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Gaismair, Michael

geb. 1490, Tschöfs bei Sterzing (Tirol), Österreich, gest. 1532 in Padua, Italien; „Feldhauptmann“ der Bauern im Tiroler Bauernkrieg.

Michael Gaismair stammte aus einer wohlhabenden Familie in Sterzing, deren Mitglieder als Gewerken und Hüttenbesitzer im Bergbau tätig waren. Sein Großvater besaß in der Stadt zwei Häuser; Michael Gaismair selbst hielt Anteile an Gruben, die 1527 von den Obrigkeiten jedoch beschlagnahmt wurden. Er war zunächst als Gewerke in Sterzing, später in der Bergbaugegend von Schwaz (Inntal) – wohl als Grubenschreiber – tätig. Schließlich trat er einen Posten als Schreiber des Landeshauptmanns Leonhard von Völs an und nahm in dieser Eigenschaft 1523 am Landtag in Innsbruck teil. 1524 stieg er zum Hauptmann auf und war unter anderem für die Söldneranwerbung zuständig. 1525 quittierte er den Dienst, nachdem ihm vorgeworfen worden war, Anwerbungsgelder unterschlagen zu haben.

In die Ereignisse im Mai 1525, als sich der Unmut der Bauern gegen die Alte Kirche und den Adel entlud, war Gaismair zunächst auf bischöflicher Seite involviert. Im Prozess gegen Peter Passler war er Schreiber des Bischofs von Brixen, geriet jedoch mit dem Hofrichter über den in seinen Augen nicht korrekten Ablauf des Prozesses in Auseinandersetzungen, was ihn schließlich auf die Seite der Bauern brachte. Der Prozess gegen Peter Passler markiert den Wendepunkt der Ereignisse in Tirol. Der Entzug von Fischereirechten durch den Brixner Bischof Sebastian Sprenz, die die Familie Passler im Antholzer Tal erblich besaß, hatte bereits 1522 zu fast dreijährigen Auseinandersetzungen der Passlers und einer zunehmenden Zahl von sympathisierenden Bauern mit den bischöflichen beziehungsweise landesfürstlichen Obrigkeiten geführt. Die Bauern machten immer wieder durch gewaltsame Aktionen auf sich aufmerksam, die im September 1524 schließlich in die Gefangennahme Peter Passlers und eines Freundes mündeten. Das Urteil lautete auf Tod durch Schwert und Vierteilung. Kurz vor der Hinrichtung am 9. Mai 1525, als Passler schon auf den Brixner Domplatz geführt worden war, überfiel eine Gruppe bewaffneter Bauern die Gerichtsdiener und befreite den Gefangenen.

Am folgenden Tag wählten die Untertanen aus 13 Gerichten Michael Gaismair zum provisorischen Feldhauptmann. Es kam zur Vereinigung des Bauernausschusses mit dem Brixner Bürgerausschuss, der bereits seit 1523 versucht hatte, als Gegengewicht zur bischöflichen Macht Formen der Selbstverwaltung in der Stadt durchzusetzen. Gemeinsam zogen die Gruppen plündernd durch Brixen, besetzten die bischöfliche Burg und vertrieben den bischöflichen Rat. Am 12. Mai 1525 überfielen die Aufständischen das Kloster Neustift. Am 13. Mai wählten die Bauern Gaismair zum obersten Feldhauptmann, nach Abstimmung aller Vertreter der einzelnen Gerichte. Bis Mitte Mai weitete sich der Aufstand auf das gesamte Gebiet des südlichen Tirol aus; im nördlichen Teil Tirols, besonders im Inntal, war die Bewegung schwächer. Erst auf einem Teillandtag, den die Vertreter der Gerichte vom 16. bis zum 18. Mai 1525 in Neustift abhielten, nahmen sie das Angebot Erzherzog Ferdinands I. an, Waffenstillstand zu schließen und auf einem Landtag in Innsbruck die Forderungen der Bauern zu besprechen.

Dem Landtag ging die Versammlung der Gerichtsvertreter in Meran voraus, die diese ebenfalls als „Landtag“ bezeichneten und gegen den Willen Ferdinands I. einberiefen. Die Bauern schrieben ihre Forderungen in den sog. Meraner Artikeln nieder, die die Verhandlungsgrundlage für den Landtag bilden sollten. Eines der Hauptziele der Gerichtsvertreter war die gerechtere Verteilung des Grundbesitzes und die politische und rechtliche Gleichstellung der Bauern und Bürger mit dem Adel und der Geistlichkeit. Zwar wurde auf dem Landtag in Innsbruck (Juni und Juli 1525) eine „Landesordnung“ verabschiedet, die den Bauern in einigen Punkten entgegenkam, jedoch war die Mehrheit mit den Ergebnissen keineswegs einverstanden, so dass die Lage erneut eskalierte. Michael Gaismair wurde zur Berichterstattung nach Innsbruck vorgeladen, wo er jedoch inhaftiert und Verhören unterzogen wurde. Die Gefangennahme des obersten Feldhauptmanns nahm dem Aufstand viel Schwung, die Bauern gaben ihre Waffen ab.

Im Oktober 1525 gelang Gaismair die Flucht aus dem Gefängnis. In den folgenden Jahren nahm er eine zentrale Rolle zwischen aufstandsbereiten Bauern in einigen süddeutschen Regionen, in der Eidgenossenschaft und in habsburgischen und salzburgischen Gebieten sowie in Venedig ein (→Bauernkrieg). Er hielt sich zunächst in der Schweiz auf. Vor allem Graubünden spielte in den Aufstandsplänen der Tiroler immer wieder eine zentrale Rolle, da sich die Tiroler von hier Unterstützung erhofften. So sollte ein zukünftiger Aufstand der Tiroler Bauern vom Vinschgau aus starten. Nach der traditionellen Interpretation verfasste Gaismair um den Jahreswechsel 1525/26 im Prättigau seine Landesordnung: Der fürstlichen Graffschaft Tirol Landesordnung. Giorgio Politi hat die Landesordnung 1995 zur Fälschung erklärt, die von Gaismairs Gegnern verfasst worden sei, um den Anführer der Bauern in Verruf zu bringen. Auf jeden Fall ist das Programm von 1525/26 der Entwurf einer politisch-utopischen Gesellschaftsordnung nach evangelisch-republikanischem Muster. Ständisch begründete Privilegien sollten beseitigt werden, um eine egalitäre Gesellschaft zu schaffen, die den „gemeinen Nutzen“ in einer möglichst gerechten Art und Weise als Ziel verfolgte.

Im Juli 1526 führte Gaismair Truppen der Bauern gegen Einheiten des Schwäbischen Bundes an. Die Schlacht bei Radstadt (Salzburg) bescherte den Bauern jedoch eine Niederlage; Gaismair musste auf venezianisches Gebiet fliehen. Er trat in den Dienst des venezianischen Militärs und verfolgte von dort weiterhin das Ziel, mit einem Heer von Bauern aus Tirol und aus dem Trentino gegen die landesfürstlichen Truppen zu kämpfen. Gaismair unterhielt zudem Verbindungen in die Eidgenossenschaft, unter anderem zu alten Gefährten, die in Graubünden im Untergrund lebten, aber auch im Raum St. Gallen versuchte er, Kontakte zu knüpfen. Mehrmals traf er Huldrych →Zwingli – beide stimmten in ihren Plänen überein, Tirol der Herrschaft des habsburgischen Erzherzogs Ferdinand I. zu entreißen.

Seinen letzten Lebensabschnitt verbrachte Gaismair ab Herbst 1527 mit seiner Familie in Padua. Allerdings geriet er aufgrund habsburgischer Interventionen in Venedig immer mehr unter Druck, auch und weil er versucht hatte, reformatorische Schriften und Ideen zu verbreiten. Am 15. April 1532 wurde er in Padua – wohl auf Befehl einer adeligen Trentiner Gruppe – ermordet.

In Tirol selbst fanden viele enttäuschte Bauernkrieger eine neue geistliche Heimat bei den Täufern. Werner O. Packull hat den Wandel der Bauernkriegsveteranen zur Wehrlosigkeit in den täuferische Gemeinden beschrieben. Auch einige Verwandte Gaismairs schlossen sich den Täufern an. Für die frühen Jahre der täuferischen Bewegung, als antiklerikale und obrigkeitskritische Aktionen üblich waren, sind wohl einige Überschneidungen zwischen den Bauernkriegern und den Täufern anzunehmen, obwohl die Quellen nicht allzu viele Namen nennen. Nachweisen lassen sich jedoch der ehemalige Lüsener Priester André und zwei Mitglieder der Familie Gasser, die sowohl zu den Anhängern Gaismaiers als auch zu frühen täuferischen Konventikeln gehörten. Auch Friedrich Brandenberger, der 1531 und 1532 mit Jakob →Huter unterwegs war, gehörte zu den aufständischen Bauern, ebenso Hans Vischer, ein ehemaliger Dominikaner, der 1526 wegen obrigkeitskritischer Äußerungen Sterzing verlassen musste und daraufhin nach Augsburg ging, wo er mit Hans →Denck in Kontakt kam.

Ob Michael Gaismair selbst engere Kontakte zu täuferischen Gruppen hatte, ist nicht ganz klar. Die Quellen berichten im Februar 1528 von einem Treffen Gaismairs mit Täufern im Vinschgau. Ein direktes „Erbstück“ Michael Gaismairs lässt sich in Tirol auf jeden Fall in den Begründungen für die Verfolgung der Täufer nachweisen. So wurde Leonhard Schiemer im Januar 1528 in Rattenberg entsprechend der „empörung ordnung“ hingerichtet, die aufgrund der Erfahrungen im Bauernkrieg der „Tiroler Landesordnung“ von 1526 beigefügt worden war. Im breiteren Bewusstsein der Tiroler Bevölkerung war die Person Michael Gaismairs bis ins späte 20. Jahrhundert weitgehend in Vergessenheit geraten. Erst in den letzten Jahren wird dem Anführer der Bauern in der „Heldenverehrung“ ein Gegenpart zu Andreas Hofer zugedacht.

Quellen

„Landesordnung“ von Gaismair abgedruckt in: Albert Hollaender, Michael Gaismairs Landesordnung 1526. Entstehung – Bedeutung – Text, in: Der Schlern 13, 1932, 375–292, 425–429, hier 427–429. - Hermann Wopfner (Hg.), Quellen zur Vorgeschichte des Bauernkriegs. Beschwerdeartikel aus den Jahren 1519–1525 (Acta Tirolensia, 3), Innsbruck 1908 (Neudruck Innsbruck 1984).

Literatur

Angelika Bischoff-Urack, Michael Gaismair. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte des Bauernkrieges (Vergleichende Gesellschaftsgeschichte und politische Ideengeschichte der Neuzeit, 4), Innsbruck 1983. - Jürgen Bücking, Michael Gaismair: Reformer – Sozialrebell – Revolutionär (Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung, 5), Stuttgart 1978. - Otto P. Clavedetscher, Die Bauernunruhen der heutigen Eidgenossenschaft mit einem Exkurs über die Beziehungen Gaismairs zur Schweiz, in: Christoph von Hartungen und Günther Pallaver (Hg.), Michael Gaismair und seine Zeit, Bozen/Innsbruck 1983, 47–56. - Roman Demattia, Der Bauernkrieg im Pustertal, in: Der Schlern 70, 1996, 274–310. - Albert Hollaender, Michael Gaismairs Landesordnung 1526. Entstehung – Bedeutung – Text, in: Der Schlern 13, 1932, 375–292, 425–429. - Walter Honold, Die Meraner Artikel. Eine Untersuchung der politischen Ideen der Tiroler Bauernerhebung des Jahres 1525, Tübingen 1936. - Walter Klaassen, Michael Gaismair. Revolutionary and Reformer (Studies in Medieval and Reformation Thought, 23), Leiden 1978. - Josef Macek, Der Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair, Berlin 1965. - Giorgio Politi, Gli statuti impossibili. La rivoluzione tirolese del 1525 e il „programma“ di Michael Gaismair, Turin 1995. - Aldo Stella, Der Bauernkrieg im Trentino und die venezianischen Ereignisse um Michael Gaismair, in: Christoph von Hartungen und Günther Pallaver (Hg.), Michael Gaismair und seine Zeit, Bozen und Innsbruck 1983, 57–78. - Dietrich Thaler, Die Reformation in Sterzing und Michael Gaismair, in: Österreich in Geschichte und Literatur 42, 1998, 151–164.

Astrid von Schlachta

 
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