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Littell, Franklin Hamlin

geb. am 20. Juni 1917 in Syracuse, NY, gest. am 23. Mai 2009 in Merion Station, Montgomery County, PA, USA; zuletzt Prof. für Kirchengeschichte an der Temple University in Philadelphia, Pa., USA.

Littell nahm sein Grundstudium an der Cornell University auf und erwarb seinen Magistergrad am Union Theological Seminary in New York (1940) sowie seinen Doktorgrad (Ph. D.) an der Yale University (1946). Er gehörte der Methodistenkirche an. Seine 1952 erschienene Dissertation, die unter Anleitung des Kirchengeschichtlers Roland →Bainton (Yale University) geschrieben wurde, trägt den Titel The Anabaptist View of the Church (deutsche Übersetzung: Das Selbstverständnis der Täufer, 1966). Littell unterschied zwischen einem staatskirchlichen und einen freikirchlichen Typus der Reformation und meinte innerhalb des „linken Flügels der Reformation“ die „Täufer“ sehen zu können, die auf der Grundlage eines am Neuen Testament orientierten „Primitivismus“ die Vision einer „neuen“ Kirche entwickelt hatten. Für ihn sind die „eigentlichen“ Täufer diejenigen, die Subjektivismus, Spiritualismus und Gewalt ablehnten und sich stattdessen bemühten, friedlich zu leben und eine Restitution der neutestamentlichen Gemeinde zu Stande zu bringen. Wohl nahm Littell die Mannigfaltigkeit in Lehre und Praxis der Täufer wahr, dennoch stand für ihn fest: „Der Ausdruck 'Täufer' hat einen genauen Sinn nur dann, wenn man ihn auf die beschränkt, die zu den Schweizer Brüdern, den Hutterischen Brüdern, den Süddeutschen Brüdern und den Niederländischen Mennoniten gezählt werden“ (Littell, Selbstverständnis, 78). Das Täufertum ist für ihn weder eine Randerscheinung der Reformation, noch ein Konstrukt, das aus den feindlichen Streitschriften auf angemessene Weise zu erheben wäre. Ein anderes Bild von den Täufern musste sich für ihn aus dem Studium der Primärquellen ergeben. Viel neues Material stand ihm mit den Quellen zur Geschichte der Täufer bei der Abfassung seiner Arbeit zur Verfügung. Dankbar wusste er sich auch den Untersuchungen mennonitischer Forscher verpflichtet, allen voran Harold S. →Bender. Dieser riet ihm ab, zu den Mennoniten überzutreten, wie Littell es ernsthaft erwogen hatte, um sich nicht den sehr viel größeren Einflussmöglichkeiten auf die kirchliche Öffentlichkeitsarbeit zu begeben, die er als Methodist habe. Für diesen Rat war er „Brother Bender“ stets in Dankbarkeit verbunden.

Littell kann als ein herausragender Vertreter der normativ-typologischen Sicht des Täufertums eingestuft werden (→Täuferforschung). Unverkennbar ist auch ein gewisses apologetisches Interesse, das den Täufern in der Aufnahme des Restitutio-Gedankens ein besonders intensives Geschichtsbewusstsein attestierte. Dagegen ist später der Einwand erhoben worden, dass die Täufer nicht eigentlich aus der reinen Quelle urchristlicher Vergangenheit geschöpft, sondern unter dem Auseinandersetzungsdruck ihrer Gegenwart für einen Abbruch der Geschichte plädiert und lediglich in einem zweiten Schritt auf das urgemeindliche Gemeindebild verwiesen hätten, um ihren Traditionsabbruch zu rechtfertigen (→Geschichte). Wegen der beherrschenden Verbindung von obrigkeitlicher Macht und evangelischen Landeskirchen bzw. römisch-katholischer Kirche konnte die täuferische Vision, insbesondere der Ruf nach Gewissensfreiheit, zu keinem geschichtsmächtigen Durchbruch kommen. Dies gelang erst in Nordamerika, wie es Littell in seinem Buch From State Church to Pluralism. A Protestant Interpretation of Religion in American History, 1962 (rev. Aufl. 1971), prägnant zum Ausdruck brachte. Weder Verfolgung, noch bloße Duldung (Toleranz) waren die Losungen, sondern Freiheit der Religion, was zugleich die Pluralisierung der Kirche in Kirchen unter dem einen Dach des Staates bedeutete. Littell wurde zum Vorkämpfer für Religionsfreiheit, die er als Grundlage aller anderen Freiheiten ansah. Daher trägt sein zweites Buch den Titel The Free Church (1957; dt. Von der Freiheit der Kirche, 1957), und nicht zufällig geht es auf die Menno-Simons-Vorlesungen zurück, die er 1954 am mennonitischen Bethel College in Kansas hielt. Die Täufer der Reformationszeit waren für ihn Vorbilder für das Bemühen um die Freiheit der Kirche.

Als die Vereinigten Staaten von Amerika 1976 ihren 200. Geburtstag feierten, organisierte Franklin H. Littell mit Hilfe der Mennoniten, der Church of the Brethren und anderen die Bicentennial Conference on Religious Liberty im historischen Quäker meeting house in Philadelphia. Redner waren u.a. Elie Wiesel und der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen Philipp Potter, während draußen auf dem Bürgersteig der Fundamentalist und Präsident des International Council of Christian Churches, Carl McIntire (1906–2002), dagegen demonstrierte. Für Littell gehörten McIntire und dessen irischer Freund „Reverend“ Ian Paisley, den er mit Anführungszeichen verspottete, zu jenen, die in „wilden Zungen“ reden. Sie bildeten seiner Meinung nach keine „loyale Opposition“, sondern unterliefen den demokratischen Konsens. Das führte dann unweigerlich zu dem, was er Sozialpathologie nannte: Wild Tongues: A Handbook of Social Pathology, 1969. Er forderte ein gesellschaftliches Frühwarnsystem, um Extremgruppen identifizieren zu können.

Hier kommen Erfahrungen aus seiner Zeit in Deutschland zum Tragen. Als Mitglied einer methodistischen Jugendgruppe hatte Littell auf einem Reichsparteitag in Nürnberg 1939 Adolf Hitler bei einer Ansprache erlebt und war erschüttert. So meldete er sich nach dem Krieg zum Dienst in Deutschland und wurde dem Office of Military Government, United States (OMGUS) als Verantwortlicher für Religious Affairs unterstellt. Als OMGUS im Dezember 1949 durch das Hochkommissariat ersetzt wurde, blieb er diesem in derselben Funktion zugeordnet. Dann wechselte er zu der Foundation for a Unified Germany Within a Unified Europe. Er unterhielt während seiner fast zehnjährigen Tätigkeit in Deutschland zahlreiche Kontakte, u. a. zu den Leitern der Freikirchen, Kirchenpräsident Martin Niemöller, dem Kirchentagspräsidenten Reinold von Thadden-Trieglaff, dem Generalsekretär des Kirchentags Hans Hermann Walz, mit dem er das Nachschlagewerk „Weltkirchenlexikon: Handbuch der Ökumene“ (1960) herausgab, Hanfried Krüger (Ökumenische Centrale), Ernst Benz (Universität Marburg), Eberhard Müller (Evangelische Akademie Bad Boll). Er war Initiator zur Gründung des Ständigen Internationalen Ausschusses des Deutschen Evangelischen Kirchentags und beteiligte sich aus tiefer Überzeugung an der Arbeitsgemeinschaft „Juden und Christen“. Das Entstehen der Evangelischen Akademien förderte er, wo immer es möglich war. Die Akademien und der Kirchentag waren für ihn Beispiele einer gelungenen Aktivierung der Laien gegenüber einer pfarrerzentrierten Kirche. Aus seinen Erfahrungen entstand sein Buch The German Phoenix: Men and Movements in the Church in Germany (1960), in dem er fragte, was Amerika aus den deutschen Erfahrungen lernen könne. Diese Frage zeigt, mit welcher Sympathie er die Entwicklungen in Deutschland verfolgte, auch wenn er die Wiedererstehung des Landeskirchentums für einen Rückfall in alte Zeiten ansah.

Im Jahr 1970 organisierte er mit seinem afro-amerikanischen Freund Hubert Locke an der Wayne State University in Detroit die erste Konferenz, die seither jährlich unter der Bezeichnung The German Church Struggle and the Holocaust an unterschiedlichen Universitäten der USA durchgeführt wird. So wurde er zum Vater der Holocaust Studies, die er sich nur international, interdisziplinär und interkonfessionell vorstellen konnte. Für Littell ist der Holocaust eine geschichtliche „Wasserscheide“: Der Holocaust hatte das ‚christliche Abendland‘ in seine größte Glaubwürdigkeitskrise gestürzt. Mit seinem Buch The Crucifixion of the Jews. The Failure of Christians to Understand the Jewish Experience (1975) betrat er Neuland. Der Austausch der unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen ist unabdingbar, um die notwendigen Folgerungen zu ziehen: Wie können Würde, Integrität und Freiheit der menschlichen Person und die individuellen sowie sozialen Menschenrechte bekräftigt und in die Tat umgesetzt und wie kann Rechtsstaatlichkeit gesichert werden? Mit diesen Fragen schließt sich der Kreis, denn diese Themen haben ihn seit seinen Untersuchungen zum Täufertum stark beschäftigt.

Vielfältige Ehrungen unterstreichen die Bedeutsamkeit seines Wirkens. Der Präsident der USA, Jimmy Carter, berief Littell 1978 in den U.S. Holocaust Memorial Council. Er war der erste Christ, der in den Beirat der jüdischen Gedenkstätte Yad Vaschem in Jerusalem berufen wurde. Bundespräsident Theodor Heuß zeichnete ihn 1958 mit dem Großen Bundesverdienstkreuz aus, 1957 verlieh ihm die Marburger Evangelische Fakultät die Ehrendoktorwürde, und 1996 wurde ihm die Buber-Rosenzweig-Medaille zuerkannt.

Schriften (Auswahl)

The Anabaptist View of the Church: An Introduction to Sectarian Protestantism, Chicago und  Philadelphia 1952; 2. erw. Auflage, Boston 1958; deutsche Ausgabe: Das Selbstverständnis der Täufer, Kassel 1966. - The Free Church, Boston 1957; deutsche Ausgabe: Von der Freiheit der Kirche, Bad Nauheim 1957. - Landgraf Philipp und die Toleranz, Bad Nauheim 1957. - The German Phoenix: Men and Movements in the Church in Germany, New York 1960. - A Tribute to Menno Simons, Scottdale, PA, 1961. - From State Church to Pluralism A Protestant Interpretation of Religion in American History, New York 1962; 2. erw. Aufl., New York 1971. - The Church and the Body Politic, New York 1969. - Wild Tongues: A Handbook of Social Pathology, New York 1969. - The German Church Struggle and the Holocaust (Hg.), Detroit 1974; 2. Aufl., San Francisco 1990. - The Crucifixion of the Jews. The Failure of Christians to Understand the Jewish Experience, New York 1975; reprint Macon, GA, 1986.

Herausgeber: Weltkirchenlexikon: Handbuch der Ökumene, hg. mit Hans Hermann Walz, Stuttgart 1960 (zahlreiche Artikel). - The Macmillan Atlas History of Christianity, New York 1976; deutsche Bearbeitung von Erich Geldbach, Atlas zur Geschichte des Christentums, Wuppertal 1980. - Religious Liberty in the Crossfire of Creeds, Philadelphia, PA, 1978. - Hyping the Holocaust: Scholars Answer Goldhagen, New York 1997.

Festschriften

Richard Libowitz (Hg.), Faith and Freedom. A Tribute to Franklin H. Littell, Oxford 1987. - Sharon G. Lightner und Marcia S. Littell (Hg.), A Modern Prophet. Letters to Franklin H. Littell on His 80th Birthday June 20, 1997, Philadelphia 1998 (mit Bibliografie, 258–300).

Gedenkschrift

Crisis and Credibility in the Jewish Christian World: Remembering Franklin Littell, 2011/12.

Nachruf

Yehuda Bauer, Franklin H. Littell – In Memoriam, 13–17

[http://www1.yadvashem.org/yv/en/about/institute/studies/issues/37–2/bauer.pdf].

                                                                                                                                   

Erich Geldbach

 
www.mennlex.de - MennLex V :: art/littell_franklin_hamlin.txt · Zuletzt geändert: 2020/05/18 12:00 von bw     Nach oben
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