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Karlstadt, Andreas Rudolff Bodenstein von

geb. 1486 in Karlstadt am Main, Deutschland, gest. am 24. Dezember 1541 in Basel, Schweiz; Theologieprofessor und Reformator.

Karlstadt stammte aus einer Familie der bürgerlichen Führungsschicht der gleichnamigen fränkischen Kleinstadt. Sein Studienweg führte ihn über Erfurt (1499–1502) und Köln (1503–1505) nach Wittenberg (1505: Magister artium). Dort wurde er 1510 zum Priester geweiht und zum Doktor der Theologie promoviert. Er war als Theologieprofessor an der Universität tätig und hatte ab 1511 das Amt des Archidiakons am Wittenberger Allerheiligenstift inne. Während eines Romaufenthalts (1515/16) schloss er zusätzliche juristische Studien mit dem Doktor für weltliches und kirchliches Recht ab. Durch intensive Beschäftigung mit den Werken Augustins und der deutschen Mystik (besonders Johannes Taulers) gab Karlstadt seinen anfänglichen Widerstand gegen Luthers theologischen Neuansatz auf. Ursprünglich in der Scholastischen Theologie geschult, wandte sich Karlstadt einer biblisch augustinisch geprägten reformatorischen Theologie zu. Die Unfähigkeit des Menschen zum Guten ohne eine ihm allein von Gott zukommende und rechtfertigende Gnade behandelte er 1519 in der Vorlesungsschrift De impii iustificatione. Das Thema war auch Gegenstand seiner Debatte mit Johannes Eck auf der Leipziger Disputation im Juli 1519 und seiner ersten deutschen Schrift Auslegung und Erläuterung zu einem von ihm entworfenen illustrierten Flugblatt zweier Wagen (1519), von denen einer den bußfertigen Sünder auf den hinter dem Kreuz stehenden auferstandenen Christus, der andere einen die eigene Willenskraft predigenden Theologen in die Hölle fährt (Holzschnitt von Lucas Cranach d. Ä.).

Den Bruch mit dem Papsttum vollzog Karlstadt, nachdem Eck auch seinen Namen auf die Bannandrohungsbulle gegen Luther gesetzt hatte. In der Schrift Von päpstlicher Heiligkeit (Oktober 1520) rechnete Karlstadt damit ab. Als gründlichem Ausleger der Heiligen Schrift wurde ihm klar, dass die Predigt des Evangeliums immer gewalttätige Verfolgung gegen den Prediger hervorbrachte und dass das Leiden ein Zeichen von Gotteskindschaft ist (Unterrichtung dieser Rede: Das Reich Gottes leidet Gewalt und die Gewaltigen nehmen oder rauben dasselbe … Mt 11). Während Luthers Wartburgaufenthalt (Mai 1521 bis Februar 1522) gewann Karlstadt an Einfluss in Wittenberg; vorerst nur angedachte Reformen, wie die Abschaffung der Messe, der Privatbeichte und der Bilder in den Kirchen und einem Bettelverbot (Vom Abtun der Bilder und dass keine Bettler unter den Christen sein sollen) nebst Einrichtung städtischer Armenfürsorge, wurden zur Jahreswende 1521/22 durchgeführt. In Einklang mit seiner Kritik am Zölibatszwang (Von Gelübden Unterrichtung. Auslegung des 30. Kapitels Numeri) heiratete Karlstadt Mitte Januar 1522.

Differenzen mit Luther nach dessen Rückkehr über Art und Durchführung von Reformen und Zensurmaßnahmen der Wittenberger Universität gegen Karlstadt führten diesen zu einem Rückzug aus der akademischen Tätigkeit. Durch intensive Beschäftigung mit dem in der deutschen Mystik wichtigen Thema der Gelassenheit reifte in ihm der Entschluss, seinem akademischen und klerikalen Status abzusagen. Als „neuer Laie“ war er ab 1523 Gemeindepastor im Ackerstädtchen Orlamünde an der Saale (einer seinem Wittenberger Archidiakonat inkorporierten Pfarrei). Dort ließ er sich „Bruder Andres“ nennen und versuchte, den Lebensunterhalt seiner Familie mit landwirtschaftlicher Arbeit selbst aufzubringen. Ein auf Laienchristentum basierendes Reformmodell wurde umgesetzt, in dem neben der Entfernung der Bilder und Skulpturen aus der Kirche und dem Verzicht auf Zehntabgaben seitens des Kirchenvolks zum Unterhalt des Predigers, auch die Vertiefung des Glaubens im gemeinsamem Gespräch zur Auslegung der Bibel, die Aufschiebung der Kleinkindtaufe und die Feier des Abendmahls mit Brot und Wein (Laienkelch) als zeichenhafte Erinnerung an Jesu Leidensbereitschaft und Kreuz von zentraler Bedeutung waren. Einer Aufforderung der von Thomas →Müntzer, mit dem Karlstadt in Kontakt stand, geprägten Allstedter Gemeinde an die Orlamünder, sich dem dort geplanten (Verteidigungs-) Bund anzuschließen, wurde Mitte 1524 mit der Schrift der Orlamünder an die Allstedter, wie man christlich fechten soll eine Absage erteilt: „(…) wenn die Zeit und Stunde herankommt, dass wir etwas von wegen göttlicher Gerechtigkeit leiden sollen, so lasst uns nicht zu Messern und Spießen laufen (…)“. Dennoch wurde auch Karlstadt durch die von Wittenberg gegen Müntzer eingeleitete Aktion zur Ausweisung aus Kursachsen in Mitleidenschaft gezogen. Die kursächsische Obrigkeit zwang Karlstadt Ende September 1524, das Territorium zu verlassen.

Angeregt durch Karlstadts Orlamünder Theologie, die eine geistige und ethische Regeneration der Christen anstrebte, kam es zu Kontakten zwischen ihm und den Züricher Radikalen um Konrad →Grebel. Mit ihrer Unterstützung wurden im Herbst 1524 mehrere Schriften Karlstadts in Basel zum Druck gebracht. Darunter befand sich auch jeweils eine Dialogflugschrift zu seinem Tauf- und Abendmahlsverständnis (Dialog ( …) von dem gräuelichen, abgöttischen Missbrauch des hochwürdigsten Sakraments Jesu Christi und Dialog vom Fremden Glauben, Glauben der Kirche, Taufe der Kinder). Wenn der aus Zollikon vertriebene Prediger Johannes →Brötli im Februar 1525 darum bat, ihm von dort „des Carolstats büchli“ zu schicken, zeugt das von der damals hohen Wertschätzung für dessen Schriften in der im Entstehen begriffenen Täuferbewegung.

Von Dezember 1524 bis Mai 1525 fand Karlstadt in Rothenburg ob der Tauber Unterschlupf. Ohne Erfolg versuchte er, die fränkischen Bauern zum Verzicht auf Gewalt zu überreden, handelte sich aber dadurch deren Missgunst ein. In der von Bauernaufständen und obrigkeitlicher Repression verschärften Lage fand er keine Bleibe und sah sich zu einer schriftlichen Abwehr des falschen Namens der Aufruhr, so ihm mit Unrecht aufgelegt worden war und zu einem Abkommen mit Luther gezwungen. Karlstadt verpflichtete sich, in Zukunft weder zu predigen, noch zu schreiben oder theologische Kontakte zu anderen zu pflegen. Daraufhin erreichte Luthers Fürsprache beim Kurfürsten für Karlstadt und seine Familie ab August 1525 wieder ein Aufenthaltsrecht in Kursachsen. Anfänglich als Bauer und später als Krämer lebte Karlstadt in ärmlichen Verhältnissen. Trotz strenger Kontrolle konnte er mittels Briefen und Besuchern Kontakte zu Gleichgesinnten aufrecht erhalten, was jedoch nicht verborgen blieb.

Der Gefahr eines Arrests entzog er sich Anfang 1529, indem er dem Laienprediger Melchior →Hoffman in Kiel, bei dessen Flensburger Disputation mit Johannes Bugenhagen und anderen über das Abendmahlsverständnis zur Hilfe kam (April 1529). In der Folge versuchte Karlstadt im Gebiet um Oldersum (Ostfriesland) reformatorische Neuerungen einzuleiten, die jedoch auf Widerstand stießen und ohne Erfolg blieben. Über Straßburg und Basel gelangte er Anfang 1530 nach Zürich, wo ihm Ulrich Zwingli zu einer Tätigkeit als Diakon am Großmünster und als Spitalseelsorger verhalf. Im Juni 1534 wechselte Karlstadt von Zürich nach Basel, wo er bis zu seinem Tod durch die Pest am Heiligabend 1541 als Professor für Altes Testament an der Universität und Prediger an St. Peter wirkte.

Etwa 70 gedruckte Werke in über 200 Ausgaben bezeugen Karlstadts Einfluss als Theologe und Publizist der Reformation. Unter den Autoren, die während der Jahre 1518 bis 1525 mittels deutschsprachiger Drucke für die Verbreitung der reformatorischen Bewegung aktiv waren, steht Karlstadt gleich nach Luther an zweiter Stelle. Viele von Karlstadts reformatorischen Impulsen waren innovativ und wirkten in die unterschiedlichen evangelischen Lager hinein. Von anfangs zentraler Bedeutung im Wittenberger Kreis machte sich sein Einfluss sowohl bei den Radikalen wie auch in der von Zwingli geprägten Schweizer Reformation bemerkbar.

Quellen

Erich Freys und Hermann Barge, Verzeichnis der gedruckten Schriften des Andreas Bodenstein von Karlstad, in: Zentralblatt f. Bibliothekswesen 21, 1904, 153–159; 209–243; 305–331 (Nachdr. Nieuwkoop 1965). - Hans-Joachim Köhler, Bibliografie der Flugschriften des 16. Jahrhunderts. Teil I: Das frühe 16. Jahrhundert (1501–1530), Bd. 2, Tübingen 1992, Nr. 1846 bis Nr. 1973 [Originale Druckausgaben auf Mikrofiche]. - Ernst Kähler (Hg.), Karlstadt und Augustin. Der Kommentar des Andreas Bodenstein von Karlstadt zu Augustins Schrift De spiritu et litera, Halle (Saale) 1952.- Erich Hertzsch (Hg.), Karlstadts Schriften aus den Jahren 1523 – 1525, 2 Bde., Halle (Saale) 1956/1957. - Adolf Laube u. a. (Hg.), Flugschriften der frühen Reformationsbewegung (1518–1524), 2 Bde., Berlin 1983, Bd. 1: Nr. 6, 26 und Bd. 2: Nr. 3 und 4. - Ders. (Hg.), Flugschriften vom Bauernkrieg zum Täuferreich (1526–1535), 2 Bde., Berlin 1992, Bd. 1: Nr. 1, 3 u. 15. Thomas Köhler (Hg.), Kritische Gesamtausgabe der Schriften und Briefe Andreas Bodensteins von Karlstadt, Bd. 1: Schriften 1507 – 1518 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, Bd. 90), Gütersloh 2017.

Literatur

Hermann Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt, 2 Bde., Leipzig 1905 (repr. Nieuwkoop 1968). - Friedel Kriechbaum, Grundzüge der Theologie Karlstadts, Hamburg-Bergstedt 1967. - Ronald J. Sider, Andreas Bodenstein von Karlstadt. The Development of His Thought, 1517–1525, Leiden 1974. - Ulrich Bubenheimer, Scandalum et ius divinum: Theologische und rechtstheologische Probleme der ersten reformatorischen Innovationen in Wittenberg 1521/1522, in: Zeitschrift f. Rechtsgeschichte 90, Kan. Abt 59, 1973, 263–342. - Ders., Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation, Tübingen 1977. - Ders. Luthers Stellung zum Aufruhr in Wittenberg 1520–1522 und die frühreformatorischen Wurzeln des landesherrlichen Kirchenregiments, in: Zeitschrift f. Rechtsgeschichte 102, Kann. Abt. 71, 1985, 147–214. - Calvin A. Pater, Karlstadt as the Father of the Baptist Movements, Toronto, Buffalo und London 1984. - Alejandro Zorzin, Karlstadts „Dialogus vom Tauff der Kinder“ in einem anonymen Wormser Druck aus dem Jahr 1527, in: Archiv für Reformationsgeschichte 79, 1988, 45–75. - Ders., Karlstadt als Flugschriftenautor, Göttingen 1990. - Hans-Peter Hasse, Zum Aufenthalt Karlstadts in Zürich (1530–1534), in: Zwingliana 18/4 und 5, 1990/91, 366–389. - Ders., Karlstadt und Tauler. Untersuchungen zur Kreuzestheologie. Gütersloh 1993. - James M. Stayer, Saxon Radicalism and Swiss Anabaptism: The Return of the Repressed, in: Mennonite Quarterly Review 67, 1993, 5–30. - Volkmar Joestel, Ostthüringen und Karlstadt. Soziale Bewegungen und Reformation im mittleren Saaletal am Vorabend des Bauernkrieges, Berlin 1996. - Hans-Jürgen Goertz, Karlstadt, Müntzer and the Reformation of the Commoners, 1521–1521, in: John D. Roth und James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521–1700, Leiden und Boston 2007, 1–44. Martin Keßler, Das Karlstadt-Bild in der Forschung (Beiträge zur historischen Theologie, 174), Tübingen 2014.

Alejandro Zorzin

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