die Vielfalt der mennonitischen Gruppen in Nordamerika hervorgerufen und geprägt. Die Ethnizität und die Siedlungsformen der Mennoniten schweizerischer und niederländisch-russischer Herkunft, die sich mehrheitlich als deutschstämmig empfanden, bildeten den Grundstock der in verschiedenen Konferenzen vereinten mennonitischen Gemeinden. Mehr als die politischen Grenzen zwischen den USA und Kanada, sorgte im 19. und 20. Jahrhundert die historische Ethnizität dafür, dass sich die mennonitischen Konferenzen voneinander unterschieden und abgrenzten.

Gewöhnlich entschieden sich die einzelnen mennonitischen Familien auszuwandern; anders war das bei den Hutterern (→Hutterische Bruderhöfe). Sie folgten kollektiven Entscheidungen und verlegten ihre Bruderhöfe insgesamt von Land zu Land oder von Kontinent zu Kontinent. Die Hutterer sind eine kommunitäre Richtung unter den Täufern, und ihre Mitglieder leben in großen „Kolonien“, oft auf 3500 Hektar großen Ländereien, in denen sie Landwirtschaft und Gewerbe betreiben. Die Gemeindeglieder verfügen über kein privates Eigentum, sie besitzen nur einige kleine persönliche Sachen. Der Bruderhof besitzt eigenes Land, Maschinen, Mobiliar und Fahrzeuge. Die Gemeindeglieder arbeiten nicht gegen Lohn, nehmen ihre Mahlzeiten in gemeinsamen Speisesälen ein und sorgen gemeinsam für ihre Wäsche. Die Familien leben in kleinen Zimmern und tragen eine schlichte Kleidung, die sie von anderen außerhalb der Bruderhöfe unterscheidet. Seit den Tagen ihres Gründers Jakob →Huter im 16. Jahrhundert haben die Hutter gelehrt, dass Christen dem Vorbild der frühen Christenheit zu folgen (Apg. 2, 44 f.) und ihr privates Eigentum der Gemeinschaft zu übereignen hätten. Wenn eine Kolonie über das Maß wächst, sich selber erhalten zu können, kauft sie woanders Land und teilt ihre Ersparnisse, um eine neue Kolonie ins Leben zu rufen. Die Haushalte bestimmen darüber, wer bleibt und wer einen neuen Bruderhof aufbauen soll. Die Hutterer befinden sich seit einigen Jahrzehnten in einer prekären Situation. Einerseits beziehen sie die Kraft ihrer Gütergemeinschaft aus Wurzeln, die in die Vormoderne zurückreichen, und andererseits sehen sie sich gezwungen, sich den technischen und wirtschaftlichen Errungenschaften der Moderne zu öffnen, um sich ihr Modell einer kommunitären Utopie in der Gegenwart zu erhalten.

3. Historische Entwicklungen: geistliche Erneuerung und theologische Vielfalt

Verschiedene geistliche Erneuerungsbewegungen haben zur Vielfalt mennonitischer Gruppen in Nordamerika beigetragen. Die Glaubenstaufe ist allen Gruppen gemeinsam, ebenso eine formale Verpflichtung auf den Pazifismus, obwohl der Grad, inwiefern der Pazifismus aufgenommen und die Art und Weise, wie er angeeignet wurde, unterschiedlich sind. Theologische Vielfalt über die Zeiten hin hat Dutzende neuer mennonitischer Kirchen entstehen lassen: 1. Die Brethren in Christ sind in den 1780er Jahren entstanden, als sich einige Mennoniten vom Pietismus und einer wesleyischen (methodistischen) Theologie der Heiligung angezogen fühlten. Heute sind die Brethren in Christ an der →Mennonitischen Weltkonferenz, dem →Mennonite Central Committee und anderen intermennonitischen Aktivitäten beteiligt. 2. In der Mitte des 19. Jahrhunderts und im frühen 20. Jahrhundert öffneten sich einige Mennoniten dem Geist des amerikanischen Fortschritts. Progressive sahen in einem weiteren Sinne eine Übereinstimmung zwischen den mennonitischen und den amerikanischen, weniger den kanadischen Vorstellungen. Zum Beispiel sahen die Progressiven unter den Mennoniten eine Verwandtschaft zwischen dem Voluntarismus in Glaubensdingen und dem politischen Liberalismus sowie der individuellen Gewissensfreiheit und der Trennung von Kirche und Staat. Progressive Mennoniten forderten mehr demokratische Strukturen in den Kirchen, akademisch ausgebildete Prediger und Gespräche mit der protestantischen Theologie. Sie gaben auch die „einfache“ Kleidung und die deutsche Sprache auf und bemühten sich, angloamerikanische Normen aufzunehmen. Von dieser progressiven Tendenz war vor allem die General Conference Mennonite Church (die sich 2002 mit der heutigen Mennonite Church Canada und Mennonite Church USA verband) erfasst worden. 3. Ebenso ereignete sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine Erneuerung unter den Old Mennonites, die Demut und Einfachheit mit einem gemeindlichen Zugang zum Glauben und der Auffassung verbanden, dass kirchliche Disziplin die Beziehung des Einzelnen zu Gott eher stärke als behindere. In dieser Zeit traten die Old Order Mennonites und die Old Order Amish besonders in Erscheinung. Seither haben sich verschiedene traditionalistische Untergruppen gebildet, die ihre Glaubenspraxis auf je eigene, von einander leicht zu unterscheidende Weise bestimmten. 4. Im 20. Jahrhundert haben auch der nordamerikanische →Fundamentalismus und →Evangelikalismus die Mennoniten beeinflusst, besonders die →Mennoniten-Brüdergemeinden und die Conservative Mennonite Conference. Sie schätzten am Evangelikalismus, dass er die Missionsarbeit betont und der Bibel eine zentrale Bedeutung beimisst. 5. Die Erneuerung des Täufertums war für einige nordamerikanische Mennoniten wichtig, sowohl intellektuell als auch geistlich, insbesondere seit den 1950er Jahren. Im Täufertum des 16. Jahrhunderts wurden Beispiele gefunden, mit deren Hilfe eine zeitgemäße Theologie der Nachfolge, der Gemeinde und des Pazifismus formuliert wurde, die in Spannung zu nordamerikanischen politischen und konsumorientierten Werten stand, sich aber noch als der Gesellschaft zugehörig begriff. Dieses erneuerte Täufertum war oft gesellschaftlich aktiv. Es verband sich beispielsweise mit einem Zeugnis gegen den Krieg und den Bemühungen um den Schutz der Umwelt. 6. Schließlich haben pfingstlerische Bewegungen und charismatische Spiritualität einige mennonitische Kirchen in Nordamerika belebt, vor allem solche mit latino- und afroamerikanischen Mitgliedern.

4. Missionsarbeit, Wachstum und Vielfalt

Die Missionsarbeit begann unter den nordamerikanischen Mennoniten im 19. Jahrhundert, als einige Konferenzen Reiseprediger zu verstreut und isoliert lebenden Gruppierungen von Mennonitenfamilien entsandten, wo sich noch keine festen Gemeinden gebildet hatten. Diese evangelistischen Bemühungen konzentrierten sich darauf, Kinder mennonitischer Eltern zum Glauben zu bekehren.

Die Mennoniten hinken hinter den meisten nordamerikanischen Protestanten mit der Gründung missionarischer Werke im Ausland hinterher. Mennonitische Missionare im 19. Jahrhundert und im frühen 20. Jahrhundert arbeiteten unter der Leitung anderer Kirchen, z. B. der anglikanischen oder der Christian and Missionary Alliance. Die ersten nordamerikanischen Auslandsmissionare, die von ihren eigenen Konferenzen ausgesandt wurden, waren die Missionare der Brethren in Christ, die 1890 in Zimbabwe zu arbeiten begannen, und mennonitische Missionare, die 1899 und 1900 nach Indien gingen. Im frühen 20. Jahrhundert arbeiteten mennonitische Missionare aus den USA und Kanada im Kongo, in China, Argentinien und Tansania. 1970 unterhielten nordamerikanische Missionsbehörden fast fünfhundert Missionare in 67 Ländern. Danach gingen die Zahlen wieder zurück, als die einheimischen Konferenzen Verantwortung für Missionsprojekte in ihren eigenen Gemeinschaften übernahmen.

Die Evangelisation dehnte das mennonitische Zeugnis in Nordamerika auf neue ländliche Gebiete aus, besonders während der 1920 und 1930er Jahre, nach 1950 auch auf städtische Ballungsgebiete. In den meisten Fällen überschritt diese Missionsarbeit rassische und gesellschaftliche Grenzen. Ein Missionswerk der Mennoniten-Brüdergemeinde wurde in North Carolina als Mission unter „Fremden“ bezeichnet, weil die weißen Missionare unter Afroamerikanern missionierten. Die mennonitische Missionsarbeit unter mexikanischen Amerikanern im südlichen Texas und unter Puertorikanern in New York City war, wie sich zeigte, geprägt von Vorstellungen, die weiße Mennoniten von Familienleben, Erziehung und Hygiene hatten. So organisierten mennonitische Missionare in der Mitte des letzten Jahrhunderts für Kinder aus der Stadt mehrwöchige Ferienaufenthalte bei Mennoniten auf dem Lande, damit sie in den Genuss des „sauberen“ Landlebens kommen konnten.

Trotz häufiger Missverständnisse und Kommunikationsprobleme verbanden Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund ihre Kulturen mit mennonitischem Glauben und mennonitischen Werten. So kombinierte Lawrence Hart, ein mennonitischer Ältester, eine im Stamm der Cheyenne-Indianer wurzelnde Tradition des „Friedenshäuptlings“ mit mennonitischem Pazifismus. Auch wenn die Mehrheit der nordamerikanischen Mennoniten europäischer Herkunft ist – besonders deutscher – widerspiegelt eine wachsende Anzahl von Gemeinden, wie die Casa del Dios Vivente in Pomano Beach, Florida, oder Hmong Mennonite Church in St. Paul, Minnesota, den neuen multikulturellen Charakter vieler mennonitischer Konferenzen. Die Hälfte der Mennoniten-Brüdergemeinde in Nordamerika hat einen lateinamerikanischen, asiatisch-amerikanischen, slawischen oder afroamerikanischen Charakter. Die Calvary Community Church in Hampton, Virginia, ist mit mehr als 2.200 afroamerikanischen Mitgliedern die größte Gemeinde in der Mennonite Church USA.

Gleichzeitig wachsen in mennonitischen Kreisen Nordamerikas die Amischen und Old Order Mennoniten am stärksten. Viele der angepassten Mennoniten respektieren diesen Zuwachs der traditionellen Gruppen nicht recht mit dem Argument, dass dieser sich aus den eigenen Rängen rekrutiert und neue Mitglieder nicht von außen hinzugewinnt. Dennoch sind die Anstrengungen der „einfachen“ mennonitischen Kirchen, die Jugend anzuziehen und in ihren Gemeinden zu halten, nicht unerheblich. Die Größe und das schnelle Wachstum dieser Kirchen bedeutet, dass die mennonitische Bevölkerung in Nordamerika, grob gesprochen, prozentual etwas weißer und ländlicher ist, als sie es dreißig Jahre zuvor war.

5. Organisationen

Die Mitglieder der angepassten mennonitischen Gruppen haben eine Menge von Institutionen geschaffen, darunter mindestens fünfzehn Schulen mit universitärem Zuschnitt und mehrere theologische Seminare (→Colleges und Universitäten). Auch wenn diese Schulen im Vergleich mit den großen staatlichen Universitäten klein sind, sind sie doch wichtige Zentren mennonitischer Theologie und schöpferischer Künste. Es gibt auch Dutzende mennonitischer Alten- und Pflegeheime, ebenso zahlreiche mennonitische Oberschulen (Highschools) und mehr als vierzig Freizeitlager (Summercamps) für die Jugend. Keine dieser Einrichtungen wird allein von Mennoniten genutzt, alle stehen auch nichtmennonitischen Studierenden und älteren Menschen offen. Bemerkenswert war in der Mitte des 20. Jahrhunderts die Gründung von zehn Heilanstalten für Geisteskranke. Diese psychiatrischen Kliniken waren von Mennoniten ins Leben gerufen worden und boten eine innovativ und fortschrittlich ausgerichtete Versorgung an, die zum Modell für andere Anstalten wurde. Die meisten dieser Kliniken wurden zwar von Mennoniten geschaffen, sind aber im Laufe der Zeit von den öffentlichen Kommunen übernommen worden und heute von staatlicher Finanzierung abhängig.

Den öffentlichen Kommunen dienen vor allem auch Hunderte von Kindergärten und Kinderkrippen, die von mennonitischen Gemeinden unterhalten werden. Weil diese Einrichtungen von Frauen geführt werden und nur über ein schmales finanzielles Budget verfügen, ist ihnen in der mennonitischen Geschichtsdarstellung nur wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht worden. Doch besonders in den USA, wo die Kinderversorgung unterentwickelt ist, versehen diese Kindergärten einen wertvollen Dienst für viele Familien.

Die wohl bekannteste intermennonitische Organisation ist in Nordamerika das →Mennonite Central Committee (MCC). Es wurde 1920 gegründet, um Hilfsgüter unter den Mennoniten in der Ukraine zu verteilen. In dieser Organisation arbeiteten zunächst sieben mennonitische Konferenzen zusammen, später traten weitere mennonitische Kirchen hinzu. In den 1930er Jahren unterstützte das MCC die Ansiedlung europäischer Mennoniten in Paraguay, und in den 1950er Jahren koordinierte es das →Pax-Programm nordamerikanischer Freiwilliger, die in Europa und anderswo eingesetzt wurden. Während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erweiterte das MCC seine eng gefasste Hilfswerksarbeit um international konzipierte Entwicklungshilfe und Friedensarbeit. Heute arbeitet es in ungefähr sechzig Ländern und verfügt über ein Budget von 77 Millionen USD. Ein getrennter kanadischer Zweig bildete sich 1963 und arbeitet seither als selbstständige Organisation mit dem MCC USA zusammen.

Die Christian Aid Ministries (CAM) ist eine intermennonitische, weltweit arbeitende Hilfsorganisation, die nicht so bekannt ist, wie das MCC, aber inzwischen schnell wächst. Die CAM wurden 1981 gegründet und von ihrem Hauptquartier in Ohio aus geführt. Sie engagieren sich im Auftrag der „Plain“ und Old Order Mennoniten sowie der Amischen in internationaler Hilfswerksarbeit und Projekten der Entwicklungshilfe. Zwar unterstützen einige dieser sehr konservativen Mennoniten auch das MCC, aber vor allem beteiligen sie sich an CAM, weil diese Organisation sich stärker auf die traditionelle Art diakonischer Arbeit konzentriert, wie den Versand von Saatgut und Kleidung. CAM betreibt keine politische Lobbyarbeit. Ihre Freiwilligen arbeiten in ungefähr vierzig Ländern mit einem Budget, das fast so groß ist wie das des MCC.

Mennonite Disaster Service (MDS) arbeitet im Katastropheneinsatz in Nordamerika und leistet Aufräum- und Wiederaufbauarbeit nach Überschwemmungen, Zerstörungen durch Hurrikans und andere Naturkatastrophen. Der MDS koordiniert die Arbeit mennonitischer Freiwilliger (sowohl Kurz- und Langzeitverpflichtete) mit Partnern anderer Organisationen wie dem Roten Kreuz. Er bringt Mennoniten aus traditionalistischen mit kulturell offeneren Gruppen zusammen – sowohl Mennoniten aus den USA als auch aus Kanada. →Mennonite Economic Development Associates (MEDA) ist eine Organisation von Geschäftsleuten und Unternehmern, die weltweit in Projekte der Entwicklungshilfe investieren, kleinere Kreditprogramme unterstützen und aktuelle Fragen der Unternehmer- und Geschäftsethik diskutieren. Ihre jährlichen Zusammenkünfte wechseln zwischen den USA und Kanada.

Einige intermennonitische Organisationen arbeiten nur in einigen Gegenden Nordamerikas. „Everence“ (einst als Mennonite Mutual Aid bekannt geworden) ist eine größere intermennonitische Finanzierungsgesellschaft, die Versicherungen und Investitionsprojekte in den USA anbietet, wegen unterschiedlicher Bankgesetze und Finanzierungsregeln jedoch nicht in Kanada. Auch die mennonitischen Medien sind größtenteils auf ihre Staaten bezogen. Mennonite World Review z. B. erscheint seit 1923 in Kansas und konzentriert sich vor allem auf die mennonitische Szene in den USA. Andere Periodika wie The Canadian Mennonite veröffentlichen im Auftrag der kanadischen Gemeinden und Organisationen (→Zeitschriften). Die Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online (GAMEO) ist ein internationales Projekt, das vor allem in Kanada koordiniert wird und dessen Inhalte größtenteils unter nordamerikanischen Gesichtspunkten präsentiert werden.

6. Beziehungen zu anderen Kirchen

Die nordamerikanischen Mennoniten haben keine wichtige Rolle in den ökumenischen Organisationen gespielt. Keine nordamerikanische Konferenz ist dem Ökumenischen Rat der Kirchen beigetreten, auch keine der mennonitischen Gruppen in den Vereinigten Staaten dem Nationalen Rat der Kirchen der USA. In beiden Ländern, den USA und Kanada, sind einige Gruppen – Mennonite Brethren, Brethren in Christ, Evangelical Mennonite Conference und einige kleinere Gruppen – Mitglieder der konservativen National Association of Evangelicals (USA) oder der Evangelical Fellowship of Canada. Die Mennonite Church of Canada ist Mitglied sowohl des Canadian Council of Churches als auch der Evangelical Fellowship of Canada.

Mennoniten arbeiten mit anderen Christen in verschiedenen lokalen und nationalen Hilfswerksprojekten zusammen. Besonders hervorzuheben ist die Canadian Foodgrain Bank, ein ökumenisches Projekt, das den Hunger in der Welt bekämpft. Sie wurde einst von Mennoniten ins Leben gerufen, schließt jetzt aber die römisch-katholische Kirche, die Baptisten, Lutheraner, Nazarener und viele andere Gruppen ein. 1976 organisierten mennonitische Farmer in Kanada eine Spende, um mit Weizen und anderem Getreide in Hungersnöten weltweit zu helfen, und die kanadische Regierung ergänzte diese Spende um das Vierfache. Als sich das Programm ausweitete, traten ihm auch andere Denominationen bei. Diese Agentur entwickelte sich zu einer ökumenischen Einrichtung, die Getreide in mehr als sechzig Länder schickt.

Nordamerikanische Mennoniten haben auch regelmäßig mit anderen „historischen Friedenskirchen“ (ein Begriff, der 1935 in den USA geprägt wurde und sich auf Quäker, Mennoniten und Brethren bezieht) zusammengearbeitet. Während des 20. Jahrhunderts suchten diese Friedenskirchen den Kontakt mit Regierungsbehörden in den USA und Kanada, um Fragen der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen miteinander zu beraten. In den letzten Jahren weitete sich ihre Arbeit aus. Sie setzen sich für den Weltfrieden und Gerechtigkeit für Einwanderer ein. Seit 1984 waren Mennoniten Schlüsselfiguren in Christian Peacemaker Teams, einem ökumenischen Projekt direkter Aktion, Frieden in Situationen der Gewalt zu schaffen, wie in Palästina, Kolumbien, Haiti und im Irak. Christian Peacemaker Teams verbinden ein weites Spektrum protestantischer und katholischer, in einigen Fällen auch nichtchristlicher Partner miteinander.

Auf örtlicher Ebene sind die Beziehungen der Mennoniten zu anderen Kirchen recht unterschiedlich, je nachdem, um welche mennonitische Gruppe es sich handelt. So bewahren sich die Old Order Mennonites und Amish ihren abgesonderten Charakter und halten sich gegenüber kooperativen Aktivitäten mit anderen Gruppen zurück. Bemerkenswerterweise sind diese konservativen Mennoniten selbst Zielscheibe evangelistischer Mission nordamerikanischer Protestanten, die nicht davon überzeugt sind, dass die Old Order Mennonites und Amish wirklich Christen seien. Diese Evangelikalen meinen, diese traditionalistischen Mennoniten seien in die Falle der „Werkgerechtigkeit“ geraten und dass ihnen ein Verständnis für die Erlösung abgehe. Solche Aktionen haben ihrerseits dazu geführt, dass die Old Order Mennonites sich noch mehr von anderen absondern.

7. Beziehungen zum Staat

Sowohl in den USA als auch in Kanada war der Kriegsdienst im Laufe der Geschichte stets eine Quelle von Spannungen zwischen den Mennonitengemeinden und dem Staat. Im 19. Jahrhundert war die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen in beiden Staaten ein Privileg, das die Mennoniten mit dem Staat ausgehandelt hatten, in manchen Fällen gegen Zahlung einer Sondersteuer oder einer freiwilligen finanziellen Abgabe. Im 20. Jahrhundert errangen die nordamerikanischen Mennoniten das Recht, einen freiwilligen Ersatzdienst anstelle des Wehrdienstes zu leisten. Ein solcher Freiwilligendienst wurde entweder im Heimatland oder im Ausland absolviert (wie z. B. im Falle des →Pax-Programms). In den USA bestand die allgemeine Wehrpflicht fast über die gesamte Zeit des Kalten Krieges (1948–1973), und der Ersatzdienst wurde zu einer „Rite de Passage“ für mehrere Generation mennonitischer Männer.

Als liberale Demokratien ermöglichten sowohl Kanada als auch die USA den mennonitischen Staatsbürgern, in das öffentliche Leben einbezogen zu sein, auch wenn der Grad der Bürgerbeteiligung von Staat zu Staat und von Gruppe zu Gruppe variiert. In Kanada haben zahlreiche Mennoniten in der Provinzverwaltung und der Legislative der Bundesstaaten Verantwortung übernommen, und einige hatten sogar Kabinettsposten inne. Kanadische Mennoniten schätzen die Friedensinitiativen ihres Landes auf internationaler Ebene und den Einsatz für Allgemeine Menschenrechte in der Weltpolitik. In den späten 1970er Jahren war das MCC Canada die erste Organisation, die eine Vereinbarung mit der kanadischen Regierung getroffen hatte, um Flüchtlingen zu helfen; und das MCC Canada setzte sich in Gesprächen mit Parlamentariern ein, um die Gesetzgebung im Umgang mit Flüchtlingen zu liberalisieren. Zwischen 1979 und 1985 unterstützen Mennoniten landesweit mehr als 4.650 Flüchtlinge aus Südostasien. Diese Flüchtlingsarbeit unterstrich die diakonischen Verpflichtungen, die Mennoniten auszeichnet, und erinnert manche an die Fluchtgeschichte ihrer Familien aus der Sowjetunion. Die Ansiedlung südostasiatischer Flüchtlinge unterstrich auch das pazifistische Erbe der kanadischen Mennoniten, da die meisten Flüchtlinge den Konfliktsituationen in Vietnam Laos und Kambodscha entkamen, die von der militärischen Intervention der USA in diesen Ländern verursacht worden waren.

In der Tat hatte die Position der USA als militärische Supermacht viele Mennoniten in ihrem Land entmutigt, sich zu stark mit ihrem Staat zu identifizieren oder politische Ämter auf Bundesebene zu übernehmen. Als einer Minderheit im Herzen eines Reiches, das sie „am Ende der Zeiten“ wähnten, hat die Begegnung mit dem Staat bei ihnen oft Unbehagen ausgelöst. Einige, dazu zählen die Old Order Mennonites und die Amish, litten besonders unter der Nötigung, die vom Staat ausging, sich gesellschaftlich zu assimilieren. Sie enthielten sich nicht nur patriotischer Hingabe und militärischen Verpflichtungen, sondern weigerten sich auch, ihre Kinder auf öffentliche Schulen zu schicken und sich am öffentlichen Gesundheitssystem zu beteiligen. Bei den gesellschaftlich stärker angepassten Mennoniten löste die Aktivität des eigenen Militärs im Ausland eine deutliche Missbilligung aus und führte bei einigen zu öffentlichem Protest, indem sie einen Teil ihrer Steuern als symbolisches Zeichen gegen die Militärausgaben des Staates einbehielten. Auf verschiedene Weise begegneten die Mennoniten ihrem Staat oft eher mit einer zurückhaltenden oder prophetisch kritischen Haltung, anstatt in ihm die Quelle des Guten zu sehen oder in seinen Organisationen einen Partner zu suchen, der die täuferische Vision einer besseren Welt fördern könnte.

1968 eröffnete das MCC USA ein Büro in Washington D. C., das als Verbindung zur Regierung der USA dienen sollte. Ursprünglich war es seine Aufgabe, Fragen des Wehrdienstes mit politischen Instanzen zu beraten. Bald aber befasste sich das Büro mit einem weiten Spektrum innen- und außenpolitischer Fragen und zog Mitglieder des Kongresses über Probleme sozialer Gerechtigkeit und Abrüstung ins Gespräch. 1975 eröffnete das MCC Canada ein ähnliches Büro in Ottawa. Von 1985 bis 1991 unterstützten nordamerikanische und europäische Friedensgruppen gemeinsam eine kleines Projekt in Brüssel, das die Nato beobachten sollte („Nato Watch“), um die Mennoniten auf beiden Kontinenten über das Ausmaß des Militarismus im Kalten Krieg zu unterrichten. Seit 1991 unterhält das MCC ein Verbindungsbüro bei den Vereinten Nationen in New York und arbeitet mit anderen regierungsunabhängigen Organisationen am Sitz der Vereinten Nationen in internationalen Flüchtlingsfragen zusammen.

8. Bildende Kunst und Literatur

Jahrhunderte lang haben sich die Mennoniten in Nordamerika auf die Praxis des Glaubens konzentriert und sich nicht sonderlich mit bildender Kunst und Literatur beschäftigt, auch wenn einige Mennoniten Kirchenlieder komponierten und Andachtsbücher schrieben. Doch in der Mitte des 20. Jahrhunderts erlangte eine kleine Anzahl mennonitischer Künstler und Schriftsteller Aufmerksamkeit für ihre Werke, die sich auf das mennonitische Experiment bezogen. Die mennonitische Literaturszene hat mehr Beachtung in Kanada als in den USA gefunden, was auf die multikulturelle Politik und Kunstförderung der staatlichen Behörden in Kanada zurückzuführen ist. Rudy Wiebe, dessen Roman Peace Shall Destroy Many (1962) kritische Auseinandersetzungen unter den Mennoniten auslöste, weil er ihr Leben schonungslos porträtiert hatte, war einer der ersten Romanschriftsteller, der auf eine breite Zustimmung in Kanada stoßen sollte. Er hat zweimal den Governor General's Prize for Literature gewonnen, und kürzlich erst wurde auch Miriam Toews, die ihre Wurzeln im südlichen Manitoba hat, mit diesem Preis ausgezeichnet und mit Beifall für ihre romanhafte Darstellung des mennonitischen Lebens bedacht. In den USA haben die Dichtungen Julia Kasdorfs und Jean Janzens nationale Beachtung gefunden (→Literatur).

Auf dem Feld der Musik haben mennonitische Chöre mit ihren deutschen und englischen Chorwerken ein weites Publikum in Kanada erreicht. Einige semiprofessionelle Chöre sind in ganz Nordamerika und sogar in Europa aufgetreten. Das Mennonite Community Orchestra in Winnipeg, Manitoba, spielte vor großem Publikum ebenso wie der kanadische Kinderchor der Mennoniten. Seit 1960 wurden diese und andere mennonitische Musikgruppen regelmäßig von der Canadian Broadcasting Company (CBC) weithin zu Gehör gebracht.

In der Mitte des 20. Jahrhunderts haben sich Sammler für traditionelle mennonitische Volkskunst begeistert, wie Patchwork Quilts, die in ländlichen Gegenden von Old Mennonites hergestellt wurden (→Volkskultur). Aus den Gemeinden der gesellschaftlich angepassten Mennoniten sind einige bildende Künstler hervorgegangen. Warren Rohrer, dessen Werke in den öffentlichen Kunstsammlungen der USA präsent sind, ist ein Abstrakter Expressionist, dessen Bilder von der Landschaft seiner mennonitischen Herkunft im Osten Pennsylvaniens inspiriert wurden (→Bildende Kunst).

9. Herausforderungen der Gegenwart

Die Größe und Vielfalt der nordamerikanischen Mennonitengemeinden bringt es mit sich, dass die Mennoniten sich mit einer großen Bandbreite aktueller Probleme beschäftigen. Zum Beispiel diskutieren traditionalistische Gruppen gegenwärtig darüber, ob es den Gemeindemitgliedern erlaubt sein könne, das Internet zu nutzen, während Gemeindeglieder in einigen gesellschaftlich angepassten Gruppen über die Ehe von Gleichgeschlechtlichen diskutieren. Wie bereits erwähnt, gehören zu diesen Themen auch das Unbehagen unter den Mennoniten in den USA an der militärisch aggressiven Außenpolitik ihres Landes, ebenso das Problem rassistischer Einstellungen und Fragen der Ethnizität. Überall lässt die Loyalität der Gemeindemitglieder gegenüber ihren Denominationen nach. Mennoniten ganz verschiedener Art unterhalten feste Beziehungen mit ihren lokalen Gemeinden, zeigen aber weniger Interesse an den Aktivitäten ihrer übergemeindlichen Konferenzen. Darin unterscheiden sie sich nicht von Mitgliedern anderer Kirchen.

Die Auswirkungen von Nationalismus und Globalisierung sind paradox. Während die nordamerikanischen Mennoniten ein Bewusstsein für die Herausforderungen der Globalisierung entwickelt haben, sind ihre Organisationen im Begriff, ihren nationalen Charakter stärker zu betonen. Konferenzen, die einst die nationalen Grenzen ausgeweitet haben, ziehen sich seit 2000 oft auf ihre Organisationen entweder in den USA oder in Kanada zurück und gehen getrennte Wege. So wurde die gemeinsame Verwaltung des MCC 2012 aufgekündigt und das MCC Canada vom MCC USA separiert.

Unabhängig von der Frage, wie wohl sie sich mit ihrer Staatsbürgerschaft fühlen, leben die Mennoniten in Nordamerika in materiellem Überfluss. Finanziell geht es ihnen gut. Der Wohlstand, der für das Leben der Mennoniten charakteristisch ist, kommt bei den meisten auf positive Weise in ihrer karitativen Opferbereitschaft in Kirche und Gesellschaft zum Ausdruck. So werden die Mennoniten in Studien zur Philanthropie im Vergleich mit vielen anderen Christen in Nordamerika als großzügige Wohltäter beschrieben. Zusätzlich zu Spenden, die nach außen fließen, bringen gesellschaftlich angepasste Mennoniten und Brethren in Christ auch beträchtliche finanzielle Mittel für ihre eigenen Belange auf. Sie geben für den Bau oder die Renovierung ihrer Kirchengebäude pro Projekt oft eine Million Dollar oder mehr aus.

Geschlechterrollen und Gleichheit zwischen Mann und Frau werden, besonders im Leben der kirchlichen Gemeinden, aufmerksam beachtet. Obwohl eine mennonitische Frau schon 1911 ordiniert wurde (für einen nichtmennonitischen Dienst), begannen Frauen aber pastorale Dienste erst ab 1973 in mennonitischen Kirchen zu übernehmen. Die erste war Emma Sommers Richard, die zum Dienst in einer mennonitischen Kirche in der Nähe von Chicago ordiniert wurde. Weitere Frauen wurden im folgenden Jahrzehnt ordiniert, mehr noch in den 1990er und den frühen 2000er Jahren. 2008 wurden die ersten Frauen der Mennoniten-Brüdergemeinde in Nordamerika für den Kirchendienst eingesegnet, vorher allerdings schon für den Dienst auf dem Missionsfeld. Um 2015 hatten zwar Frauen in mehreren Konferenzen und Organisationen leitende Funktionen übernommen, aber die Männer behielten in Ausschüssen und auf der Kanzel die Oberhand. Recht langsam ist die Diskussion über sexuellen Missbrauch in den Gemeinden und den Familien in Gang gekommen. Die Verfehlungen des berühmten Theologen John Howard →Yoder sind zu einem Anlass für diese Diskussionen geworden.

In den letzten Jahren wurde in vielen mennonitischen Konferenzen heftig über Fragen der Sexualität diskutiert. Auch wenn alle nordamerikanischen Konferenzen offiziell heterosexuelle Normen pflegen, nimmt eine kleine, aber wachsende Zahl von Gemeinden in der Mennonite Church USA und der Mennonite Church Canada gleichgeschlechtliche Paare als Mitglieder in ihren Kirchen auf. Ein Netzwerk, das als Brethren-Mennonite Council for Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender Concerns bekannt geworden ist (vgl. für die Niederlande →HoHe), setzt sich für eine größere Einbeziehung dieser Menschen in die Gemeinden ein. Gleichzeitig haben sich Dutzende von Gemeinden und einige regionale Konferenzen von der größeren Mennonite Church Canada und Mennonite Church USA abgespalten, weil sie sich dem strikt widersetzen, was sie als ein Abgleiten dieser Denominationen in sexuellen Liberalismus ansehen.

Die Beziehungen zwischen nordamerikanischen Mennoniten und Mennoniten in anderen Teilen der Welt bilden ein anderes Feld gegenwärtiger Diskussion. Globale Verbindungen sind auf institutioneller Basis durch das MCC und MEDA geschaffen, persönliche Beziehungen sind durch Jugendaustausch wie das Intermenno (1960 – 2010) oder International Volunteer Exchange Program (seit 1950) hergestellt worden. Andere Beziehungen stellen sich durch Reisen, Adoption und Heirat über Landesgrenzen hinweg oder durch die Aufnahme internationaler Gaststudenten und -studentinnen ein. Trotz dieser Begegnungen bleiben Fragen über das Wesen der Beziehungen, die nordamerikanische Mennoniten zum Rest der Welt unterhalten, offen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele nordamerikanische Mennoniten der Meinung, dass das Weltzentrum der Mennoniten sich auf ihren Kontinent verlagert habe. Nach dem Krieg begegneten sie den europäischen Mennoniten oft auf herablassende Weise. Gleichzeitig betrieben sie ihre Missions- und Hilfswerksprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika mit einer Haltung administrativer Überlegenheit. Diese Einstellungen finden sich immer noch hier und da. Ebenso haben Stimmen aus der →Mennonitischen Weltkonferenz die nordamerikanischen Mennoniten beschworen, einen bescheideneren Platz in der weltweiten Gemeinschaft des Glaubens zu akzeptieren und ihre Ressourcen noch bereitwilliger zu teilen.

Literatur (Auswahl)

Rolf Wilhelm Brednich, Die Hutterer. Eine alternative Kultur in der modernen Welt, Freiburg/Br., Basel und Wien 1998. - Ulrich Eggers, Gemeinschaft lebenslänglich. Deutsche Hutterer in den USA, 3. Aufl., Wuppertal 1992. - Marlene Epp, Mennonite Women in Canada: A History, Winnipeg 2008. - Esther Epp-Tiessen, Mennonite Central Committee in Canada: A History. Winnipeg 2013. - Leland Harder und J. Howard Kauffman, Anabaptists Four Centuries Later: A Profile of Five Mennonite and Brethren in Christ Denominations, Scottdale, PA, 1975. - Mary J. Heisey, Peace and Persistence: Tracing the Brethren in Christ Peace Witness through Three Generations, Kent, Ohio, 2003. - Felipe Hinojosa, Latino Mennonites: Civil Rights, Faith, and Evangelical Culture, Baltimore 2014. - John A. Hochstetler, Amish Society, Scottdale, PA, 1980. - Ders., Hutterite Society, Scottdale, PA, 1977. - Rod Janzen und Max Stanton, The Hutterites in North America, Baltimore, MD, 2010. - Michael Holzach, Das vergessene Volk. Ein Jahr bei den deutschen Hutterern in Kanada, mit Fotos von Tim Rautert, Hamburg 1980, München 1996. - Donald B. Kraybill (Hg.), Concise Encyclopedia of Amish, Brethren, Hutterites, and Mennonites, Baltimore, MD, 2010. - Donald B. Kraybill, Karen M. Johnson-Weiner und Steven M. Nolt, The Amish, Baltimore, MD, 2013. - Royden Loewen and Steven M. Nolt, Seeking Places of Peace. A Global Mennonite History: North America. Global Mennonite History Series, Bd. 5, Kitchener, Ont. 2012 (s. hier weitere Literatur). - The Mennonite Experience in America, Bde. 1–4, Scottdale, PA, und Waterloo,ON, 1985,1989,1989,1996. Bd. 1: Richard K.MacMaster, Land, Piety, Peoplehood. The Establishment of Mennonite Communities in America 1683–1790, 1985; Bd.2 : Theron F. Schlabach, Peace, Faith, Nation. Mennonites and Amish in Nineteenth Century America, 1989; Bd. 3 : James C. Juhnke,Vision, Doctrine, War. Mennonite Identity and Organisation in America 1890–1930, 1989; Bd. 4: Paul Toews, Mennonites in American Society, 1930–1970. Modernity and the Persistence of Religious Community, Harrisonburg, VA, 1996, Calvin W. Redekop und Samuel Steiner (Hg.), Mennonite Identity. Historical and Contemporary Perspectives. Lanham, New York und London 1988. - Calvin W. Redekop, Mennonite Society, Baltimore, MD, und London 1989.

Steven M. Nolt

 
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